Recht

Zivilprozessrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2019

Saenger, Ingo (Hrsg.), Zivilprozessordnung. Familienverfahren |Gerichtsverfassung | Europäisches Verfahrensrecht, Handkommentar, Nomos Verlagsgesellschaft, 8. Aufl., Baden Baden 2019, ISBN 978-38487-5166-2, 3779 S., € 118,00

 

Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, Verlag C.H.Beck, 40. Auflage, München 2019, ISBN 978-3-40673599-8, 2607 und XXXIX S., € 65,00

Kommentare zur Zivilprozessordnung gibt es viele, man­che sind schon im vorletzten Jahrhundert entstanden. Auf eine so lange Tradition kann der von Saenger herausge­gebene Handkommentar nicht zurückblicken, ihn gibt es seit 14 Jahren. Das mag man aber durchaus als Vorteil sehen, können die Bearbeiter doch erst gar nicht in Ver­suchung geraten, überholte Strukturen fortzuschreiben. Immerhin liegt nun aber auch schon die achte Auflage vor, was die gute Aufnahme in der Praxis unterstreicht. Apropos „Handkommentar“: 3.779 Seiten stehen zu Bu­che, welche sich zwölf Autoren aus Praxis und Wissen­schaft teilen. Gegenüber den mehrbändigen und natürlich deutlich teureren „Kommentarungetümen“ nimmt sich der Saenger ­ sympathisch übersichtlich aus. Immerhin kommen die Autoren trotz der unendlichen Fülle des Materials mit nur einem Band aus; ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber mehrbändigen Werken. Erschienen ist das Buch in der Reihe der Nomos-Kommentare.

Es gibt Dinge im Leben, die ändern sich nicht. Als der Autor dieser Rezension in den siebziger Jahren des letzten Jahr­hunderts sein Jurastudium begann, beherrschten Bands wie die Rolling Stones, Status Quo, Aerosmith und AC/DC die Szene im Rockbusiness. Nicht ganz vier Jahrzehnte später füllen die genannten Gruppen immer noch große Hallen, manche sogar Stadien. Welcher Jurist vermag sich schon einer solchen die Jahrzehnte überdauernden Popu­larität rühmen? Ein Klassiker der ZPO-Kommentarliteratur kann dies: der Thomas/Putzo. Er hat die Jahrzehnte über­dauert, wie die meisten Rockbands in wechselnder Beset­zung bzw. Autorenschaft. Und ebenso wie neben letzte­ren zahlreiche Neugründungen entstanden und teilweise wieder verglühten, konnten auch ZPO-Kommentierungen jüngeren und älteren Datums an der Popularität des Old­timers nichts ändern. Die 39. Auflage des Thomas-Putzo markiert nämlich sein 55-jähriges Bestehen. Kein Wunder also, dass zahllose Generationen von Studierenden in den Literaturverzeichnissen zur ZPO-Vorlesung den Kommen­tar vorfanden. Verhältnismäßig klein ist die Zahl der Au­toren, was der Homogenität zugutekommt: Drei Autoren, sämtlich aus der bayerischen Richterschaft, teilen sich 2.607 Seiten.

Nachdem beide Kommentare in etwa im selben Segment angeordnet sind, bietet sich eine gemeinsame Bespre­chung an. Dass selbstverständlich in beiden Werken sämt­liche vom Gesetzgeber für nötig befundenen Änderungen sowie die aktuelle Rechtsprechung und Literatur vollstän­dig eingearbeitet wurden, sei vorweg noch bemerkt. Wenn man sich in den Vorwörtern die legislativen Modifikatio­nen im Detail ansieht, dann weiß man, was die Bearbeiter eines ZPO-Kommentars zu leisten haben. Einzuarbeiten waren insbesondere das Gesetz zur Einführung einer zi­vilprozessualen Musterfeststellungsklage, das Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts sowie das Gesetz zur Förderung der Freizügigkeit von EU-Bürge­rinnen und -Bürgern sowie zur Neuregelung verschiedener Aspekte des Internationalen Adoptionsrechts. Der inhaltliche Schwerpunkt beider Kommentare liegt na­turgemäß auf der Zivilprozessordnung. Sie wird ausführ­lich und vor allem kenntnisreich erläutert. Beide Werke enthalten aber beileibe nicht nur eine Kommentierung der Zivilprozessordnung. An den relevanten Stellen werden jeweils auch spezielle Einzelgesetze erläutert bzw. ent­sprechende Hinweise gegeben. So nimmt sich Kießling im Saenger des elektronischen Rechtsverkehrs an, im Anhang zu § 130 c ZPO werden die Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) sowie die Elektronischer Rechtsver­kehr-Bekanntmachung 2018 (ERVB 2018) abgedruckt. Saenger erklärt in der Kommentierung zu § 278 a ZPO, was man über Mediation wissen muss, im Anhang zu die­ser Vorschrift findet sich das Mediationsgesetz. Die Ak­tualität des Kommentars macht nicht zuletzt die Bespre­chung der Musterfeststellungsklage (§§ 608 – 614 ZPO) deutlich, die Rathmann verantwortet. Mit ihr tun sich ja manche Gerichte noch schwer. Und nicht jeder wird die Musterfeststellungsklagenregister-Verordnung schon kennen, sie datiert vom 24.10.2018. Im Anhang zu § 609 ZPO kann man sie nachlesen. Auch die Zwangsvollstreckung kommt im Kommentar nicht zu kurz, auch hier werden wichtige Texte mitgeliefert. Dies gilt etwa für die Vermö­gensverzeichnisverordnung (VermVV) im Anhang zu § 802 k ZPO, die Schuldnerverzeichnisabdruckverordnung (Schu­ VAbdrV) im Anhang zu § 882 g ZPO sowie die Schuld­nerverzeichnisführungsverordnung (SchuFV) im Anhang zu § 882 h ZPO. Nicht jedem werden diese Regelwerke bekannt sein, ihre praktische Bedeutung ist enorm: Im Jahre 2017 wurden allein 743.169 Anträge auf Erlass eines Haftbefehls (!) zur Erzwingung der Vermögens­auskunft gestellt, bei den zentra­len Vollstreckungsgerichten gingen 2.469.565 Eintragungsanordnungen zum Schuldnerverzeichnis ein. Für die praktische Handhabung ist – aus Gründen der Übersichtlich­keit und vor allem der schnellen Auffindbarkeit – die partielle Dar­stellung nach Stichwörtern wertvoll. Ob man hier den Weg geht, etwa die Wertschlüssel in einen Anhang zu packen oder aber die Werthöhe der einzelnen Streitgegenstände in den Text zu integrieren, wo sie sich im Saenger (§ 3 Rn. 15 ff.) und im Thomas/Putzo (§ 3 Rn. 5 ff.) finden, ist eher Geschmackssache; und über Geschmack sollte man bekanntlich nicht streiten. Beide Kommentare lassen sich gut lesen.

Mittlerweile spielt auch im Zivil­prozess das Recht der Europäischen Union eine nicht zu unterschätzen­de Rolle. Es ist daher zu begrüßen, dass in beiden Kommentaren im Rahmen von „Buch 11. Justizielle Zusammenarbeit in der Europäi­schen Union“ nicht nur die ZPO-Normen kommentiert, sondern auch die einschlägigen Rechtsakte der EU abgedruckt und erläutert werden. EuZustVO, EuBewVO, PKH-Richtli­nie, EuVTVO und wie sie alle heißen kann man sich so unschwer und im richtigen Zusammenhang erschlie­ßen.

Die sicherlich bedeutendste Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), welche die lange Jahre geltende Verordnung (EG) Nr. 44/2001 zum 10.1.2015 ab­gelöst hat, erfährt dabei jeweils eine gesonderte Kommentierung. Erwäh­nenswert sind schließlich noch die Kommentierungen zum FamFG von Kemper im Saenger sowie von Seiler und Hüßtege im Thomas/Putzo, fer­ner die Erläuterungen zum GVG, zum EGZPO und zum EGGVG. Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Dass beide Werke sich durch ein aus­ führliches Abkürzungsverzeichnis und ein umfangreiches Stichwortver­ zeichnis auszeichnen, verdient eben­falls Erwähnung. Gerade Studieren­de und im Referendariat befindliche Personen werden auch das Inhalts­verzeichnis dankbar zur Kenntnis nehmen. Lobenswert ist der Umgang mit Zitaten. Bei manch anderer Kom­mentierung kann man sich des Ein­ drucks nicht erwehren, die eigene Ge­dankenleistung werde durch die An­einanderreihung mehr oder weniger sinnvoller Verweise ersetzt; abgese­hen davon, dass sie nicht selten we­nig weiterführend sind. Die Zitate im Saenger und im Thomas/Putzo sind maßvoll, brandaktuell und immer da, wo man eine Fundstelle sucht, findet man auch eine. Es steht allerdings zu vermuten, dass durch das erschöpfende Eingehen auf die einzelnen Probleme nicht allzu viel nachgelesen wird; es steht ja alles Wissenswerte schon in den Kommentaren. Fazit: Wer eine kurze und prägnante Information sucht, ist mit dem Thomas-Putzo bestens beraten, wer etwas vertiefter einsteigen will oder muss, greife zum Saenger. Bei letz­terem bekommt man für 118 € satte 3.779 Seiten, beim Thomas-Putzo sind für 2.607 Seiten 65 € zu berappen. Beide Werke eignen sich aufgrund ihres handlichen Formats und geringen Gewichts durchaus als literarische Begleitung zu Gerichts­verhandlungen. In der guten alten Zeit waren die Bücher freilich noch deutlich kleiner im Umfang. Immer­hin: Definiert man Handkommentar dahingehend, dass man das Buch mit beiden Händen umschließen kann, so ist dieser Status dem Thomas/Putzo und dem Saenger noch zuzubilligen. Eine Prognose zum Abschluss: Das gute alte Buch sieht sich einem zu­nehmenden Konkurrenzkampf mit digitalen Medien ausgesetzt. E-only haben sich schon manche Bibliotheken anderer Fachdis­ziplinen auf die Fahnen geschrieben, auch in der Juris­prudenz nehmen online-Kommentierungen zu. Ob sie den traditionellen gedruckten Kommentar irgendwann einmal ganz verdrängen werden, steht zwar noch in den Sternen, es ist aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Sowohl beim Thomas-Putzo als auch beim Saenger wird es aber jeden­falls noch eine ganze Weile dauern, bis es soweit ist. (cwh)

 

Prütting/Gehrlein (Hrsg.), ZPO Kommentar, Luchterhand Verlag, 11. Aufl., Köln 2019, ISBN 978-3-472-09597-2, 3209 S., geb., € 139,00

Kommentare zur Zivilprozessordnung gibt es viele, einbän­dige und mehr- bzw. vielbändige Werke. Zu den größeren einbändigen Erläuterungsbüchern des Zivilprozessrechts zählt der von Hanns Prütting und Markus Gehrlein herausgegebene Kommentar. Schon die Namen bürgen also für Qualität. Nicht zuletzt deshalb erscheint der Kommen­tar jedes Jahr in einer Neuauflage. Auch beim Prütting/ Gehrlein ist die Autorenschaft zahlenmäßig beachtlich, 58 BearbeiterInnen setzen sich mit den mehr oder min­der komplexen Fragestellungen des Prozess- und Vollstre­ckungsrechts auseinander. Immerhin kommen die Autoren trotz der unendlichen Fülle des Materials mit nur einem Band aus; ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber mehrbändigen Werken. Dass selbstverständlich in beiden Werken sämtliche vom Gesetzgeber für nötig befundenen Änderungen sowie die aktuelle Rechtsprechung und Lite­ratur vollständig eingearbeitet wurden, sei vorweg noch bemerkt. Wenn man sich im Vorwort die legislativen Modi­fikationen im Detail ansieht, dann weiß man, was die Be­arbeiter eines ZPO-Kommentars zu leisten haben. Einzuar­beiten waren insbesondere das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage sowie das Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. Natürlich steht die Zivilprozessordnung im Vordergrund der Darstellung. Nachdem nach nicht unerheblichen An­laufschwierigkeiten das besondere elektronische Anwalts­postfach in Betrieb gegangen ist, kommt der Kommentie­rung der den elektronischen Rechtsverkehr regelnden Nor­men besondere Bedeutung zu. Da, wo es das Verständnis und der Zusammenhang gebieten, werden Vorschriften aus anderen Regelwerken im Anhang zu ZPO-Bestim­mungen erläutert. So findet man die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außer­gerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZVO) nach § 1071 ZPO abgedruckt und besprochen. Hinter § 1075 ZPO wird die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO) besprochen. Und auf § 1086 ZPO folgt die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Vollstreckungs­titels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO). Weiter ist die Kommentierung der Verordnung Nr. 1896/2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMV­ VO) zu erwähnen, die nach § 1096 ZPO gebracht wird. Schließlich ist noch auf die im Anhang nach § 1109 ZPO berücksichtigte Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Ein­führung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO) hinzuweisen. Ebenso wie im ma­teriellen Zivilrecht sind auch die zivilprozessualen Kom­mentierungen ohne die Berücksichtigung des EU-Rechts nicht mehr denkbar.

Was enthält der Prütting/Gehrlein noch? Natürlich darf die Kommentierung zum EGZPO nicht fehlen, ausführlich wird das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) besprochen. Ei­gentlich ist die Bindungswirkung hinsichtlich des Gerichts, an das verwiesen wird, in § 17a Abs. 1 GVG klar verankert. Liest man freilich die von Steinfatt verantwortete Kom­mentierung hierzu (Rn. 8), welche unter der bezeichneten Überschrift „Reichweite und Grenzen der Bindungswir­kung“ gebracht wird, so kann man sich angesichts der Bei­spiele zu einer krass fehlerhaften Beurteilung schon fra­gen, was manche Gerichte sich bei ihren Entscheidungen so denken. Auf das GVG folgen das EGGVG, das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitig­keiten (KapMuG) sowie das Mediationsgesetz. Das wich­tige Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucher­rechts- und anderen Verstößen (UKlaG) und das Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Dann wird es wieder europäisch: Berücksichtigt wird die äußerst bedeutsame Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handels­sachen (EuGVO), besser bekannt als „Brüssel Ia-Verord­nung“. Dass dann die „Brüssel IIa-Verordnung“, nämlich die Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung folgt, liegt nahe. Das Gesetz zur Ausfüh­rung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Ge­meinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Voll­streckung in Zivil- und Handelssachen (AVAG) beschließt dann das Werk.

Das Stichwortverzeichnis hilft dem, der nicht weiß, wo er suchen soll, kundig weiter. Aber auch sonst findet man im Prütting/Gehrlein Antworten auf die Fragen, die einem der Zivilprozess stellen mag. So verwundert es nicht, dass der Kommentar jährlich neu aufgelegt wird, er ist eben gut. (cwh) ˜

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh) cwh@uni-mainz.de

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