Biografien

Frauen in der Reformationszeit

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 4/2017

In den letzten Jahren sind zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema 500 Jahre Reformation erschienen. Durch Martin Luther, Huldrych Zwingli, Johannes Calvin und Lucas Cranach den Älteren und die Gegenreformation der katholischen Kirche stark männlich geprägt, wird in vielen Veröffentlichungen über die Frauen in der Reformationszeit nur marginal berichtet. Einige Beispiele aus den letzten Jahren zeigen die Vielfalt der Lebensmodelle der Frauen in der Reformationszeit.

Frauen und Reformation. Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement / Im Auftrag der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH hrsg. von Martina Schattkowsky. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2016. 354 S. (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde. Band 55) ISBN 978-3-86583-927-5. € 66.00

Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde und die Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsens veranstalten 2013 eine interdisziplinäre Tagung zu dem von der historischen Forschung kaum beachteten Thema Frauen und Reformation. Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement. Die vorliegende Publikation enthält 12 Beiträge, davon entstammen zehn der Tagung (zwei fehlen leider: zum Wirken der Herzogin Elisabeth von Rochlitz am Dresdner Hof sowie zum Deutungsspielraum von Judith-Darstellungen), zwei sind zusätzlich aufgenommen.

Mit der Tagung wird „einem Desiderat der Reformationsgeschichtsschreibung Rechnung getragen, indem das oft vergessene Engagement der Frauen für oder auch gegen die Reformation in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt.“ (S. 7)

Die einführenden Beiträge beschäftigen sich mit dem Stand der Forschung und zeigen die Desiderate auf. Im Fokus der bisherigen Studien „stehen Frauen, denen das reformatorische Bekenntnis so wichtig wurde, dass sie öffentlich dafür eingetreten sind.“ (S. 9) Die Tagung geht über diese Einzelschicksale hinaus und will die „Kämpfe um die religiöse Selbstbehauptung von Frauen in einer von Glaubensgegensätzen zerrissenen Epoche ebenso wie die erheblichen Anteile weiblicher Protagonistinnen am geistigen und herrschaftlichen Ringen der Zeit“ zeigen (S. 16). Das geschieht nicht in der bloßen Aneinanderreihung biographischer Skizzen, sondern mittels systematischer Problemschnitte – in den Sektionen Protagonistinnen der Reformation (über das religiöse Engagement niederadliger Frauen, über die Frauen im Bauernkrieg und über Herzogin Elisabeth von Sachsen und Katharina von Bora), Lebenswelten und Rollenbilder (u.a. über reformatorische Flugschriftenautorinnen, über die reformatorische Idee einer geistlichen Familienkultur und über Argula von Grumbach und Caritas Pirckheimer) und Handlungsspielräume: Nonne vs. Ehefrau (u.a. über Konflikte und Konfliktlösungen im frühen evangelischen Eherecht, über Nonnen in der Reformationszeit und über Lucas Cranachs Caritas-Darstellungen im Spiegel humanistischen Familienverständnisses). Die Veröffentlichung zeigt die ganze Bandbreite weiblicher Lebensentwürfe im Reformationszeitalter. Es sind die spezifischen Handlungsspielräume der Frauen und die Handlungsmöglichkeiten, die durch die Reformation überhaupt erst ermöglicht werden und die Felder, auf denen sich die Frauen betätigen. Besonders die frühe Reformationszeit bietet den Frauen völlig neue Freiräume für ein eigenständiges Handeln, wie an zahlreichen Beispielen gezeigt wird.

Nicht nur für die Herausgeber und Autoren drängt sich die Frage auf, ob wir eine neue Konzeption von Reformation und Genderforschung benötigen.

Diese interessante Publikation mit reicher Bildausstattung ist auch ein guter Auftakt für die folgenden zu rezensierenden Publikationen.

Da sind zuerst zwei Frauen, die beide in Zeiten religiöser Umwälzungen als Autorinnen tätig sind: Argula von Grumbach und Caritas Pirckheimer.

 

 
Peter Matheson: Argula von Grumbach. Eine Biographie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014. 263 S. ISBN 978-3-525-55072-3. € 39.99

Bei den Forschungen zur Biographie über Argula von Grumbach (um 1492–1554?) stellt Peter Matheson fest, „dass sie in den frühen 1520er Jahren eine führende Gestalt war, als die Wellen reformatorischer Agitation Bayern erfassten. Ihre Energie, Sprachgewalt und Zivilcourage faszinierten mich, denn mit ihren Schriften überwand sie Hürden, die Frauen jahrhundertelang abgehalten hatten, über Religion, Politik und Erziehung zu reden.“ (S. 5)

Argula kommt aus dem bayerischen Hochadel. Sie ist die Tochter des Reichsfreiherrn Bernhardin von Stauff und seiner Frau Katharina von Toerring zu Seefeld, geboren auf der Burg Ehrenfels, Mittelpunkt der gleichnamigen Herrschaft. Ein Jahr nach dem Tod ihrer Eltern heiratet sie 18jährig den fränkischen Reichsritter Friedrich von Grumbach zu Lenting und Burggrumbach, ihr obliegt die Aufsicht über den Haushalt und die Sorge um die vier Kinder. Ihr Mann stirbt 1530, 1533 heiratet sie den Grafen Schlick zu Passau, wird aber bald wieder Witwe. Bis an ihr Lebensende kümmert sich Argula um die Güter und Weinberge von Burggrumbach und Lenting. Argula liest die Schriften Luthers und wird von ihnen „maßgeblich beeinflusst“ (S. 53). Sie steht mit Paul Speratus, Georg Spalatin und Andreas Osiander in Verbindung und verfasst Sendschreiben, Flugblätter und Broschüren, die eine weite Verbreitung finden. „Ihre lebhafte, respektlose Sprache stieß beim gemeinen Mann (und der gemeinen Frau) auf offene Ohren“ (S. 79), und so wird sie zu einer der ersten weiblichen Autorinnen im Protestantismus. Sie hat keine theologische Ausbildung, denn für Frauen gibt es keine. Wie viele andere Laien ihrer Zeit bildet sie sich ihre Meinung durch beflissenes Lesen der Schrift, durch aufmerksames Zuhören von Predigten, durch Flugschriften – und durch Diskussionen mit Laien und Predigern.

Luther widmet ein Exemplar seines „bet buchlin“ (1522) eigenhändig „der edlen frawen Hargula von Stauffen tzu Grumpach“ (S. 6).

Dieses Engagement für die Reformation ist mit Rückschlägen und zum Teil Beleidigungen und Drohungen ihrer Gegner verbunden. In Bayern schwimmt sie „gegen den Strom – als ‚Staufferin‘ und als Frau.“ (S. 231)

Die sehr ausführliche, akribisch aus den Quellen erarbeitete Publikation ist eine einzigartige Fallstudie für die Debatte über die Bedeutung der Reformation für Frauen, zugleich berichtigt der Autor Unkorrektheiten und Fehler früherer biographischer Schriften. Sie ist gut zu lesen und gehört in die erste Reihe der biographischen Schriften über Argula von Grumbach. 2010 gibt übrigens Peter Matheson ihre Schriften heraus (Quellen und Forschungen zu Reformationsgeschichte Band 83. Gütersloher Verlagshaus ISBN 978-3-579-05374-5). Im Evangelischen Namenkalender findet sich Argulas Todestag, der 23. Juni, als Gedenktag. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern vergibt seit 1968 den Gleichstellungsförderpreis, der Leistungen von Frauen in der Kirche auszeichnet. Seit 2006 erfolgen Ausschreibung, Verleihung und Förderung durch die Argula-von-Grumbach-Stiftung, die die Gleichstellung von Mann und Frau in der Kirche fördert.

 

 

Caritas Pirckheimer und ihr Haus. Gedanken zum 550. Geburtstag / Hrsg. Claudio Ettl, Siegfried Grillmeyer, Doris Katheder. Würzburg: Echter Verl., 2017. 141 S. (Edition cph. Band 4) ISBN 978-3-429-04358-2. € 4.90

Ganz anders verläuft das Leben der Tochter Barbara des Juristen und Diplomaten Johannes Pirckheimer (1467–1532). Sie erhält in ihrer Kindheit und Jugend eine umfassende Bildung, 1479 wird sie als Klosterschülerin in den Konvent St. Klara in Nürnberg aufgenommen, wird 1483 Ordensschwester dieses Konvents und erhält den Ordensnamen Caritas, 1503 wird sie zur Äbtissin des Klaraklosters gewählt, ein Amt, das sie bis zu ihrem Tod ausübt. Sie ist hochgebildet, führt einen intensiven Gedankenaustausch mit Humanisten, Dichtern und Gelehrten wie mit ihrem Bruder Willibald, Erasmus von Rotterdam und Conrad Celtis und verfasst zahlreiche Bittschriften und Briefe. Mit Einführung der Reformation beginnt für das Klarakloster eine schwere Zeit. Die Äbtissin wehrt sich gegen Einschränkungen und ist mit Philipp Melanchthons Unterstützung erfolgreich, so dass der Konvent bis zum Tod der letzten Klarissin 1596 bestehen bleibt.

1806 wird die Klarakirche im Rahmen der Säkularisation profaniert, 1854 an die katholische Kirche zurückgegeben, 1945 weitgehend zerstört. St. Klara wird zwischen 1948 und 1954 wiederaufgebaut und 1954 durch den Jesuitenorden erworben. 1959 wird ein Jugendhaus erbaut, das als Bildungszentrum genutzt und nach der Äbtissin benannt wird, einer Frau, „die die Geschicke des Klosters zur Zeit der Reformation taktisch klug und umsichtig lenkte.“ (S. 11) Die Träger dieser Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus sind die Erzdiözese Bamberg und der Jesuitenorden.

Diese Jubiläumsschrift im Taschenbuchformat anlässlich des 550. Geburtstages von Caritas Pirckheimer ist eine wichtige Ergänzung zu den größeren biographischen Werken und den Editionen der Schriften und Briefe von Caritas Pirckheimer und zugleich eine Standortbestimmung. Der erste Abschnitt „Geschichte“ enthält biographische Skizzen und Hinweise zum Caritas-Pirckheimer-Haus, der zweite Abschnitt „Perspektiven“ ausführliche Gedanken zum Umgang mit dem Erbe von Caritas Pirckheimer im 21. Jahrhundert unter dem Blickwinkel von Theologie, Religion und Glauben, aber auch zu Themen wie Menschenrechte, Globalisierung, Solidarität und Demokratie. Caritas Pirckheimer ist eine große Verfechterin der Religions- und Gewissensfreiheit, sie tritt ein für die Gleichwertigkeit der Geschlechter und propagiert, „dass Bildung die wichtigste Voraussetzung für ein humane Gesellschaft ist. Für ihre Ideale hat sie gekämpft und ließ sich von niemandem dabei beirren.“ (S. 16-17)

Etwa zeitgleich mit Argula von Grumbach lebt Anna von Lodron (um 1495 bis 1556).

Reinhard Baumann widmet sich dieser Frauenpersönlichkeit, die bisher nicht im Licht der Forschung und des öffentlichen Interesses stand.

 

 

Reinhard Baumann: Anna von Lodron. Ein adliges Frauenleben in der Reformationszeit. Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, 2015. 144 S. (Schlern-Schriften 365) ISBN 978-3-7030-0846-7. € 27.00

Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie im damaligen Welschtirol, dem heutigen Trentino, die erste Ehe geht sie mit Georg von Frundsberg ein, dem berühmten Landknechtsführer in kaiserlich-habsburgischen Diensten, verbunden mit dem Wechsel nach Oberschwaben. Sie ist Ehefrau und Mutter dreier eigener Kinder und dreier Stiefsöhne und Herrin der drei Adelsherrschaften Mindelheim, St. Petersberg und Sterzing. Nach dem Tod ihres Mannes heiratet sie 1533 Erasmus aus dem Geschlecht der Schenken zu Limpurg. Wieder ist sie Ehefrau, gebärt drei weitere Kinder und ist Herrin eines adeligen Territoriums. Aber Annas Leben wird darüber hinaus durch die Reformation geprägt, sie ist eine leidenschaftliche Anhängerin der ersten Stunde. „Die Reformation bestimmte wesentlich das Leben des Schenken Erasmus und Annas von Beginn ihrer Ehe bis zu ihrem Tod.“ (S. 100) Sie ist nicht „auf Geheiß ihres Mannes zur Reformation übergetreten“, sondern ist der „eigentliche reformatorische Motor“ (S. 108). Sie trägt seit 1528 in Mindelheim und seit 1533 in Limpurg maßgeblich zur Durchsetzung der Reformation bei, wirkt als evangelische Landesherrin und lebt dieses evangelische Christentum. Zu ihren Verdiensten gehört auch die Einrichtung von Schulen in Obersontheim und in den limpurgisch-obersontheimischen Dörfern – ein Schul- und Volksbildungsbeginn in bescheidenen Ausmaßen. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes erhält sie testamentarisch die uneingeschränkte Herrschaft über den Besitz. Ihre Lebenszeit deckt sich mit der Blüte des Landknechtswesens und der Lebenszeit Martin Luthers.

Eine aufwendig aus den Quellen erarbeitete Arbeit, mit zahlreichen Abbildungen, einer Zeittafel, verschiedenen Karten und Stammtafeln sowie einem sehr ausführlichen Register. „Annas Leistung für die Reformation in Limpurg-Obersontheim wird von den evangelischen Kirchenhistorikern entweder gar nicht gesehen oder unterschätzt.“ (S. 106) Das ändert sich durch dieses Buch von Reinhard Baumann, ein Glücksfall für die Geschichte der Reformation in Deutschland.

Der Reichstag von Västerås bestätigt 1527 die Grundentscheidung für die Reformation. Eine Königin schert aber später aus: Christina von Schweden (1626–1689).

 

 

Charlotte Ueckert: Christina von Schweden. Ich fürchte mich nicht! Leben und Lieben einer Unbeugsamen. Berlin: literaturverlag josefine rosalski, 2016. 139 S. (edition □ karo – BIOGRAPHIE Nr. 4) ISBN 978-3-945961-02-5. € 16.00

Christina Wasa ist die zweite und einzig überlebende Tochter des schwedischen Königs Gustav II. Adolf und seiner Gemahlin Maria Eleonora von Brandenburg. Sie tritt 1654 ab und wird zur berühmtesten Konvertiten zum Katholizismus. Für die Gegenreformation ist dies ein großer Triumph, ist ihr Vater doch einer der großen Protestanten im Dreißigjährigen Krieg. Aber der Reihe nach.

Ihr Vater fällt 1632 in der Schlacht bei Lützen, sie besteigt im Alter von fünf Jahren den Thron, ihr testamentarisch bestimmter Vormund, Kanzler Axel Oxenstierna, entzieht der Mutter die Erziehung, mit ihrer Volljährigkeit 1644 übernimmt sie die Regierungsgeschäfte. Christina führt einen der aufwendigsten, prunkvollsten und auch teuersten Höfe Europas. Sie erwirbt Bibliotheken, Münzen und Gemälde, auch als Beutekunst aus dem Dreißigjährigen Krieg, sie ist dem Theater sehr gewogen, sie stattet die Universität Uppsala großzügig mit Gebäuden und Bibliotheken aus, sie unterstützt Gelehrte, die sich mit religiösen Themen beschäftigen, wie René Descartes, Gabriel Naudé und Johannes Freinsheim. Regieren ist wohl nicht so recht ihre Sache. An der verschwenderischen Lebensart wird immer wieder Kritik geübt, diese und Turbulenzen in der Familie führen schließlich 1654 zur Abdankung, über die Konversion zum Katholizismus wird viel spekuliert. Sie lässt sich in Paris und Rom nieder und widmet sich ganz der Kunst. Mit der neuen Konfession nimmt sie es nicht so genau, setzt sich für religiöse Toleranz ein, verurteilt die Verfolgung der Protestanten unter Ludwig XIV. und nimmt 1686 die Juden in Rom unter ihren persönlichen Schutz.

Die bisher erschienenen Biografien zeigen nach Charlotte Uekker „zwei Bilder, die kaum miteinander zu vereinbaren sind. Auf der einen Seite eine intelligente, sprachbegabte, an Geistesgeschichte und Kultur interessierte Förderin von Kunst und Wissenschaft, auf der anderen aber eine machtbesessene Egoistin, nur auf die eigenen Interessen und Wirkungen bedacht“ (S. 9). Sie legt einen Essay vor, der „erlaubt, Fakten mit Vermutungen zu verbinden. Zu erzählen, zu interpretieren.“ (S. 9) Ausgangspunkt und Anlass ihrer Betrachtungen sind weniger die 30 Stockholmer Jahre, über die die Biografen ausführlich berichten, als die über 30 Jahre danach in Rom, die in den meisten Biografien nur kurz dargestellt werden. Sie beschreibt ein unangepasstes Leben: Eine Frau auf dem Thron – eine Frau, die sich weigert zu heiraten – eine besessene Kunstsammlerin – eine rastlos Reisende – eine Frau, die sich einmischt – eine „bis zuletzt eigensinnig Glaubende“ (S. 15). Kurzum: Christina ist eine Europäerin, „die Grenzen und Lebensräume“ (S. 15) überschreitet. Eine moderne Frau? Von Historikern unterbewertet? Eine Autorin, „die nicht als Historikerin arbeitet, sondern sich der erzählenden Literatur zugehörig fühlt“, (S. 15) nähert sich Christina von Schweden in diesem wunderbaren Essay von einer ganz anderen Seite. Glückwunsch!

Im Zeichen von Reformation und Gegenreformation erhält das schulische Lernen eine neue Ausrichtung, an der zahlreiche Frauen beteiligt sind. Einigen von ihnen sind Beiträge in einem Tagungsbericht gewidmet.

 

 

Schule und Bildung in Frauenhand. Anna Vorwerk und ihre Vorläuferinnen / Hrsg. Gabriele Ball, Juliane Jacobi. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2015. 284 S. (Wolfenbütteler Forschungen. Band 141) ISBN 978-3-44710484-5. € 78.00

Zuerst zu Anna Vorwerk (1839–1900), dem Leitbild des 12 Beiträge umfassenden Sammelbandes eines epoche- und disziplinenübergreifenden Arbeitsgespräches an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel anno 2013. Sie entstammt einer wohlhabenden großbürgerlichen Familie, ihr Vater ist Obergerichtsrat am Obergericht des Landes in Wolfenbüttel. Die Pädagoginnen Anna Vorwerk und Henriette Breymann (1827– 1899), eine Nichte Friedrich Fröbels, eröffnen im Rahmen des 1866 gegründeten „Vereins für Erziehung“ im Schloss Wolfenbüttel einen Kindergarten und eine Schule für Mädchen. Nach einem Zerwürfnis der Beiden übernimmt Anna Vorwerk 1870 die Leitung der Schule und erweitert diese stetig, beispielsweise um eine Gewerbeschule und eine Bildungsanstalt für Handarbeits- und Turnlehrerinnen. Sie gilt als wichtige Wegbereiterin der Frauenbewegung und kämpft insbesondere für eine bessere Ausbildung von Mädchen.

Die Anfänge dieser Bemühungen um eine bessere Bildung von Mädchen und Frauen gehen zurück in die Frühe Neuzeit. In zwei Beiträgen („Schule halten in der Frühen Neuzeit“ und „Lehrerinnen oder Nonnen? Zum pädagogischen Selbstverständnis katholischer Schulgründerinnen“) geht es summarisch um die Optionen für Lehrerinnen im niederen Schulwesen, in privaten Winkelschulen und bei der Ausbildung höherer Töchter. Spezielle Aufsätze widmen sich einzelnen Frauen. Dazu gehören bislang wenig bekannte Schulstifterinnen und Lehrerinnen.

Magdalena Heymair (um 1535 – nach 1586), Lehrerin in dem streng lutherisch gesinnten Haushalt der Freifrau Katharina von Degenberg, konvertiert von der katholischen zur evangelischen Konfession und muss Straubing verlassen. Durch Vermittlung Ludwig VI. von der Pfalz eröffnet sie mit ihrem Mann 1566 eine deutsche Schule in Cham, muss aber die Stelle unter dem calvinistisch gesinnten Landesherrn Friedrich III. von der Pfalz verlassen, wirkt als Lehrerin in Regensburg und später als Erzieherin im Haus des österreichischen Statthalters in Oberungarn Hans Rueber zu Pixendorf in Grafenwörth. Magdalena Heymair ist die einzige Frau, deren pädagogische Schriften vor dem 18. Jahrhundert für den Elementarunterricht bestimmt sind und „die noch zwei Jahrhunderte später ihr Publikum“ (S. 91) erreichen. Häufig fasst sie den Lehrstoff zur biblischen Geschichte in Erzähllieder und bringt den Lernstoff anderer Fächer in Verse.

Anna Sophia (1584–1652) sp. Gräfin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt, ist das jüngste Kind von Joachim Ernst von Anhalt und Fürstin Eleonora, sie heiratet Graf Karl Günther von Schwarzburg-Rudolstadt und fördert das Schulund Kirchenwesen, so ist sie Stifterin der Rudolstädter Mädchenschule und Gründerin einer nur für Frauen zugänglichen „Tugendlichen Gesellschaft“. Nach dem Tod ihres Mannes 1630 ist ihr Lebensmittelpunkt die Residenz nach Kranichfeld, auch dort gründet sie eine Schule. Viele Jahre ist sie Vertraute und später Nachlassverwalterin des lutherischen Schulreformers Wolfgang Ratke (1571–1635). Eine Lutheranerin, eine „bildungspolitisch wirkende Mäzenatin“ (S. 114). Anna Sophia von Brandenburg (1598–1659) heiratet 1614 Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Lüneburg und wird Herzogin Anna Sophia von Braunschweig-Wolfenbüttel. Durch ein Liebesverhältnis mit Herzog Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg, dessen kompromittierender Briefverkehr bekannt wird, flieht Anna Sophia. Es beginnt ein langer Prozess, in dessen Verhandlungen ihr Ehemann 1634 verstirbt. Sie lebt auf ihrem Witwensitz Schloss Schöningen. Sie „gilt als intelligente und selbstbewusst agierende Fürstin, … gestützt auf ein ausgedehntes dynastisch-familiäres Netzwerk“ (S. 143). So stiftet und fördert sie die städtische Schule Schöningen, die zu ihren Ehren Anna-Sophianeum genannt wird, und es gelingt ihr im Dreißigjährigen Krieg, durch geschickte Verhandlungen mit verschiedenen Lagern ihr Wittum aus den Kriegswirren herauszuhalten und außerdem die Universität Helmstedt zu schützen. Auch sie ist Mitglied der „Tugendlichen Gesellschaft“. Nach ihrem Tod wird sie übrigens in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom bestattet.

Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an der Humboldt-Universität Berlin, war von 1967 bis 1988 Biblio theksdirektor an der Berg akademie Freiberg und von 1989 bis 1990 General direktor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.

dieter.schmidmaier@schmidma.com

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