Musik

Ein Wanderer zwischen den Welten

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

Ralf Eisinger, Klaus Pringsheim aus Tokyo. Zur Geschichte eines musikalischen Kulturtransfers. München: Iudicium Verlag, 2020. 203 S., 40 Abb., kt., ISBN 978-3-86205-532-6. € 28,00.

Im Lebensweg des Komponisten und Dirigenten Klaus Pringsheim (1883–1972) spiegeln sich in gewisser Weise die politischen und kulturellen Umbrüche in der Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Nachzulesen ist dies nun in der hervorragend recherchierten, im Urteil gelegentlich vage bleibenden Biographie von Ralf Eisinger. Mit ihr kommen Werk und Wirken eines Mannes zu ihrem Recht, der als Schwager Thomas Manns bzw. Zwillingsbruder Katia Manns immer wieder im Schatten der Familie Mann gestanden hat. Daraus hat er sich nie wirklich befreien können. Dass nach seinem Tod in Tokyo im Jahre 1972 der Sohn die Tante Katia bitten musste, die Beerdigungskosten zu übernehmen, hätte er wohl als Demütigung empfunden. Dabei hatte es Pringsheim am Ende seines Lebens zu einer in der deutschen und japanischen Musikwelt geachteten Persönlichkeit gebracht, auch wenn ihm der große Ruhm versagt geblieben ist. Sein kompositorisches Schaffen war dafür wohl nicht originell genug. Seinen Ruf verdankt er eher seiner Nähe zu Gustav Mahler, dessen Schüler und Assistent er an der Wiener Hofoper war. Um Mahlers Werk und seine Deutung hat er sich als Dirigent sowohl im Berlin der 1920er Jahre als auch während seiner Tätigkeit als Hochschullehrer in Tokyo von 1931 bis 1937, von 1939 bis 1945 und wieder seit 1951 verdient gemacht. Der Verf. zeichnet die vielen Stationen eines unsteten Lebens eindringlich nach, und er tut dies auf der Basis von zahlreichen, bislang unbekannten Materialien aus deutschen, japanischen, österreichischen und kanadischen Archiven, illustriert durch eine Fülle von Abbildungen, meist Fotografien. Verortete die Forschung Klaus Pringsheim bislang im Rahmen der Geschichte der Rezeption westlicher Musik in Japan oder in der Exilforschung, so treten mit der Biographie Eisingers nunmehr die Leistungen Pringsheims im Bereich von Komposition und Werkdeutung, von Musikerziehung in einem fremden Milieu und der transkulturellen Vermittlung von Wissen durch eine rege Publikationstätigkeit in Deutschland und Japan selbst hervor. Klaus Pringsheim wird in München 1883 in eine großbürgerliche Familie hineingeboren und lernt Musik, Literatur und Malerei in der „leuchtenden“ Metropole Bayerns um 1900 aus erster Hand kennen. Schon früh fühlt er sich zum Musiker berufen und findet mit ersten Kompositionen seit 1903 öffentlich Anerkennung. Auf Vermittlung seines Lehrers Stavenhagen gelangt der 23jährige Mann nach Wien, wo er 1906/07 Assistent von Gustav Mahler wird, bevor dieser 1908 nach New York wechselt. Für Pringsheim folgen zahlreiche Engagements als Kapellmeister, u.a. in Genf, Prag und Bremen. Sein aufbrausender Charakter bringt ihn gelegentlich in Konflikt mit Kollegen; u.a. seine Personalführung führt in Bremen zu einem vorzeitigen Ende seiner Tätigkeit. Länger hält es ihn seit 1918 in Berlin, wo er an den Bühnen der Stadt als Dirigent und Komponist unter Max Reinhardt arbeitet. Als Gastdirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters bringt er 1923/24 einen Mahler-Zyklus zur Aufführung, was ihm viel Anerkennung einträgt. Pringsheims Versuch, Mahlers Musik als „Volkskunst“ für die Arbeiterklasse zu politisieren, stößt hingegen auf Kritik. So wird es für ihn schwierig, im deutschsprachigen Raum eine angemessene und dauerhafte Anstellung zu finden. Die Erklärungen des Verfassers bleiben hier (wie auch andernorts) eher unbestimmt und werden vorsichtig als Frage formuliert; so vermutet Eisinger etwa eine fehlende Fokussierung bei Pringsheim, was ein festes Engagement verhindert haben könnte.

Es ist wohl seine Nähe zu Gustav Mahler und seinem Werk, die es Pringsheim ermöglicht, sich 1931 erfolgreich an der Musikhochschule in Tokyo auf eine Stelle als Leiter des Orchesters und Chors zu bewerben. Wir lernen in diesen Kapiteln, die zu den besten des Buchs gehören, viel über das Musikleben in Japan und mehr noch über die zahlreichen Kontakte Pringsheims zu japanischen Kollegen und Schülern sowie europäischen Musikern, etwa zur Berliner Cembalistin Eta Harich-Schneider. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 wird auch Pringsheims Stellung in Japan prekär, denn er wird dort, wie auch deutsche Exilanten, von den deutschen Behörden und der Gestapo verfolgt. Gleichwohl wird sein Vertrag von den japanischen Stellen bis 1937 zweimal verlängert. Dann muss er Japan verlassen, verbringt ein paar Jahre in Thailand und kehrt, durchaus ungewöhnlich, 1939 wieder nach Tokyo zurück. Er arbeitet dort während des Kriegs solange als Privatlehrer, bis der Polizeichef der Deutschen Botschaft, der berüchtigte SS-Standartenführer Josef Meisinger, 1944 die Ausbürgerung Pringsheims und seiner beiden Söhne betreibt. 1945 wird Pringsheim zeitweilig interniert. Nach dem Ende des Kriegs in Ostasien verlässt er Japan und siedelt nach Kalifornien um, wo er 1946 zeitweilig im Hause von Thomas und Katia Mann unterkommt. Der berühmte Schriftsteller hält die Übersiedlung für einen „entschiedenen Mißgriff“. Die Jahre in Kalifornien sind, wie Eisinger schreibt, eine „Zwischenzeit“, aber „keine verlorenen Jahre“. Pringsheim hält sich mit gelegentlichen Engagements und als Musiklehrer finanziell über Wasser, wird aber in den USA nicht heimisch. Nach Europa kann er auch nicht mehr zurückkehren; das Vermögen der Eltern ist dort verloren. So fällt ihm die Entscheidung, 1951 dauerhaft nach Japan zurückzukehren, leicht. Im Hintergrund setzt sich Thomas Mann in Japan für ihn ein. An der Musikakademie in Musashino (bei Tokyo) wird er Leiter der Kompositionsklassen und arbeitet darüber hinaus als Dirigent. In dieser Rolle und als Publizist wächst er über die Jahre hinweg im Bereich der Musik in die Rolle eines Brückenbauers und Kulturvermittlers zwischen Japan und Deutschland hinein. Ob sich am Ende das Leben Klaus Pringsheims für diesen selbst gerundet hat, diese Frage muss der Verf. am Schluss verständlicherweise offenlassen. Ein umfangreicher Anhang (mit einer Zeittafel, einem Werkverzeichnis, einem Verzeichnis der Bühnentätigkeit in Berlin, dem Text einer Sendung des Bayerischen Rundfunks mit und über Pringsheim aus dem Jahre 1963 sowie einem Literatur- und Archivverzeichnis) rundet dieses lesenswerte Buch ab. (wsch) ˜

Der Historiker Wolfgang Schwentker (wsch) ist Professor emeritus an der Universität Osaka. Er lehrte dort von 2002 bis 2019 vergleichende Kultur- und Ideengeschichte. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören eine „Geschichte Japans“ (C.H. Beck 2022) und (als Mitherausgeber) „Japan. Ein Land im Umbruch“ (BeBra Verlag 2022).

wolfgang.schwentker@gmx.de

 

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