Recht

Immissionsschutzrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2023

Zweck des Immissionsschutzrechts ist es, Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. Es handelt sich also um das klassische Kerngebiet des Umweltrechts. Seine zentrale gesetzliche Regelung in Deutschland findet sich seit 1974 im Bundes-Immissionsschutzgesetz. Sachlich erfasst werden von diesem Gesetz allerdings nur Umwelteinwirkungen, die von Anlagen ausgehen. Soweit es um potentiell besonders gefährliche und daher genehmigungsbedürftige Anlagen geht, dient das Gesetz auch dem Schutz und der Vorsorge gegenüber Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die auf andere Weise als durch schädliche Umwelteinwirkungen herbeigeführt werden, sowie der medienübergreifenden Integration aller anlagenbedingten Auswirkungen auf die genannten Schutzgüter, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen. Insoweit ist es als umfassende Regelung des Industriezulassungsverfahrens auch ein Kernstück des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Darüber hinaus enthält dieses Gesetz in Verbindung mit den darauf beruhenden Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften die wichtigsten Regelungen des Verkehrswegelärmschutzes, der Luftreinhalte- und der Lärmschutzplanung sowie der Treibhausgasminderung bei Kraftstoffen. Ursprünglich war es ein Muster systematischer Gesetzgebung. Unter dem Einfluss des Europarechts und vieler rein politisch motivierter Novellierungen hat es jedoch seine Systematik und Übersichtlichkeit weitgehend verloren. Umso wichtiger ist es, unter Rückgriff auf die völker-, unions- oder bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben sowie auf die sich ständig weiter entwickelnde Rechtsprechung und Literatur zu versuchen, die Zusammenhänge im Blick zu behalten, um bei der Anwendung des Gesetzes die richtige Mitte zwischen der Durchsetzung wirksamen Umweltschutzes und einer vernünftigen Entwicklung der Industrie zu finden. Bei diesem Versuch können die im Folgenden zu besprechenden Neuerscheinungen auf unterschiedliche Weise Orientierung vermitteln, indem sie das Bewusstsein für die systematischen Zusammenhänge erhalten und pflegen, die innerhalb des Immissionsschutzrechts bestehenden Konflikte und Spannungsfelder darstellen, die dafür diskutierten Lösungsansätze in rechtsdogmatischer Hinsicht untersuchen und die Auswirkungen der danach zulässigen Handlungsoptionen in der Verwaltungs- und Betriebspraxis aufzeigen.

Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz. Kommentar, C. H. Beck, München, 14. Aufl. 2022. ISBN 978-3-406-79558-9; 1135 S., in Leinen, € 169,00.

    Die Neuauflage dieses handlichen Kommentars entspricht seinem Anspruch, als Klassiker des Immissionsschutzrechts den Praktikern dieses Rechtsgebiets ein aktuelles Hilfsmittel für den ersten Zugriff auf alle sich dort stellenden Probleme und deren pragmatische Lösung zu bieten (vgl. zur Vorauflage von 2020 fachbuchjournal 2021, S. 40). Die Übersichtlichkeit der Darstellung blieb trotz geringfügiger Erweiterung des Umfangs durch vertretbare Kürzungen und durch zahlreiche Überarbeitungen gewahrt, die die Rechtsentwicklung auf deutscher und europäischer Ebene bis Juli 2022 widerspiegeln. Der Kompaktheit des Werkes dienen auch die vielen Querverweise auf vorschriftenübergreifende Zusammenhänge sowie die regelmäßige Beschränkung der Literaturnachweise vor jeder Einzelkommentierung auf Fundstellen seit 1998. Der Versuch, mit der ungeheuren Dynamik der Gesetzgebung im Zeichen der für den Klimaschutz politisch gewünschten Energiewende und der gleichzeitigen politischen Zwänge der Energiekrise Schritt zu halten, stößt jedoch auf in der Natur der Sache liegende Grenzen. So konnten im Kommentar zwar die 2021 eingefügte und im Juli 2022 geänderte Regelung des § 16b Abs. 1 bis 6 zum Repowering von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien sowie die im Juli 2022 eingefügten §§ 31a bis 31d zur Erleichterung eines Brennstoffwechsels bei einer Mangellage noch berücksichtigt werden, nicht aber die erst im Oktober 2022 angefügten Sondervorschriften für Windenergieanlagen (§ 16b Abs.7 und 8) und die höchst problematischen §§ 31e bis 31l vom Oktober 2022, mit denen ein sich in Panik selbst überholender Gesetzgeber versuchte, angesichts des andauernden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine noch vor Winteranfang weitere Sonderregelungen zur Bewältigung einer Gasmangellage zu etablieren. Trotz solcher bei einem gebundenen Buch unvermeidbaren Beschränkungen auf eine Momentaufnahme der Rechtsentwicklung bleibt der „Jarass“ für jede effektive Arbeit im Immissionsschutzrecht unverzichtbar und im Verbund mit digital schnell nachlesbaren Gerichtsentscheidungen nahezu unschlagbar. Dass der Verfasser ausweislich des ausführlichen Sachverzeichnisses die Zuordnung der Randnummern zu den behandelten Stichworten auch in der Neuauflage grundsätzlich beibehalten hat, entspricht dem Rang des Buches als Standardwerk zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.

     

    Marlon Geise, Schutzpflichten und Abwehrrechte am Beispiel von Stickstoffdioxidimmissionen im Straßenverkehr. Eine verfassungsdogmatische Untersuchung, Duncker & Humblot, Berlin 2023. ISBN 9783-428-18737-9; 303 S., kartoniert, € 79,90.

      Kaum für Praktiker geeignet, sondern ausschließlich der Theorie verhaftet ist diese 2022 an der Universität Bielefeld bei Andreas Fisahn entstandene rechtswissenschaftliche Dissertation. Sie geht dem verfassungsrechtlichen Grundkonflikt zwischen der Ausübung individueller Freiheit und dem Bedürfnis nach Sicherheit am Beispiel des Grundrechtsschutzes der Bewohner von Innenstädten vor Stickstoffdioxidimmissionen nach, die durch den Kraftfahrzeugverkehr ausgelöst werden. Zuerst werden in einem empirischen Teil die bisherigen Erkenntnisse der Epidemiologie zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen solcher Immissionen ausgebreitet. Dabei ergibt sich – wenig überraschend -, dass die Wissenschaft keinen klaren Kausalbeleg liefern kann, sondern sich mit Wahrscheinlichkeitsurteilen begnügen muss. Sodann folgt als Hauptteil des Buches eine umfangreiche theoretische Abhandlung über die dogmatische Herleitung, den Anwendungsbereich und die verfassungsgerichtliche Kontrolle grundrechtlicher Schutzpflichten des Staates. Dabei nimmt der Verfasser an, dass solche Schutzpflichten nicht nur bei Grundrechtsverletzungen, sondern auch schon bei Grundrechtsgefährdungen und Grundrechtsrisiken bestehen und deshalb den Staat zur Gefahren- und Risikovorsorge verpflichten. Wenn das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit betroffen sei, müsse eine umfassende verfassungsgerichtliche Prüfungskompetenz anhand des Untermaßverbots angenommen werden. Abschließend werden diese theoretischen Erkenntnisse auf ein Fallbeispiel angewandt, in dem eine fiktive Einzelperson Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht mit der Behauptung erhebt, die bestehenden staatlichen Vorkehrungen gegen Luftverschmutzung durch den Stickstoffdioxidausstoß des Straßenverkehrs seien unzureichend. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass der Staat zwar bei abstrakter Betrachtung ein wirksames Schutzkonzept installiert habe, das grundsätzlich in der Lage sei, die Menschen vor stickstoffbedingten Gesundheitsrisiken zu schützen. Die konkrete Anwendung dieses Schutzkonzepts in manchen Bundesländern verstoße jedoch gegen das Untermaßverbot, da die rechtlich vorhandenen Schutzinstrumente nicht immer ausgeschöpft worden seien. Insoweit müsste das Bundesverfassungsgericht im Fall einer zulässigen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht feststellen. Angesichts des umfassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen solche Vollzugsdefizite, den das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 27. Februar 2018 zu Dieselfahrverboten überzeugend dokumentiert hat und der die Zulässigkeit einer derartigen Verfassungsbeschwerde wegen des Gebots der vorherigen Erschöpfung des Rechtswegs sehr unwahrscheinlich macht, erscheint der verfassungsdogmatische Aufwand, mit dem der Verfasser zu diesem Ergebnis gelangt, kaum gerechtfertigt. Auch überraschen an manchen Stellen des Buches eine gewisse sprachliche Unbeholfenheit und nicht zur Sache gehörende politische Meinungsäußerungen des Verfassers, die bei einem wissenschaftlichen Werk dieses Ranges ungewöhnlich sind und bei besserer Lektorierung wohl vermeidbar gewesen wären.

      Michael Frey / Mirco Krohn / Alix Weigel, Inhaltsund Nebenbestimmungen in Genehmigungen von Windenergieanlagen. Rechtliche Zulässigkeit und betriebswirtschaftliche Auswirkungen, Nomos, Baden-Baden 2022. ISBN 978-3-8487-8961-0; 289 S., kartoniert, € 80,00.

        Als Arbeitshilfe zum rechtssicheren Ausbau der Windenergie ganz auf die Bedürfnisse der Praxis ausgerichtet ist dagegen diese an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl in dreijähriger Projektlaufzeit entstandene Forschungsarbeit. An Oberverwaltungsgerichten in Deutschland sind Hunderte von Verfahren rund um Genehmigungen von Windenergieanlagen anhängig. Darin machen Umweltverbände, Privatpersonen oder Kommunen vor allem Umwelt- und Artenschutzbedenken, Beeinträchtigungen durch Schallimmissionen und Schattenwurf oder Belange des Denkmalschutzes geltend. Die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung setzt voraus, dass nicht nur die Erfüllung der sich aus dem Immissionsschutzrecht ergebenden Pflichten sichergestellt ist, sondern auch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Dies kann durch Inhalts- und Nebenbestimmungen in der Genehmigung sichergestellt werden. Das Verfasserteam hat in Zusammenarbeit mit Genehmigungsbehörden und Energieversorgern die Inhalts- und Nebenbestimmungen aller von Mitte 2012 bis Mitte 2016 in Baden-Württemberg erteilten Genehmigungsbescheide für Windenergieanlagen nicht nur rechtlich kategorisiert und analysiert, sondern auch betriebswirtschaftlich bewertet.

        In einem vorangestellten Allgemeinen Teil des Werkes werden zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen der Erteilung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen für Windenergieanlagen sowie der Aufnahme von Inhalts- und Nebenbestimmungen in solche Genehmigungen dargestellt und eine allgemeine Einführung in die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen dieser Genehmigungszusätze auf die Rentabilität derartiger Anlagen für Energieversorger oder Projektierer gegeben. Der anschließende Besondere Teil enthält – geordnet nach Rechtsgebieten – Vorschläge für eine rechtlich und betriebswirtschaftlich optimale Gestaltung von Inhalts- und Nebenbestimmungen. Er bedient sich dabei in besonders anwenderfreundlicher Weise des Mittels von – optisch hervorgehobenen – Textbausteinen, die bei entsprechender Sachlage in die jeweiligen Genehmigungsbescheide übernommen werden können. Dabei wird, was im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen ist, jeweils gekennzeichnet, ob es sich um eine Auflage, eine Bedingung, einen bloßen Hinweis oder um eine Inhaltsbestimmung handelt, mit der die Genehmigung steht und fällt. Die Vorschläge werden jeweils rechtlich und betriebswirtschaftlich eingehend begründet, so dass das Werk auch als Argumentationsgrundlage in etwaigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren herangezogen werden kann. Sehr ausführlich widmen sich die Verfasser dabei den praktisch bedeutsamsten Inhalts- und Nebenbestimmungen zum Schutz vor Schallimmissionen und vor erheblichen Belästigungen durch Schattenwurf sowie zum Naturschutzrecht, vor allem den dadurch gebotenen Maßnahmen zum Arten- und Habitatschutz, insbesondere zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen. Dabei konnten die erst 2021 und 2022 geschaffenen Sondervorschriften für die artenschutzrechtliche Prüfung (§ 45b BNatSchG) und für Vorhaben zur Modernisierung von Windanlagen (§ 16b BImSchG und § 45c BNatSchG) naturgemäß noch nicht berücksichtigt werden. Das unübersehbare Dilemma, dass Windräder der Natur schaden, die sie durch Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid bei der Energieerzeugung bewahren helfen sollen, dürfte allerdings auch durch diese wortreichen Sondervorschriften nicht beseitigt, sondern lediglich verkompliziert und zugleich dilatorisch bemäntelt worden sein. Ungeachtet dieses letztlich nur durch politische Entscheidung zu lösenden Dilemmas bietet die Arbeit des Teams um Michael Frey eine hervorragend praktikable Grundlage für alle Verwaltungsbehörden, die sich im Rahmen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen mit der Frage befassen müssen, wie die dafür relevanten rechtlichen Anforderungen durch Inhalts- oder Nebenbestimmungen in der Genehmigung erfüllt werden können.

         

        Dennis van den Berg, Uneindeutige Genehmigungs­ bestände in der umweltrechtlichen Verwaltungs­ praxis. Handlungsoptionen für Anlagen nach § 67 BImSchG am Beispiel von Schrottplätzen, Verlag Dr. Kovaˇc, Hamburg 2022. ISBN 978-3-339-12950-5; 178 S., kartoniert, € 85,50.

          Ebenfalls für die immissionsschutzrechtliche Praxis wertvoll ist diese aus einer Masterarbeit an der Universität Lüneburg bei Thomas Schomerus hervorgegangene Monographie. Die Übergangsvorschrift des § 67 BImSchG hat erhebliche praktische Bedeutung für eine große Zahl gewerblich betriebener Altanlagen, die vor dem Inkrafttreten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genehmigt wurden oder nach diesem Gesetz als genehmigt gelten. Bei solchen Anlagen sind Art und Ausmaß der nach dieser Übergangsvorschrift zugelassenen Nutzung oft nicht zweifelsfrei erkennbar. Dies führt zu Rechtsunsicherheiten bei den Anlagenbetreibern und bei der behördlichen Prüfung, ob sich der zu Nachbarschaftskonflikten neigende Anlagenbetrieb in den Grenzen des Erlaubten bewegt. Am Beispiel von Schrottplätzen und anhand konkreter, optisch hervorgehobener Praxisfälle erläutert der Verfasser sehr anschaulich, in welchen Konstellationen und in Bezug auf welche Merkmale derartige Rechtsunsicherheiten durch sachgerechte Auslegung vorliegender Altgestattungen so ausgeräumt werden können, dass den verwaltungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt ist und der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt bleibt. Das Auslegungsergebnis sollte im Dialog mit dem Betreiber und ggf. Drittbetroffenen entwickelt sowie transparent dokumentiert und verständlich abgefasst werden. Für den Fall, dass kein eindeutiges Auslegungsergebnis erreicht werden kann, werden anschließend die dann möglichen Handlungsoptionen für eine aktive, konkretisierende Festlegung des Genehmigungsbestandes – durch Teilverzicht des Betreibers, durch ein Genehmigungsverfahren oder durch die Regelung im Rahmen eines Überwachungsverfahrens – dargestellt, bewertet und in eine Handlungsanleitung für die praktische Anwendung überführt. Dabei hält der Verfasser bei Mitwirkungsbereitschaft des Betreibers eine freiwillige Ausräumung des Bestimmtheitsmangels durch ein Neu- oder Änderungsgenehmigungsverfahren für vorzugswürdig, während sonst die Überwachungsinstrumente vorzuziehen seien. Dabei könne die Behörde in hinreichendem Maße die erforderlichen Konkretisierungen oder Maßnahmen durchsetzen. Die theoretisch gut fundierten und argumentativ schlüssig begründeten Ergebnisse dieser Studie sind nicht nur für die speziell behandelten Schrottplätze interessant, sondern lassen sich im Wesentlichen auch auf andere Altanlagen übertragen. (us)

          Dr. iur. Ulrich Storost (us)

          ulrich.storost@t-online.de

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