Knut Bergbauer, Sabine Fröhlich, Stefanie Schüler-Springorum: Hans Litten – Anwalt gegen Hitler. Eine Biographie. Wallstein, 2022, 384 S., 51 Abb. schwarz-weiß, geb., ISBN 978-3-8353-5159-2, € 28,00.
In dem kurzen, knapp 35 Jahre langen Leben Hans Achim Littens spiegelt sich die Tragik eines Teils der kulturellen Elite aus den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Bei der Erschütterung angesichts des grausamen Schicksals eines ebenso hochbegabten wie bis zur Selbstaufgabe konsequenten jungen Menschen ist der Gewinn weiterer Erkenntnisbausteine, wie und warum die Weimarer Republik gescheitert ist, ein schwacher Trost.
Die sorgfältig recherchierte Biographie ist das Produkt eines Autorenteams mit offenbar ähnlich gelagerten Schwerpunktinteressen: Der Diplom-Sozialpädagoge Knut Bergbauer, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Braunschweig, hat über jüdische Jugendbewegung, Geschichte der Arbeiterbewegung und Widerstand im NS geschrieben. Die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum ist seit 2011 Leiterin des Zentrums für Antisemitismus-Forschung, ehemals wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Topographie des Terrors, war davor Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und Vorsitzende der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts in Deutschland und übt verschiedene Lehrtätigkeiten aus. Sabine Fröhlich stellt der Verlag als Publizistin und Filmemacherin vor, erwähnt als eine ihrer Veröffentlichungen die Biographie der Chordirigentin Margarete Dessoff.
Zum 70. Todestag Hans Littens erschien im Februar 2008 im Verlag Wallstein eine erste Auflage unter dem Titel „Denkmalsfigur: Biographische Annäherung an Hans Litten
1903-1938“. Inwieweit die hier anzuzeigende Biographie derselben Autoren eine Überarbeitung darstellt, wird nicht ausdrücklich erläutert. Auf jeden Fall ergänzt wurden das letzte Kapitel und einige Literaturangaben.
In diesem Zusammenhang ist die Rezeptionsgeschichte der Erinnerungen von Hans Littens Mutter Irmgard bezeichnend. Seit der Verhaftung ihres Sohnes 1933 kämpfte sie unermüdlich um Aufmerksamkeit im In- und Ausland für dessen Schicksal und wurde dabei von Freunden, ehemaligen Mithäftlingen, Mitarbeitern und auch Prominenten unterstützt, konnte in der BBC sprechen. 1940 erschienen ihre Erinnerungen zunächst im Pariser Verlag des 1933 in Deutschland verbotenen Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, in England bei Allen & Unwinn, in den USA mit einer Einleitung Eleonore Roosevelts unter dem Titel „Beyond Tears“. In Deutschland veröffentlichte 1947 der Greifenverlag in Rudolstadt, Thüringen, „Eine Mutter kämpft“, in Westdeutschland kam es erst 1984 zu einer Veröffentlichung bei einem „DKP-nahen Verlag“ (S. 321). Alle deutschen Ausgaben enthalten Streichungen gegenüber dem Original, die vor allem Hans Littens Verhältnis zur KPD betreffen.
Der Wallstein-Verlag schreibt zu den „geteilten“ Erinnerungen an Hans Litten: „Die einen würdigten den antifaschistischen Bündnispartner der Arbeiterklasse, die anderen – mit jahrzehntelanger Verspätung – den Verteidiger des republikanischen Rechtswesens.“ (Schutzumschlag a.E.) Tatsächlich ergibt sich aus der Darstellung von Littens Strafverteidigertätigkeit seit 1928 aber ein differenzierteres Bild, auch vor dem Hintergrund seiner biographischen Vorgeschichte: 1903 als ältester von drei Brüdern in Halle geboren, seit 1906 in Königsberg aufgewachsen, revoltierte Hans schon früh gegen seinen erzkonservativen Vater, renommierter akademischer Jurist, preußischer Geheimer Justizrat, DVPAnhänger und getaufter Jude, und den wilhelminischen Geist seines Gymnasiums, laut seinem Bruder Heinz „eine der reaktionärsten Schulen Deutschlands“ (S. 25). Dagegen gewann die Prägung durch seine an humanistischen Ideen, Interesse für Kunst und Philosophie interessierte, sozial und gerechtigkeitsorientierte Mutter die Oberhand. „Die erlösende Richtung war klar: Religiös zum Judentum, politisch nach links und ansonsten gegen alles ,Alte‘ – also hin zur Jugendbewegung.“ (S. 33) Die Biographie ist u.a. Margot Fürst gewidmet, der Frau seines Jugendfreundes Max Fürst und Hans Littens Sekretärin und treue Unterstützerin bis zu ihrem Tod 2003. Zusammen mit Max Fürst gehörte Litten zu den „Schwarzen Haufen“, einer deutschjüdischen, sozialrevolutionär gesinnten Jugendgruppe, eine von vielen Gruppierungen der seinerzeit abenteuerlich bunten Mischung politisch-kultureller Gesinnungen. Hier begegnen uns damals bekannte Namen wie Fritz Sauer oder Hans Blüher.
Das vom Vater erzwungene Jurastudium ab 1921 absolvierte Hans Litten exzellent und ließ sich 1928 als Strafverteidiger in Berlin nieder, in Sozietät mit dem KPD-nahen Ludwig Barbasch, über den er auch mit der Roten Hilfe in Kontakt kam. Er verteidigte vor allem „proletarische“ Mandanten in Zusammenhang mit der zunehmenden politisch motivierten Straßengewalt und errang in teils aufsehenerregenden Prozessen mitunter spektakuläre Erfolge. U.a. erwarb er sich die persönliche Feindschaft Adolf Hitlers, den er im sog. „Edenpalast-Prozeß“ in den Zeugenstand rief und vor den NSDAP-Anhängern blamierte. Im Interesse seiner Mandanten schöpfte er nicht nur alle rechtlichen Möglichkeiten aus, sondern bediente sich auch propagandistischer und sonstiger Mittel, was einerseits zu Konflikten mit der KPD und der Roten Hilfe, andererseits zu standesrechtlichen Schwierigkeiten bis zu seinem Ausschluss als Strafverteidiger im „Felseneck-Prozess“ 1932 führte. Weiterer Strafverteidiger in diesem Verfahren war übrigens Erich Cohn-Bendit (S. 209).
Litten versuchte, jeden Einzelfall in einen politischen Rahmen zu stellen, machte u.a. den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel persönlich für die 33 Toten des „Blutmai“ 1929 verantwortlich. Die Autoren verkennen nicht, dass Litten auch dann vorbehaltlos für Mandanten Partei ergriff, wenn die Gewalt einmal nicht von SA-Schlägern sondern von links ausgegangen war (S. 193). Auch berichten sie über Seitenwechsel kommunistischer Aktivisten in nationalsozialistische Formationen und umgekehrt Übertritte von SA-Leuten zum linken „Kampfbund“ (S. 193-194). Alle Einzelheiten der bis zur NS-Machtübernahme eskalierenden Straßengewalt sind bei weitem noch nicht bekannt, fest steht jedoch, dass es seinerzeit an der entschlossenen Verteidigung des Rechtsstaats fehlte. „Wir waren damals, am Ende der Weimarer Republik, gegen Demokratie. Sie war durch die Ereignisse jeden Sinns entleert worden“, zitieren die Autoren Littens Freund Max Fürst aus dessen 1976 erschienenen Erinnerungen „Talisman Scheherzade“ (S. 229). Der 30. Januar 1933 sei „keineswegs der Tag X“ gewesen, da man „schon längst unter einer Diktatur“ gelebt habe (ebd.).
Anfang März 1933 wurde Hans Litten – nach und vor vielen anderen Kollegen, Freunden, Oppositionellen und sonstigen Unliebsamen – verhaftet. Es begann ein fünfjähriges Martyrium in verschiedenen Gefängnissen und Lagern bis zu seinem Suizid im Februar 1938 in Dachau. Auch hier begegnen uns wieder bekannte Namen des politischen und intellektuellen Widerstands. Littens Versuche, sich durch literarische Studien einen Rest menschlicher Würde zu bewahren, endeten mit der Verlegung vom Lager Lichtenburg, wo er noch die von dem dort kurzzeitig inhaftierten Schriftsteller Armin T. Wegener aufgebaute Bibliothek nutzte, nach Buchenwald und schließlich Dachau. Irmgard Littens Versuche, eine Freilassung ihres Sohnes, zumindest internationale Aufmerksamkeit und Proteste zu erwirken, waren ebenso erfolglos wie sogar die Vorstöße so einflussreicher Personen wie Reichswehrminister von Blomberg, Graf Alexander von Dohna und sogar Roland Freisler. Adolf Hitler soll Prinz Wilhelm von Preußen mit den Worten angeschrien haben: „Wer für Litten eintritt, fliegt ins Lager, selbst wenn Sie es sind“ (S. 303). Den Nach-Bemerkungen im letzten Kapitel „Ex Post“ ist zu entnehmen, dass die Erinnerung an Hans Litten mittlerweile auf vielfältige Weise, nicht nur durch die Benennung von Straßen, Gebäuden und Schulen, gepflegt wird und wieder weitere biographische Details veröffentlicht werden. Verschiedentlich tauchte Hans Litten als Filmfigur auf, so als kämpferischer Anwalt der Roten Hilfe in der Serie „Babylon Berlin“. Etwas süffisant weisen die Autoren darauf hin, „offensichtlich in Ermangelung anderer Aufgabenfelder“ habe das Bundesamt für Verfassungsschutz das „Hans Litten Archiv“ der „Roten Hilfe“ 2018 zum Verdachtsfall erklärt (S. 339).
Zustimmen kann die Rezensentin, dass man gespannt sein darf, was die Geschichtsforschung weiter zutage fördert. Zu hoffen ist jedenfalls, dass das Gedenken an Hans Litten sich nicht in unkritischer Idolatrie erschöpft, sondern – auch angesichts der aktuellen Debatte um rechtswidrige bzw. demokratiefeindliche Protestformen – dieses Schicksal im Lichte des tragischen Endes der Weimarer Republik betrachtet.
Von sorgfältiger Recherche zeugen die zahlreichen, durchgehend nummerierten Belegstellen in den Anmerkungen im hinteren Teil des Buches. Hier finden sich außerdem eine Liste relevanter Archive und Bibliotheken, Zeitschriften sowie eine Auswahlbibliographie gegliedert in Veröffentlichungen von Hans Litten, Veröffentlichungen über Hans Litten und „Weitere Literatur“, schließlich Bildnachweise und ein Personenverzeichnis. Gestaltung und Lektorierung sind ansprechend und soweit ersichtlich fehlerfrei. Die Lektüre ist spannend, inhaltlich aber erschütternd und mitunter schwer zu ertragen. (ldm)
Lena Dannenberg-Mletzko war bis zu ihrem Ruhestand leitende Notariatsvorsteherin in einer großen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main.
lena.dannenberg@t-online.de