Recht

Zivilprozessordnung

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 5/2018

Prütting, Hans/Gehrlein, Markus, Zivilprozessordnung. Kommentar, Luchterhand Verlag Neuwied 2018, ISBN 978-3-472-09556-9, LXX und 3223 S., € 139,00

Kommentare zur Zivilprozessordnung gibt es viele, einbändige sowie mehr- bzw. vielbändige Werke mit fünfstelligen Seitenzahlen. Unter den „handlichen“ Darstellungen, die mit einem Band auskommen, hat sich im letzten Jahrzehnt das von Prütting und Gehrlein herausgegebene Erläuterungsbuch etabliert, das nun schon in 10. Auflage erschienen ist. Beide Herausgeber sind ausgewiesene Spezialisten im Zivilprozessrecht und bürgen für Qualität: Prütting ist Hochschullehrer, Gehrlein Richter am Bundesgerichtshof. Wissenschaft und Praxis ergänzen sich also vorzüglich. Nicht zuletzt deshalb erscheint der Kommentar jedes Jahr in einer Neuauflage. Auch beim Prütting/Gehrlein ist die Zahl der Autoren beachtlich, 59 Bearbeiter setzen sich mit den mehr oder minder komplexen Fragestellungen des Prozess- und Vollstreckungsrechts auseinander. Dabei enthält der Prütting/Gehrlein beileibe nicht nur eine Kommentierung der Zivilprozessordnung, erläutert werden zudem weitere prozessual wichtige Gesetze sowie die einschlägigen Verordnungen der Europäischen Union. Der Bearbeitungsstand entspricht dem Gesetzesstand 1. März 2018. Naturgemäß kann bei einer über 3223 Seiten starken Bearbeitung von weit über 1000 Paragrafen nur auf einzelne Punkte hingewiesen werden. Im Vordergrund der Kommentierung steht selbstredend die titelgebende Zivilprozessordnung mit 2658 Seiten, wobei da, wo es das Verständnis und der Zusammenhang gebieten, Vorschriften aus anderen Regelwerken im Anhang zu ZPO-Bestimmungen erläutert werden. So wird die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZVO) nach § 1071 ZPO abgedruckt und besprochen. Hinter § 1075 ZPO findet sich die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO). Und auf § 1086 ZPO folgt die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO). Weiter ist die Kommentierung der Verordnung Nr. 1896/2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMVVO) zu erwähnen, die nach § 1096 ZPO gebracht wird. Schließlich ist noch auf die im Anhang nach § 1109 ZPO berücksichtigte Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO) hinzuweisen. Ebenso wie im materiellen Zivilrecht sind auch die zivilprozessualen Kommentierungen ohne die Berücksichtigung des EU-Rechts nicht mehr denkbar. Für den nicht ganz mit den zivilprozessu alen Rechtsakten der Union vertrauten Rechtsanwender ist der gewählte Ansatz, die einschlägigen EU-Verordnungen jeweils nach den entsprechenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung zu bringen, sehr hilfreich.

Was enthält der Prütting/Gehrlein noch? Natürlich darf die Kommentierung zum EGZPO nicht fehlen, ausführlich wird das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) besprochen. EGGVG, das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG), das Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG) sowie das Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (VSBG) folgen. Dann wird es wieder europäisch: Berücksichtigt wird die äußerst bedeutsame Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO), besser bekannt als „Brüssel Ia-Verordnung“. Dass dann die „Brüssel IIa-Verordnung“, nämlich die Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung folgt, liegt nahe. Das Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivilund Handelssachen (AVAG) beschließt das Werk. Hervorgehoben soll noch werden, dass da, wo es geboten ist, sich jeweils kostenrechtliche Hinweise finden, immerhin lebt die Anwaltschaft ja von nicht zuletzt vom Prozessieren. Auch im Prütting/Gehrlein waren gesetzliche Neuerungen einzuarbeiten, so insbesondere das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017. Wer hier einen ersten Überblick gewinnen will, lese die Randnummer 2 zu § 128 a ZPO. Dass sich der Kommentar durch ein ausführliches Abkürzungsverzeichnis und ein umfangreiches Stichwortverzeichnis auszeichnet, verdient ebenfalls Erwähnung. Lobenswert ist der Umgang mit Zitaten. Bei manch anderer Kommentierung kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die eigene Gedankenleistung werde durch die Aneinanderreihung mehr oder weniger sinnvoller Verweise ersetzt. Im Prütting/Gehrlein wird maßvoll zitiert, aktuell und immer da, wo man eine Fundstelle sucht, findet man auch eine. Fazit: Wer sich kurz und prägnant und auf der Höhe der Zeit informieren möchte, ist mit dem Prütting/Gehrlein bestens beraten. (cwh)

 

Stein/Jonas, ZPO, Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 4, §§ 271 – 327, Mohr Siebeck, 23. Auflage, Tübingen 2018, ISBN 978-3-16-152899-6, 1044 S., € 164,00

Zu den traditionsreichsten und fundiertesten Großkommentaren zur Zivilprozessordnung gehört seit je her der Stein/Jonas. Begründet wurde er von 1879 von Friedrich Ludwig Gaupp, seines Zeichens Kreisgerichtsrat und später ordentlicher Professor an der Universität Tübingen. Von Beginn an zeichnete das Werk die Kommentarform aus, also die Erläuterung der einzelnen Bestimmungen des Gesetzes in ihrer numerischen Abfolge, wobei Gaupp besonderen Wert auf die Einbettung der Kommentierung in einen systematischen Zusammenhang legte; eine Charakteristik, die den Kommentar auch heute noch prägt. Ab der 3. Auflage 1897 beteiligte sich einer der beiden heutigen Namensgeber, Friedrich Stein, Professor an der Universität Halle und Oberlandesgerichtsrat, an der Bearbeitung. Nach dem Tode von Gaupp im Jahre 1901 führte er die Kommentierung alleine fort. Im Jahre 1925 übernahm Martin Jonas, weiland Ministerialrat und später Senatspräsident am Reichsgericht, diese Aufgabe, der er sich bis 1943 widmete. Der Stein/Jonas hat also eine lange Geschichte, viele Juristengenerationen bedienten sich seiner, um die Tiefen und Untiefen des Zivilprozessrechts zu erkunden. Eigen ist dem Werk eine vertiefte wissenschaftliche Aufarbeitung der Probleme. Nicht umsonst hat das noch in der Kaiserzeit begründete Werk bisher 23 Auflagen erlebt und einen führenden Platz in der zivilprozessualen Kommentarliteratur eingenommen. Band 4 behandelt die §§ 271 bis 327 ZPO und damit Bestimmungen im Rahmen des Verfahrens vor den Landgerichten. Schon der Umfang der Kommentierung – 1044 Seiten für rd. 60 Paragrafen! – lässt erahnen, wie detailliert den Einzelproblemen nachgegangen wird.

Hervorzuheben ist gleich zu Beginn die Tatsache, dass die Kommentierung von nur zwei Autoren verfasst wird, nämlich Christoph Thole und Christoph Althammer. Auch wenn beide bei der Bearbeitung der über tausend Seiten auf die Ausführungen von Dieter Leipold in der Vorauflage zurückgreifen konnten, so verdient dies doch höchste Anerkennung. Insoweit ist anzumerken, dass zwischenzeitlich in manchen Kommentaren mit einzelnen Paragrafen (!) jeweils ein eigener Autor befasst ist, was zumindest gelegentliche Brüche in der Darstellung provoziert. Im Übrigen liegt die letzte Auflage rd. zehn Jahre zurück, es galt also eine ganze Reihe gesetzlicher Neuregelungen einzuarbeiten. Zu nennen sind unter anderem das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 26.7.2012 (BGBl. I, 1577), das Mietrechtsänderungsgesetz vom 11.3.2013 (BGBl. I, 434) sowie zuletzt das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl. I 2208). Selbstredend sind auch Rechtsprechung und Schrifttum auf den neuesten Stand gebracht. Naturgemäß kann bei einem Kommentar dieses Umfangs inhaltlich nur auf einzelne Aspekte hingewiesen werden.

Die §§ 271 – 299a ZPO aus Titel 1 des ersten Abschnitts des zweiten Buches der Zivilprozessordnung verantwortet Thole.

Bei der Zustellung vertritt er die durchaus kontrovers diskutierte Auffassung, eine Prüfung der Partei- bzw. Prozessunfähigkeit habe auch bei offensichtlichen Mängeln nicht zu erfolgen (§ 271 Rn. 38). Insoweit sei nur auf die von Inkassounternehmen veranlasste Zustellung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden an Minderjährige etwa bei Schwarzfahrten hingewiesen. Die Lösung der Rechtsprechung scheint hier überzeugender zu sein. Wie kontrovers diskutiert die Mediation ist, merkt man nicht zuletzt an der zahlreichen Literatur hierzu, die bei § 278a ZPO wiedergegeben wird. Seiner Bedeutung gemäß ausführlich behandelt wird die freie Beweiswürdigung (rd. 100 Seiten mit rd. 300 Randnummern sowie einem eigenen Stichwortregister). Hier interessieren angesichts der Möglichkeiten, welche die Digitalisierung bringt, vor allem die Ausführungen zu den Beweisverwertungsverboten (§ 286 Rn. 57 ff.). Auch die Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§ 296 ZPO) findet zu Recht das besondere Augenmerk von Thole. § 298 a ZPO ist in der neuesten Fassung vom 1.1.2018 erläutert, man braucht kein Prophet zu sein um festzustellen, dass mit der zunehmenden Elektronifizierung des Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens diese Kommentierung anschwellen wird. Das Urteil ist dann Sache von Althammer. Seine Vorbemerkung zu § 300 ZPO möchte man der Lektüre der Studierenden und Referendare empfehlen, da man diese nicht selten vergeblich fragt, was den Unterschied zwischen Urteil, Beschluss und Verfügung ausmacht (vor § 300 Rn. 11 ff.). Beim Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) findet sich der Hinweis (Rn. 43 f.) auf § 555 ZPO, welchen der Gesetzgeber eingeführt hat, um dem Beklagten die Möglichkeit zu nehmen, eine ihm nicht genehme Entscheidung zu verhindern. § 313 a ZPO, welcher vor allem, aber nicht nur in Bagatellsachen dem Gericht die Möglichkeit gibt, auf Tatbestand und Entscheidungsgründe zu verzichten, sieht Althammer nicht zu Unrecht als „rechtspolitisch keineswegs unproblematisch“ an (Rn. 1). Eingehend wird § 321 a ZPO behandelt, der die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sanktioniert. Einen Höhepunkt der Bearbeitung von Althammer stellt dann die ausführliche Abhandlung zu § 322 ZPO dar (rd. 110 Seiten mit 315 Randnummern). Aber zur Rechtskraft ist eben viel zu sagen. Dies gilt auch für § 325 ZPO, auch dieser Vorschrift wird verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt.

Der Stein/Jonas hält auch in seinem Band 4 der 23. Auflage, was der Name verspricht. Wer mit schwierigen prozessualen Fragen der §§ 271 bis 327 ZPO befasst ist, wird jedenfalls nicht nur fündig werden, sondern auch eine kundige Beratung erfahren. Was will man mehr von einem Großkommentar? (cwh)

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes GutenbergUniversität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht. cwh@uni-mainz.de

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