Landeskunde

Vietnam – der aufsteigende Drache

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

Baldauf, Heike, Vietnam. Ein Länderporträt. Ch. Links Verlag, 2016, 231 S., ISBN 978-3-86153-881-3, € 18,00.

    Die Leipziger Journalistin Baldauf reist seit 1979 regelmäßig nach Vietnam. Ihr Buch erläutert, wie die besonders enge deutsch-vietnamesische Beziehung entstand und welche Chancen darin liegen. Die Kapitel reichen von Alltagseinblicken über sozioökonomische Hintergründe bis zu einer kleinen Kulturgeschichte des Landes. Das Vorwort bietet einen ersten Überblick: China ist zwar Vietnams größter Handelspartner, wird aber als traditionell übermächtiger Nachbar kritisch beäugt. Rund 100.000 Vietnamesen verbrachten ihre Jugend in der DDR, woraus enge und dauerhafte Verbindungen entstanden. Bildung genießt einen hohen Stellenwert in diesem an Naturschätzen reichen Land, das sich durch 54 Ethnien mit eigenen Kulturen auszeichnet. In den nächsten Kapiteln geht es um Krieg, soziale Ungleichheit, Hanoi und Brauchtum. Die Autorin verdeutlicht Ho Chi Minhs prägende Rolle als Gründer der Kommunistischen Partei Vietnams, als Befreiungskämpfer und als Präsident Nordvietnams von 1954 bis zu seinem Tod 1969. Er werde bis heute vom Volk verehrt. Ausführlich schildert sie die von den USA verübten Gräuel des Vietnamkrieges, beispielsweise die verheerenden gesundheitlichen Langfristfolgen des dioxinhaltigen Entlaubungsmittels, das die US-Streitkräfte im Dschungelkampf einsetzten. Ebenso die Armut der Menschen in den Hoch- und Randlagen, die wenig Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen genießen. Einen Schwerpunkt des Buches stellt Hanoi dar. Die Verfasserin verhehlt nicht, dass sie die Hauptstadt liebt, kritisiert aber auch Vietnams bestechliches Regierungssystem, wenn es um den Erhalt historischer Straßenzüge geht. Das Korruptionsthema zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Buch. Im Brauchtum-Kapitel erklärt Baldauf unter anderem, was Vietnam von China unterscheidet. Anschließend geht es um Politik, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Kultur. Politischen Streit gibt es mit China um die Paracel-Inseln. Außerdem konkurriert Vietnam mit China, Brunei, Malaysia, den Philippinen und Taiwan um die Spratly-Inseln. Wirtschaftlich öffnet sich das kommunistische Land seit Jahrzehnten: 1997 trat es der ASEAN-Gemeinschaft bei. 2001 folgte ein Handelsabkommen mit den USA, 2007 der Beitritt zur Welthandelsorganisation und 2015 ein Handelsabkommen mit der EU. Reiche Bodenschätze und ein langfristig lukrativer Automarkt sind laut Baldauf für westliche Wirtschaftspartner besonders interessant. Beim Thema Bildung arbeiten Deutschland und Vietnam bereits eng zusammen, etwa mit der Vietnamese German University in Ho-Chi-MinhStadt. Nach einem Exkurs in die Tourismusbranche macht die Verfasserin das besondere deutsch-vietnamesische Verhältnis begreiflich. Deutsche Unternehmen gelten in Vietnam als sehr beliebte Arbeitgeber, zumal sie höhere Gehälter zahlen und es unübersehbare Parallelen zwischen beiden Ländern gibt – neben der Teilungserfahrung etwa eine ähnliche Arbeitsmoral. Großkonzerne wie BMW, Bosch, BASF, Siemens und Daimler betreiben dort längst eigene Produktionsstätten, während mittelständische Unternehmen noch auf sich warten lassen. Ab den 1970er Jahren kamen viele Vietnamesen nach Deutschland – Südvietnamesen eher in den Westen, Nordvietnamesen eher in den Osten. Seit 2011 erleichtert eine strategische Partnerschaft beider Länder Geschäfte in Vietnam und weiteren ASEAN-Staaten.

    Insgesamt vermittelt Baldauf ein facettenreiches und positives Bild des Landes. Genau darin liegt allerdings auch eine Schwäche ihres Buches: Kritische Töne, insbesondere gegenüber Ho Chi Minh und dem ehemaligen Nordvietnam, sind rar. Auch die Flucht südvietnamesischer „Boat People“ vor ihren nordvietnamesischen Landsleuten und die ungünstigen Folgen jahrzehntelanger kommunistischer Planwirtschaft werden nur beiläufig erwähnt. Aber die Kernbotschaft für Deutschlands Wirtschaft ist klar: „Vietnam rollt uns den roten Teppich aus. Wir müssen nur darüber hinweggehen“ (S. 217).

    Stefan Wolf, Vietnam. Internationales Handbuch der Berufsbildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufs­ bildung, Band 54. Verlag Barbara Budrich 2021, 117 S., ISBN 978-38474-2929-6, € 29,90.

    Vietnamesische Fachkräfte aus Bereichen wie der Krankenpflege oder Mechatronik sind bei der deutschen Wirtschaft begehrt. Was es hierbei in Deutschland und bei vietnamesischen Direktinvestitionen zu beachten gilt, darüber gibt der Autor detailliert Auskunft. Er ist Vertretungsprofessor und Leiter des Fachgebiets Berufspädagogik und berufliche Rehabilitation an der Technischen Universität Dortmund.

    Kapitel 1 bietet einen landeskundlichen Überblick, der den sozioökonomischen Kontext für die folgenden Spezialkapitel bildet. Kapitel 2 stellt exemplarische vietnamesische Berufsausbildungen vor, Kapitel 3 liefert einen Überblick über das gesamte Bildungssystem. Die restlichen Kapitel ordnen die berufliche Aus- und Weiterbildung noch detaillierter ein, enthalten weiterführende Literatur und praktische Informationen wie Rechtsgrundlagen und Kontaktstellen. Auch für Laien von Interesse sind das erste und dritte Kapitel. Denn Kapitel 1 führt kurz und bündig in die vietnamesische Politik, Wirtschaft und Kultur ein. Vor allem die rasante ökonomische Entwicklung seit der Öffnung ab den 1980er Jahren liest sich spannend. Da wird deutlich, warum sich eine Beschäftigung mit dem Land und seinen Fachkräften besonders lohnt. Kapitel 3 bettet das Berufsbildungssystem umfassend in die Entwicklungsgeschichte der vietnamesischen Bildungslandschaft ein. Sie ist von der wechselvollen Geschichte des Landes nicht zu trennen. Beispielsweise verbreiteten französische Lehrkräfte zur Kolonialzeit Ideen wie Nationalismus und Marxismus. „Das Kolonialregime legte damit den Grundstein für den Befreiungskampf der vietnamesischen Bevölkerung“ (S. 45). Im Übrigen eignet sich das Buch eher für Fachleute.

    Andreas Stoffers, Long Quang Pham (Hrsg.), Der auf ­ steigende Drache – Erfolgreich in Vietnam. Ein interkultureller Guide für alle, die in Vietnam arbeiten oder arbeiten wollen. Springer Gabler, 2021­ 248 S., ISBN 978-3-658-34238-8, € 59,99.

    Stoffers ist Professor für Internationales Management in München und Landesdirektor Vietnam der Friedrich-Naumann-Stiftung in Hanoi. Pham promoviert am Vietnamesischen Institut für Entwicklungsstrategien in Hanoi. Die weitere 17 Autoren kommen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch sie verfügen über profunde Vietnam-Kenntnisse und Bindungen. Jedes Kapitel startet mit einer kurzen Zusammenfassung der jeweils bis zu sechs Einzelartikel und endet mit weiterführenden Literaturempfehlungen und Verweisen. Zunächst geht es um Geschichte, Sprache, Fettnäpfchen, regionale Unterschiede, Politik und Verwaltung sowie Ho Chi Minh. Das Kapitel zur Karriereplanung empfiehlt erfolgversprechende Kulturtechniken während und nach dem Auslandseinsatz. Die Aufsätze in „Mensch und Arbeit im Unternehmen“ drehen sich um Unterschiede zwischen deutschen und vietnamesischen Beschäftigten und deren optimale Zusammenarbeit. Weiter geht es mit Netzwerken und rechtlichen Fallstricken. „Das Leben in Vietnam genießen“ handelt von den vielfältigen Begleiterscheinungen, mit denen ein Auslandseinsatz steht und fällt, etwa die Herausforderungen für mitreisende Familienangehörige. Der Anhang präsentiert kompakte Informationen über das wirtschaftspolitische System und konkrete Ansprechpartner in Vietnam, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Insgesamt bietet der Sammelband vielfältige praktische Informationen und persönliche Einblicke. Das macht die Lektüre authentisch, aber streckenweise langatmig. So hätte manch ein Lebensbericht kürzer ausfallen können (z.B. die Familiengeschichte auf S. 177 ff.). Daneben wiederholt sich Altbekanntes (z.B. Hofstedes Kulturdimensionen in den Abbildungen auf S. 52 und 97). Im Gegenzug ist das Buch bestens strukturiert und leicht lesbar. So bleibt auch beim Überfliegen einiges hängen oder kann fallweise vertieft werden. (bk)

    Prof. Dr. Britta Kuhn lehrt seit 2002 VWL mit Schwerpunkt International Economics an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain.

    britta.kuhn@hs-rm.de

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