Editorial

Richtschnur

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

„‚Mutti, was ist eigentlich Gott?‘ Das war die Frage, die den Sechseinhalb-, Sechsdreiviertel­ jährigen beschäftigt hat, und ich weiß genau, und ich sehe es deutlich vor Augen, wie meine Mutter zu mir gesagt hat: ‚Das kann ich dir nicht sagen, vielleicht kann ich es dir nie sagen, aber es gibt einen Satz, und den merke dir, der gibt dir die Antwort fürs ganze Leben.‘ Und ich habe den Satz eigentlich auch nie vergessen, er lautete: ‚Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu.‘ Wenn ich also rückblicke, dann muss ich sagen, dieses Erlebnis, das ganz inselhaft aus meinen frühen Erinnerungen auftaucht, dieses Wort hat sich so tief in mich eingeprägt, dass es eigentlich zur Richtschnur meines Lebens geworden ist.“

Diese eindrucksvolle Schilderung kindlichen Erinnerns stammt von Dr. Fritz Bauer, dem früheren Hessischen Generalstaatsanwalt, dem herausragenden Juristen und engagierten Sozialdemokraten. Diese einfache Urszene sittlichen Empfindens ist 1967 in einem Gespräch mit der Auschwitz-Überlebenden Renate Harpprecht in einer WDR-Dokumentation festgehalten. Sie beinhaltet den Kern menschlichen Zusammenlebens. Und hat mich sehr berührt.

Wenn ich jetzt auf fünfzehn Jahre als verantwort­liche Redakteurin des fachbuchjournals blicke, dann bin ich besonders und zuallererst dankbar für das Privileg, dass ich unbequemen und kämpferischen Mahnern wie beispielhaft Fritz Bauer mit unserer Zeitschrift ein Podium geben konnte, Menschen, die gegen den Strom schwimmen, ihrem Gewissen, ihrer inneren Stimme folgen – und manchmal auch unversöhnlich sind. Fritz Bauer, der 1968 einsam starb, war bis vor wenigen Jahren nahezu vergessen, nur ein kleiner Kreis beschäftigte sich mit seiner Arbeit und würdigte seine Verdienste. Als 2009 endlich eine erste große Biographie über ihn erschien, wurde davon noch wenig Notiz genommen. Wir haben sie damals in einer unserer ersten Ausgaben gewürdigt und in den Folgejahren immer wieder sein großes Lebenswerk, dem unsere heutige Rechts- und Gesellschaftsordnung so viel verdankt, sehr zentral in den Fokus unserer Zeitschrift gestellt.

Dies war uns nur möglich, weil unsere Autorinnen und Autoren uns ihre kompetenten Texte über Fritz Bauer und aus so vielen weiteren, unterschiedlichen Wissensgebieten zur Ver­öffentlichung anvertrauten. Damit haben wir zusammen in den Jahren einen bemerkenswerten Fundus an wertvollen Inhalten geschaffen. Sie stehen auf www.fachbuchjournal.de frei zur Verfügung und sind abrufbar. Für Schatzsucher sind sie damit auch in Zukunft eine wahre Fundgrube! Dankbar sehe ich auch, dass in den letzten fünfzehn Jahren aus der ­Zusammenarbeit und der Leidenschaft für Bücher gegenseitiges Vertrauen und freundschaftliche Beziehungen entstanden sind, auch weit über den Kreis unserer Autoren hinaus zu vielen Verlagsmitarbeiterinnen und Verlegern aus anderen Häusern. Das ist nicht selbstverständlich – und ein großes Geschenk.

Heute leben wir in Zeiten ganz besonderer Bedrängnis. Nachvollziehbar liegen deshalb bei vielen Menschen die Nerven blank. Umso mehr wünschen unser kleines Verlagsteam und ich Ihnen von ganzem Herzen ruhige, erholsame und schöne Weihnachtstage im Kreise Ihrer Familien und Freunde. Und für das neue Jahr 2024 – Frieden.

Angelika Beyreuther

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