Die Ihnen nun vorliegende Ausgabe des fachbuchjournals war Ulrike besonders wichtig. Schon im Sommer suchte sie Bücher für das von ihr auch bei größter Sommerhitze so bezeichnete „Weihnachtsheft“. Es wurden immer mehr, am Ende sehr viele. Scherzend versicherte sie mir, dass sie sich bei jedem Buch ja kurzfassen könne (diese Kunst beherrschte sie tatsächlich), aber sie halt möglichst viele empfehlen wolle. Ihr Arbeitstitel: „Geschenkideen nicht nur für Buchbegeisterte“. In der letzten E-Mail, die mich knapp zwei Wochen vor ihrem Tod erreichte, bat sie um Bestellung von weiteren, sehr außergewöhnlichen Büchern: „Wenn es für das Heft dann zu viele Rezensionen werden, nehmen wir welche in das nächste Jahr.“ Ihre Begeisterung für Bücher war ansteckend. „Rezensionen machen mir wirklich Freude, und geben mir nicht selten etwas über die eigentliche Rezension hinaus.“
Vor etwas mehr als zwei Jahren kämpfte sie bereits gegen eine schwere Krebserkrankung. Auf meine Frage nach ihrem Interesse und ihrer Kraft, buchwissenschaftliche Rezensionen für das fachbuchjournal zu verfassen, antwortete sie dennoch umgehend und begeistert: „Was für eine schöne Frage: Bücher und ihre Wissenschaft sind doch das Schönste, mit dem man sich beschäftigen kann.“ Seitdem gab es kaum eine Ausgabe, in der sie nicht Bücher über Bücher, über Buchhandlungen, über Verlage und Verleger vorgestellt hat – brillante Besprechungen über sorgfältig ausgesuchte Bücher wie Ernst Fischers Opus Magnum über Verlage, Autoren und Buchhandel im Exil. Verlagsgeschichten lagen ihr ganz besonders: „Ich liebe nun einmal Verlagsgeschichten und hüte sie wie kostbare Schätze, solange es Verlage und ihre Geschichten noch gibt.“
Ebenso ansteckend und bewegend war ihre Offenheit für Menschen. Kennengelernt habe ich Ulrike vor mehr als zehn Jahren. Ihr Kommunal- und Schul-Verlag in Wiesbaden war nur wenige Straßenzüge von unserem Verlag entfernt. Und weil unserer kleinen Verlagsmannschaft damals einige Fachfragen auf den Nägeln brannten, verabredeten wir uns kurzerhand kühn mit der benachbarten Verlegerin. Wir waren uns sofort sympathisch. Sie war weder distanziert noch erstaunt, sondern sehr interessiert und strahlte über die neue Bekanntschaft. Selbstverständlich beriet sie uns kompetent und uneigennützig. Danach pflegten wir unsere Beziehung, wurden über die vielen Jahre füreinander zu vertrauensvollen Ansprechpartnerinnen und in den letzten Jahren zu Freundinnen.
Wir trafen uns in unseren Wiesbadener Verlagsräumen, bei Buchmessen, bei unseren Sommerfesten oder auch einfach mal im Garten bei mir unweit von Wiesbaden; alles leider viel zu selten. Aber es war auch nicht einfach, Ulrike zu erwischen. Sie war immer unterwegs. Unterwegs im Zug zu ihren Autoren und zu Veranstaltungen, unterwegs zwischen ihren Wohn- und Arbeitsstätten Berlin, München, Wiesbaden und Spiegelau im Bayrischen Wald. Aber erreichbar war sie trotzdem – immer! Wenn ich mir manchmal die Uhrzeiten auf ihren E-Mails betrachtete, kamen Zweifel bei mir auf, wann und ob überhaupt Ulrike jemals schlief. Die Sorgen anderer um ihre Gesundheit und ihre Belastungen empfand sie wohl als übertrieben: „Arbeit macht mir Freude!“
Nach ihrer Buchhandelsausbildung in Münster und ihrem juristischen Studium in Heidelberg und München leitete sie zunächst ein Lektorat im Kohlhammer Verlag. Im Jahr 2006 wechselte sie dann in die Verlagsgruppe C.H. Beck und war fast 15 Jahre lang als Geschäftsführerin und Verlagsleiterin des Kommunal- und Schul-Verlages in Wiesbaden tätig. „Ohne sie wäre die erfolgreiche Entwicklung des Kommunal- und Schul-Verlages in den vergangenen Jahren nicht denkbar gewesen, sie hat eine Ära geprägt“, schreibt der Verlag in seiner Trauermitteilung. Sie war stolz auf diese Leistung und trotz der schweren Erkrankung bis vor wenigen Monaten auch für ihren Verlag immer da.
Darüber hinaus engagierte sie sich ehrenamtlich in verschiedenen Positionen im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, schrieb regelmäßig Beiträge für das Archiv für die Geschichte des Buchwesens und weitere Zeitschriften. Wie fast nebenbei promovierte sie an der Mainzer Universität. Ihre Arbeit Vermittler des Rechts. Juristische Verlage von der Spätaufklärung bis in die frühe Nachkriegszeit erschien 2015 bei de Gruyter. Gewidmet hat Ulrike diese ihrem Vater Hugo Henschel, „ohne den alles nicht möglich gewesen wäre“. Aus der finalen Version der Dissertation ausgekoppelte Forschungsergebnisse bereitete sie 2018 in einem Arbeitsheft der Arbeitsgemeinschaft für juristisches Bibliotheks- und Dokumentationswesen auf: Der Richter und sein Lenker: Zur Geschichte, Systematik und Bedeutung juristischer Literatur.
In den letzten Jahren tauschten wir uns eng und vertrauensvoll aus. Hörte ich nichts von ihr, wusste ich, dass sie erneut eine schwere Zeit im Kampf gegen die Krankheit durchmachte, liebevoll und umsichtig unterstützt von ihrem Mann und engsten Vertrauten. Und dann kam irgendwann wieder eine erste, sehr ersehnte E-Mail voller Lebenswillen.
Im März 2019 besuchten wir gemeinsam die Eröffnungsfeier der Leipziger Buchmesse. Ulrike war zwar geschwächt, aber trotzdem wieder unterwegs. Tage danach schrieb sie: „Leipzig war toll und für mich ein ganz besonderes Erlebnis in diesem Jahr. In Leipzig war ich noch nicht so richtig fit. Inzwischen kommt ein Kribbeln in die Füße (physisch und psychisch) und ich finde mein ganzes Leben und was ich alles wieder kann einfach wunderbar. Wenn du mich also agil und fit sehen möchtest, sollten wir uns ganz bald wieder einmal sehen. Und ich schwöre: Die Welt hat noch nie einen schöneren Frühling gesehen als diesen, ganz sicher nicht.“
Wenn Du wüsstest, wie sehr Du mir fehlst.
Angelika Beyreuther