Landeskunde

Eine Pionierin der japanischen Frauenbewegung

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2020

 

Shidzué Ishimoto, Ein Leben in zwei Welten.
Erstübersetzung ins Deutsche von Gerhard Bierwirth mit Harald Raykowski. München: Iudicium 2018, 370 S., mit zahlr. s/w Abb., kt., ISBN 978-3-86205-123-6. € 39,00

„Überhaupt ist der Gehorsam gegen den Mann der Weg der Frau. Gegen ihren Gemahl soll der Gesichtsausdruck und die Sprache artig, demütig und versöhnlich sein, nicht aber ungeduldig und unfolgsam. Auch von Luxus und Unhöflichkeit halte sie sich fern. Das ist die erste Pflicht der Frau. Den Belehrungen des Mannes darf sie nicht widersprechen.“ So stand es in der „Hohen Schule der Frauen“, die der Naturkundler und konfuzianische Gelehrte Ekiken Kaibara (vermutlich zusammen mit seiner Frau Tôken) zur Zeit der Tokugawa-Shôgune (1603–1867) verfasste.

Seit der ersten Veröffentlichung im Jahre 1733 hat dieses Werk die Erziehung der Mädchen und das Frauenbild in Japan geformt – sehr zum Verdruss der Frauenrechtlerin und Politikerin Shidzué Ishimoto (1897–2001), der ein Exemplar der Schrift von ihrem Großvater vermacht wurde. Das Werk, hier aus guten Gründen im Anhang abgedruckt, wurde für sie, wie sie später schrieb, „zum Inbegriff all dessen, wogegen ich ankämpfen musste: eine Moral, die die japanische Frau an die Vergangenheit fesselte“ (S. 47). Der vorliegende Band stellt die gut lesbare Übersetzung ihrer ersten, 1935 in englischer Sprache veröffentlichten Autobiographie dar. Diese darf als ein bedeutendes Zeugnis der japanischen Frauen- und Gesellschaftsgeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelten. Die Formel der „zwei Welten“, die Teil des Titels ist, lässt mehrere Deutungen zu: Es geht in diesen Lebenserinnerungen einer damals noch nicht 40jährigen Frau um die Welt der Männer und die der Frauen, um Japan und das Ausland und um die Welt der japanischen Oberschicht und die der Arbeiterklasse.

Shidzué (oder Shizue, wie man ihren Vornamen heute schr ­ eiben würde) wurde in eine ehemalige Samurai-Familie hineingeboren. Im Alter von 17 Jahren heiratete sie Keikichi Ishimoto – Baron, Bergbauingenieur und christlicher Humanist mit Sympathien für die sozialistische Gewerkschaftsbewegung. Das frisch vermählte Paar ließ die Annehmlichkeiten des Lebens in Tôkyô bald hinter sich, da der Ehemann eine Stelle beim Bergbauunternehmen Mitsui annahm, das im Südwesten Japans eine der größten Minen Japans betrieb. Dort hatte Shidzué Ishimoto zum ersten Mal Gelegenheit zu sehen, unter welch unmenschlichen Bedingungen Männer und Frauen in den Bergwerken arbeiteten. Im Jahre 1919 reiste das Ehepaar zu einer Inspektionsreise in die USA. Während ihr Mann seinen Geschäften nachging und sich daneben mit Fragen der Sozialreform befasste, machte Shidzué Ishimoto eine Ausbildung zur Sekretärin, um von ihrem Mann unabhängig zu werden. Dieser hatte sie in New York mit einer Reihe von linksgerichteten Intellektuellen und Sozialreformern bekannt gemacht. Die Bekanntschaft mit Margaret Sanger (1879–1966) im Januar 1920 bedeutete für Ishimoto einen Wendepunkt in ihrem Leben. Sanger warb in den USA für die Geburtenkontrolle. (1952 gehörte sie in der Bundesrepublik zu den Mitbegründern von Pro Familia.) Sie war aber in den USA nicht unumstritten, weil sie sich auch für die Zwangssterilisation von geistig Behinderten und Schwerkriminellen stark machte. Ihre Gedanken zu „planned parenthood“ wurden für Ishimoto zur Leitlinie ihrer politischen Arbeit.

Nach Reisen durch die USA, Europa, China, Korea und die Mandschurei kehrte Ishimoto nach Japan zurück und warb dort für die Ideen Margaret Sangers. Obwohl die japanische Bürokratie ihr immer wieder Schwierigkeiten machte, schaffte sie es, Sanger 1921/22 zu einer Vortragsreise nach Japan zu holen. Ishimoto selbst eröffnete 1925 ein „Institut für Frauenforschung“ und 1934 eine „Praxis für Familienplanung“; darüber hinaus war sie in der „Japanischen Liga für Geburtenkontrolle“ aktiv. Damit stand sie im Japan der Vorkriegszeit in Opposition zur vorherrschenden Ideologie.

Der japanischen Frauenbewegung gegenüber bewahrte sich Ishimoto eine unabhängige Position, denn diese war in sich gespalten: Der bürgerliche Flügel strebte die Rechtsgleichheit von Frauen innerhalb der vorherrschenden sozialen Ordnung an, der proletarische Flügel konzentrierte seine Agitation auf die Kritik am kapitalistischen System und wollte dieses überwinden. Radikale Systemkritik hingegen war Ishimotos Sache nicht. Sie sprach sich in ihren Reden für eine kontrollierte Bevölkerungsentwicklung aus, um so einerseits die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu verbessern und andererseits Verteilungskämpfen, die sich aus einer Überbevölkerung zwangsläufig ergeben würden, entgegenzuwirken. Familienplanung und Geburtenkontrolle schlossen bei ihr, wie bei ihrem großen Vorbild Margaret Sanger, Ideen der Eugenik mit ein, ohne dass sie einem völkischen Nationalismus das Wort geredet hätte.

Die Autobiographie endet in den frühen 1930er Jahren. Die Stationen ihres späteren Lebens müssen sich die Leser aus der Zeittafel über ihr Leben selbst erschließen. Ishimoto muss 1937 für kurze Zeit ins Gefängnis. Ihre Praxis für Familienplanung und Empfängnisverhütung wird von amtlichen Stellen geschlossen. Nach ihrer Scheidung heiratet sie in zweiter Ehe den Sozialisten Kanjû Katô. Beide werden 1946 ins Unterhaus gewählt. Vier Jahre später zieht Shidzué Katô, wie sie sich nun nennt, für die Sozialistische Partei ins Oberhaus ein. Ihren Sitz dort sollte sie bis 1974 behalten. 1981 erscheint ihre zweite Autobiographie, die ihr Leben in der japanischen Politik zum Inhalt hat.

Die Lektüre der frühen Autobiographie vermittelt Lesern einen guten Einblick in die Geschichte der japanischen Gesellschaft vor dem Krieg. Die Rolle der Frauen im modernen Japan steht dabei im Zentrum, doch beschränkt sich der Text keineswegs nur auf dieses Thema. Die fremdkulturellen Erfahrungen der japanischen Oberschicht, so wie sie in den Kapiteln über die Auslandsreisen zur Sprache kommen, und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterschaft in Japan werden ebenso eindringlich geschildert wie die Schwierigkeiten der Frauen, sich in einer von den Männern dominierten Gesellschaft behaupten zu müssen.

Leider fehlt dem Band eine Einleitung oder ein ausführliches Nachwort, in denen Werk und Person der Autorin vorgestellt werden. Die Übersetzer beschränken sich auf einige Hinweise zur Schreibung der Namen und auf die Zeittafeln zur allgemeinen Geschichte und zu Shidzué Ishimotos Leben. Eine historische Autobiographie, so lesenswert sie auch ist, spricht aber niemals nur für sich selbst. Sie muss kritisch, d.h. auf der Basis der neueren Forschung, in die Zeit und in den Kontext des gesamten Werks eingeordnet werden. Ein auch nur kurzes intellektuelles Portrait dieser bemerkenswerten Frau, das solchen Erfordernissen gerecht wird, hätte die Lektüre und das Verständnis des Buchs erleichtert. (wsch)

Wolfgang Schwentker (wsch) ist Professor em. für vergleichende Kultur- und Ideengeschichte an der Universität Ôsaka und Mitherausgeber der Neuen Fischer Weltgeschichte.

schwentker@hus.osaka-u.ac.jp

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