Musik, Zeitgeschichte

Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2022

Okunew, Nikolai, Red Metal. Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR, Ch.Links Verlag, 2021, ISBN 978-3-96289-138-1, 334 S., € 25,00.

Dissertationen haben es an sich, dass sie regelmäßig für nicht an der Materie Interessierte – und letztere sind bisweilen nur eine Handvoll Menschen – sterbenslangweilig sind. Die sachliche, um nicht zu sagen trockene Aufmachung tut dazu ein Übriges. Das Design des Einbandes wird daher selten jemanden dazu verleiten, ein entsprechendes Buch in die Hand zu nehmen geschweige denn es zu kaufen. Davon ganz abgesehen ziert ein gitarrenspielendes grünes Gerippe vor Flammen sowie Hammer und Sichel, welches mit klauenartigen Fingern die Gitarre hält, das Cover von Doktorarbeiten gemeinhin nicht. Erst beim Aufschlagen des Buches und dem zweiten Umblättern findet man den schlanken Vermerk, die Publikation beruhe auf einer Doktorarbeit, welche an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam den Verfasser zu akademischen Ehren gereichte. Ermöglicht wurde der Druck durch den Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie die Hans-Böckler-Stiftung. Dies erklärt den durchaus erschwinglichen Preis von 25 Euro. Gemeinhin muss man für ein Werk von nahezu 350 Seiten mit zahlreichen auch farbigen Abbildungen weit mehr auf den Tisch legen. Um eines gleich vorweg zu nehmen und dies ohne insoweit zu mankeln: Das Geld ist gut angelegt! Das Buch liest sich flüssig, ist interessant und gewährt dem Leser Einblicke in das Innenleben eines Staates, dessen Toleranz gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Erscheinungen eher gering einzuschätzen ist. Aber das können wohl nur diejenigen beurteilen, die in der DDR gelebt haben.

Der Untertitel verrät, worum es geht: die Heavy-Metal-Subkultur der DDR. Die Anhänger dieses Musikstils – im Buch familiär „Heavys“ genannt – hatten es im ehemaligen zweiten deutschen Staat nicht leicht. Konnten Bands wie Accept, Black Sabbath, Iron Maiden, Motörhead, ­Saxon, Scorpions, Warlock und wie sie alle heißen bzw. hießen in der Bundesrepublik jederzeit auftreten und war es niemandem verwehrt, ihre Konzerte zu besuchen, so lernt man bei Okunew, dass dem in der DDR beileibe nicht so war. Asathor, Biest, Blackout, Formel 1, Macbeth, Melissa und die Fans dieser und anderer Heavy-Metal-Bands mussten bisweilen heute kaum mehr verständliche Wege gehen, um Konzerte geben bzw. an ihnen teilnehmen zu können. Wer ästhetische Normen der sozialistischen Gesellschaft verletzte, musste mit Verfolgung rechnen. Und dass das pantagruelische Auftreten in schwarzem Leder, mit Nieten, Patronengürteln und Ketten die seinerzeitige Staatsmacht irritierte, verwundert niemanden, der die DDR selbst erlebt hat. Der „schmucken” FDJ (für die Spätgeborenen: Freie Deutsche Jugend)-Kleidung jedenfalls konnte diese Aufmachung nicht das Wasser reichen. War aber einmal der Argwohn der Staatssicherheit erweckt, musste man mit Überwachung und Verfolgung rechnen. Dies schildert Okunew anhand einer Vielzahl von Beispielen.

Geschildert werden zunächst einmal das outfit und die Schwierigkeiten seiner Beschaffung. Zum Glück gab es Budapest (S. 43 ff.), in das sozialistische Bruderland Ungarn konnte man ja ausreisen. Dort ließen sich auch leichter Kontakte zu Gleichgesinnten aus dem Westen herstellen. Der popmusikalischen Praxis der Bands widmet der Verfasser einen weiteren Abschnitt. Natürlich spielen da die Texte eine Rolle. Anschaulich wird der Umgang der Staatssicherheit mit Macbeth geschildert (S. 97 ff.). Dass es manche Gruppen bei alledem dennoch in den DDRRundfunk schafften, ist interessant. Weniger verwundert, dass die Staatsmacht in der Heavy-Subkultur Grenzüberschreitungen sah; umso erstaunlicher wiederum, dass eben jener Staat in Gestalt der Jugendklubhäuser aufgrund von Planauflagen bei den Konzerten der Metal-Bands reichlich Alkohol verkaufte, um ökonomisch über die Runden zu kommen (S. 171). Dass Heavy-Metal nach alledem zum Political wurde, liegt auf der Hand; freilich blieb für seine Protagonisten regelmäßig nur das politische Abseits übrig (S. 229 ff.). Mit dem Ende der DDR kam das Ende der Heavy-Metal-Subkultur. Eine Subkultur kann nicht fortbestehen, wenn ihr Innerstes zur Kultur wird. Okunew zeichnet auch das nach.

Fazit: Das Buch können sich „Heavys“ und an dieser Musikrichtung Interessierte natürlich selbst kaufen. Nun ist es freilich so, dass – das dürfte keine Fehleinschätzung sein – vor Anlässen wie Weihnachten oder Geburtstagen sich häufig die Frage stellt: „Was schenke ich?“ Ab einem gewissen Lebensalter, wenn Frau bzw. Mann schon alles hat, tut man sich da eher schwer. Deshalb mein Tipp: das Buch verschenken. Bei einem Heavy-Metal-Fan kann man da eh nichts falsch machen. Erst recht gilt dies für diejenige Generation, welche die dargestellten Bands in der DDR bzw. auch danach noch selbst erlebt hat. Wer etwas über die Zustände in diesem Staat jenseits historischer Traktate erfahren möchte und musikaffin ist, wird sich ebenfalls über das Werk freuen. Der erschwingliche Preis tut ein Übriges dazu, dieser Doktorarbeit eine weite Verbreitung vorherzusagen. Gemeinhin muss man das ja wünschen, ohne dass dieses Petitum große Aussicht auf Erfolg hat. „Red Metal“ wird das von alleine schaffen können. (cwh)

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.

cwh@uni-mainz.de

 

Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung