Recht

Anwälte erzählen

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2023

Jahn, Matthias / Tsambikakis, Michael (Hrsg.), Zeugen der Verteidigung. 25 Anwaltspersönlichkeiten­ erzählen, Wolters Kluwer, Hürth 2022, ISBN 978-3-452-29888-1, 302 S., € 79,00.

    Der Beruf eines Hochschullehrers, auch wenn er an einer juristischen Fakultät lehrt, bringt es mit sich, dass die Zuhörerschaft nicht selten aus Nichtjuristen besteht. Und so bin ich – obschon Zivilrechtler – schon des Öfteren gefragt worden, wie man es denn ethisch vor sich selbst rechtfertigen könne, Personen vor Gericht zu vertreten, von denen man wisse, dass sie im Unrecht seien. Ich pflege stets zu antworten: „Ich würde nie Strafverteidigungen übernehmen, wenn ich an der Unschuld des Betreffenden zweifelte.” In der Tat kann ich auf eine einschlägige Erfahrung verweisen: Vor Jahrzehnten – ich war noch nicht Lehrstuhlinhaber – hatte ich mich bereit erklärt, für einen Rechtsanwalt eine mündliche Verhandlung vor dem Arbeitsgericht zu übernehmen. Ich kannte zwar die Akte, nicht aber den Mandanten. Er war von seiner Arbeitgeberin gekündigt worden, weil er – angeblich – ihm anvertraute Kohlensäureflaschen unter der Hand verkauft und das Geld eingesteckt hatte. Das Gericht hatte ihn geladen und vor dem Termin fragte ich ihn – was ich nicht hätte tun sollen: „Stimmt das, was Ihre Chefin da behauptet?” Und der Kamerad antwortete frank und frei: „Na klar, wie soll ich denn sonst zu Kohle kommen? Aber ich habe schon einen neuen Job, mich juckt das hier alles nicht.” Angesichts mancher abscheulicher Straftaten war das Verhalten des Mandanten sicherlich ein Tun der harmloseren Art; wenn natürlich auch kriminell. Gleichwohl weiß ich noch wie heute, dass ich in der mündlichen Verhandlung, in welcher ich der Arbeitgeberin gegenüberstand, einigermaßen gehemmt war; eine „hingebungsvolle” Vertretung war mir angesichts der Kenntnis der Fakten nun nicht mehr möglich. Umso mehr fühle ich mich durch die in dem Buch von Jahn und Tsambikakis wiedergegebene Aussage eines Strafverteidigers bestätigt, der auf die Frage „Welchen Fehler bei Mandantinnen und Mandanten entschuldigen Sie am ehesten?” antwortet: „Wenn jemand fälschlicherweise leugnet, die Tat begangen zu haben, bin ich dankbar, wenn er es auch mir gegenüber leugnet” (S. 75). Und wenn auch das – in solchen Fällen durchaus nicht unübliche – seinerzeitige Ergebnis des Prozesses die Mandantschaft durchaus zufrieden stellte – „Betriebsbedingte Kündigung, vernünftiges Zeugnis und Zahlung einer Abfindung” –, noch heute bin ich auf diese „Leistung” keineswegs stolz. Denn „gerecht” war dieser Ausgang des Prozesses sicherlich nicht; aber auch das ist eher eine epistemische Feststellung.

    Skrupel dieser Art sollten Strafverteidiger nicht haben – schließlich leben sie davon, Unschuldige und Schuldige vor staatlich verordneter Besinnung bzw. nachteiligen pekuniären Folgen zu bewahren. Der Ehrlichkeit halber muss gesagt werden, dass diese Aussage auch für alle anderen Berufsgruppen gilt, die mit interessengebundenen juristischen Tätigkeiten ihr Geld verdienen. Der Juristenstand lebt nun mal vom Unfrieden und den Zerwürfnissen der Menschen. Der Autor dieser Zeilen hat die Besprechung des von Jahn und Tsambikakis herausgegebenen Werkes schon deshalb gerne übernommen, weil einer der Erlebnisberichte (S. 265 ff.) von seinem ehemaligen Chef an der Universität Konstanz stammt. Ich hatte seinerzeit eine Hilfskraftstelle am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht bei Prof. Dr. Klaus Volk inne, die Materie und der Hochschullehrer hatten mich durchaus fasziniert. Damit wären wir endgültig beim Thema: Was soeben als „Erlebnisberichte“ charakterisiert wurde, ist eher eine Zusammenstellung von Antworten auf Fragen. Die Herausgeber haben sich 25 zum Teil auch der breiten Öffentlichkeit bekannte Personen aus dem Metier ausgesucht, um die Leserschaft an ihrem Wirken – und vielleicht auch ihrem Innersten – teilhaben zu lassen. Es finden sich so illustre Namen wie Gregor Gysi, Otto Schily und Christian Ströbele, andere sind nur Insidern des Metiers bekannt. Den Interviewten wurden teilweise dieselben Fragen gestellt: „Wie sind Sie zur Strafverteidigung gekommen?“, teilweise speziell auf die betreffende Person zugeschnittene Bekenntnisse entlockt: „Woran erkennt man apokryphe Haftgründe?“ (S. 65 – um der geneigten Leserschaft das Nachschlagen zu ersparen: altgriechisch ἀπόκρυφος = verborgen, dunkel). Das Buch liest sich äußerst interessant, wobei je nach Hintergrund des Konsumenten manche Fragen mehr Aufmerksamkeit beanspruchen werden als andere. Angesichts des oben skizzierten Ausgangspunktes haben mich vor allem die Aussagen bewegt, weshalb Mandate abgelehnt wurden. Während hierzu teilweise dezidierte Standpunkte vertreten wurden (S. 216: Wenn der Mandant erklärt, er habe die Straftat begangen und verlangt, man solle ihn mit dem Ziel eines Freispruchs verteidigen), sehen dies andere diametral entgegengesetzt.

    Abschließend sei eines klargestellt: Jeder Beschuldigte bzw. Angeklagte hat das Recht auf eine angemessene Vertretung seiner Interessen vor Gericht bzw. auch schon im Vorfeld desselben vor Polizei und Staatsanwaltschaft. Diese Feststellung ist unmittelbare Folge des Rechtsstaates. Strafverteidiger muss es also geben! Die Leserschaft mag sich bei der Lektüre dieses sehr interessanten Buches selbst die Frage beantworten, ob dieser Beruf etwas für sie wäre. (cwh)

    Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.

    cwh@uni-mainz.de

    Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

    Datenschutzerklärung