Recht

Prüfungsrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2022

Fischer, Edgar / Jeremias, Christoph / Dieterich, Peter, Prüfungsrecht, C.H.Beck Verlag, 8. Aufl., München 2022, ISBN 978-3-406-77900-8, 523 S., € 65,00.

„Prüfungen sind organisierte Willkür!“. Diesen Satz eines Berliner Hochschullehrers hat der Rezensent, der mittlerweile auf über 40 Jahre Prüfungstätigkeit zurückblicken kann, noch gut im Gedächtnis. Gleich wie man zu der skizzierten Aussage stehen mag: Die mutmaßliche Richtigkeit eines Prüfungsergebnisses in juristischen Staatsexamina kann man immerhin daraus folgern, dass – schriftliche und mündliche Leistungen zusammengezählt – rd. 20 Personen an der Endnote beteiligt sind. Prüferinnen und Prüfer sind Menschen und selbige sind nun mal verschieden. Sie können wohlwollend veranlagt sein oder eher das Gegenteil verkörpern. Sie mögen am Prüfungstag gute Laune haben oder in einer eher miesen Stimmung sein. Aber auch die Prüflinge sind verschieden: Sie können sympathisch oder weniger ansprechend wirken. Ihnen kann die Prüfungsangst ins Gesicht geschrieben sein, andere sind dagegen immun. Wer sagt, all dies spiele bei der Benotung keine Rolle, verkennt die Realität. Bei den Korrekturen von Klausuren oder Hausarbeiten entscheidet nicht selten, zu welcher Tageszeit man die Arbeiten nachsieht, ob morgens, mittags oder abends. So merkwürdig das klingen mag: Die Note hängt vielfach auch davon ab, in welcher Reihenfolge die Arbeiten liegen. Liest man mehrere Klausuren wenig erbaulichen Zuschnitts, so mag der „Euphorieeffekt“ dazu führen, dass man dann einer besseren, gleichwohl eher durchschnittlichen Arbeit eine zu hohe Note zubilligt. Die umgekehrte Konstellation ist genauso möglich. Und der Prüfungsstoff hängt vielfach davon ab, welche Tageszeitung die Prüfenden lesen. So rät man juristischen Examenskandidaten nicht selten, sie mögen sich über die aktuellen Geschehnisse auf dem Laufenden hal-ten. Manch ein Prüfer hat Steckenpferde, von denen die Prüflinge noch nie etwas gehört haben. Da die Benotung einer Leistung vielfach von Wertungen abhängt, kommt all diesen Einzelbausteinen eine große Bedeutung zu. Es liegt in der Natur der Sache, dass Prüflinge häufig mit ihren Noten nicht zufrieden sind. Fühlen sie sich ungerecht behandelt, folgt nicht selten ein Widerspruch, wird dem nicht abgeholfen, müssen die Gerichte entscheiden. Schon vor rd. 45 Jahren hat deshalb Norbert Niehues einen Leitfaden zum Prüfungsrecht vorgelegt. Fischer, Jeremias und Dieterich sind in der nun vorliegenden 8. Auflage dieses Werkes an seine Stelle getreten. Eine besondere Herausforderung bildeten insoweit elektronische Prüfungen, wie sie im Zuge der Covid 19-Pandemie durchaus üblich geworden sind.

Begonnen wird das Buch mit einer Einführung, in welcher Grundfragen des Prüfungswesens erörtert werden (A., S. 1 – 9). Bei den Rechtsgrundlagen der Prüfungen (B., S. 11 – 81) wird insbesondere der Vorbehalt des Gesetzes betont, breiten Raum beanspruchen auch die Ausführungen zur Rechtsgültigkeit von Prüfungsordnungen. Einen absoluten Schwerpunkt der Darstellung nimmt das Prüfungsverfahren ein (C., S. 83 – 283). Hier werden Rechte und Pflichten des Prüflings besprochen, für Prüfer interessant ist der Abschnitt über dessen Person. Persönliche und fachliche Qualifikation sollte natürlich vorhanden sein. Nur: Wie verfährt man, wenn niemand vorhanden ist, der über das entsprechende fachliche Wissen verfügt und zwingend geprüft werden muss? Fairness und Sachlichkeit gerade im Prüfungsgespräch sind unumgänglich – auch wenn es einzelnen Prüferinnen und Prüfern angesichts der wenig erhellenden Antworten schwerfallen mag (S. 186 ff.). Zur Besetzung der Prüfungskommission gibt es auch einiges zu sagen (S. 200 ff.). Wichtig sind auch Form und Verlauf der Prüfung (S. 225 ff.) sowie insbesondere die Folgen der Verletzung von Verfahrensvorschriften (S. 268 ff.). Mit der Bewertung der Prüfungsleistungen greifen die Verfasser sicherlich eines der brisantesten Probleme auf (D., S. 285 – 355). Der Autor dieser Zeilen war schon mehrfach als Drittgutachter in Fällen tätig, in denen Erst- und Zweitgutachter zu diametral verschiedenen Ergebnissen kamen. Was die eine genial fand, erschien dem anderen unsinnig. Natürlich kann man gewisse Leitlinien für die Bewertung aufstellen, aber letztendlich bleibt eine Wertung nun mal eine Wertung. Weniger spektakulär sind dann die formalen Aspekte der Prüfungsentscheidung (E., S. 357 – 372) und die Anerkennung von Abschlüssen bzw. sonstigen Berechtigungen interessiert in erster Linie die Prüfungsämter (F., S. 373 – 395). War man in früheren Zeiten durchgefallen, gab es in der Regel (nur) eine Wiederholungsmöglichkeit; von einem „Freischuss“ konnte man nur träumen. Heutzutage muss ein Buch zum Prüfungsrecht auch insoweit mehrere Fallgestaltungen berücksichtigen (G., S. 397 – 410). Die Wiederholung sparen sich die betroffenen Prüflinge, wenn ihre Prüfer bereit sind, auf entsprechenden Vorhalt hin die Note nach oben zu korrigieren (H., S. 411 – 426). Dass dies manchmal eine gewisse Überwindung kostet, mag folgendes Beispiel belegen: Rund drei (!) Jahre nach Abfassung der Klausur wollte das Verwaltungsgericht eine Begründung dafür haben, warum als monitum „zu knapp“ am Rand der Arbeit stand. Prozessrechtliche Fragen (I., S. 427 – 510) schließen die Darstellung ab, wobei wiederum der Bewertungsspielraum der Prüfer Gegenstand der Darstellung ist (S. 480 ff.).

Das Prüfungsrecht von Fischer, Jeremias und Dieterich richtet sich an eine spezielle Klientele, für Prüfungsämter, mit Prüfungsrecht befasste Kammern sowie entsprechend spezialisierte Anwälte ist es Pflichtlektüre. Bei manchen Prüferinnen und Prüfern wäre ein Blick in den Leitfaden durchaus geboten, wenn man ihnen als Kommissionsmitglied so zuhört. Wenn die Hälfte der Zeit mit dem Vortragen des Sachverhalts verstreicht – um es einmal überspitzt zu formulieren – muss man sich schon fragen, ob die betreffende Person am richtigen Platz ist. Aber auch hier muss man sehen, dass es für Prüfungsämter bisweilen schwer ist, geeignete Prüferinnen und Prüfer zu finden. Es ist nicht jedermanns Sache, stundenlang in den Prüfungsräumen zu sitzen und konzentriert den Prüflingen zu lauschen; es gibt angenehmere Beschäftigungen. Den Geprüften wiederum mag das Werk nützen, wenn sie mit ihrem erzielten Ergebnis nicht zufrieden sind. Dass das Buch als solches notwendig ist, beweist schon die Tatsache, dass es vor 45 Jahren erstmals erschien und regelmäßig Neuauflagen herauskamen. (cwh) 🔴

 

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder

cwh@uni-mainz.de

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