Sozialwissenschaften

It‘s Heaven and Hell

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2023

Rosa, Hartmut, When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal, W. Kohlhammer, Reihe: Metalbook, Bd. 1, Stuttgart 2023, ISBN 978-3-17-042648-1, 187 S., € 20,00.

Heavy Metal und Universitätsprofessoren – verträgt sich das? Was den Autor dieser Zeilen betrifft, sehr wohl: In den letzten Monaten standen Konzertbesuche bei den Hollywood Vampires, den Scorpions und Iron Maiden (siehe S. 11) an. Allerdings dürfte dies zumindest bei Vertretern der Jurisprudenz – welchen man gemeinhin eine gewisse konservative Grundhaltung nachsagt – kaum die Regel sein, wird man doch eher mit der Frage konfrontiert: „Lesen Sie Nietzsche?“ (der übrigens im Intro zu Wort kommt) als mit dem Satz: „Ich war bei Rock am Ring“. Das pantagruelische Auftreten mancher Bands in schwarzem Leder, mit Nieten, Patronengürteln und Ketten tut dazu ein Übriges. Mit dem Alter hat dies nichts zu tun, wenn man sich das Publikum bei den einschlägigen Veranstaltungen ansieht. Da stehen Großeltern, welche noch zu ihrer Schulzeit die eine oder andere Band kennen und lieben gelernt haben, neben ihren Enkeln. Immerhin sind manche Gruppen schon seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts aktiv, wofür sich der Begriff des „Faltenrocks” eingebürgert hat. Der Verfasser des Metalbooks ist übrigens auch Hochschullehrer, zuständig für Allgemeine und Theoretische Soziologie.

Wissenschaftlich angehauchte Bücher haben es an sich, dass sie regelmäßig für nicht an der Materie Interessierte sterbenslangweilig sind. Die sachliche, um nicht zu sagen trockene Aufmachung tut dazu ein Übriges. Das Design des Einbandes wird daher selten jemanden dazu verleiten, ein entsprechendes Buch in die Hand zu nehmen geschweige denn es zu kaufen. Davon ganz abgesehen ziert eine auffällig tätowierte, schwarz geschminkte Lady das Cover entsprechender Publikationen gemeinhin nicht. Um eines gleich vorweg zu nehmen und dies ohne insoweit zu mankeln: Das Geld ist gut angelegt! Das Buch liest sich flüssig, ist interessant und gewährt dem Leser Einblicke in das Innenleben einer Szene, die vielen für immer ein Rätsel bleiben wird. Der Untertitel verrät, worum es geht: um eine kleine Soziologie des Heavy Metal. Der Autor sieht sein Werk allerdings nicht als „wissenschaftlich“ im übertragenen Sinne an, sondern als Versuch einer Selbstdeutung aus Fansicht und Fanerleben (S. 24 f.).

Die Einleitung ist überschrieben mit „It`s Heaven and Hell“ und ist im Wesentlichen eine interessante Selbstreflexion des Autors zum Thema. Bemerkenswert ist die weite Definition, wonach „Heavy Metal“ als innerer, harter, dauerhafter Kern der Rockszene begriffen werden kann (S. 20). Die Geburt des Heavy Metal aus der Rockmusik wird im zweiten Abschnitt des Buches dargelegt. Als Harley-Fahrer freut man sich über die Erwähnung der Bikes in diesem Zusammenhang (S. 28 f.) und denkt umgehend an „Brotherhood of Man“ und Lemmy Kilmister von Motörhead sowie den Auftritt von Eddie alias Meat Loaf in der Rocky Horror Picture Show. Mit „Wer hört denn das Zeug?“ ist Abschnitt 3 überschrieben. Die Kritik an „Classic meets Rock“-Projekten (S. 39) wird nicht jeder teilen, der Autor dieser Zeilen hat schon schlechtere „reinrassige“ Metalkonzerte erlebt. Und wenn das Durchschnittsalter der Konzertbesucher mit 40 bis „gar“ 50 Jahren angenommen wird (S. 43), dürfte das bei manchen Bands zu niedrig gegriffen sein (siehe schon oben). Wer zu Alice Cooper geht, hat den Song „School`s Out“ (1972) vielleicht noch zum Ende seiner Schulzeit gehört und ist damit deutlich über 60. Damit wäre man schon beim vierten Abschnitt, welcher mit „Oh ja, ich erinnere mich. Was die Musik für das Leben der Fans bedeutet“ betitelt ist. Es ist eben ein Stück eigene Lebensgeschichte (S. 57). Das Gänsehautfeeling (5. Abschnitt, S. 69 ff.) kann jeder Metalfan nachvollziehen, freilich nicht bei jeder Band. Die Überschrift des sechsten Abschnitts „Näher als dein eigener Atem: Metal als Tiefenresonanz“ klingt nicht nur wissenschaftlich, ist es auch. Dies wird schon in der Eingangsfrage deutlich, welche da lautet: „Was also passiert genau, wenn wir Musik hören?“ (S. 81). Unter dem Motto „Paradise is here“: Konzertbeginn und Konzertende als Epiphanien“ steht der nächste Abschnitt. Rosa versteht darunter das Offenbarwerden einer höheren Macht, allgemein steht der Begriff ja für eine plötzliche, unerwartet auftretende Erkenntnis bzw. Offenbarung. Wenn im achten Abschnitt dann die These vertreten wird, die unbedingte Ernsthaftigkeit sei ein zentrales Charakteristikum des Heavy Metal (S. 135), mag man dies in manchen Fällen füglich bezweifeln können. Wie der Heavy Metal die Kulturindustrie besiegte, legt der Verfasser im letzten Kapitel der Arbeit dar (S. 149 ff.), bevor dann mit einem „Outro“ das Buch beschlossen wird. Ein Anmerkungs- und ein Literaturverzeichnis sowie ein Glossar fehlen auch nicht. Fazit: Das Buch können sich Heavy Metal-Fans und an dieser Musikrichtung Interessierte natürlich selbst kaufen. Nun ist es freilich so, dass – das dürfte keine Fehleinschätzung sein – vor Anlässen wie Weihnachten oder Geburtstagen sich häufig die Frage stellt: „Was schenke ich?“ Ab einem gewissen Lebensalter, wenn Frau bzw. Mann schon alles hat, tut man sich da eher schwer. Deshalb mein Tipp: das Buch verschenken. Bei einem Heavy Metal-Fan kann man da nichts falsch machen. Der erschwingliche Preis tut ein Übriges dazu, diesem Buch eine weite Verbreitung vorherzusagen. Gemeinhin muss man das ja bei Werken mit wissenschaftlichem Anspruch (auch wenn ihn der Autor leugnet) wünschen, ohne dass dieses Petitum große Aussicht auf Erfolg hat. „When Monsters Roar and Angels Sing“ sollte das von alleine schaffen können. (cwh)

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.

cwh@uni-mainz.de

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