Editorial

den gemeinsamen geistigen Mittelpunkt finden Lesen ist schön und – erlaubt

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2022

Rund ein Drittel dieser Ausgabe haben wir mit Blick auf den Deutschen Anwaltstag gestaltet und stellen deshalb viele Buchneuheiten aus unterschiedlichen Rechtsgebieten vor. Der Deutsche Anwaltstag findet im Juni im Congress Center in Hamburg unter dem Motto „Miteinander für das Recht“ nach zwei langen Pandemiejahren mit ausschließlich virtuellen Begegnungen nun endlich wieder als Präsenzveranstaltung statt. Er führt Anwaltschaft, Justiz, Politik, Wissenschaft und Presse zu einem rechts- und berufspolitischen Austausch zusammen. Den Teilnehmenden dieser größten anwaltlichen Fortbildungsveranstaltung können wir diese Ausgabe des fachbuchjournals also erfreulicherweise wieder ganz real und haptisch greifbar in ihrer Tagungsmappe präsentieren.

Als Auftakt dieses juristischen Schwerpunkts haben wir das Buch von Professor Peter Landau über „Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik“ gewählt, das ich hier exemplarisch herausgreifen möchte und das natürlich auch für Nichtjuristen hochinteressant ist. Eindrucksvoll beschreibt der international ­­ange­ sehene Rechtshistoriker, wie stark und nachhaltig prägend Juristen jüdischer Herkunft besonders in den Rechtswissenschaften gewirkt haben und gibt zu bedenken, dass „die Vergewisserung der heutigen Generation über die Leistungen deutscher Juristen jüdischer Herkunft dazu dienen kann, den ‚gemeinsamen geistigen Mittelpunkt‘ (Savigny) zu finden, der auch die deutschen Juristen am Ende des 20. Jahrhunderts mit ihren jüdischen Vorgängern verbindet.“

Wie immer gibt es viele weitere Themen. Gehen Sie auf Entdeckungstour. Im landeskundlichen Teil finden Sie Bücher über Zentralasien, das jüngst aufgrund der Unruhen in Kasachstan in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt war; über die Geschichte der Türkei; zu Kunst und Kultur aus dem Iran; über die Rohingyas in Bangladesch, die sich trotz aller Bedrängnis ihre Würde nicht nehmen lassen. Auf dem Philosophenweg in Kyôto können Sie eine Entdeckungsreise durch die japanische Ästhetik machen. Und unter der Überschrift „Seid unbeugsam!“ haben wir einige wichtige Bücher aus der Frauenbewegung zusammengefasst.

Ré Soupaults Erinnerungen an Karl Jaspers veröffentlichen wir im Wortlaut. Die außergewöhnliche deutschfranzösische Künstlerin besuchte von 1951 bis 1957 Dieses Resümee klingt lange nach. „Seine Mahnung ist ernst zu nehmen“, so unser Rezensent.

Und genau dazu liefern die detailreichen Besprechungen über Hitlers Parteigenossen und Hitlers Wähler und die aufrüttelnden und berührenden Bücher über Chronistinnen des Nationalsozialismus Wissen. Der Rezensent zitiert Lucie Adelsberger, Autorin des 1956 veröffentlichten Berichts Auschwitz: „Wenn Haß und Verleumdung leise keimen, dann, schon dann heißt es wach und bereit zu sein. Das ist das Vermächtnis derer von Auschwitz.“

Es gibt natürlich wieder viele weitere Themen und aufregende Entdeckungen in dieser Ausgabe, die Sie beim Durchblättern finden werden.

Ein ganz besonderes Buch will ich Ihnen aber noch von meiner Seite ans Herz legen: Von den ersten und den l etzten Dingen. Enrique Martínez Celaya & Käthe Kollwitz. Anlässlich einer Ausstellung in der Berliner Galerie Judin hat Martínez Celaya eine großformatige Werkgruppe als Essenz seiner Auseinandersetzung mit Werken aus der bedeutenden Kollwitz-Sammlung des Ehepaars Fritsch geschaffen. Martìnez Celaya begann die Arbeit im Sommer 2019. Existenzielle Fragen, wie sie im Werk der Kollwitz aufgeworfen werden, standen damals nicht vorrangig auf der Tagesordnung. Dann verlor fast über Nacht durch die Corona-Pandemie Alltägliches seine Selbstverständlichkeit. „In diesem außergewöhnlichen Kontext“, schreiben Gudrun Fritsch und Pay Matthias Karstens in ihrem Buchbeitrag über die Wahlverwandtschaft der beiden Künstler, „schafft Martínez Celaya seine Adaptionen ausgewählter Kollwitz-Werke. In Zeiten von globaler Pandemie, Flüchtlingskrise, Klima krise und politischer Radikalisierung aktualisiert er die humanistischen Botschaften der Kollwitz und revanchiert sich auf diese Weise bei ihr. So wie Kollwitz dem Künstler einst dazu verhalf, seinen gesellschaftlichen Auftrag zu formulieren, so verhilft er ihrem Wirken nun in eine neue Zeit. Wie die Höheund Tiefpunkte menschlichen Lebens überzeitlich sind, so ist es auch deren ergreifende Reflexion durch die Künstlerin und den Künstler.“

Ein Trost. Das Lesen, das Durchdenken und in Augenschein nehmen solcher Bücher bleibt schön und – ist erlaubt.

Angelika Beyreuther

Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung