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Was würde Bonhoeffer zu unseren heutigen Herausforderungen sagen?

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2020

Dietrich Bonhoeffer gehört zu den späten Opfern der Hitler-Diktatur. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern wir uns: Auf persönliches Geheiß des „Führers“ wurde er am 9. April 1945 nach einem standgerichtlichen Verfahren im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet – erst 39 Jahre alt. Einen großen Teil seiner Lebensgeschichte prägten Diktatur und Krieg, Konspiration und Gefängnis. Umso erstaunlicher ist, wie viele Texte von ihm erhalten blieben. Sie veranschaulichen die Einheit von Leben und Denken nachdrücklicher, als sich angesichts der Zeitumstände vermuten ließ. Leserinnen und Leser ziehen sie auch heute in ihren Bann.
Was fasziniert uns Heutige an Bonhoeffer? Es ist eine Glaubensgewissheit, die nicht an überkommenen Formeln hängt, sondern in neuer, radikaler Form die Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit aufspürt. Es ist eine Weltoffenheit, die sich der Herausforderung durch das moderne Wahrheitsbewusstsein stellt. Es ist eine Lebensform, die Freiheit und Verantwortung verbindet. Und es ist eine Bereitschaft zum Widerstand, die gegenüber einem Staat, der Recht und Frieden mit Füßen tritt, das eigene Leben einsetzt. Dieser politische Widerstand ist in seelischer Widerstandskraft verwurzelt.

„Was würde Bonhoeffer zu unseren heutigen Herausforderungen sagen?“ – so werde ich oft gefragt. Es geht nicht darum, seine Antworten zu wiederholen; es kommt darauf an, unsere eigenen Antworten zu finden und zu ihnen zu stehen. In einer Zeit, in der Menschen sich rund um den Globus bemühen, durch verantwortungsbewusstes Verhalten nicht nur das eigene Leben, sondern auch dasjenige ihrer Mitmenschen zu schützen, ist jede und jeder gefragt. Doch manche verrennen sich in Verschwörungstheorien und versuchen, andere zu etwas aufzustacheln, was sie „Widerstand“ nennen. Mit Bonhoeffers Widerstand um des Lebens seiner Mitmenschen willen hat das nichts zu tun. In den USA sprechen manche von einem „Bonhoeffer-Moment“, den sie in Donald Trumps Präsidentschaft verwirklicht sehen. Aus einem solchen Denken heraus wird Bonhoeffers Beitrag zur „amerikanischen Kultur“ gepriesen. Doch von seinem Lebenszeugnis ist das weit entfernt.
Dietrich Bonhoeffer ermutigt zu einer Lebenshaltung, die das eigene Urteil weder durch Populismus noch durch Verschwörungstheorien vernebeln lässt. Aus seinem Beispiel folgen andere Orientierungen. Zu ihnen gehören mündiges Christsein, wache Zeitgenossenschaft und verantwortliches Handeln.

 

Dietrich Bonhoeffer: Ausgewählte Werke. Vorwort Wolfgang Huber. Hrsg.: C. Gremmels / W. Huber. Darmstadt: wbg Edition 2020 (unveränd. Nachdr. d. Originalausgabe). 3 Bde. im Schuber, 1449 S., geb., ISBN 978-3-534-27210-5, € 100,00

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Wolfgang Huber ist Professor für Theologie in Berlin, Heidelberg und Stellenbosch (Südafrika). Er war u.a. Ratsvorsitzender der EKD. In 3. Aufl. liegt von ihm vor: Dietrich Bonhoeffer – Auf dem Weg zur Freiheit (München: C.H.Beck 2020). Am 22. Mai hat er uns dieses Statement geschickt.

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