Kinder- und Jugendbuch

Die Sehnsucht nach der Ferne

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2019

Die frühen Reisen der Menschen haben nur wenig mit dem modernen Tourismus zu tun. Während sich letzterer meist auf ausgetretenen Pfaden bewegt, ging es damals darum, die weißen Flecken unserer Erde zu entdecken und zu kartographieren oder neue Handelswege zu finden. Entdecker, Händler und Abenteurer waren oft Jahrzehnte lang unterwegs und kehrten entweder reich und bereichert oder niemals wieder zurück. Eine Reihe von prächtig illustrierten Büchern erzählen jungen Lesern davon.

Rechtzeitig zum Humboldtjahr, dem 250. Geburtstag des großen Naturwissenschaftlers und Entdeckers, können sich junge Leser in die Abenteuer eines leidenschaftlichen und unerschrockenen Reisenden versetzen. Alexander von Humboldt oder Die Sehnsucht nach der Ferne schildert einen Wissenschaftler, der nicht nur das Glück einer hervorragenden Bildung, sondern auch ein großes Vermögen besaß und mit einer Mischung aus Wissensdurst und unbändiger Abenteuerlust die Flüsse, Urwälder und Vulkane Südamerikas erforschte. Mit seinem Begleiter Aimé Bonpland brach er im Jahre 1799 zu seiner Entdeckungsreise nach Südamerika auf.

Volker Mehnert/Claudia Lieb: Alexander von Humboldt oder Die Sehnsucht nach der Ferne, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2018, 112 S., 25,00 €. Ab 10

 

Anke Dörrzapf/Claudia Lieb: Die wunderbaren Reisen des Marco Polo, Gerstenberg Verlag, Hildesheim ­(Sonderausgabe) 2017, 112 S., 16,95 €. Ab 12

In ähnlicher Ausstattung und ebenfalls von Claudia Lieb illustriert erzählt Anke Dörrzapf in Die wundersamen Reisen des Marco Polo vom Reisen im späten Mittelalter. Im 13. Jahrhundert lagen die ersehnten Ziele im Osten, den man über Land und zu Pferde erreichte. Die Reisenden waren keine Wissenschaftler, sondern Händler. Bereits Marco Polos Vater und Onkel reisten als erfolgreiche venezianische Handelsleute bis China und erhielten freies und geschütztes Geleit des mächtigen Mongolenherrschers Kublai Khan. Marco Polo war 15 Jahre alt, als er seinen Vater zum ersten Mal sah und alt genug, um ihn auf einer zweiten Reise bis nach China zu begleiten. Auf ihrem gefährlichen Weg durch Anatolien, Persien und den Hindukusch kauften sie vorwiegend Edelsteine, die sich am leichtesten transportieren ließen. Von Marco Polo erfuhren die Venezianer nicht nur vom unermesslichen Reichtum der Mongolen, sondern auch, wie kultiviert es am Hofe ihres Herrschers zuging. Die Autorin verschweigt allerdings nicht, dass Marco Polos Erzählungen bereits von seinen Zeitgenossen als Übertreibungen angezweifelt wurden und ihm den Spitznamen „Il Milione“ einbrachten. Viele, auch ganzseitige Illustrationen geben einen unmittelbaren Eindruck fernöstlicher Kleidung und Architektur, während kurze Sachtexte den historischen Hintergrund zu den teils unglaublichen Abenteuern des jungen Venezianers liefern.

Ungefähr 100 Jahre später, nachdem Humboldt aus Berlin aufgebrochen war, kam in Frankreich ein Junge zu Welt, der bereits als Kind nichts anderes im Sinn hatte als Flugobjekte. Antoine de Saint-Exupéry lernte im ersten Weltkrieg fliegen, wurde später Luftpostpilot und überquerte zahllose Male die Wüste und den Atlantik, überstand mehrere Bruchlandungen und verbrachte mehr Zeit in der Luft als auf der Erde. Der Nachthimmel und die Sterne interessierten den Piloten weit mehr als die Erde. Der aus Prag stammende Illustrator Peter Sis hat in seinem Bilderbuch Der Pilot und der kleine Prinz kein herkömmliches Sachbuch verfasst, sondern vor allem seine Verehrung für den Dichterpiloten dokumentiert. Seine zarten, verspielten Zeichnungen lassen sich wie ein Text lesen, seine Texte dagegen, die sich in runder oder gewellter Form an den Zeichnungen entlang schlängeln, wie kleine Bilder betrachten. Das Buch bietet exakte Zeichnungen der ersten Flugmaschinen und erzählt gleichzeitig von äußerst riskanten Reisen durch die Luft, von denen eines Tages auch Saint-Exupéry nicht zurückkehrte.

Menschen reisen erst seit etwas über hundert Jahren durch die Luft, aber wann die Zugvögel zu Weltreisenden geworden sind, wissen auch die Forscher nicht genau. Bereits bei Homer lesen wir über das Verschwinden der Vögel und ihre Wiederkehr im Frühjahr, aber mit Spekulationen über ihren Winterschlaf in Höhlen lag man vollkommen schief. Fleur Daugey beantwortet in seinem Buch Vögel auf Weltreise viele Fragen nach dem Warum und Wohin dieser Vogelzüge, die alles menschliche Reisen in den Schatten stellen. In Gruppen oder ganz alleine finden die Vögel ihren Weg in den Süden und zurück, auf unsichtbaren Straßen fliegen sie mit unvorstellbarer Geschwindigkeit, Ausdauer und Zielsicherheit dahin. Kurze, locker formulierte Kapitel fesseln den jungen wie den erwachsenen Leser, wunderbare Illustrationen von fliegenden Vögeln und ihren Formationen am Himmel begleiten den spannenden Text und erfreuen das Auge.

Wer noch einmal genau wissen möchte, wie die Menschen vor der Erfindung der Pauschalreise von einem Ort zum anderen gelangten, sollte das Bilderbuch des Niederländers Peter Goes Flüsse dieser Erde zur Hand nehmen. Dieses großformatige Bilderbuch führt über eine Weltkarte der Ozeane zu den Wasserwegen sämtlicher Länder dieser Erde. Tiere und Pflanzen an den Ufern und Küsten, wichtige Städte und prominente Persönlichkeiten beleben diese großflächigen Landkarten. Jedes Detail ist mit kleinen, malerisch eingefügten Texten versehen, so dass die Seiten eine Fülle, geradezu Überfülle an Informationen und Bildeindrücken übermitteln. Das Auge mag sich öfter in dem kunterbunten Layout verirren; deshalb sollte man sich immer nur eine Doppelseite vornehmen, um die Orientierung in den opulenten Bildern nicht zu verlieren. Was bleibt nach der Lektüre dieser Bücher über die Schönheiten und Merkwürdigkeiten unserer Welt? Eine gesteigerte Reiselust gepaart mit der Sehnsucht nach vortouristischen Zeiten. ˜

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin und Publizistin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist als Referentin in der Erwachsenenbildung tätig und hat 25 Jahre lang die „Silberne Feder“, den Kinder- und Jugendbuchpreis des Dt. Ärztinnenbundes als Geschäftsführerin geleitet.“ 

bschmising@gmx.de

Peter Sis: Der Pilot und der kleine Prinz. Das Leben des Antoine de Saint-Exupéry, aus dem Engl. von Brigitte Jakobeit, Aladin Verlag, Hamburg 2014, 48 S. 19,90 €. Ab 6

Fleur Daugey/Sandrine Thommen: Vögel auf Weltreise. Alles über Zugvögel, aus dem Franz. von Edmund Jacoby, Jacoby&Stuart, Berlin 2016, 56 S., 18,50 €. Ab 9.

Peer Goes: Flüsse dieser Erde. Eine Reise über Flüsse, Meere und ­Ozeane. Aus dem Niederl. von Birgit Erdmann, Beltz&Gelberg, Weinheim 2018, 78 S., 24,95 €. Ab 8

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