Recht

Strafrecht

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 5/2017
Die 3. Auflage des Münchener Kommentars zum Strafgesetzbuch ist im Werden

Kommentare, also mit Erläuterungen und kritischen Anmerkungen versehene Zusatzwerke (oder umfangreiche Ergänzungen zur Quelle selbst) zu einem Text (sei es eine Kodifikation wie etwa das StGB oder die StPO, eine Dichtung von Goethe, wie der Faust, oder ein Liederzyklus, wie die Winterreise, eine größere wissenschaftliche Abhandlung), gibt es in der Rechtswissenschaft schon seit Jahrhunderten. Ihre Zahl nimmt in den letzten Jahren zu, deren Umfang regelmäßig auch. Der aktuellen „großen“ einbändigen Kommentare zur Strafprozessordnung (StPO) ist im fachbuchjournal 2013, S. 29-36), derjenigen zum Strafgesetzbuch (StGB) im fachbuchjournal 2016, S. 20-27 gedacht. Von den mehrbändigen Kommentaren ist der Nomos Kommentar zum StGB (NK-StGB) zuletzt im fachbuchjournal 2013, S. 43-44 besprochen, während Rezensionen des Münchener Kommentars zum StGB (MüKoStGB), des Systematischen Kommentars zum StGB (SK-StGB) und des Leipziger Kommentars zum StGB (LK-StGB) bisher in Goldammer’s Archiv gewürdigt worden sind. Von den letztgenannten „Mehrbändern“ ist hier der MüKo-StGB vorzustellen. Bis Ende 2017 soll dieser Kommentar komplett, d.h. in 8 Bänden, vorliegen. Man wird sehen, ob das gelingt.

Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch. Bd. 2: §§ 38-79 b  StGB (Bandredakteur: Bernd von Heintschel-Heinegg).  Verlag C. H. Beck, 3. Aufl., München 2016. ISBN 978-3406-68552-1, XLV, 1672 Seiten, Leinen,€ 299,00 (bei Gesamtabnahme), 319,00 (bei Einzelbezug)

Zielsetzung und grundlegende Konzeption (Vorwort zur 1. Aufl., S. VIII in diesem Band) sind „unverändert beibehalten“ (Vorwort S. VII). Die Hrsg. würdigen im Vorwort die bisherige Mitarbeit des verstorbenen Richters Ullenbruch. Stand der Dinge ist Mai/Juni 2016. Seit der Vorauflage (vom 1.10.2011) ist der Gesetzgeber im Allgemeinen Teil erneut, für diesen Bereich des StGB eher selten, recht rührig gewesen (s. dazu die Änderungstabelle bei Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, LVIII-LXI, laufende Nr. 227-250). Eingearbeitet ist darüber hinaus schon das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom 8.7.2016 (§ 63 Rn. 8, 50, 135). Joecks gedenkt des Anfang März 2016 bekannt gewordenen Referentenentwurfs zu einem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung bereits vor § 73 Rn. 51-58. Im Mitarbeiterstab hat es Bewegungen gegeben.

Die Bearbeitung teilen sich in dieser Auflage fünf Richter, ein Ministerialbeamter, eine Professorin, zwei Professoren, ein Rechtsanwalt und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Fortführung der Erläuterungen zu § 44 sowie den §§ 69-69 b hat Heintschel-Heinegg übernommen (bisher: Athing), zu § 46 Stefan Maier (: Miebach), zu § 66 Drenkhahn/Morgenstern (: Ullenbruch), zu § 66 a Morgenstern (: Ullenbruch), zu § 66 b Drenkhahn (: Ullenbruch). Der Textumfang des Bandes II hat um 130 S. zugenommen. Zu den §§ 38-45 b waren die Erläuterungen nur zu aktualisieren (bei § 44 wird in der nächsten Auflage eine teilweise Neukommentierung erforderlich). Bedauerlich ist, gerade mit Blick auf das bisher sehr magere Schrifttum, dass Radtke die Dissertation von Sobota, Die Nebenfolge im System strafrechtlicher Sanktionen, 2015, übersehen hat. § 46, Kernnorm des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils, der in der 3. Aufl. mit Maier schon den dritten Kommentator erlebt (zuerst Franke, dann Miebach), hat erneut eine Erweiterung erfahren. Sie betrifft aber den jetzt in die Erläuterungen zu § 46 integrierten bisherigen Anhang, den Maier nochmals vermehrt hat. Neu ist Rn. 11 (die Forderung, das Projekt der Strafrahmenharmonisierung fortzuführen), gedacht ist der Ergänzung des § 46 II 2 in Rn. 10. Maier hat passagenweise den Text der Vorauflage neu geordnet (was mir nicht durchgehend geglückt erscheint). Sehr gelungen sind m. E., auch was den Standort betrifft, die Ausführungen zur Bestimmung des Strafrahmens und der Wahl der Strafart (Rn. 92 ff.) sowie zu „Strafrahmenwahl und Revision“ (Rn. 115 ff.). Die „Verständigung“ (§ 257 c StPO) findet auch in Maier keinen ausgesprochenen Verteidiger (Rn. 134 ff., 143 ff., 166 ff.). Erst im Anschluss hieran wendet er sich § 46 II zu (Rn. 182 ff.). Die Ausführungen zu § 46 III (jetzt Rn. 447 ff.) folgen aber nicht alsbald, sondern erst nach Erörterung des Art. 6 I 1 EMRK (Rn. 331 ff.), was nicht Jedem einleuchten wird. „Eigene Strafzumessung des Revisionsgerichts nach §

354 Abs. 1 StPO“ sah der BGH schon lange Zeit als zulässig an; daran hält auch Maier fest (Rn. 491). Dass § 354 I a StPO (eingeführt durch das sog. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004) durch das BVerfG (NStZ 2007, 598 mit kritischer Anmerkung Maier, NStZ 2008, 226; näher Gericke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 354 Rn. 26 a ff.), gerade auch die folgende Rechtsprechung des BGH betreffend, zurecht gestutzt werden musste, zeigt m.E. deutlich, dass wir hier kein Ruhmesblatt folgerichtiger Gesetzgebung und zurückhaltender Rechtsprechung vor uns hatten. Zu § 46 a neu ist Rn. 25 a (zu Geständnis und prozesstaktischen Überlegungen) und erweitert Rn. 50. (zur Nichterörterung oder fehlerhaften Ablehnung des § 46 a) Die Änderungen des § 46 b I Nr. 1, 2 sind eingearbeitet (Rn. 44 ff., 135 ff. zum jetzt erforderlichen Zusammenhang zwischen der aufgeklärten Tat und der des Angeklagten). Bei §§ 47-51 trottet die Praxis ihres „eingefahrenen“ Wegs, also nur Aktualisierungen und Ergänzungen (z. B. zu § 59 a Rn. 2). Das gilt auch für die §§ 52-55 und 56-60, ohnehin gelungene Exemplare der Kommentierungskunst. Wozu auch ändern, was schon gut ist? Anders verhält es sich im Bereich der §§ 61 ff. (die in einem „reinen“ Schuldstrafrecht Fremdkörper wären). Der Autor van Gemmeren bringt in § 63 Rn. 135-138 einen ersten Überblick über die Neufassung des §§ 63 S. 1 und des neuen S. 2, weist auf den neuen § 67 VI hin (Rn. 10), den er sodann einer ersten Betrachtung unterzieht (Rn. 122-122 d). Eine Klarstellung in § 64 S. 2 hat eine bisher auch zwischen Senaten des BGH umstrittene Frage entschieden (Rn. 13). Zu § 66 a (Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) lohnt es – zu einem Kuriosum – die Rn. 1 zu lesen. Eine große Kommentierung lassen Morgenstern und Drenkhahn dem 2013 in Kraft getretenen § 66 c, „Ausgestaltung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und des vorhergehenden Strafvollzugs“ auf 37 Seiten in 107 Randnummern (mit vielen weiteren

Änderungen eingeführt durch das Gesetz vom 5.12.2012 zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung; zum viel diskutierten Anlass Rn. 21-24). Seit der Föderalismusreform ist der Strafvollzug Ländersache. Gleichwohl muss der Bund weiterhin, so das BVerfG, die Gleichheit der Ausrichtung der Sicherungsverwahrung gewährleisten. Zu den vielen Problemen, die gerade auch zur Erfüllung des „Abstandsgebots“ (gemäß § 66 c I Nr. 2 b ist eine Unterbringung in vom Strafvollzug getrennten besonderen Gebäuden oder Abteilungen zu gewährleisten) im Verhältnis zum Strafvollzug zu bewältigen waren, Rn. 28-35; die Erläuterungen zur Norm selbst ab Rn. 36. Auf die Fülle von Änderungen, die seit der Vorauflage der praktisch bedeutsame § 67 sowie die Vorschriften zur „Reihenfolge der Vollstreckung“ (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt neben zu verbüßender Freiheitsstrafe) durch das Gesetz vom 5.12.2012 in den §§ 67 a, 67 c-e sowie 68 c und e erfahren hat, kann hier nur hingewiesen werden. Lebenszeichen im Recht der Verjährung (§§ 78 ff.) sendet lediglich § 78 b zum Ruhen der Verjährung, und hier Abs. 1 Nr. 1 (dazu Rn. 7).

 

Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch. Bd. 1: §§ 1-37 StGB (Bandredakteur: Bernd von Heintschel-Heinegg). Verlag C. H. Beck, 3. Aufl., München 2017. ISBN 978-3-40668551-4, XLIV, 1857 Seiten, Leinen, € 299,00 (bei Gesamtabnahme), € 319,00 (bei Einzelbezug)

Bd. 1 ist 2017 erschienen. Das Vorwort, in dem Miebach, der Bandredakteur und der Verlag den während der Korrekturarbeiten verstorbenen Wolfgang Joecks würdigen, stammt vom Oktober 2016, der Stand der Kommentierungen ist mit August 2016 angegeben. Etliche „Intensiv-Nutzer“ werden mit Freude registrieren, dass Bd. 1, im Gegensatz zu Bd. 2, das Lesebändchen wieder enthält. Gegenüber der Vorauflage von 2011 (dazu die Rezension in Goltdammer‘s Archiv 2012, 45-48) zeigt sich, dass der Textteil um 121 S. gewachsen und das jetzt von Helene Hechtl betreute Sachregister um 13 S. vermehrt ist; Letzteres ist freilich i. W. der die Lesbarkeit erhöhenden vergrößerten Schrift zu verdanken. Verabschiedet wurde Rolf Dietrich Herzberg, dessen Kommentierung schon in der Vorauflage Hoffmann-Holland übernommen hatte. Es betreuen jetzt ein Richter und elf Professoren diesen Band. In der etwas ausgebauten Passage zur „verfassungsorientierten Auslegung“ hat der Autor neu eine Passage zur „verfassungsorientierten Auslegung“ eingefügt (Rn. 26-30) und die „Historische Entwicklung“ des StGB weitergeführt (Rn. 82-106, 105 f.). Neu ist Rn. 131, in der Joecks „bei der Auslegung strafrechtlicher Normen“ den EuGH ins Spiel bringt, „wenn Richtlinien für deren Reichweite Vorgaben machen“… Zu § 1 hat Schmitz das Schrifttum stark ausgebaut und Manches neu eingearbeitet; so in Rn. 15, dass (strafrechtlich bedeutsame) Rechtfertigungsgründe in der ganzen Rechtsordnung zu finden sind, dass es auch ungeschriebene gibt ([mutmaßliche] Einwilligung), und dass die „fundamentale, freiheitssichernde Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips“ (Rn. 8) sämtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit erfasst (was ja für Regelungen

im Allgemeinen Teil lange bezweifelt wurde). Zur Frage, was bei ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen und der Abwägungsformel iS des § 34 gilt, Rn. 15. In Rn. 20 befasst er sich mit Problemen, die im Zusammenhang mit dem 2011 eingeführten § 398 a AO, der bereits Ende 2014 „verschärft“ worden war, entstanden waren; in Rn. 49 widmet er sich dem „großzügigen“ Maßstab, den insbesondere das BVerfG bei sog. unbestimmten Tatbestandsmerkmalen anlegt; es unterwirft die Fachgerichte einem „Präzisierungsgebot“ (dazu Rn. 52-54), was dem Autor ersichtlich nicht gefällt (freilich liegt das auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 103 II GG; mögen muss man das tatsächlich nicht, denn hierdurch wird eine Pflicht des Gesetzgebers eindeutig „verwässert“ und der Rechtsprechung des BGH gesetzgebergleiche Kraft zugewiesen; knapp hierzu Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil 1, 40. Aufl. 2016, Rn. 507 am Beispiel BVerfGE 93, 266, 290 zur Frage der Gesetzesbestimmtheit des § 185 (Beleidigung). Die Norm lautet: „Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Alles klar? Gewiss nicht. – In Rn. 74 ff. problematisiert Schmitz (m.E. zu Recht) die Frage, was mit dem „möglichen Wortsinn“ gemeint sein kann, und in Rn. 94 mit der, was zu tun ist, wenn eine „verfassungsorientierte“ Auslegung mehrere Deutungen zulässt. Ergänzungen des bisherigen Textes finden sich etwa in Rn. 16 (= 14 a. F.; einige Umstellungen führten zu einer weitgehenden Neunummerierung der Rn.), Rn. 25, meint Schmitz zu seiner abweichenden bisherigen Ansicht, die Normen des Völkerstrafrechts könnten mittlerweile „wohl als allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts iSd Art. 25 GG angesehen werden“. Große Folgen sieht er damit nicht verbunden; s. ferner Rn. 43, 45, 82 (zu mit der Ermittlung des Wortsinns verbundenen Schwierigkeiten), 85 und 97 (Regelungen des Gemeinschaftsrechts könnten, im Rahmen des GG, unter Umständen zu einer strafbarkeitserweiternden Auslegung führen). Der Autor seziert minutiös Rechtsprechung sowie Literatur und zeigt, was es bedeuten würde, hielte man den Bestimmtheitsgrundsatz nicht nur an Sonntagen hoch, sondern auch im Alltag. – Im Anhang zu § 1 zeichnet er zunächst die Arten und Voraussetzungen der so genannten Wahlfeststellung nach, die der BGH unter Beifall eines großen Teils der Lehre glaubt, auch ohne gesetzliche Regelung praktizieren zu dürfen, was „so“ selbstverständlich bei gesetzesersetzender/-vertretender „Auslegung“ durchaus nicht ist (zur Historie der Entwicklung Rn. 2 ff.). Der 2. Strafsenat des BGH hatte im Weg einer Vorlage (§ 132 III GVG) vom Großen Senat wissen wollen, wie es denn mit der „echten“ Wahlfeststellung stehe, seine Vorlage aber später zurückgenommen, 2017 wieder aufgegriffen und, wie man hört, im Ergebnis keinen Erfolg gehabt (der ablehnende Beschluss des Großen Senats wird wohl in diesen Tagen publiziert). § 2 I bestimmt (im Anschluss an § 1, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde), dass sich die Strafe und ihre Nebenfolgen nach dem Gesetz bestimmen, dass bei Beendigung der Tat gilt. „Wird das Gesetz, das bei

Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden“, § 2 III (zur normtheoretischen Einordnung Schmitz § 2 Rn. 2 ff.). Dass dieses nach § 2 III geltende „Meistbegünstigungsprinzip“ angesichts vieler Gesetzesänderungen der Praxis immer wieder Kummer bereitet, kann auch ein Nichtjurist wohl nachvollziehen (je mehr Gesetzesänderungen in relativ kurzer Zeit, desto mehr mögliche Fehlerquellen in dieser Hinsicht). Neu aufgenommen hat der Autor Rn. 46. zur Frage der Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips bei Änderung des Verfahrensrechts, konkret § 398 a AO, wenn die Norm materiell-rechtliche Wirkung hat, eine interessante Problematik! S. ferner Rn. 64 zu Art. 49 I und 52 EU-Grundrechte Charta (= GRCh), wichtig deshalb, weil Art. 49 GRCh keinen Ausnahmevorbehalt für Zeitgesetze enthält wie § 2 IV. Erweiterungen des bisherigen Textes finden sich in Rn. 24 (Juristen sollten diese Passage zur einer Rechtsprechung des BVerfG lesen, wonach das Meistbegünstigungsprinzip nicht Teil der Aussage des Art. 103 II GG sei, was gravierende Folgen hat) sowie Rn. 62 f., 68 (zu § 2 VI) und 71 (zum Hintergrund der Einführung des § 66 c). In den Vorbemerkungen zu § 3 (Ambos) neu sind die Rn. 31 ff., 42 ff. (insbes. zur möglichen Kollision zwischen absolutem passivem Personalitätsrecht und dem Recht auf Freizügigkeit). Das an verschiedenen Stellen platzierte Schrifttum ist verschiedentlich stark vermehrt (etwa vor Rn. 1, 5, 104, verdoppelt vor Rn. 9). Ob es der verschiedentlich überbordenden Fülle an Nachweisen in den Fußnoten bedarf oder hier Vollständigkeit als Wert angesehen wird, beides m. E. nicht hilfreich, mögen Andere anders beurteilen. Zu § 5 gab es etliche Gesetzesänderungen (aufgezählt in Rn. 4). Ambos hält die Norm für zum Teil völkerrechtswidrig (Rn. 11, 12 ff.). – Für Radtke gab es zu § 11 durch den neuen Abs. 2a Kommentierungsbedarf. Neu sind Rn. 18, 104-110, erwähnenswert Erweiterungen in Rn. 54 (Zurechnung einer tatprovozierenden Verhaltensweise einer V-Person). Gewonnen hat die Lesbarkeit/Übersichtlichkeit des Textes in Rn. 56-73.

Da Freund seine durchaus imponierende Deutung das dogmatische Zentrum jedes StGB-Großkommentars nicht ändern musste und auch kaum ergänzen, begnüge ich mich i. W. mit einem Verweis auf die Besprechung in Goltdammer‘s Archiv = (GA) 2012, 45, 47 f., und zu § 13 zusätzlich von Gössel in GA 2004, 608, 610. Dass der BGH sich dem gebotenen Konzept einmal anschließen könnte, ist kaum zu vermuten, Schicksal wissenschaftlicher Arbeit heute. Hervorgehoben sei angesichts 501 Rn. das hilfreiche Stichwortverzeichnis sowie die durchgehende Ersetzung (beginnend mit Rn. 2 vor § 13) des antiquierten „Verbrechensbegriffs“ im weiteren Sinn als Oberbegriff durch den des im System des StGB seit Jahrzehnten verankerten „Straftatbegriffs“. Angemerkt sei noch, dass Freund die gesetzesalternative („echte“) Wahlfeststellung für nicht stubenrein hält (Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip, Rn. 34), wohl aber die Figuren der actio libera in causa und der ommissio libera in causa (Rn. 274 ff., 281 ff.; ebenso i.Erg., aber mit anderer Begründung Streng, § 20 Rn. 128 ff.) für akzeptabel hält. Gerade umgekehrt hat Schmitz argumentiert; er sieht bei actio und ommissio libera in causa einen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (§ 1 Rn. 16, 29), hält jedoch

die ungleichartige („echte“) Wahlfeststellung für „koscher“ zu (Anhang § 1 Rn. 23, 64). Beide sind selbstverständlich von der Richtigkeit ihres Ergebnisses und ihrer Argumente überzeugt. So ist es in Streitfällen im juristischen Bereich eben immer; was „richtig“ ist, wissen wir (selbstverständlich auch der BGH) nicht. – Klar, noch Vieles gäbe es zu sagen, wie zu anderen Partien in beiden Bänden auch, aber dazu fehlt der Raum. Hingewiesen sei aber doch noch darauf, dass Freund Etliches ergänzt hat (z.B. Rn. 3, 74, 295, 333, 422, 462 vor § 13). Auch zu § 14 blieb die Diskussion seit der Vorauflage nicht stehen. Aber Umwälzendes weiß Radtke nicht zu berichten.

Soll man nun, wie viele europäische Staaten, eine Verbandsstrafe als Ersatz für die bisherige Ordnungswidrigkeit-Lösung mit Geldbußen einführen, also Juristische Personen den Normen des StGB unterwerfen, was m. E. sachlich der schlechtere Weg wäre; deutlich weniger wirksam als die Geldbuße Lösung und mit einem eigenen Spezial-StGB für Juristische Personen (Verbände) innerhalb des StGB arbeitend, also einer sehr speziellen „anlogen“ Dogmatik. – Duttge hat zu § 15 kräftig neue Entscheidungen und Literatur registriert, substanziell aber (wiederum) nichts ändern müssen. Nämliches gilt für die Erläuterungen zu §§ 16, 17 von Joecks (neu etwa § 16 Rn. 4, 73) und die Kommentierungen von Hartung (§ 18) und Streng (§§ 19-21). Es sind nur Spezialisten näher bekannte, aber interessante Gebiete, von deren einem § 20 handelt: Von verschiedenen „Störungen“, etwa Psychosen (Rn. 31 ff.), Intelligenzschwäche (Rn. 38 ff.), dem „Borderline-Syndrom“ (Rn. 44). Auch, was unter Schuldfähigkeit zu verstehen sein soll, ist eine nicht nur dieses Land immer wieder einmal heftig bewegende Frage. Setzt Schuld Freiheit der Entscheidung zu etwas voraus (eine vollständige oder wenigstens eine relative)? Ist der Begriff in beiden Ausprägungen ein Konstrukt, eine Fiktion? (dazu Rn. 52 ff., 60 ff.). Sind – ganz anders – alle Menschen in Wahrheit determiniert? – Und dann § 21, die erheblich verminderte Schuldfähigkeit: Wieso ist in solchen Fällen die Strafrahmenmilderung nach den Regeln des §§ 49 I nicht zwingend („ist“), sondern dem rechtlich gebundenen Ermessen des Urteilers anheimgestellt? Genügt es, dass der Normgeber seinerzeit tatsächlich der Ansicht war, man könne die „erhebliche“ Minderung der Schuld durch Erschwerungsgründe ausgleichen („kompensieren“)? Liegt darin ein Verstoß gegen das Schuldprinzip? Dann wäre die Norm wohl verfassungswidrig. Hier, wie auf vielen anderen Feldern, gibt es mehr gute Fragen als gute Antworten.

Nachdem Hoffmann-Holland die §§ 22-24 schon in der Vorauflage von Herzberg übernommen und, wo es ihm erforderlich schien, die Möbel umgeräumt hatte (dazu Goltdammer’s Archiv 2012, 44, 47 f.), konnte er sich nunmehr, wie die meisten Autoren, mit Aktualisierungen „begnügen“ (viel Arbeit kann auch das sein!). Auch zu § 23 II ließe sich, wie schon zu § 21, mit durchaus gutem Grund fragen, ob nicht die Rahmenmilderung zwingend sein muss, weil doch der Regelstrafrahmen gerade zwingend voraussetzt, dass der tatbestandliche Erfolg eingetreten ist. Der „Kompensationsgedanke“ (Ausgleich des fehlenden Erfolgs durch erschwerende Umstände) überzeugt durchaus nicht Jeden. M. E. sind das typische strafrechtliche Scheinargumente, denn ob etwas straferschwerend im genannten Sinn zu Buch schlagen soll, kann ja folgerichtig auch im über die Regeln des § 49 I gemilderten Strafrahmen straferhöhend zur Geltung kommen. Allein das ist angesichts der sehr beachtlichen Weite der Strafrahmen des deutschen

Rechts eine sinnvolle Lösung (aber das Draufsatteln hat in unseren Land Tradition. Die Kämpfe um Sinn oder Unsinn des § 23 III zeigen, dass auch hier etwas nicht „stimmt“ (dazu Rn. 39 ff.). – Die Vermehrung des Textes zu § 25 indiziert nicht grundlegende neue Passagen, sondern zeigt die Fülle von – kommentierten – Entscheidungen des BGH. Hingegen blieben Novitäten zu §§ 26-31, die Joecks ebenfalls zum letzten Mal kommentiert hat, weitgehend aus. Nach Ansicht der jeweils zuständigen Kommentatoren verhält es sich auch bei den §§ 32-35 so: Aktualisierungsbedarf (aufwändig genug) Ja, zum Umschreiben von Passagen bestand jedoch kein Anlass. Kurz: Auch hier „Nichts Neues unter der Sonne“.

Univ. Prof. Dr. iur. utr. Michael Hettinger (mh). Promotion 1981, Habilitation 1987, jeweils in Heidelberg (Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte). 1991 Profes sur an der Universität Göttingen, 1992 Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht in Würzburg, von 1998 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 in Mainz. Mit herausgeber der Zeitschrift „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“.

hettinger-michael@web.de

 

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