Recht

Zivilprozessrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2022

Prütting, Hanns / Gehrlein, Markus (Hrsg.), ZPOKommentar, Luchterhand Verlag, 14. Aufl., Köln 2022, ISBN 978-3-472-09748-8, LXIII und 3932 S., geb., € 139,00.

    Kommentare zur Zivilprozessordnung gibt es viele, einbändige und mehr- bzw. vielbändige Werke. Zu den größeren einbändigen Erläuterungsbüchern des Zivilprozessrechts zählt der von Hanns Prütting und Markus Gehrlein herausgegebene Kommentar. Schon die Namen bürgen also für Qualität. Nicht zuletzt deshalb erscheint der Kommentar jedes Jahr in einer Neuauflage. Auch beim Prütting/Gehrlein ist die Autorenschaft zahlenmäßig beachtlich, mittlerweile 67 BearbeiterInnen setzen sich mit den mehr oder minder komplexen Fragestellungen des Prozess- und Vollstreckungsrechts auseinander. Dass rund ein Drittel der Autorenschaft weiblichen Geschlechts ist, soll hier ausdrücklich positiv erwähnt werden. Immerhin kommen die Verfasser trotz der unendlichen Fülle des Materials mit nur einem Band aus; ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber mehrbändigen Werken. Dass selbstverständlich sämtliche vom Gesetzgeber für nötig befundenen Änderungen sowie die aktuelle Rechtsprechung und Literatur vollständig eingearbeitet wurden, sei vorweg noch bemerkt.

    Wenn man sich im Vorwort die legislativen Modifikationen im Detail ansieht, dann weiß man, was die Bearbeiter eines ZPO-Kommentars zu leisten haben. Einzuarbeiten waren insbesondere das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung, das Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts, das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/1111 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung, das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe sowie das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften. Nachdem nach nicht unerheblichen Anlaufschwierigkeiten das besondere elektronische Anwaltspostfach in Betrieb Zivilprozess regelnden Normen besondere Bedeutung zu. Durch die Covid 19-Pandemie haben Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung einen ungeahnten Aufschwung erfahren, Prütting erläutert in den Ausführungen zu § 128 a ZPO alles Nötige. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang naturgemäß die §§ 130 a – d ZPO. Damit man bei der Übermittlung elektronischer Dokumente nichts falsch macht, seien seine Ausführungen zu § 130 a (Rn. 7) empfohlen. Durch das Gerichtsvollzieherschutzgesetz wurde auch das Verfahren zur Einholung von Dritt- bzw. Fremdauskünften zum 1.1.2022 modifiziert. Meller-Hannich nimmt sich deshalb besonders der Vorschrift des § 802 l ZPO an. Soweit sie allerdings mit guten Gründen vertritt, dass mitgeteilte Kontodaten Dritter dem Gläubiger zugänglich gemacht werden dürfen, wenn aus jenen eine Verfügungsberechtigung des Schuldners ersichtlich ist (Rn. 13), ist darauf hinzuweisen, dass der BGH (WM 2022, 1216) zwischenzeitlich anders entschieden hat. Da, wo es das Verständnis und der Zusammenhang gebieten, werden Vorschriften aus anderen Regelwerken im Anhang zu ZPO-Bestimmungen erläutert. So findet man die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZVO) nach § 1071 ZPO abgedruckt und besprochen. Hinter § 1075 ZPO wird die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO) besprochen. Und auf § 1086 ZPO folgt die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO). Weiter ist die Kommentierung der Verordnung Nr. 1896/2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMVVO) zu erwähnen, die nach § 1096 ZPO gebracht wird. Schließlich ist noch auf die im Anhang nach § 1109 ZPO berücksichtigte Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO) hinzuweisen. Ebenso wie im materiellen Zivilrecht sind auch die zivilprozessualen Kommentierungen ohne die Berücksichtigung des EU-Rechts nicht mehr denkbar.

    Was enthält der Prütting/Gehrlein noch? Natürlich darf die Kommentierung zum EGZPO nicht fehlen, ausführlich wird das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) besprochen. Ob Referendarinnen muslimischen Glaubens ein Kopftuch tragen dürfen (§ 10 Rn. 1) und wie sich das bei Schöffinnen (§ 176 Rn. 7) verhält, erfährt man ebenfalls. Eigentlich ist die Bindungswirkung hinsichtlich des Gerichts, an das verwiesen wird, in § 17a Abs. 1 GVG klar verankert. Liest man freilich die von Zirzlaff verantwortete Kommentierung hierzu (Rn. 8), welche unter der bezeichneten Überschrift „Reichweite und Grenzen der Bindungswirkung“ gebracht wird, so kann man sich angesichts der Beispiele zu einer krass fehlerhaften Beurteilung schon fragen, was manche Gerichte sich bei ihren Entscheidungen so denken. Auf das GVG folgen das EGGVG, das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) sowie das Mediationsgesetz. Das wichtige Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG) und das Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (VSBG) dürfen natürlich auch nicht fehlen.

    Dann wird es wieder europäisch: Berücksichtigt wird die äußerst bedeutsame Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO), besser bekannt als „Brüssel Ia-Verordnung“. Dass dann die „Brüssel IIa-Verordnung“, nämlich die Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung folgt, liegt nahe. Das Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (AVAG) rundet dann den supranationalen Abschnitt ab. Für einen „klassischen“ ZPO-Kommentar nicht unbedingt typisch wird abschließend ausführlich auf das FamG eingegangen. Aus Sicht des Benutzers ist dies nur zu begrüßen, die Trennung zwischen streitiger und freiwilliger Gerichtsbarkeit ist legislativ sicherlich gerechtfertigt, in der Praxis hat man vielfach mit beiden zu tun.

    Das Stichwortverzeichnis hilft dem, der nicht weiß, wo er suchen soll, kundig weiter. Aber auch sonst findet man im Prütting/Gehrlein Antworten auf die Fragen, die einem der Zivilprozess und die ihm verwandten Verfahren stellen mögen. So verwundert es nicht, dass der Kommentar jährlich neu aufgelegt wird, er ist eben gut. (cwh)

    Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

    Datenschutzerklärung