Eduard Altarriba: Was ist Krieg? Übersetzt aus dem Katalanischen von Ursula Bachhausen. 48 S., Beltz & Gelberg, Weinheim 2022, ab 8 J.
▪ Eduard Altarriba versucht in seinem Sachbuch Was ist Krieg? differenziert und sachlich dieser Frage nachzugehen. Mit klaren Illustrationen, Infografiken und kurzen, prägnanten Texten informiert er über mögliche Ursachen eines Krieges, freiwillige oder unfreiwillige Akteure, politische und wirtschaftliche Interessen, Militärtechnologie, Propaganda und Cyberkrieg, Kriegsgeschichte und Kriegsfolgen, ebenso über die Regeln des humanitären Völkerrechts und die Rolle internationaler Vermittler, um Friedensgespräche in Gang zu bringen. Am Ende findet sich ein Dossier zum Krieg in Syrien und über „Russlands Krieg gegen die Ukraine“. Ein hilfreiches Sachbuch zur gemeinsamen Lektüre mit den Eltern, um die komplexen Zusammenhänge besser verstehen und gemeinsam Antworten finden zu können.
Kathleen Vereecken, Julie Völk (Ill.): Alles wird gut, immer . Aus dem Niederländischen von Meike Blatnik. 144 S., Gerstenberg, Hildesheim 2021, ab 10 J.
▪ Fasziniert hält Alice „eine Blechkugel, fußballgroß, mit allen Ländern darauf“ – ein Geschenk ihres Vaters – in ihren Händen: „Das war das schönste Geschenk der Welt und wir hatten es einfach so bekommen. Es war die Welt selbst. (…) All die Farben. Guck mal, Clara, wie schön die Welt ist!“, sagt Alice, die Ich-Erzählerin in Kathleen Vereekens Geschichte Alles wird gut, immer ihrer jüngeren Schwester Clara. Doch Alice, die mittlere von fünf Geschwistern, die eigentlich nur gern mit ihrer besten Freundin Johanna spielen, zur Kirmes gehen und im Gras liegen und träumen möchte, muss durchleben, wie plötzlich ein „doofer, doofer Krieg“ ausbricht. Sie erfährt die „plötzliche Stille“ der Eltern, wenn sie ins Zimmer tritt. „Eine Stille, die mehr wog als ein Rucksack voller Steine. (…) Ich lernte zu schleichen, zu warten, den leisen Stimmen meiner Eltern zu lauschen. (…) Vor allem das eine Wort, das Mal für Mal wiederkehrte: Krieg.“ Im Sommer 1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Deutsche Truppen marschieren durch Belgien und hinterlassen brennende Häuser und Verwüstung. Alice sieht die ersten Flüchtlinge durch ihr Dorf ziehen, bis auch ihre Familie flieht und Verluste sie treffen. Und doch: „Alles wird gut“, wie ihre Mutter stets verspricht, denn Alice übernimmt Verantwortung und wächst über sich hinaus. Einfühlsam und kraftvoll gibt Vereeken Kindern in dieser zeitlosen Geschichte von Krieg und Flucht eine gewichtige Stimme über Familienzusammenhalt, Freundschaft und Hilfsbereitschaft, unterstützt durch die feinen, ausdrucksstarken Zeichnungen von Julie Völk. Ein bewegendes Buch, basierend auf „Erinnerungen echter Menschen, die damals Kinder waren“.
Anna Woltz: Nächte im Tunnel. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. 224 S., Carlsen, Hamburg 2022, ab 14 J.
▪ Verzweifelt suchen in London im Herbst 1940 Menschen Schutz vor den deutschen Luftangriffen in den Tunneln der U-Bahn. Unter ihnen sind auch die nach einer überstandenen Polioerkrankung hinkende 14-jährige Ella mit ihrem kleinen Bruder Robbie und Familie, der 16-jährige Jay, der sich allein mit kleinen Gaunereien durchschlägt, und die 15-jährige Quinn, Tochter eines Grafen, die von zu Hause abgehauen ist, um im Krankenhaus zu helfen. Schonungslos erzählt Ella in Anna Woltz neuem Jugendroman Nächte im Tunnel, wie ein Überleben möglich ist, „wenn du Nacht für Nacht im Dunkeln wartest, die knallharten Eisenrippen des Tunnels im Rücken, während über deinem Kopf die Welt zusammengeschlagen wird“ und Menschen „wie magere Sardinen in einer kolossalen Büchse (…) Seite an Seite auf dem Boden“ liegen. In dieser brutalen Realität begegnen sich die vier und werden eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie lernen voneinander in ihrer Wut und Verzweiflung, stärken sich in ihrem Selbstvertrauen – „Mir gelingt alles“ –, ihren Hoffnungen auf „eine neue Welt“ und verlieben sich. So schockierend angesichts der bedrückenden Aktualität, so mitreißend ist dieser dialogreiche, sprachgewaltige Roman dank des unglaublichen Überlebenswillens der Jugendlichen.
Romana Romanyschyn, Andrij Lessiw: Als der Krieg nach Rondo kam. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe und Oksana Semenets. 40 S., Gerstenberg, Hildesheim 2022, ab 5 J.
▪ Rondo ist eine ganz besondere Stadt: „Die Luft war frisch und klar, wie aus feinem Licht gesponnen. Die Bewohner waren einfallsreich und zart.“ Überall blühen Blumen und mitten in der Stadt steht ein riesiges Gewächshaus mit Blumen, die sogar singen können. So die Beschreibung des ukrainischen Künstlerpaares Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw im Bilderbuch Als der Krieg nach Rondo kam. Am meisten lieben die drei Freunde Danko, Fabian und Sirka, drei kleine, zerbrechliche Fantasiewesen, Rondo. Eines Tages, „aus dem Nichts“ kommt der Krieg in die Stadt, „schwarz und bedrohlich“. Und die Blumen werden schwarz und singen nicht mehr. Aber die drei Freunde stellen sich dem Krieg mit einer genialen Idee in den Weg: „Der Krieg bekam Angst, (…) weil selbst der kleinste Lichtstrahl die Dunkelheit vertreiben konnte.“ Ein außergewöhnliches und ehrliches Bilderbuch, das durch seine kindgerechte, realistische Bild- und Textsprache, kontrastreich zwischen Licht, Blumen und Musik und Dunkelheit und Zerstörung spielend, es Eltern erleichtert, selbst mit jüngeren Kindern Unfassbares zu thematisieren.
Elzbieta: Floris & Maja. Aus dem Französischen von Barbara Haupt. 40 S., Moritz, Frankfurt 1994/2022, ab 5 J.
▪ In dem Bilderbuch Floris & Maja von Elzbieta spielen die beiden Hasenkinder Floris und Maja jeden Tag am Bach zusammen und wollen einander heiraten, wenn sie groß sind. Dann kommt der Krieg und ein Stacheldraht trennt sie, ja sie dürfen nicht einmal den Namen des anderen nennen. Floris’ Vater muss in den Krieg ziehen. Als der Krieg eines Tages verschwunden war, kehrt er verwundet und ohne Bein aus dem Krieg zurück. Nur der Stacheldraht bleibt. Aber Maya findet in diesem berührenden, hoffnungsvollen, kleinen Bilderbuch mit wenig Text und zarten, ganzseitigen Illustrationen ein Schlupfloch im Stacheldraht, sodass beide am Ende wieder zu einander finden. Und dennoch bleibt die Warnung von Floris’ Vater: „Den Krieg kann man nicht töten, kleiner Floris. Denn er wird niemals sterben! Er schläft nur hin und wieder ein. Und wenn das geschieht, muss man sehr leise sein, um ihn nicht aufzuwecken.“ •
Renate Müller De Paoli ist freie Journa lis tin.
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