Editorial

EDITORIAL 

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2022

„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“

Fritz Bauer, 1955

Die Schweizer Juristin und Diplomatin Carla Del Ponte war viele Jahre Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und für den Völkermord in Ruanda und später Mitglied einer UNHCR-Kommission, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien untersuchte. Ihr neues Buch Ich bin keine Heldin, auf das wir in dieser Ausgabe den Fokus legen, ist ein flammendes Plädoyer für die konsequente Durchsetzung des Völkerrechts. „Wenn wir wollen, dass die Welt eine bessere wird, müssen wir die internationale Gemeinschaft aufwecken und dem Schutz der unveräußerlichen Rechte, die alle Menschen auf diesem Planeten genießen sollten, wieder die gebührende Bedeutung zukommen lassen“, mahnt sie. „Und ohne die internationale Gerichtsbarkeit ist das nicht möglich. Nur sie schafft Gerechtigkeit für die Hunderttausenden Opfer und ihre Hinterbliebenen.“

Dazu fordert sie die Reform der UN, denn die in der Vertragskonstruktion angelegten Schwachpunkte – u.a. das Veto-Recht der fünf Mitgliederstaaten des UN-Sicherheitsrates – laufen der Idee und den rechtlichen Grundgedanken des Vertrags zuwider. Im Griff nach dem Weltrechtsprinzip sieht die Juristin einen Weg in die richtige Richtung. Dadurch tut sich außerhalb des vertraglichen Völkerrechts ein unabhängiger Weg auf, der durch kein Veto behindert werden kann. Auf Grundlage des Weltrechtsprinzip können nationale Gerichte Straftaten wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch aufbereiten, unabhängig davon, wo sie sich auf der Welt ereignen.

Auf genau dieser Grundlage begann im April 2020 in Deutschland der weltweit erste Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Die Angeklagten: zwei ehemalige Funktionäre des syrischen Geheimdienstes. Im Februar 2021 wurde Eyad A. zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im Januar 2022 verurteilte das Koblenzer Oberlandesgericht Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe. Seit dem 19. Januar muss sich in einem weiteren Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein syrischer Arzt vor dem OLG Frankfurt verantworten. Was auch dieser Angeklagte, der 2015 nach Deutschland gekommen war und hier bald als Arzt arbeiten konnte, anderen Menschen in syrischen Militärkrankenhäusern angetan haben soll, ist in der Brutalität kaum zu ertragen. Die Prozesse sind ein Meilenstein! Sie haben weltpolitische Dimen­ sionen. Sie geben den Überlebenden Hoffnung auf Gerechtigkeit. Und sie nehmen den Tätern ihre Sicherheit.

In dieser Ausgabe gibt es natürlich auch wieder viele weitere Themen. Machen Sie sich auf die Suche nach Ihren persönlichen Favoriten. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen das auf Seite 4 angezeigte Debattenbuch Nationale Interessen von Klaus von Dohnanyi, denn es gibt in dieser unruhigen und gefährlichen Zeit globaler Umbrüche sehr kluge Orientierung für die deutsche und europäische Politik.

Der 1964 von Klaus Wagenbach gegründete Wagenbach Verlag, der unabhängige Verlag für wilde Leser, hat mich wie so viele meiner Generation mit wundervollen Büchern durch das Leben begleitet. Am 17. Dezem­ ber 2021 ist Klaus Wagenbach im Alter von 91 Jahren gestorben. Zwei Traueranzeigen haben mich besonders berührt. In der des Verlags steht das Versprechen, der Verlag werde seinem Lebensmotto entsprechend weitergeführt: Gewonnen kann durch Trübseligkeit nie etwas werden! – Ich sehe dabei Klaus Wagenbach mit seinen charakteristischen roten Socken vor mir stehen. Und die Traueranzeige von Freunden enthält ein Zitat aus Drei kleine Tugenden, ein bei Wagenbach 2019 veröffentlichter, sehr persönlicher Text seiner großen italienischen Autorin Natalia Ginzburg, in dem sie mit heiterer Gelassenheit über ihre prägenden Lebenserfahrungen schreibt und erklärt, warum wir die großen Tugenden wie Großzügigkeit den kleinen Tugenden wie Sparsamkeit vorziehen sollten – denn „man sollte nie Geld, Gefühle oder Gedanken auf die Seite legen, später braucht man sie nicht mehr“.

Angelika Beyreuther

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