Medizin | Gesundheit

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Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2022

Wilfried Bommert und Christine Sartori, Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet. Stuttgart: Hirzel 2022. 240 S., 9 s/w Grafiken, kart., ISBN 978-3-7776-2914-8. € 20,00.

Wir erfahren aus diesem Buch, dass der „Stille Killer“ Zucker heißt und seine tödliche Fracht in Form von Fett im Menschen speichert, was zu Fettleibigkeit führt und damit zu schwersten Erkrankungen und dem Tod. Fettleibigkeit, so die Autoren, ist eine pandemische Seuche, der der Kampf angesagt werden muss. Das heißt, dass die Protagonisten, die für die weltweite Verteilung von Zucker verantwortlich sind, die Industrie und die von ihnen korrumpierte Wissenschaft sowie die Lobby-strangulierte Politik, an die Kandare genommen werden müssen, damit dieser Seuche Einhalt geboten wird.

Zweifellos haben die Autoren recht, wenn sie darauf hinweisen, dass die Industrie gezuckerte Produkte beziehungsweise sogenannte ultraprozessierte Lebensmittel (also hochverarbeitete mit hohem Zuckergehalt) mit großen Werbeversprechen auf den Markt bringt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass gerade in den hochverarbeiteten Lebensmitteln als Geschmacksträger eben auch viel Fett vorkommt. Dass Übergewicht multifaktoriell ist und auch mit einer Reihe genetischer Faktoren sowie hormoneller Besonderheiten einhergeht, übersehen die Autoren ebenso wie die Tatsache, dass Übergewicht und Fettleibigkeit in der armen Bevölkerung drei- bis viermal häufiger vorkommen als im Durchschnitt. Diese oft hochverarbeiteten Lebensmittel sind preisgünstig und enthalten meist viel Zucker und Fett und wenig wichtige Nährstoffe. Die Entwickler des NOVA-Index, der Lebensmittel kategorisiert und den die Autoren immer wieder als Beleg anführen, verweisen in einer vor kurzem veröffentlichten Untersuchung darauf, dass die Zunahme des Konsums solcher Lebensmittel (zwischen 1978 und 2018) nicht nur die Entwicklungen von Erkrankungen begünstigt, sondern dass dies auch wegen der niedrigen Nährstoffqualität bedenklich ist. Die daraus resultierende Mangelernährung im Kindesalter gefährdet die körperliche wie kognitive Entwicklung. Und dies stellt ein wirkliches Problem dar, an dem die sogenannten hochverarbeiteten Lebensmittel einen wesentlichen Anteil haben. Genau dies sind auch die Aussagen des Gutachtens des wissenschaftlichen Beirats des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, auf die sich die Autoren immer wieder gerne beziehen.

Eine genauere Recherche zum Stellenwert dieser Lebensmittel wäre dem Problem deutlich nähergekommen. Die Reduktion auf Zucker als „stiller Killer“ ist nicht nur zu kurz gegriffen, sondern irreführend. Den verwendeten Daten liegen nur wenige, meist veraltete wissenschaftliche Arbeiten zu Grunde. Die imponierenden 705 Quellen sstammen zu 90 Prozent aus Internet, Zeitungsartikeln und diversen schwer nachprüfbaren Pressemeldungen. Das Buch ist wichtig, aber es wurde eine Chance vertan, das Problem der hochverarbeiteten Lebensmittel und auch das profitable Geschäft mit diesen von allen Seiten zu beleuchten. Zucker ist keine, wie von den Autoren behauptet, süchtig machende Droge. Und die Aussage, dass die Lebensmittelindustrie daher ein Drogenkartell sei, ist eine fragwürdige Übertreibung. Diese steht stellvertretend für die vielen ungenauen Zitate und polemischen Aussagen in diesem Buch. Dieses Buch ist einseitig, bezieht sich nur marginal auf aktuelle wissenschaftliche Studien zum Thema und der Leser wird davon kaum süchtig werden.

 

Tim Spector Die Wahrheit über unser Essen. Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist. Übersetzung: Petra Huber, Sara Riffel. Köln: Dumont 2022. 352 S., geb., ISBN 978-3-8321-8217-5. € 25,00.

Der Untertitel (Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist) verrät, worauf wir uns gefasst machen müssen. Beginnt man mit der letzten der 23 „falschen“ Aussagen, dem Fazit mit den Hinweisen auf die richtige Ernährung, dann erfährt man das, was der interessierte Genießer oder der besorgte Esser eigentlich schon lange weiß: Ernähren Sie sich hauptsächlich vegetarisch und möglichst ohne Zusatzstoffe. D.h., mehr Gemüse (wenn möglich Bio), weniger Fleisch und wenig verarbeitete Lebensmittel. Also doch nicht alles falsch, was in den letzten Jahren über Ernährung erzählt wurde?! Spector stellt einleitend fest: In den meisten Ländern wird die Ernährungswissenschaft noch immer nicht der Medizin zugeordnet. Zweifellos eine richtige und wichtige Feststellung, der er ein ganzes Kapitel widmet. Die Aussagen, die als falsch „entlarvt“ werden, sind nicht neu und teilweise oberflächlich recherchiert: Kalorien zählen hilft nicht und Vitaminpillen (nur am Beispiel des Vitamin D erklärt) helfen auch nicht. Das sind Allerweltsweisheiten. Die Expertise des Autors sind Arbeiten zur Darmflora (Mikrobiota) und zu Vitamin D. Dies mag erklären, warum er viele der Aussagen immer wieder mit der Mikrobiota in Verbindung bringt.

Wir erfahren, dass jeder Mensch anders ist, wenn es um die Verträglichkeit von Fett, Zucker, Salz oder Alkohol geht oder um den Energiestoffwechsel (Kalorienverbrauch). Was fange ich damit an? So gibt es Menschen, die auf hohen Salzverzehr mit einem Anstieg des Blutdrucks reagieren (Salzsensitive, ca. 15 Prozent der Bevölkerung) und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Auch dass mit Sport kein Gewichtsverlust einhergeht und dass moderater Alkoholkonsum nicht schaden muss, ist nicht wirklich neu. Weitaus informativer sind die Kapitel, die sich mit Ernährungstrends auseinandersetzen. So birgt vegane Ernährung mehr Risiken als „nur“ den Mangel an Vitamin B12; auch Eisen, Zink, Selen, Folsäure und Vitamin D können zu kurz kommen. Richtig beschreibt der Autor, dass Veganismus per se nicht gesund und eine vegane Ernährung für Kinder nicht geeignet ist. Der staunende Veganer erfährt, das letzteres in Frankreich strafbar und in Italien als Gesetzvorlage eingereicht worden ist.

Wir erfahren, dass häufiger Fischverzehr (gilt allerdings nicht für heimischen Zuchtfisch) zur Schwermetallbelastung führen kann. Auch die im Buch von Bommert/Sartori attackierten hochverarbeiteten, meist preisgünstigen Lebensmittel werden immer wieder erwähnt und es folgt der wichtige Hinweis, dass vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen verstärkt solche Lebensmittel verzehren. Auch ein bisschen Fleisch darf/soll sein, da durchaus gesünder als vegane oder rein vegetarische Ernährung, so der Autor. Dass moderater Kaffeegenuss nicht gefährlich ist, regional und saisonal einkaufen die Umwelt schont und Leitungswasser gut verträglich und preisgünstiger ist als das in Flaschen, das ist alles nicht wirklich neu. Ein wichtiges Kapitel befasst sich mit Nahrungsmittelallergien und deren Diagnostik über fragwürdige und wertlose Tests aus dem Internet. Alles in allem ein Buch, dass sich abschnittsweise flüssig und informativ liest und für einzelne Fragestellungen dem Leser auch neue Informationen bringt. Für die schon lange etablierte Erkenntnis, dass ausgewogene Mischkost gesund ist, bedarf es allerdings nicht eines solchen Buches.

 

Walter Isaacson Der Code Breaker. Wie die Erfindung der Genschere die Zukunft der Menschheit für immer verändert. ecoWing, 2022. 704 S., geb., ISBN 978-3-7110-0306-5, € 36,00.

Dieses Buch bereitet wirkliches Lesevergnügen trotz vieler genetischer und molekularbiologischer „Ausflüge“; eine spannende Entdeckung mit weit reichenden Folgen für Wissenschaft und Medizin, eingebettet in biografische Essays. Die hier beschriebene Genschere ist ein in Bakterien vorkommendes Enzym, welches in der Lage ist, Abschnitte der DNA von Viren, die Bakterien befallen, herauszuschneiden und so das bakterieneigene Abwehrsystem für solche viralen Angriffe besonders gut auszustatten. Dies geschieht so exakt, dass es auf jede Form der DNA gezielt angewendet werden kann. Damit ist man in der Lage, DNA auch des Menschen zu verändern und gezieltes Gen-Engineering zu betreiben, welches in der Zukunft bisher kaum vorstellbare Eingriffe in die DNA erlauben könnte. Um die Entwicklung, die Möglichkeiten und Risiken dieser Genschere und die damit verbundene Verantwortung der Wissenschaft geht es in diesem Buch.

Dieses Buch ist weit mehr als die Beschreibung der Entdeckung der Genschere und den darin steckenden Möglichkeiten für Medizin und jede Form von Gentechnologie. Es ist eine brillant geschriebene Geschichte der Genetik, der Gentechnologie und der Biografien ihrer Protagonisten. Erfrischend sind die eingebetteten Kurzbiografien mit teilweise sehr persönlichen Eigenschaften der beschriebenen Wissenschaftler rund um die zentrale Figur Jennifer Doudna, die zweifellos als Entdeckerin dieser Genschere gelten darf. Oder anders ausgedrückt, und das wird lebhaft geschildert: sie war eben ein kleines bisschen schneller und cleverer als die Konkurrenz. So können wir die verschiedenen Wissenschaftler auf dem Weg von der Erstbeschreibung der Genschere über die internen Auseinandersetzungen bis hin zu den kommerziellen Interessen begleiten und auf diese Weise auch Einblick in die Wissenschaft im Konflikt zwischen Labor und Kommerz erhalten. Neben der eigentlichen Entdeckung erfährt man auf diese Weise viel über die Wissenschaftskultur der USA, wenn es darum geht, wie eine solche Entdeckung vermarktet werden kann. Dabei spielen Streitereien und Patente genauso eine Rolle wie wissenschaftliche Netzwerke und Fördermittel. Die hier ablaufenden Prozesse beschreibt der Autor anschaulich und ergänzt sie immer wieder durch persönlich geführte Interviews und Gespräche mit den Wissenschaftlern. Viele Originalzitate, die direkte Auseinandersetzungen zwischen den Wissenschaftlern beschreiben, erlauben es dem Leser sich zu positionieren, beziehungsweise die Stellung einzelner zu verstehen, wenn es um die unterschiedlichen kleinen und großen Reibereien und Intrigen geht, die den Prozess dieser sensationellen Entwicklung begleiteten.

Die Genschere hat das Potential, Einfluss auf die Zukunft der Menschen zu nehmen. Diesen ethischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Genschere widmet der Autor ein besonderes Kapitel. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Verwendung solcher Technologien zur Veränderung von Keimbahnzellen und damit zur Herstellung von Designerbabys liest sich spannend und ist informativ. Die Fürsprecher, allen voran der Entdecker der DNA-Struktur James Watson, waren nicht davon zu überzeugen, Eingriffe an Keimbahnzellen zu verbieten. „Wenn wir bessere Menschen machen könnten, da wir wissen, wie, warum dann nicht“, so Watson. Auch der einzige bisher bekannte Fall eines solchen Eingriffs in die Keimbahn durch einen chinesischen Forscher, wird vor dem Hintergrund der Aussage unterschiedlichster Wissenschaftler spannend geschildert und kritisch hinterfragt. Die aufgezeigten Möglichkeiten zur Verwendung der Genschere übersteigen die Vorstellungskraft und machen nachdenklich. Bemerkenswert ist der Blick auf die Risiken solcher neuen Technologien und mit welchen Mitteln einem Missbrauch bzw. auch terroristischen Zielen durch den Einsatz der Genschere entgegengewirkt werden soll. Die Aktualität des Buches zeigt sich auch im letzten Kapitel, wenn es um die Beschreibung der Technologie bei der Entwicklung von Impfstoffen beziehungsweise anderer Verfahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geht. Auch hier liegt wieder ein Problem der neuen Technologie. Die denkbare Ausschaltung von Genen in Krankheits-Überträgern, wie zum Beispiel der Zika Mücke oder Moskitos, könnte zur Ausrottung dieser Art und anderer potentieller „Störenfriede“ genutzt werden. Der Mensch kann so in die Evolution eingreifen und damit dem Anthropozän einen weiteren Stempel aufdrücken. An keiner Stelle des Buches lässt uns der Autor mit schwierigen biologischen oder methodischen Beschreibungen ratlos zurück. Es gelingt ihm elegant, komplexe Vorgänge der Genetik als auch der hier angesprochenen Wirkungsweise der Genschere in einer bildhaften Sprache verständlich zu beschreiben.

Dieses Buch ist ein wissenschaftliches Lesebuch auf höchstem Niveau und richtet sich nicht nur an Naturwissenschaftler oder Leser mit entsprechender Vorbildung, sondern durchaus an den allgemeinen interessierten Laien, der hier einen Einblick in das Leben von Wissenschaftlern und in ein hoch komplexes Wissenschaftsgebiet bekommt, wie es bisher in dieser komprimierten und gut verständlichen Form kaum verfügbar war. (hb)

Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski war Lehrstuhlinhaber und bis zu seiner Pensionierung 2018 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim.

biesal@uni-hohenheim.de

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