Parigger, Manfred / Helm, Rüdiger / Stevens-Bartol, Andreas (Hrsg.), Arbeits- und Sozialstrafrecht, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2021, 1.159 S., ISBN 978-3-8487-4299-8, geb., € 168,00.
Arbeits- und Sozialstrafrecht? In der akademischen Lehre spielt es – von Ausnahmen abgesehen – weder im Arbeitsrecht noch im Sozialrecht eine wesentliche Rolle und die Strafrechtler konzentrieren sich eher auf die Straftatbestände des Strafgesetzbuchs, als sich im Nebenstrafrecht zu verlieren. Die hängt natürlich auch mit den juristischen Prüfungsordnungen zusammen, die gegenwärtig ohnehin auf die Reduzierung des Stoffes hin ausgerichtet werden. Ungeachtet dieser „sträflichen“ akademischen Vernachlässigung spielen die entsprechenden Tatbestände in der Praxis eine nicht zu unterschätzende Rolle. Allerdings dürfte es nicht verfehlt sein zu sagen, dass die wenigsten Arbeitgeber sich bewusst sein dürften, dass ihnen bei Verstoß gegen bestimmte arbeitsrechtliche Vorschriften strafrechtliche Sanktionen bis hin zu staatlich verordneter Besinnung hinter Gittern blühen können. Was das Handbuch besonders wertvoll macht, ist die Zusammenstellung der in vielen Gesetzen verstreut anzufindenden Normen. Immerhin 35 Autorinnen und Autoren aus der Praxis haben sich der Thematik angenommen, was die Breite der Fragestellungen nur unterstreicht. Vorabgestellt ist eine Einleitung sowie ein Abschnitt über Grundlagen zu Compliance (S. 47 ff.), wobei mit diesem Wort eigentlich nur Selbstverständliches und schon gar nichts Neues ausgesagt wird. Bei Lichte besehen geht es nämlich nur darum, dass sich Unternehmen und Unternehmer an das geltende Recht zu halten haben. Aber die Beratungspraxis hat die Thematik als geschäftsträchtig für sich entdeckt und so sind die Hinweise, welche das Handbuch an vielen Stellen insoweit gibt, sicherlich hilfreich. Gegliedert ist das Werk im Übrigen alphabetisch nach den behandelten gesetzlichen Bestimmungen. Aus der Vielzahl derselben seien im Folgenden einige herausgegriffen. An erster Stelle steht § 23 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG), die Ordnungswidrigkeitentatbestände werden aufgelistet (S. 70 ff.), wobei Verstöße gegen das Schwarzarbeitsgesetz eine nicht unerhebliche Rolle spielen (Rn. 10 ff.). Schwarzarbeit hat in Deutschland Konjunktur. Freilich birgt die Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Beachtung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflichten für den Arbeitgeber ein immenses Risiko. Allgemein bekannt ist, dass im schlimmsten Falle der Arbeitgeber Beiträge zur Sozialversicherung für die letzten dreißig Jahre nachzahlen muss. Schon mancher Arbeitnehmer ist so erst zu seiner Rente gekommen. Aber auch die strafrechtli-chen Risiken sind nicht zu unterschätzen. Auf die damit verbundenen Fragen wird im Kommentar bei den entsprechenden Be stimmungen jeweils ein-gegangen. Dass das Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge-und Basisrentenverträgen (AltZertG) in § 13 Bußgeldvorschriften enthält, wird nicht jeder wissen. Die durch § 370 Abgabenordnung (AO) sanktionierte Lohnsteuerhinterziehung ist da weit bekannter und in der Arbeitswelt wohl auch verbreiteter (S. 88 ff.). Verstöße gegen den Arbeitsschutz können unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen, nicht nur in Bezug auf Bußgelder nach § 25 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), § 26 ArbSchG sieht bei bestimmten Verstößen sogar Freiheitsstrafe vor (S. 101 ff., 166 ff.). Zum Arbeitsschutzrecht im engeren Sinne zählen auch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG, S. 174 ff.) sowie das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG, S. 189 ff.). Dass auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) Verstöße gegen seine Bestimmungen sanktioniert, liegt nahe (S. 198 ff.). Dass der unberechtigte Verleih von Arbeitnehmern aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt des § 10 AÜG riskant ist, sondern auch strafrechtliche Implikationen nach sich ziehen kann, wird anschaulich dargelegt. In aller Munde ist der Datenschutz. Auch nach § 42 BDSG kann man sich strafbar machen, wobei klargestellt wird, dass sich der Tatbestand nicht nur an die Normadressaten des BDSG richtet, sondern jedermann bei entsprechenden Verstößen zur Rechnung gezogen werden kann (Rn. 3). Dass auch Art. 83, 84 der Datenschutzgrundverordnung erläutert werden (S. 293 ff.), beweist, wie weit die Europäisierung schon das Strafrecht erfasst. Näher eingegangen wird auch auf die einschlägigen Tatbestände in der Betriebsverfassung, zum einen §§ 23, 119 ff. BetrVG (S. 243 ff.), zum anderen §§ 43 ff. Europäisches Betriebsräte-Gesetz (S. 315 ff.), §§ 45 f. SE-Beteiligungsgesetz (S. 571 ff.) sowie §§ 34 ff. Sprecherausschussgesetz (S. 709 ff.). Erst seit April 2019 gibt es das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), aus der ausführlichen Kommentierung zu dessen § 23 ist der synoptische Vergleich der objektiven Grundtatbestände zu §§ 17 f. UWG aF hervorzuheben (S. 351). Bußgeld- und Strafvorschriften enthält auch § 58 des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Immerhin werden in der Vorschrift mehr als dreißig verschiedene Verhaltensweisen im Hinblick auf die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen sanktioniert (S. 377 ff.). § 59 JArbSchG enthält ebenfalls eine Vielzahl von Tatbeständen (S. 400 ff.). Beim Gesetz über den Ladenschluss findet sich sinnvollerweise eine Übersicht über die einzelnen Ladenschlussregelungen der Bundesländer (S. 413 ff.). Auch die Bußgeldkataloge des § 21 Mindestlohngesetzes (S. 426 ff.) und des § 32 Mutterschutzgesetzes (S. 437 ff.) können sich in ihrer Ausdifferenzierung sehen lassen, wobei man sich nach § 33 MuSchG auch strafbar machen kann. Rd. 100 Seiten des Buches umfasst die Kommentierung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (S. 451 ff.). Erläutert werden in erster Linie Bestimmungen, welche man als „Allgemeinen Teil“ der Bußgeldvorschriften benennen kann, aber auch § 130 OWiG wird besprochen, welcher die Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen sanktioniert (S. 526 ff.). Mit den sich anschließenden Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) befindet man sich dann im Sozialstrafrecht. Vom Sozialleistungsbetrug liest man immer wieder in den Tageszeitungen, schon deshalb interessieren die besprochenen Vorschriften. Begonnen wird mit dem SGB II, dessen § 63 ahndet Verstöße gegen Anzeige-, Mitwirkungs-, Auskunfts- und Bescheinigungspflichten (S. 580 ff.). Im SGB III findet sich die entsprechende Norm in § 404 (S. 589 ff.). Bemerkenswert ist der Hinweis von StevensBartol, dass aufgrund der beschränkten personellen Ressourcen längst nicht alles verfolgt werden kann, was von Gesetzes wegen verfolgt werden sollte (Rn. 2). Ebenso wie im Arbeitsrecht kommt man auch im Sozialversicherungsrecht an einer Abgrenzung des Beschäftigten vom Selbständigen nicht vorbei, deshalb wird dieser Frage in der Kommentierung zu § 7 SGV IV ausführlich Beachtung geschenkt (S. 602 ff.). Natürlich darf die Bußgeldvorschrift des § 111 SGB IV ebenfalls nicht fehlen (S. 655 ff.). In der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände in §§ 307 ff., 320 SGB VI geregelt (S. 672 ff.). Die gesetzliche Unfallversicherung mit den §§ 209 ff. SGB VII (S. 681 ff.), die Kinder- und Jugendhilfe mit den §§104 f. SGB VIII, das den Menschen mit Behinderungen gewidmete SGB IX mit den §§ 237 a ff. (S. 692 ff.) und der durch §§ 85 f. SGB X geschützte Sozialdatenschutz (S. 700 ff.) schließen sich an, bevor dann das Sozialstrafrecht mit den Bußgeldvorschriften des § 121 SGB XI betreffend die Soziale Pflegeversicherung sowie des § 117 SGB XII im Hinblick auf Falschauskünfte bei der Sozialhilfe komplettiert wird (S. 706 ff.).
Auf den ersten Blick überraschend mag es wirken, wenn auf den folgenden rd. 300 Seiten das Strafgesetzbuch sowie die Strafprozessordnung umfassend Berücksichtigung finden. Indes ist die Aufnahme derjenigen Vorschriften, welche im Arbeitsleben und beim Bezug von Sozialleistungen Beachtung verdienen, äußerst sinnvoll. Dies gilt im Strafgesetzbuch für den Allgemeinen und den Besonderen Teil, was schon ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch deutlich macht. So finden sich etwa in der Kommentierung von Kuhn beim Unterlassungsdelikt im Sinne des § 13 StGB Ausführungen zur Garantenstellung von Arbeitnehmern in bestimmten Berufen (Rn. 11) und zu den Schutzpflichten des Arbeitgebers (Rn. 29). Viele Fragen wirft auch die Mittäterschaft im Arbeitsleben auf (§ 25 StGB Rn. 25). Im Besonderen Teil kann sich die Frage stellen, ob in einer Zuweisung „erniedrigender“ Tätigkeiten eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB liegt (Rn. 25), freilich sind hier der Fantasie in Bezug auf mögliche Strafbarkeiten ohnedies keine Grenzen gesetzt. Dass das Ausspähen von Daten nach § 202 a StGB Fragen im Arbeitsverhältnis aufwerfen kann, liegt auch auf der Hand. Notwendig, wenn auch traurig ist, dass im Rahmen des Kommentars auf Delikte wie den Menschenhandel gem. § 232 StGB eingegangen werden muss. Aber der Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft ist ein Problem und zwar auch in Deutschland, wie die Behandlung der Beschäftigten in den Haushalten der Botschaftsangehörigen bestimmter Staaten beweist (vgl. etwa BAG NZA 2013, 343). Baumann schildert hier anschaulich die auftretenden Fragestellungen. Dass Nötigung (§ 240 StGB) und Betrug (§ 263 StGB) eine Darstellung erfahren müssen, liegt demgegenüber auf der Hand. Dass Sozialleistungen erschlichen werden können, ersieht man aus den Darlegungen von Hillegeist (Rn. 30 ff.). Aber auch die numerisch folgenden Paragrafen 266, 266 a und 291 spielen im Arbeitsleben eine Rolle (S. 961 ff.). Eingehend erläutert wird auch § 299 StGB (S. 1009 ff.), Bestechlichkeit und Bestechung sind mancherorts ja nicht unüblich. Demgemäß verdienen auch die §§ 331 ff. StGB Beachtung (S. 1024 ff.). In der Strafprozessordnung bespricht dann Stegbauer die §§ 136 f., 153 a und 262 (S. 1048 ff.).
Abgeschlossen wird die Kommentierung mit den Bußgeldvorschriften im Unterhaltssicherungsgesetz, im Wohngeldgesetz, und im Wertpapierhandelsgesetz, wobei sich Kotschy in letzterem Regelwerk ausführlich § 120 widmet (S. 1074 ff.). Dass das Werk ein ausführliches Stichwortverzeichnis aufweist, sei noch erwähnt.
Die Vielzahl der von den Autoren aufgegriffenen Vorschriften ist beeindruckend. Auch eher entlegene Tatbestände werden behandelt, ersichtlich soll die Beratungspraxis bei keiner Frage allein gelassen werden. Das Buch kann aber auch guten Gewissens Arbeitgebern empfohlen werden. Ein Blick in den Kommentar dürfte manchem in nicht wenigen Fällen Ärger mit Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden ersparen. (cwh)
Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.
cwh@uni-mainz.de