Recht

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

Nach der Regelung in § 167 Abs. 2 SGB IX ist ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, wobei es sich nicht um ein und dieselbe Erkrankung handeln muss. Zu diesem Zweck klärt der Arbeitgeber zusammen mit der zuständigen Interessenvertretung – z.B. Betriebs- oder Personalrat – sowie bei schwerbehinderten Mitarbeitern mit der Schwerbehinderungsvertretung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Hierzu kann – soweit erforderlich – auch der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen werden.

Wesentlich ist die Einwilligung des betroffenen Mitarbeiters, ohne welche ein Betriebliches Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt werden kann. Wird diese im Laufe des Verfahrens zurückgenommen, ist das Verfahren unverzüglich zu beenden.

Diese recht spärlichen Vorgaben des Gesetzgebers geben breiten Raum für eine bestimmte Unsicherheit in der praktischen Handhabung des Prozesses. Gleichwohl sollte das Instrument des BEM konsequent in der Praxis umgesetzt werden, um einerseits betroffenen Arbeitnehmern eine Hilfestellung an die Hand zu geben, ihre langen Krankenzeiten zu reduzieren. Andererseits können Arbeitgeber bei einer erfolgreichen BEM-Durchführung u.a. Kosten für die Entgeltfortzahlung einsparen sowie die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter erhalten und stärken. Unternehmen, die BEM-Prozesse erfolgreich in ihre betriebliche Praxis etablieren, erfahren letztendlich auch eine Imageaufwertung als Arbeitgeber. Zudem ist das BEM Teil eines umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements. Betroffene sind auf einschlägige Informationen angewiesen, um BEM-Verfahren erfolgreich durchzuführen. Ihnen können die zwei Besprechungswerke empfohlen werden, die hier vorgestellt werden.

Weiß, Crashkurs Betriebliches Eingliederungsmanage­ ment. Strategie – Organisation – Gesprächs­führung, Freiburg: Haufe, 2. Auflage 2022, Paperback, 271 S., ISBN 978-3-648-16047-3, € 34,95.

Weiß arbeitet im Betrieblichen Eingliederungsmanagement im Airbus Konzern, hat langjährige Erfahrung als Gutachterin für Betriebsvereinbarungen BEM und ist Trainerin und Beraterin für BEM und EAP. Sie erklärt in diesem „Crashkurs“ die rechtlichen und fachlichen Grundlagen des BEM. Wesentlich sind hierbei die Grundprinzipien eines jeden BEM-Verfahrens, nämlich „Freiwilligkeit“, „Transparenz“, „Schweigepflicht“ und „Datenschutz“. Deren Einhaltung ist das „A“ und „O“ eines erfolgreichen BEM-Verfahrens.

Wichtig ist es auch, sich Gedanken über die Implementierung von BEM-Verfahren in Unternehmen zu machen. Empfehlenswert ist die Einsetzung eines Projektteams, bei Vorhandensein einer Interessenvertretung ist der Abschluss einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung überlegenswert und wichtig ist auch eine ausreichende interne Öffentlichkeitsarbeit. Hierbei sollten Arbeitgeber bedenken, dass ohne ein zuvor durchgeführtes BEM-Verfahren der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung im Gerichtsweg u.U. kaum durchzusetzen sein wird.

Nach Darstellung dieser „Grundpfeiler“ eines BEM-Verfahrens widmet sich Weiß der Besprechung der am BEM Beteiligten und erläutert sodann sehr ausführlich und praxistauglich den Ablauf und die Organisation von BEMVerfahren („Einladung zum BEM“, „BEM-Akte, „Informations-“ und schließlich das „BEM-Gespräch“). Sehr hilfreich sind auch die weiteren Kapitel zu den „Maßnahmen im BEM“ sowie den inhaltlichen Etappen der BEM-Gespräche.

Mit ihrem Kapitel 7 „Kenntnisse in Gesprächsführung“ hebt sich die Autorin von den meisten im Handel zur Verfügung stehenden Werken zum BEM ab. Wesentlich für ein erfolgreiches BEM-Verfahren sind nicht nur die rechtlichen Kenntnisse. Der Erfolg eines BEM hängt insbesondere auch von der Kompetenz zur Gesprächsführung ab. Hier gibt die Autorin dem Leser des Werkes wesentliche Informationen an die Hand. Die Ausführungen zu einer kompetenzorientierten Gesprächsführung sind äußerst praxisrelevant: Wie kann ich aus belastenden Gesprächen die Schwere herausnehmen, wie eine Eskalation bei Konflikten vermeiden? Wer BEM-Verfahren erfolgreich durchführen möchte, sollte sich diese Problematik sehr gründlich erarbeiten. Sehr praxistauglich ist auch die von Weiß dargestellte „BEM-Strategie“ mit Erläuterungen, wie diese umgeset­ zt werden kann. Hierzu findet der Nutzer des Werkes auf ­ S. 210 ein Formular zur BEM-Strategie, welches erfolgreich in der Praxis verwendet werden kann. Hilfreich sind insoweit die auf S. 214 ff. dargestellten Fallbeispiele für die BEM-Strategie mit Tipps für die erfolgreiche Kommunikation.

Der kurz skizzierte Inhalt des Besprechungswerkes zeigt, dass dieses umfassend über möglicherweise auftretende Fragen im Rahmen eines BEM-Prozesses aufklärt und eine umfangreiche Hilfestellung anbietet. Das Ganze geschieht praxisnah, übersichtlich und gut verständlich. Insbesondere die Tipps für eine erfolgreiche Gesprächsführung sind eine wesentliche Hilfe für die BEM-Verantwortlichen.

Ergänzt werden die Ausführungen von „Weiß“ durch digitale Extras zum Download wie z.B. Formulare, Gesprächsleitfaden, Evaluationsbogen, Schweigepflichtentbindung, Schaubilder uvm.

Das Werk ist eine lohnenswerte Anschaffung für jeden, der mit Fragen von BEM-Verfahren befasst ist.

 

Schmidt, Gestaltung und Durchführung des BEM, München: C.H.Beck, 3. Auflage 2023, kartoniert, 285 S., ISBN 978-3-406-75343-5, € 59,00.

Mit ihrem nun bereits in der 3. Auflage vorliegenden Handbuch zur Gestaltung und Durchführung des BEM möchte Schmidt, ihres Zeichens Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht und Referentin, bei bestehenden Unsicherheiten sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite im Zusammenhang mit BEM-Verfahren Hilfestellung leisten. Mit ihrem Werk möchte sie einen ausführlichen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen eines BEM geben und den strukturierten Ablauf eines BEM-Verfahrens erläutern. Zu diesem Zweck stellt sie mit ihrem Buch einen ausführlichen strukturierten Ablaufplan eines BEM zur Verfügung ebenso wie Muster einer Betriebsvereinbarung sowie zahlreiche Formulare wie z.B. Muster eines Einladungsschreibens, Muster zum Datenschutz uvm. Das sich gesetzte Ziel einer Hilfestellung für am BEM beteiligte Personen hat Schmidt mit dem Besprechungswerk vollumfänglich erreicht. Wesentlich ist ja, dass sich alle am BEM-Verfahren Beteiligten mit dem komplexen Thema befassen und auseinandersetzen. Die Möglichkeit haben sie mit dem Besprechungswerk. Dieses erläutert zunächst praxisnah und gut verständlich die rechtlichen Rahmenbedingungen eines BEM-Verfahrens ebenso wie die Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements durch den Arbeitgeber. Dieser muss zwingend darauf achten, dass die Zustimmung des Arbeitnehmers von grundsätzlicher Bedeutung ist. Wird diese zurückgezogen, ist das BEM-Verfahren sofort zu beenden.

Besprochen wird in der Folge auch, wer an BEM-Verfahren zu beteiligen ist. Dies sind neben den betrieblichen Interessenvertretungen u.U. die Rehabilitationsträger, das Integrationsamt, der Werk- oder Betriebsarzt sowie weitere Stellen. Nach neuer Rechtslage kann der betroffene Mitarbeiter eine Vertrauensperson eigener Wahl zum BEM hinzuziehen, wobei die Rechtsprechung wird klären müssen, wer konkret hierunter zu verstehen ist.

Grundsätzliche Ausführungen erfolgen sodann zu den Auswirkungen des BEM-Verfahrens auf den Kündigungsschutz. Verantwortliche sollten stets prüfen, ob nicht vor Ausspruch einer Kündigung ein BEM-Verfahren durchzuführen ist oder anderweitige Präventionsmaßnahmen zu ergreifen sind.

Unter Gliederungspunkt B. stellt Schmidt einen Ablaufplan des BEM-Verfahrens vor. Jedem Verantwortlichen kann empfohlen werden, BEM-Verfahren strukturiert zu gestalten und durchzuführen, wobei insoweit auf die Ausführungen der Verfasserin zurückgegriffen werden kann. Sofern im Betrieb eine Interessenvertretung existiert, ist es sinnvoll, die Struktur und den Ablauf von BEM-Verfahren in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung zu erarbeiten. In einem sehr ausführlichen Anhang finden sich zahlreiche Mustertexte zum BEM, die zwecks besserer Umsetzung in die Praxis mit zahlreichen Erläuterungen rechtlicher Art versehen sind. Diese stellen eine große Erleichterung und Hilfestellung bei der Umsetzung der Vorgaben eines rechtssicheren BEM-Verfahrens dar und stehen zum Download zur Verfügung, wodurch sich die Betroffenen ein großes Maß an Arbeit ersparen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Besprechungswerk den an einem BEM-Verfahren Beteiligten eine wichtige Hilfestellung an die Hand gibt, ihre Rolle im BEM-Prozess perfekt zu gestalten. Das Werk kann uneingeschränkt zur Anschaffung empfohlen werden. (csh)

 

Hofmann, Kai, Assistenzsysteme in der Industrie 4.0. Arbeitsrechtliche und beschäftigtendatenschutzrechtliche Fragestellungen in einem automatisierten Umfeld, Nomos, Baden-Baden 2021, ISBN 9783-8487-8096-9, € 159,00.

Bei äußerlicher Betrachtung des Buches von Hofmann kommt wohl niemand auf die Idee, es könnte sich um eine Doktorarbeit handeln. Rd. 540 Seiten reiner Text entsprechen – um bei wissenschaftlichen Werken zu bleiben – vom Umfang her eher einer Habilitationsschrift denn einer Dissertation. Inhaltlich greift die Arbeit eine höchst aktuelle Problematik auf. Neue Informationstechnologien verändern nicht nur die Arbeitsmethoden grundlegend, sondern erlauben in vielen Bereichen die Ersetzung des Menschen durch selbststeuernde Maschinen. Dies wirft zum einen arbeitsrechtliche Fragen auf. Die zunehmende Digitalisierung zwingt in vielfacher Hinsicht zu einem Umdenken und zu einer Abkehr von traditionell gewachsenen Strukturen. Nicht weniger betroffen ist der Datenschutz in einem automatisierten Arbeitsumfeld. Beiden Rechtsgebieten widmet sich die Arbeit von Hofmann. Im ersten Teil der Arbeit (S. 47 – 73) wird dem Leser nahegebracht, was sich hinter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ verbirgt. Es geht um die Verknüpfung von Applikationen mit realen Objekten, welche letztlich zur Selbststeuerung fähig sein sollen. Assistenzsysteme sollen die Beschäftigten in die Lage versetzen, den gewandelten Anforderungen an die Ausübung ihrer Tätigkeit gewachsen zu sein.

Dass sich angesichts der dadurch gestiegenen Anforderungen an den Einzelnen arbeitsschutzrechtliche Fragen stellen liegt ebenso auf der Hand wie die der Arbeitgeberseite eröffneten Möglichkeiten zur technischen Überwachung. Dem ist der zweite Teil des Buches gewidmet (S. 73 – 237). An erster Stelle stehen die verfassungsrechtlichen Grundlagen, ein Schwerpunkt liegt auf der Beeinträchtigung durch die Automatisierung des Arbeitsumfeldes (S. 89 ff.). Wichtig sind auch die Darlegungen zu typischen Gefährdungen in der Industrie 4.0 (S. 98 ff.), was im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit eine Rolle spielt. Maschinensicherheit und technischer Arbeitsschutz spielen im Hinblick auf das Prinzip der menschengerechten Gestaltung der Arbeit eine Rolle. Neue Beschäftigungsformen und neue Arbeitsplatzgestaltungen werfen hier Probleme auf. Dass der Betriebsrat in mehrfacher Hinsicht gefordert ist, macht Hofmann deutlich. Der Fokus liegt auf den Beteiligungsrechten im Hinblick auf den Arbeitsschutz (S. 145 ff.). Äußerst interessant sind die Ausführungen zur automatisierten Ausübung des Direktionsrechts (S. 205 ff.). Hier ist noch vieles unklar wie die mögliche Vorgesetzteneigenschaft eines IT-Systems (S. 222 ff.). Den Hauptteil der Arbeit beansprucht der Beschäftigtendatenschutz (S. 238 – 586). Ausführlich wird zunächst auf die Rechtsgrundlagen eingegangen, wobei dem Verhältnis der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) zum Bundesdatenschutzgesetz besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ebenso tiefgehend werden dann Aspekte des Grundrechtsschutzes in der Europäischen Union angesprochen (S. 256 ff.), wobei auch das Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Grundrechten ausgeleuchtet wird. Dass das Recht der Beschäftigten auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten mit der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers kollidieren kann bzw. in der Industrie 4.0 auch kollidieren wird, liegt auf der Hand. Dies erfordert einen Ausgleich der verfassungsrechtlich geschützten Positionen (S. 310 ff.). Es stellt sich zudem die Frage nach der Anwendbarkeit des sekundärrechtlichen Datenschutzrechts, Hofmann geht dem insbesondere bei Assistenzsystemen nach (S. 336 ff.). Die grundlegenden Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung stehen an nächster Stelle, ausführlich werden Aspekte der Datenminimierung beleuchtet (S. 373 ff.); insbesondere das Zusammenspiel von Zweckbindung und Datenminimierung wird untersucht (S. 389 ff.). Dass die Gestaltung der Technik zu Datensparsamkeit und Datenschutz beitragen kann (S. 424 ff.), liegt auf der Hand. Ob dies von den Unternehmen ungeachtet aller Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (S. 435 ff.) so umgesetzt werden wird, wird man noch sehen müssen. Dies gilt auch im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten (S. 474 ff.). Folgen für das sekundär- und einfachgesetzliche Datenschutzrecht sind der letzte Schwerpunkt des dritten Teils. Verf. hinterfragt die einzelnen Erlaubnistatbestände misst an ihnen die Datenverarbeitung zur Erfüllung des Arbeitsvertrages (S. 491 ff.). Selbstredend stellen sich hier Fragen der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 6 BetrVG (S. 515 ff.). Einzelne Verarbeitungssituationen wie die Videoüberwachung, die Verarbeitung von Standortbzw. Betriebsdaten, die Übermittlung von Daten in Wertschöpfungsnetzwerken sowie automatische Entscheidungen beschließen diesen Abschnitt der Arbeit (S. 525 ff.). Eine abschließende Bewertung enthält der vierte Teil des Buches (S. 582 – 586). Für viele Leser dürfte manches in dem Werk absolutes Neuland sein, umso mehr ist es zu empfehlen. Wer sich mit arbeitsrechtlichen und beschäftigtendatenschutzrechtlichen Fragen im Hinblick auf Digitalisierungsprozesse der Industrie auseinandersetzen möchte, ist jedenfalls mit dem Werk von Hofmann bestens beraten. Dies gilt umso mehr, als es gegenwärtig von der Anlage her ein Alleinstellungsmerkmal hat. (cwh)

Dr. Carmen Silvia Hergenröder (csh) CASIHE@t-online.de

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