Recht

Rechtsgeschichte

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2021

Jan Schröder: Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit. 2 Bände, München C.H. Beck, 2020, 3. Auflage. Band 1: 1500-1933. 511 S., ISBN 978-3-40673868-5; Band 2: 1933-1990. 347 S., ISBN 978-3-406-76088-4. € 149,00.


Schröders Buch widmet sich der Geschichte der juristischen Methodenlehre, also der Theorie davon, wie Recht zu gewinnen und zu gründen ist. Schon die erste Auflage des Werkes stellt ein Grundlagenwerk der Methodengeschichte dar. Die nun vorgelegte dritte Auflage vereinigt Schröders Bände zur Geschichte der juristischen Methodenlehre von der frühen Neuzeit bis ins Jahr 1933 und die 2016 erschienene Fortsetzung zu Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR, die unter dem Separat-Titel „Rechtswissenschaft in Diktaturen“ erschienen und breit rezipiert worden ist. Diese Studien hat Schröder im zweiten Teilband um einen ausführlichen Teil zur Methodendiskussion in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990 ergänzt und damit das Gesamtwerk stimmig zur Vollendung gebracht. Leitend ist für Schröder die schon im Titel erkennbare Grundauffassung, dass sich Methodenfragen nicht ohne Bezug darauf beantworten lassen, auf welchen Gegenstand sie angewendet werden. Die Antwort auf die Frage, wie Recht zu gewinnen und zu begründen ist, ist nicht zu lösen vom Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung, also von der Antwort auf die Frage, was Recht ist. Herausgekommen ist eine fulminante Wissenschaftsgeschichte, die in der dialektischen Zuordnung des Wandels des Rechtsbegriffs und der Methodik der Rechtsgewinnung die historische Tiefendimension der ­Wissenschaftsdisziplin verlässlich ausleuchtet. Von Spätscholastik und Huma­nis­ mus, über die historische ­Schu­le bis hin zum Rechtspositivismus und den wilden 1920er Jahren mit ihrer Freirechtsbewegung reicht das Panorama. Die Abgründe der Rechtswissenschaft im Nationalsozialismus und in der DDR – u­n­ begrenzte Auslegung und sozialistische Gesetzlichkeit – werden so aufgearbeitet, dass ihre erstaunlichen Ähnlichkeiten offensichtlich sind. Mit dem neuen, brillanten Teil zur Methodenlehre des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaats erweist sich das Werk nicht nur als rechtsgeschichtliches Standardwerk, sondern findet Anschluss an die aktuellen Rechtsquellen- und Methodendiskurse. Die Neuauflage ist in jeder Hinsicht Vollendung eines Grundlagenwerkes. Wer Rechtswissenschaft verstehen will, sollte es lesen.

Karl-Peter Sommermann, Bert Schaffarzik (Hrsg.): Handbuch der Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Europa. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2018. 2480 S., geb., ISBN 978-3-642-41234-9. € 349,99.

Das 19. Jahrhundert ist dasjenige der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Verfassungsordnung. Es ist die Hochzeit sich ausprägender Rechtsstaatlichkeit, die auch mit der wachsenden Autonomie der gerichtlichen Kontrolle verfassungsgebundener Gewalt notwendig verbunden ist. Die Ausdifferenzierung einer der Kameraljustiz als der Verwaltungsfunktion entwachsener und institutionell unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist eine wesentliche Errungenschaft moderner Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit. Diese wird aber im Rechtsvergleich auf ganz unterschiedliche Weise und in ganz unterschiedlichem Maße errungen. Das Handbuch zeichnet vor diesem Hintergrund die Entwicklung des gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart vor dem jeweiligen politischen, sozialen und rechtskulturellen Hintergrund nach, deutet sie und ordnet sie im europäischen Vergleich ein. Zugleich werden den Lesern die maßgeblichen Primärquellen zugänglich gemacht. Dazu wird die historische Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Europa in Länderberichten nachgezeichnet. Querschnittsanalysen sowie Beiträge zum Rechtsschutz auf europäischer und internationaler Ebene eröffnen eine übergreifende Perspektive. Erstmals analysiert das Handbuch dabei systematisch alle in Deutschland eingeführten Systeme der Verwaltungsgerichtsbarkeit, von Baden (1864) bis Bremen (1924). Vorangestellt sind Beiträge zu den Formen der Verwaltungskontrolle auf Reichsebene einschließlich ihrer Ursprünge sowie die Vorgeschichte in den Ländern. Auch die Besatzungszeit und die Zusammenführung der verschiedenen Traditionen in der Verwaltungsgerichtsordnung werden einschließlich der nachfolgenden Reformetappen ausführlich behandelt. Die Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes in anderen europäischen Staaten wird bis hin zur Gegenwart ebenfalls in Einzeldarstellungen präsentiert und durch Vergleichsund Querschnittsanalysen eingeordnet. Über den Titel des Handbuchs hinaus wird der Blick auf ausgewählte, mit Europa in engem Rezeptionszusammenhang stehende Systeme des Verwaltungsrechtsschutzes erweitert. Der praktische Nutzen des Handbuchs wird dadurch erhöht, dass Originalquellen über die Errichtung, die Zuständigkeiten und das Verfahren der Verwaltungsgerichte abgedruckt sind. Das Werk schließt eine erstaunliche Forschungslücke und ist ein Meilenstein vergleichender Forschung zur Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit. (md)

 

Prof. Dr. Michael Hettinger

Martin Würfel, Das Reichsjustizprüfungsamt. (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts; Bd. 104) Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, 2019. XIV, 228 S., kart., ISBN 978-3-16-159443-4 , € 79,00.

Das Buch besteht aus Vorwort und Inhaltsverzeichnis (S. VII, IX-XIV), dem Text (S. 1-186), 3 Anhängen I. „Geschichtliche Aufgaben“ in der Großen Staatsprüfung von 1935-1942 (S. 187-209); II. Statistiken zur Notenverteilung (S. 210) und III. Lösung der Klausur vom 27. Juli 1936 – Zulässigkeit der Verhängung von Schutzhaft durch die Geheime Staatspolizei (S. 211-213), dem Quellen-und Literaturverzeichnis (S. 217-225) und einem Sachverzeichnis (S. 227-228). – Die Arbeit umfasst sieben Teile: A. Einleitung (S. 1-5); B. Der Weg zum Reichsjustizprüfungsamt (S. 6-33); C. Gesetzliche Grundlagen (34-68); D. Die Referendare und ihrer Ausbildung (S. 99-124); F. Prüfungspraxis (S. 125-181); G. Gesamtergebnis (S. 182 – 186). In Teil A. I. Aufriss; II. Forschungsgegenstand; III. Forschungsziel weist der Verfasser darauf hin, dass Juristenausbildung eine Ausbildung durch und für den Staat ist und „damit zugleich Ausfluss und Reproduktion des jeweils herrschenden Rechts“. … Der „sich selbst als neu definierende nationalsozialistische Staat“ machte daher auch vor der Juristenausbildung nicht Halt, „um das Rechtsverständnis seiner zukünftigen ‚Rechtswahrer‘ zu prägen und zu überprüfen“. Er errichtete eine Zentralbehörde, das „Reichsjustizprüfungsamt“, „das ab 1934 für die Gestaltung bzw. Abnahme der juristischen Staatsexamenina im gesamten deutschen Reich zuständig war“ (S. 1). Die den Autor im Folgenden interessierenden Fragen lauten: „… wie ging diese Zentralisierung genau vonstatten? Wer waren die maßgeblichen Akteure neben dem Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamtes Otto Palandt? Inwiefern unterschieden sich die Staatsprüfungen im Dritten Reich von heutigen Staatsprüfungen? Und wie „nationalsozialistisch“ waren die Prüfungen? Zur damaligen Juristenausbildung, „der Wurzel des für jede moderne Staatsverwaltung unverzichtbaren Juristenstandes“ (S. 2), ist bisher wenig geschrieben worden. Nach einem kurzen Blick auf die, sehr milde formuliert, Schönfärberei in selbstbegünstigender „Verdeckungsabsicht“ in der Nachkriegszeit und neuere Arbeiten zur Richtigstellung (S. 2f.) formuliert Verf. seine Forschungsziele, den „blinden Fleck“ ausgerechnet „an der Spitze des gesamten juristischen Prüfungswesens“: das Reichsjustizprüfungsamt (RJPA), aufzuhellen, „Entstehungsgeschichte, Binnenleben und Wirkungsweise“ des RJPA zu analysieren“ (S. 4). Der sodann beschrittene „Forschungsweg“ ist in den Teilen B.-F. beschrieben (zusammenfassend S. 5). In Teil B. zeigt Verf. den Weg zum RJ PA, nämlich über die Verreichlichung der bisherigen Landesjustizverwaltungen (S. 6 f.) und der daraus bis zu diesem Akt folgenden partikularen Zersplitterung der Juristenausbildung. Dass nämlich partikulare Regelungen zu Ungleichheiten führten, liegt auf der Hand, wird auch heute wieder diskutiert.

Zunächst aber zeigt Verf. minutiös die unterschiedlichen Entwicklungen von 1877–1934 auf (S. 8 ff.). Erwähnt sei aus der Fülle des Berichtenswerten nur „Der Repetitor“ (S. 28 ff.), „eine preußische Besonderheit“, wie der Autor anmerkt, die „schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ und auch heute noch existiert (S. 28). Was hier zu lesen ist, kommt den heutigen Juristen, wie manch‘ Anderes, ungemein aktuell vor, nur dass es heute in den Universitätsstädten nicht nur einen Repetitor, sondern einen regelrechten Markt gibt, das „Repetitorwesen“ also floriert. Nach einem kurzen Blick auf die Vorgängerbehörde: das Preußische Justizlandesprüfungsamt (S. 31 ff.), wendet Würfel sich unter C. den neuen gesetzlichen Grundlagen der Juristenausbildungsordnung vom 22.7.1934 (JAO, S. 34-63) und der vom 4.1.1939 (S. 63-68) zu. Bei ersterer stand in der Präambel, wenig überraschend, als Ausbildungsziel die „innere Formung“ im Mittelpunkt: „Die Heranziehung eines in seinem Fach gründlich vorgebildeten, charakterlich untadelhaften Dieners des Rechts, der im Volk und mit ihm lebt und ihm bei der rechtlichen Gestaltung seines Lebens ein unbestechlicher und zielsicherer Helfer und Führer sein will und kann“ (S. 34 f.). Wie immer ist die Frage eben, mit welchem Inhalt man solche Begriffe füllt. Deutlicher formuliert dann Roland Freisler in einem Geleitwort zum Kommentar der JAO: „Der Nationalsozialismus kann bei seiner organischen und daher klaren und eindeutigen Betrachtungsweise des völkischen Lebens auch der inneren Einstellung seiner Juristen nicht neutral gegenüberstehen. In der Erkenntnis, dass jede noch so kluge und geschickte Handhabung des Rechts ohne positive Einstellung zu Volk und Volkstum nicht den Weg zum Herzen des Volkes findet und das in dem Volke lebende Rechtsbewußtsein verkümmern läßt, muß der nationalsozialistische Staat bei der Heranbildung seines juristischen Nachwuchses in besonderem Maße Gewicht auf die innere Formung der künftigen Rechtsträger legen“ (S. 35).

Zu dieser Thematik hatte Hitler am 29.3.1942 in der Wolfsschanze, in Stichworten von Henry Picker (Hitlers Tischgespräche, 1989, S. 158) aufgezeichnet, Folgendes gemeint: „Kein vernünftiger Mensch verstehe… die Rechtslehren, die die Juristen sich – nicht zuletzt aufgrund des Einflusses von Juden – zurechtgedacht hätten. Letzten Endes sei die ganze heutige Rechtslehre nichts anderes als eine einzige große Systematik der Abwälzung der Verantwortung. Er werde deshalb alles tun, um das Rechtsstudium, das heißt das Studium dieser Rechtsauffassungen, so verächtlich zu machen wie nur irgend möglich. Denn durch dieses Studium würden keine Menschen herangebildet, die fürs Leben paßten und geeignet seien, dem Staat die Aufrechterhaltung seiner natürlichen Rechtsordnung zu garantieren. Dieses Studium sei eine einzige Erziehung zur Verantwortungslosigkeit.“

Verf. stellt sodann das Studium nach der JAO vor: Studieninhalt, Form (Mindest-und Höchstdauer) sowie Leistungsnachweise und Zusatzqualifikationen als Zulassungsvoraussetzung zur Ersten Staatsprüfung, ferner den Nachweis, „daß der Bewerber mit Volksgenossen aller Stände und Berufe in enger Gemeinschaft gelebt, die körperliche Arbeit kennen und achten gelernt, Selbstzucht und Einordnung geübt und sich körperlich gestählt hat, wie es einem jungen deutschen Manne zukommt“ (§ 2 1 JAO; siehe auch § 4 II JAO, zitiert S.38). Praktisch hieß das, Arbeitsdienst und Ähnliches sollte man auch für die Studienzeit nachweisen. Juristen sollten auf diese Weise „geerdet“ werden. Erwünscht war die Mitgliedschaft in SA oder SS (Näheres noch S. 40). Verf. stellt nun die Staatsprüfungen und den Vorbereitungsdienst vor: Die Prüfungsämter, die Erste Staatsprüfung, Vorbereitungsdienst und Große Staatsprüfung (S. 42-51). Die Erste bestand aus einer Hausarbeit und fünf Aufsichtsarbeiten. Entscheidend („Stellschraube“) sollte freilich die mündliche Prüfung sein, wobei die endgültige Bewertung dem Vorsitzenden des Ausschusses allein (Führerprinzip, §§ 16, 17 I JAO) oblag. Hier liegt Willkür nahe, denn „jede Prüfungsmathematik“ hatte zu unterbleiben, jeder Prüfling war „unter Berücksichtigung seiner Eigenart zu beurteilen“ (S. 45). – Ziel des Vorbereitungsdienstes war dann „erstens, Volksverständlichkeit bzw. völkische Verbundenheit des Rechts als Gegenpol zur abstrakten Formalität des Gesetzesrechts als ‚Geheimwissenschaft‘, zweitens, Ausstoßung bzw. Vernichtung von Staatsfeinden und, drittens, die Überhöhung des Arbeitsfriedens zum Selbstzweck (vgl. dazu § 26 JAO, S.47). Als der – beantragten – Zulassung zum Vorbereitungsdienst nicht würdig galt, wer den nationalsozialistischen Staat ablehnte (so die amtliche Kommentierung durch Otto Palandt, Die JAO des Reiches, § 25 Anm. 3, S. 47. Zum „Vorgespräch“ vor beiden mündlichen Prüfungen mit einer Würdigung des Autors siehe S. 55). Der Diensteid lautete entsprechend dem der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe“ (S. 47). Verf. würdigt die JAO, gemessen an dem, was in der Zeitschrift „Jugend und Recht“ vorgeschlagen wurde, als „verhalten, um nicht zu sagen, rückständig“ (S. 51 ff. mit weiteren Bewertungen; ferner S. 182). Das Prüfungsverfahren beurteilt er als „ein auch nach heutigem Verständnis“ faires, was allerdings den „zwangsläufig autoritären Charakter der mündlichen Prüfung keinesfalls eliminiert“ (S. 56; siehe auch S. 184). – Der „Anschluss Österreichs“ 1938 war der Anlass zur Überarbeitung der JAO (S. 63), nicht aber der Grund; der bestand in Anregungen aus den Erfahrungen der Justizverwaltung. Die erst 1934 eingeführte obligatorische Verwaltungsstation wurde nun fakultativ (nur auf Antrag des Referendars, § 37 III JAO 1939, S. 64). Aus der fachlich-prüfungsvorbereitenden Arbeitsgemeinschaft wurde endgültig eine weltanschaulichschulende Veranstaltung, § 47 JAO 1939 (näher S. 65 ff.). Unter D. schildert Würfel u a. die Übernahme der preußischen Behörde, die Befugnisse des Präsidenten, die Leitung des gesamten Prüfungswesens (S. 78 f.) sowie Otto Palandt (S. 79 ff.) und Heinrich Richter (S. 95 f.). Warum gerade Palandt (1877–1951) 1934 Präsident des Amtes wurde, ist, so Verf., bis heute nicht o. W. nachvollziehbar (S. 79), was auch dessen mäßige „Karriere“ bis 1933 zeigt (S. 80). Der „glühende Nationalsozialist“ Hanns Kerrl, am 21.4.1933 zum preußischen Justizminister ernannt, hatte eine „personalpolitische Säuberungsaktion gestartet, der „zahlreiche Ministerialbeamte zum Opfer (fielen), die er entweder aus politischen oder rassischen Gründen für unhaltbar hielt“. Palandt, seit 1.5.1933 Mitglied der NSDAP, wurde, schon 56-jährig, am 1.6.1933 Vizepräsident des Amtes, am 1.12.1933 dessen Präsident (S. 80 ff.). Zu seinem „unverhofften Ruhm“, bis heute als Herausgeber des nach wie vor „maßgeblichen Kurzkommentars“ zum BGB zu gelten, S. 85 ff.; zu seinem Karriereende am 31.1.1943 und der Folgezeit S. 87 ff., zum Versuch einer Würdigung seiner Person S. 89 ff. (Dass Palandt Zeit seines Lebens ein Verfechter des römischen Rechts gewesen sei [so S. 93], ergibt sich aus seinem zuvor abgedruckten Brief an von Leers (S. 91 f.) durchaus nicht). – Unter E. wirft Verf. einen ausführlichen Blick auf die „Gemeinschaftsleiter“ als „das beständigste Element im gesamten Vorbereitungsdienst“ der Referendare (S. 99 ff., 101) sowie auf „Weltanschauliches Lernen“ in den Arbeitsgemeinschaften (S. 104 ff.), die „Fachliche Schulung“ und „Gemeinsames Erleben“ (S. 106 ff.); Stellungnahme Würfels hierzu S. 112 f. Nach wenigen Sätzen zu den Referendaren (S. 115) wendet er sich dem Kampf gegen Repetitorien (S. 118 f.), insbesondere „jüdische“ Repetitoren“ zu (S. 122). Was Gustav Radbruch als Justizminister zum 11.7.1922 gesetzlich veranlasst hatte, die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege, versuchte man, ohne gesetzliche Änderung, zu unterlaufen (S. 122 ff.). – F. ist der Prüfungspraxis gewidmet wobei für die Erste Staatsprüfung die Justizprüfungsämter bei den Oberlandesgerichten weiterhin zuständig blieben. Dort wurden auch die Kommissionen für die mündliche Prüfung und u.U. die Materien und die Art und Weise der Prüfung bestimmt (S. 126; Näheres, auch zu Ränkespielen, Säuberungen und Denunziationen S. 127 ff.). Zum schriftlichen Teil der beiden Examina sollten praktische und somit der aktuellen, tatsächlichen Rechtslage entsprechende Aufgaben zur Auswahl gestellt werden, wofür der Präsident des RJPA zuständig war (S. 142). 16 vollständige Prüfungskampagne mit je fünf Klausuren (vom 8.1943-2.1945) finden sich im Bundesarchiv; ferner eine Hausarbeit aus dem öffentlichen Recht als Beispiel (S. 156 ff.) Zur Großen Staatsprüfung fanden sich im Bundesarchiv 15 Klausuren aus den Jahren 1944/45 (zu den Inhalten S. 158 f.). Zum mündlichen Teil der Großen Staatsprüfung hat Verf. 376 Prüfungsprotokolle aus den Jahren 1940–1945 einsehen können. Palandt sah offenbar Klärungsbedarf hinsichtlich der Prüfungsgegenstände, weil die Einführung der volkskundlichen Prüfung die Folge hatte, dass nur selten genuin juristische Fragen zum öffentlichen Recht gestellt worden (meist nur zu allgemein volkskundlichen Fragen und zu neueren Gesetzen der NSRegierung (S. 160). Die 376 Protokolle sind inhaltlich nur teilweise aussagekräftig, meist sind nur Stichworte vermerkt oder gar nur „bürgerliches Recht“. Insgesamt lässt sich in diesem Bereich der Ablauf der Prüfungen nicht rekonstruieren (S. 162). – Wie das Fach Allgemeine völkische Bildung in den beiden Staatsprüfung behandelt werden sollte, war nicht geregelt. In jedem Termin gab es drei Aufgaben zur Auswahl (S. 164) mit insgesamt neun Beispielen für drei Termine, die Palandt auf viele Anfragen hin als Beispiele in einem Rundschreiben verbreiten ließ (dazu Anhang I mit den Aufgaben in der Großen Staatsprüfung von 1935–1942, S. 187-209). Die Themen bekommen ihre Färbung erst durch Einbeziehung des nationalsozialistischen Weltbilds, das (wohl) die Grundlage des jeweiligen Deutungsversuchs bilden sollte. Die Erwartung ergibt sich aus diesem Weltbild, das Verf. sodann, eine m.E. zentrale Passage der Arbeit, vorstellt und analysiert (S. 165 ff.). Bemerkenswert sind insoweit die „Präferenzen der Prüflinge“ (S.170 f.): „…von Beginn an vorzugsweise nationalsozialistisch (zumindest eindeutig national) besetzte Themen oder solche mit aktuellem Bezug. So entschied sich stets die eindeutige Mehrheit für den nationalsozialistischen Antisemitismus betreffende Fragen, sofern eine solche Aufgabe zur Wahl gestellt wurde“ (zu überprüfen im Anhang I, S. 187 ff.). Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Fragen, die unmittelbar das Dritte Reich, dessen Institutionen und geistige Grundlagen zum Gegenstand hatten, von den Referendaren klar präferiert wurden (zu den Gründen die Interpretation des Verf. S. 171.; aufschlussreich auch eine Rundverfügung Palandts vom Oktober 1936, S. 172). Eine wesentliche personelle Änderung in der mündlichen Prüfung war die Erweiterung der Kommission durch einen volkskundlichen Prüfer, von den Prüflingen „Völkischer Beobachter“ genannt, behördenintern dann so, ohne herabsetzende Konnotation, übernommen (S. 173). Diese Prüfer sollten „hervorragende Vertreter der Wissenschaft, der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens“ sein (Näheres S. 173.; zu den von ihnen geprüften Materien S. 175.) Der darstellende Teil der Arbeit endet mit ­Palandt, Freisler und Carl Schmitt als Prüfer, Palandt offenbar thematisch nicht berechenbar (nicht „prüfungsfest“, also thematisch sehr flexibel), Freisler wohlwollend und mild, Schmitt sehr viel juristischer, historisch, zum Amtsbegriff in Partei und Staat, zum Feindbegriff, zu aktuellen Gesetzen (S. 176 ff.). Zu den Prüfungsstatistiken (S. 180 f.). – Mit G., dem Gesamtergebnis, in dem Würfel nochmals das von ihm Erarbeitete bündelt, endet der Text, der eine Lücke schließt. (mh)


Univ. Prof. Dr. iur. utr. Michael Hettinger (mh). ­Promotion 1981, Habilitation 1987, jeweils in Heidelberg (Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte). 1991 Profes­sur an der Universität Göttingen, 1992 Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht in Würzburg, von 1998 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 in Mainz. Mit­herausgeber der Zeitschrift „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“.

hettinger-michael@web.de

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