Marmaduke Pickthall: Die Taube auf der Moschee. Unterwegs im Orient. Aus d. Engl. übs. u. hgb. von Alexander Pechmann. 240 S., Göttingen: Steidl 2021. Leinen, ISBN 978-3958299351. € 22,00.
Wer „orientalisches“ Ambiente sucht, bunte Geschichten und Abenteuer in der Nachfolge eines Kara Ben Nemsi oder einfach eintauchen will in die abgeschiedene Welt des Nahen Ostens vor dem Zerfall des Osmanischen Reichs – der ist hier vollkommen richtig. Und trotzdem muss der Leser/ die Leserin nicht befürchten, von einem Abschreiber, Epigonen oder fantasievollen Romancier à la Karl May in die Irre geführt zu werden – denn dass der Verfasser der außer ordentlich vergnüglich und lehrreich zu lesenden Skizzen zu den Kennern der Region zählte, steht außer Frage. Tatsächlich war der britische Pfarrerssohn mit dem ungewöhnlichen Namen Marmaduke Pikthall von Jugend an von der Welt des arabischen Nahen Ostens geradezu besessen; als sich die angestrebte Karriere im diplomatischen Dienst zerschlug, machte sich der erst Neunzehnjährige im Jahr 1894 kurzentschlossen auf eigene Faust auf den Weg und durchstreifte mit geringen eigenen Mitteln zwei Jahre lang das Land seiner Sehnsucht – die Region zwischen Mittelmeer, Rotem Meer und dem Golf von Persien. Es sind die Früchte dieser zweijährigen Streifereien durch den Vorderen Orient, die Pickthall als reifer Mann mehr als zwanzig Jahre später, nämlich 1917–18, zunächst in loser Folge, dann in Buchform dem englischsprachigen Publikum vorlegte.
Was macht den Reiz des Bändchens aus, das uns in seinen über dreißig Kapiteln auf den Spuren des Autors von Kairo über Aleppo bis Jerusalem, in die Kreuz und in die Quer, führt? Einen statistisch-geographischen Überblick über die politische und soziale Situation des „Vorderen Orients“ darf man sich von den essayhaften Kapiteln, die spielerisch und doch stets durch die innere Logik der Reise miteinander verbunden aufeinanderfolgen, nicht erwarten. Wie auch? Von Anfang an ziehen die beiden Gestalten des Begleiters und Schalksnarren, Rashids „des Schönen“, und des witzig-weisen Dragomans (Übersetzers) Suleyman die Aufmerksamkeit auf sich, durch deren Bemerkungen, Geschichten und Gespräche der junge, der Schule kaum entwachsene Autor die Bewohner und Sitten des Landes mit anderen Augen kennenzulernen beginnt. Alleine die aberwitzigen Plots der ersten Kapitel lohnen den Kauf des Buches… Was uns der Autor über osmanische Herrschaftstechnik, das verzwickte Bodenrecht, das Verhältnis von Mann und Frau und über das Mit- und Nebeneinander der Religions- und Volksgruppen dieser mosaikhaften Region wissen lässt, könnte ausreichen, um sich wie Voltaires Candide vom Gedanken einer universalen Humanität zu verabschieden und fortan nur noch um seinen eigenen Garten zu kümmern, wäre da nicht der menschliche Humor, die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit, die die Brücke schlägt zwischen dieser archaischen Welt und der Moderne, die mit Riesenschritten herannaht.
Während die Einheimischen über die Jahre zu – wenn auch schrulligen – Freunden unseres Autors werden, gewinnt dieser während der Reise zunehmend Abstand von seinen britischen Landsleuten, allen voran von den als eifernd und misstrauisch geschilderten Missionaren jener Zeit. Was Wunder, dass der Autor 1917 zum Islam konvertierte und 1930 sogar die bis heute maßgebliche Übertragung des Korans ins Englische bewerkstelligte? Sein Einsatz für einen aufgeklärten Islam führte ihn und seine Frau in den 1920er Jahren nach Indien, wo er anderthalb Jahrzehnte lang eine Zeitung redigierte, den Nawab des muslimischen Fürstenstaats Hyderabad beriet, Unterricht erteilte und sich vehement für den aufstrebenden Gandhi einsetzte, der damals ein Bündnis mit den Muslimen suchte. Mit zahlreichen Romanen, Essays und Erzählungen literarisch überaus fruchtbar und qualitativ von gleichem Rang wie seine Zeitgenossen Ezra Pound, Katherine Mansfield oder George Bernard Shaw, verstarb der „Vermittler zwischen den Welten“ 1936 in seiner englischen Heimat – das überaus sympathische Exemplar eines britischen eccentric.
Es ist dem Steidl-Verlag zu danken, dieses „schönste Buch“ Pickthalls (so der Herausgeber) dem deutschen Publikum, noch dazu in einer flüssig zu lesenden, gelungenen Übersetzung, nahegebracht zu haben. Ein geschmackvoller Einband, eine lesefreundliche Gestaltung und eine gute Haptik machen die Lektüre zum Genuss – mit der einzigen Gefahr, dass man das Buch auf einen Sitz ganz durchliest… Ein Nachwort noch: die gewitzten Protagonisten des Buches, Rashid und Suleyman, traf Pickthall – inzwischen verheiratet – in späteren Jahren noch einmal: den weisen Suleyman als inzwischen halbblinden Alten in Jerusalem, den pfiffigen Rashid als Polizisten (ausgerechnet!) im Dienst der Kanalbehörde von Port Said. (tk)
Dr. Thomas Kohl (tk) war bis 2016 im Universitäts- und Fachbuchhandel tätig und bereist Südasien seit vielen Jahren regelmäßig.
thkohl@t-online.de