Editorial

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Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2020

Wir brauchen verlegerische Vielfalt, um der Komplexität unserer Gegenwart beizukommen. Bietet man den Leuten nur die Bücher an, die sie sowieso lesen wollen, wird die Diskursfähigkeit unserer Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen.“

Die Frankfurter Buchmesse, die größte Buchmesse der Welt, wird nicht stattfinden. Nach monatelangem Hin und Her ist die längst überfällige Entscheidung gefallen, die Frankfurter Messehallen im Oktober geschlossen zu halten. Es wird in der Festhalle und in Frankfurts Innenstadt Live-Veranstaltungen geben und eine Social-Media-Kampagne namens „Signals of Hope“ soll an den Messetagen Hoffnung verbreiten; damit trete ein „stimmiges virtuelles Gesamtkonzept“ an die Stelle der physischen Präsenz, so die Mitteilung der Messe.­

Natürlich beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe mit den Auswirkungen der weltweiten Pandemie. Unsere Rezensenten stellen Bücher vor, die – trotz noch brüchiger empirischer Basis – Orientierung geben, welche Wege es für die Volkswirtschaften aus dieser Krise geben kann und sie haben juristische Literatur gesichtet, die praktische Hilfestellung in diesen Zeiten für ungewohntes Homeoffice und drohende Insolvenzen bereithält.

Auch Jubiläumsfeierlichkeiten haben es in diesem Jahr schwer. Zu Beethovens 250. Geburtstag waren viele Konzerte und Veranstaltungen geplant. Die fielen und fallen meist aus. Aber die Verlage haben eine große Anzahl wunderbarer Bücher zu diesem Anlass herausgebracht. Wir stellen eine kleine Auswahl vor. Auch die Feiern zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung fallen weitgehend der Vorsorge vor einer Ausbreitung der Pandemie zum Opfer. Aber auch da gibt es interessante Buchneuerscheinungen. Die Erinnerungen von Markus Meckel, Jahrgang 1952, „Zu wandeln die Zeiten“, will ich Ihnen besonders empfehlen. Sein Name ist mit der Oppositionsbewegung in der DDR, der Friedlichen Revolution von 1989 und dem Prozess der Deutschen Einheit eng verbunden. Der Pfarrerssohn und Pfarrer führte nach den freien Wahlen 1990 in der DDR zeitweise die Ost-SPD und verhandelte als DDRAußenminister die deutsche Einheit mit. Das Buch ist – nicht nur aber sicher in besonderer Weise – für Meckels Generation erhellend, denn unweigerlich vergleicht man, was man selbst in den geschilderten Jahren – entweder in der DDR oder wie ich in der Bundesrepublik Deutschland – gedacht und getan hat. Das ist eine Möglichkeit, der Komplexität der eigenen und der deutschen Geschichte differenziert neu auf die Spur zu kommen.

Unseren Fragebogen beantwortet diesmal Jürgen Christian Kill, Verleger des Liebeskind Verlags aus München, der dieses Jahr zu den drei Verlagshäusern gehört, die den mit 60.000 Euro dotierten Deutschen Verlagspreis erhielten. „Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich große Freude habe, Geschichten über die Geschichten anderer Leute zu erzählen und diese Geschichten dann so zu verpacken, dass wieder andere Leute diese Geschichten lesen möchten.“ Deshalb wurde er Verleger. Wunderbar. Ein Idealist! Auf die Frage, wie sich die Verlagslandschaft in den nächsten zehn Jahren verändern werde, antwortet er allerdings recht pessimistisch: „Noch fragmentierter. Die großen Verlagskonzerne werden weiter Markanteile gewinnen, die Independent-Verlage werden weiter in die Nische gedrückt, was dazu führt, dass immer mehr Mainstream-Literatur erscheinen wird. Dabei brauchen wir verlegerische Vielfalt, um der Komplexität unserer Gegenwart beizukommen. Wenn man den Leuten nur die Bücher anbietet, die sie sowieso lesen wollen, wird über kurz oder lang die Diskursfähigkeit unserer Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen. Ich fürchte jedoch, dass die Pluralität auf dem Buchmarkt weiter abnehmen wird.“

Erfreulicherweise gibt es aber auch heute noch recht viele Verlagen, die sich bewusst nicht am Massengeschmack und Mengengeschäft orientieren und mit ­ihren spezialisierten Programmen trotzdem beachtliche Verbreitung finden. Das gibt Hoffnung – und weckt Neugier. Wir stellen einige davon in dieser Ausgabe vor.

Und noch ein Tipp: Auch wenn es in unserer ganz handfesten und realen Printausgabe zur virtuellen Frankfurter Buchmesse wieder von der ersten bis zur letzten Seite viele Bücher zu einer Vielzahl von Themen zu entdecken gibt, fangen Sie doch einfach mal ganz hinten bei den zwei Seiten zu den Kinder- und Jugendbüchern an. Die illustrierten Gedichtbände begeistern und bieten bereits Kindern einen Blick über den deutschen Tellerrand. Und wenn man als Kind das Glück hatte, dass einem an der Bettkante vorgelesen wurde, dann geht einem das Herz bei der Gedichtsammlung „Jetzt noch ein Gedicht, und dann aus das Licht!“ besonders auf. Das und die anderen Bücher können zu poetischen und lustigen Begleitern werden, nicht nur für Kinder und nicht nur für den abendlichen Abschied am Bettrand. Und sie können trösten in diesen nicht alltäglichen Zeiten.

Angelika Beyreuther

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