Editorial

Es ist nicht überraschend wie viele Migranten es gibt, sondern wie wenige.

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2020

Das Menschenrecht auf adäquate Ernährung steht im Fokus des fachbuchjournal-Gesprächs mit dem Ernährungsmediziner Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski. Der Wissenschaftler und Arzt forscht seit über 30 Jahren zur Bedeutung von Mikronährstoffen für die Gesundheit. Er ist national wie international engagiert im Kampf gegen den „verborgenen Hunger“. Weltweit stehen hinter jedem an Hunger sterbenden Kind zehn chronisch unter- und mangelernährte. Es gibt Länder, in denen jedes dritte Kind unter fünf Jahren an Krankheiten stirbt, die es ohne den sogenannten „Hidden Hunger“ wahrscheinlich nicht bekommen hätte! Wo Armut herrscht, gibt es diesen verborgenen, heimlichen Hunger mit verheerenden Auswirkungen. Je größer die Armut, desto ausgeprägter der Mikronährstoffmangel. Und das gilt nicht ausschließlich für die unterentwickelten Ländern, auch in Deutschland ist Armut fast immer ein Garant für Ernährungsarmut. Das muss sich ändern! „Forderungen kann man viele haben. Aber was nutzt eine Forderung, wie bei den Klimadiskussionen, wenn sich nichts bewegt?“, sagt der Wissenschaftler und das, obwohl es gründlich erforschte und umsetzbare kurz-, mittel- und langfristige Lösungen gibt. „Ich denke mal, wenn sich etwas bewegt, in diesem Falle die Masse der durch die westliche Ökonomie und den Klimawandel in den Hunger Getriebenen, spätestens dann wird man gezielter nachdenken, wenn es nicht bereits zu spät ist. Hunger war immer ein Impuls zu Revolution und Völkerwanderung. Wir wissen das und lassen es offensichtlich auf uns zu kommen. Die bedrohliche Entwicklung am Tschadsee, wo die Klimaänderungen zu Missernten oder auch zum Verfaulen des Getreides durch außersaisonale starke Regenfälle führen und gleichzeitig kriegerische Auseinandersetzungen den dort lebenden keine Alternative als die Flucht bieten, sollte uns beispielhaft zu denken geben.“ „Es ist nicht überraschend wie viele Migranten es gibt, sondern wie wenige“, sagt die französischen Armuts­ forscherin Esther Duflo, die 2019 den Wirtschaftsnobelpreis bekam.

In diesen Zusammenhang passt die Präsentation der Bücher über Exil, Flucht und Vertreibung. Hier geht es um die aus Nazi-Deutschland Geflohenen, aber vieles lässt sich verallgemeinern. In der Regel ist die Trennung von der vertrauten Umgebung nicht nur mit dem Verlust von materiellen Gegenständen, sondern auch von geistigen Gütern verbunden. „Denn mit der Suche nach einer neuen Heimat werden meist auch der bekannte Sprachraum und die Konventionen von Wissenschaft und Alltag zurückgelassen. Wie die Exilanten nicht nur das materielle Überleben bewältigen, sondern vor allem wie sie mit dem Verlust ihrer geistigen Heimat umgehen, diesem Thema widmen sich die vorgestellten Werke auf ganz unterschiedliche Weise.“ Und das ist lesenswert. Iran und China bilden die beiden Schwerpunkte in unserem landeskundlichen Teil. Die Bücher über den Iran vermitteln Wissen über das gebeutelte 80 Millionen-Volk zwischen Persischem Golf und Zentralasien. Sie bieten hilfreiche Einsichten in Geschichte, Religion, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft dieser alten Kulturnation. Viel profundes Wissen – statt Fake News – findet sich auch in den Büchern über China, die unser Rezensent ausgewählt hat. Seine Einleitung verdient besondere Beachtung, denn er sieht – gegen alle Unkenrufe – in Chinas Seidenstraßeninitiative eine große Chance für Europa. „Europäische Diplomatie könnte mit dazu beitragen, dass das neue Seidenstraßenprojekt zu einem Friedensprojekt wird.“ In der Rubrik Fotografie ist unsere Rezensentin von zwei Büchern ganz besonders berührt. Beide sind vor allem eine Auseinandersetzung damit, was mit dem Menschen passiert, wenn er, aus welchen Gründen auch immer – Alter, Armut, Reichtum – nicht mehr unter dem Raster der Norm Zuflucht findet. Mit dem Raster der – damaligen – Norm hatte in den wenigen Jahren ihres Bestehens zwischen 1919 und 1933 auch die Bauhaus-Schule zu kämpfen. Aber die kurzlebige Institution zeigte große Wirkung. Davon zeugen auch die vielen Bücher, die im Jubiläumsjahr 2019 entstanden sind. Wir stellen eine weitere Auswahl von außergewöhnlich schönen Verlagsprodukten vor. Überzeugen Sie sich. Allein manche Buchcover sind schon eine Augenweide.

Es gibt natürlich noch viele weitere nicht weniger interessante Themen in dieser Ausgabe. Sie werden sicher wieder Entdeckungen machen und für Sie persönlich wichtige oder überraschende oder einfach nur schöne Bücher finden.

Die Leipziger Buchmesse öffnet im März ihre Tore. Und natürlich sind auch wir vom fachbuchjournal wieder da. Wir freuen uns auf die weltoffene und neugierige Atmosphäre in den Messehallen und beim großen Lesefest in der Stadt. Und natürlich freuen wir uns auch auf die Begegnungen und Gespräche mit Ihnen.

Angelika Beyreuther

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