Peter Hösli. Markus Mergenthaler: Glanz & Geheimnis. Pracht und Macht des orientalischen Schmucks. Oppenheim: Nünnerich-Asmus, 2023. Geb., 192 S., 200 Abb., ISBN 978-3-96176-214-9. € 30,00
Sagt Ihnen der Name Iphofen etwas? Richtig: guter Frankenwein. Dann sitzt vor Ort noch das Unternehmen Knauf, das trotz seiner 40000 Mitarbeiter in 220 Werken in 86 Ländern der Erde zu den weniger bekannten, den hidden champions der deutschen Wirtschaft zählt. Was diese Firma, die seit ihrer Gründung vor fast einem Jahrhundert mit dem Werkstoff Gips den Baumarkt revolutionierte, mit dem vorliegenden Band zu tun hat, ist rasch erzählt. Im ehemaligen Zehnthaus im Herzen der fränkischen Kleinstadt brachten die Firmengründer 1983 ihre Sammlung täuschend ähnlicher Gipsabgüsse von Exponaten aus aller Welt unter, und im Jahr 2010 schloss sich ein kühner Neubau an, in dem seither jährlich wechselnde Sonderausstellungen stattfinden. Der Museumsleiter Markus Mergenthaler hat es seitdem immer wieder verstanden, spektakuläre und gut besuchte Themen zu präsentieren, die weithin Beachtung finden. Der Nünnerich-Asmus-Verlag, der schon einigen früheren Ausstellungen durch seine großzügig ausgestatteten Bildbände Dauer verlieh, hat auch diesmal den opulenten Begleitband beigesteuert. In diesem Jahr also „orientalischer Schmuck“! Da ist er wieder, der einst obsolete und doch so beliebte Begriff des „Orients“, der zurzeit ein Revival zu erleben scheint. Auch die „Levante“ wird dem Leser wieder begegnen, jene Länder zwischen dem östlichen Mittelmeer und der Arabischen Halbinsel, also Palästina/Israel, Jordanien, Syrien und der Irak, bei denen der kulturelle Einfluss des Osmanischen Reichs noch heute mit Händen zu greifen ist. Der Sammler all des Geschmeides, meist aus Silber, selten mit Goldauflage, oft mit Türkisen, Halbedelsteinen, Glaseinlagen und Korallen besetzt, ist der frühere Hotelmanager Peter Hösli, der lange Jahre die Grandhotels seines Schweizer Arbeitgebers in der Region betreute. Seine seit Jugend ausgeübte Sammlertätigkeit fand hier ein weites Feld. Weniger der materielle Wert macht den Reiz dieser Sammlung aus als die heute kaum noch ausgeübte Kunstfertigkeit der Silber- und Edelmetallschmiede und die Rarität der ausgestellten Stücke, die der eifrige Sammler Hösli in den Sukhs der arabischsprachigen Welt des Nahen Ostens über viele Jahre hinweg aufspürte. Nur Spitzenstücke und typische Beispiele antiken ethnischen Schmucks fanden, oft nach langer und wiederholter Inaugenscheinnahme, Gnade in seinen Augen, und was allzu teuer war, sogar im fernen Jemen, musste liegen bleiben – manche Einzelstücke wurden schon in den frühen 2000er Jahren für den Preis eines Kleinwagens gehandelt… Das präsentierte Geschmeide, obschon selten älter als anderthalb Jahrhunderte, ist heute Museumsware.
Ehe das wertvollere Gold in den nunmehr reich gewordenen Ölstaaten das Silber als Wertaufbewahrungsmetall verdrängte, bildete der Silberschmuck der Frauen die traditionelle Schatzkammer der Familien: Kopf- und Haarschmuck, Gürtel, Schnallen, Ketten und Kettchen, Oberarmbänder, Ohr-, Hand- und Fußringe von oft gewaltigen Ausmaßen, allerdings hohlgeschmiedet, oft aber auch von erheblichem Gewicht von bis zu zweieinhalb Kilo, waren die übliche Mitgift der Frauen der städtischen Oberschichten, der Beduininnen sowie der nomadisierenden Stämme; auch Knaben oder Mädchen erhielten bisweilen kleineres, sorgfältig gearbeitetes Geschmeide. Im Notfall konnten solche Schätze, die in den Harems der Städte wohlverborgen aufbewahrt und nur bei Festen gezeigt, aber bei den Beduininnen aus Sicherheitsgründen stets am Körper getragen wurden, rasch zu Geld gemacht werden – was oft ihr Ende bedeutete. Denn was macht ein Juwelier mit unmodisch gewordenem Schmuck? Er schmilzt ihn ein oder arbeitet ihn um. Das erklärt auch die Seltenheit kompletter Sets, von paarweisem Schmuck oder Schmuckensembles, und Peter Hösli ist es in einigen Fällen gelungen, das eine oder andere dieser raren Exemplare zu ergattern. Was allerdings fehlt, ist der Silberschmuck der Männer, wie er sich in den kunstvoll ausgestalteten und stolz getragenen Dolchen im Gürtel manifestiert.
Dass der Schmuck oft beschädigt und repariert wurde und die Münzen abgewetzt sind, mindert ihren Wert nicht – im Gegenteil. Nur Schmuck mit Tragespuren ist alt und echt, und an den Ausbesserungen erkennt man die Authentizität. Dabei genossen die österreichischen Maria-Theresientaler einen Kultstatus und lieferten – eingeschmolzen oder als ganze Münzen – das beste, hell glänzende Silber von höchster Reinheit, sozusagen als ultimatives Gütesiegel. Der spanische Peso und amerikanischer Silverdollar hatten dagegen keine Chance.1
Silberschmiedetechniken wie das Anbringen von Niello, Emaillierung, Ziselierung und Granulation oder die unendlich feine Geduldsarbeit zur Herstellung der Kettenringe und der kleinen und kleinsten Hohlkügelchen, die dann am Ende ein erstaunlich leichtes Gehänge bilden, zählen zu den Meisterwerken nahöstlicher Juwelierkunst, oft von arabischen Meisterschmieden handsigniert, oft aber auch von Mitgliedern der jüdischen, armenischen oder indischen Gemeinde hergestellt. Als die jüdische Diaspora nach der Gründung des Landes Israel im Jahr 1948 die Region verließ, war das daher ein empfindlicher handwerklichkünstlerischer Brain-Drain.
Die Ausstellung, die bis zum 5. November zu sehen ist, lohnt nicht nur einen Umweg, sondern auch eine weite Anreise, und das nobel ausgestattete und sorgfältig lektorierte Buch mit seinen detailreichen, oft doppelseitigen Farbabbildungen und sorgfältigen Objektbeschreibungen, Landkarten, Glossar und Literaturhinweisen ist seinen Preis allemal wert. Eine englischsprachige Ausgabe wäre naheliegend. (tk) ˜
Dr. Thomas Kohl (tk) war bis 2016 im Universitäts- und Fachbuchhandel tätig und bereist Südasien seit vielen Jahren regelmäßig.
thkohl@t-online.de
1 Fußnote des Rezensenten: kein Wunder, dass Briten bis in die 1950er Jahre solche Theresientaler zunächst in Bombay, dann in London weiterprägten, immer brav mit der Aufschrift „Tyrol 1780“!