Biografien

Macht. Ohnmacht. Widerstand. Verfolgung. Emigration. Karrieren.

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 6/2021

Christiane Kruse: Berlin 1933. Verfolgung. Emigra­tion. Karrieren. Berlin: Edition Braus, 2021. 131 S. ISBN 978-3-86228-218-0 € 19.95


    Christiane Kruse: Macht, Ohnmacht, Widerstand. Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus. 50 Porträts. Berlin: Edition Braus, 2019. 161 S. ISBN 978-3-86228-200-5 € 14.95

      Die beiden Titel hat der Rezensent als Überschrift gewählt, weil sie die Vielfalt der hier versammelten Bücher am besten kennzeichnen.

      In Berlin 1933. Verfolgung. Emigration. Karrieren fragt die Autorin: „Was genau ereignete sich hier in diesem »Schicksalsjahr«? Vor dem Hintergrund von Gleichschaltung, Vereinnahmung und Terror werden die Lebenswege und Schicksale einer Reihe bekannter Berlinerinnen und Berliner betrachtet, die sich dem neuen Regime bereitwillig anpassten, eine unverhoffte Karriere begannen, sich in die innere Emigration zurückzogen oder Deutschland auf der Flucht vor den Nazis noch im gleichen Jahr verließen.“ (S. 5)

      Der erste Teil fasst die Vorgeschichte Berlins in den 1920er Jahren und die einschneidenden Ereignisse im Berlin des Jahres 1933 zusammen. Der zweite Teil besteht aus fünf Kapiteln mit Kurzbiografien von Personen aus den verschiedensten Bereichen und mit den unterschiedlichsten politischen Anschauungen: Der ersten Emigranten u.a. mit Pieck und Ulbricht, Brecht und Weigel, Weill und Lenya, Feuchtwanger und Seghers; Ausgrenzung, Isolation, innere Emigration u.a. mit Heuss, Kollwitz, Kästner, Sintenis; vergebliche Suche nach Kompromissen in der Kunst u.a. mit Mies van der Rohes Kampf um das Bauhaus in Berlin, Emil Nolde und die »deutsche« Malerei; Zustimmung und Vereinnahmung u.a. George, Rühmann, Furtwängler; Traumkarrieren mit Gründgens, Riefenstahl und Speer. Leider verrät uns die Autorin ihre Konzeption und die Auswahl der Personen nicht, zumal ein großer Teil der Personen keine gebürtigen Berliner sind.

      Ein interessantes, anregendes Buch für Einsteiger, das mit Hinweisen auf die wichtigsten Berliner Schauplätze und einem Epilog über Berlin bis 1945 schließt. In Macht, Ohnmacht, Widerstand geht es um das Frauenbild im Nationalsozialismus anhand von 50 Porträts. Die NS-Ideologie ist eindeutig frauenfeindlich, Entscheidungsträger sind immer die Männer der NS-Elite. Die Rolle der Frau als die Gefährtin des Mannes, als Hausfrau und Mutter wird mystifiziert und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Propaganda und mit allen Medien beworben. „Dennoch verhielten sich die Frauen … kaum anders als die dominierenden Männer. Neben der überwiegenden Mehrheit, die die Diktatur des »Dritten Reichs« begrüßte oder sich mit ihr arrangierte, gab es fanatische Nationalsozialistinnen und Profiteurinnen, Mitläuferinnen und Täterinnen, Frauen in der Opposition und im aktiven Widerstand.“ (S. 5)

      Da sind glühende Hitlerverehrerinnen wie Elsa Bruckmann, die Ehefrau des Münchener Verlegers, die Ehefrauen der Nazigrößen, die die Teilhabe an der Macht der Männer genießen wie Magda Goebbels und Emmy Göring, fanatische Antisemiten wie Elly Ney und Winifred Wagner und die Widerstand leistenden Sophie Scholl und Johanna Solf.

      Das Buch ist eine wichtige Annäherung an Lebenswege, „die oft vielschichtiger sind, als es auf den ersten Blick scheint … Entstanden ist ein Buch, das nicht kaltlässt.“ (Pressemitteilung)

      Die Einführung Das Frauenbild im Nationalsozialismus sollte als Sonderdruck der politischen Bildung dienen.

       

      Monique Lévi-Strauss: Im Rachen des Wolfes. Meine Jugend in Nazideutschland. Darmstadt: wbg Theiss in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, 2021. 126 S. ISBN 978-3-8062-4117-4 € 20.00

        Eine außergewöhnliche Geschichte, die uns die 1926 geborene spätere Anthropologin Monique Lévi-Strauss, Ehefrau des weltberühmten Ethnologen Claude Lévi-Strauss (1908–2009) erzählt.

        Es ist unglaublich, aber ihr Vater, der Belgier Jules Roman, will 1939 in jenes Land gehen, in dem bereits seit sechs Jahren die Nationalsozialisten an der Macht sind! Naivität oder Pazifismus? Er will in der Gutehoffnungshütte in Oberhausen arbeiten und zieht mit seiner jüdischen Frau und zwei Kindern nach Deutschland. „Als wir sagten, ‚Aber Mama ist Jüdin, wir können uns nicht einfach in die Höhle des Löwen begeben‘, antwortete er: ‚Wir sind Belgier, die Deutschen können uns nichts anhaben.‘“ (S. 38) Jedenfalls verbringt Monique ihre Jugend von 13 bis 19 Jahren als jüdisches Mädchen in Deutschland, diese Jahre „wiegen schwerer als der Rest meines Lebens.“ (S. 11) Im September 1939 beginnt mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg, alle in Deutschland wohnenden Ausländer werden zu Feinden. Der Vater wird im Mai 1940 verhaftet, nach fünf Monaten freigelassen. Die Mutter versucht sich als Sprachlehrerin. Die Familie, nun ohne Pässe, flieht vor den Bombenangriffen in die Eifel. Dort legt Monique das Abitur ab, ein Medizinstudium wird ihr verwehrt, vorerst, denn die Mutter spricht in Berlin vor und erreicht die Genehmigung. Das Praktikum beginnt Monique in Weimar, hier erfährt sie von der Befreiung von Paris. Die Familie wartet versteckt in den Weinbergen bei Bingen, sie geht nach Paris, ohne den Vater.

        Moniques Erzählungen aus den Kriegsjahren, begleitet von ihrem klaren Bekenntnis, zwischen Deutschen und Nationalsozialisten zu unterscheiden, zeichnen ein spannendes, zum Teil atemberaubendes Bild. Sie sind ein ergreifendes Dokument zur Geschichte Deutschlands zwischen 1940 und 1945.

        Erst im Alter von 88 Jahren beginnt sie, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Etienne Francois schreibt im Nachwort einleitend: „Das auf den ersten Blick bescheiden daher kommende Buch von Monique Lévi-Strauss über ihre Jugend in Nazideutschland gehört zu den seltenen Büchern, die mich zutiefst beeindruckt und bewegt haben. Ich halte [das] Buch für ein einzigartiges Werk, und zwar umso mehr, als es dank seiner gründlichen Ehrlichkeit und Ausgewogenheit, Scharfsinnigkeit und Bescheidenheit dem Leser hilft, die damalige Gesellschaft und Geschichte neu zu entdecken und besser zu verstehen.“ (S. 120-121) Dem ist nichts hinzuzufügen.

         

        Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, Simon Clemens: Meine Mama war Widerstandskämpferin. Netzwerke des Widerstands und dessen Bedeutung für die nächste Generation. Wien: Picus Verl., 2019. 286 S. ISBN 978-3-7117-2085-6 € 26.00

          Der organisierte Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird zumeist männlich gedacht und beschrieben, obwohl sich auch Frauen beteiligen. Sie sind weder unpolitisch noch inaktiv, ihr Widerstand ist nicht nur, wie gern formuliert wird, humanitär. Das Forschungsprojekt Meine Mama war Widerstandskämpferin „fokussiert auf Widerstandsnetzwerke während des Nationalsozialismus mit Betonung der Rolle der darin aktiven Frauen und nimmt die Zeit davor wie auch danach in den Blick, hier insbesondere in ihrer Bedeutung für das Demokratieverständnis der Nachkommen.“ (S. 11-12) Leider verschweigt der Titel, dass es sich um österreichische Widerstandskämpferinnen handelt. Das Buch verfolgt nach den Hinweisen der Herausgeber drei Ziele: Die Rekonstruktion von drei Netzwerken in unterschiedlichen Milieus, die Hinterfragung gängiger Stereotype zur Widerstandsfähigkeit von Frauen anhand der Biografien von der Widerstandskämpferinnen sowie Recherchen zum langen Schatten der nationalsozialistischen Diktatur, „indem sowohl den (politischen) Lebenswegen von Widerstandskämpferinnen als auch den Auswirkungen der Verfolgungserfahrung auf die Frauen selbst und deren Kinder nachgegangen wird.“ (S. 13) Eine ambitionierte Zielstellung, die mit Bravour gelöst wird und mit einem großen Glückwunsch an alle am Projekt Beteiligten verbunden sein soll.

          Der Einleitung folgt ein Kapitel über Österreich zwischen 1918 und 1945, gefolgt von Kapiteln über die drei Protagonistinnen:

          • die in Rudmanns in Niederösterreich geborene Strickerin Barbara Eibensteiner (1917–1948), die aus einem Arbeiterhaushalt stammt, sich früh politisiert und ein Netzwerk von Arbeiterfamilien im Kampf gegen den Nationalsozialismus aufbaut, verbunden mit Sabotage und Weitergabe von Informationen. 1941 wird sie wegen Aufbau eines kommunistischen Jugendverbandes verurteilt. Ihre Stationen sind das Zuchthaus Aichach und das KZ Ravensbrück. Sie überlebt den Krieg, stirbt aber 31jährig an den Folgen der Haft.

          • die in Wien geborene Lehrerin Irma Trksak (1917–2017), die sich schon während des Studiums im Widerstand engagiert und später hauptsächlich für den tschechischen Widerstand arbeitet. Sie wird 1941verhaftet und nach Ravensbrück deportiert. Dort gelingt ihr aus dem Evakuierungsmarsch im April 1945 zu fliehen. Nach dem Krieg engagiert sie sich als Zeitzeugin und im Internationalen Ravensbrück Komitee. Kurz vor ihrem 100. Geburtstag verstirbt sie.

          • Gertrude Horn geb. Fanto (1924–1992) wächst in Wien in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihre Mutter ist Jüdin, sie gilt also als Geltungsjüdin. Sie arbeitet in der Gruppe „Wiener Mischlingsliga“, die Sabotageakte unternimmt und die jugoslawischen Partisanen unterstützt. Diese wird verraten, so dass sie nach Auschwitz, später nach Ravensbrück und schließlich nach Genshagen kommt.

          Nach dem Krieg heiratet sie ihren Mitstreiter Otto Horn.

          Beide engagieren sich für die KPÖ.

          In den Interviews mit den Kindern der Widerstandskämpferinnen werden auch die interfamiliäre Tradierung von Narrativen sowie politischem Bewusstsein ergründet. Den Abschluss bilden die Einordnung und Bewertung der drei Widerstandsnetzwerke im Kontext des österreichischen Widerstands und die Nachzeichnung der Lebenswege der drei Frauen nach 1945 und deren Beitrag zur Demokratieentwicklung in der Zweiten Republik. Hervorzuheben ist auch die sehr gute Gestaltung des Buches.

          Eine wichtige Forschungsarbeit, zur Nachahmung auch in anderen Ländern empfohlen.

           

          Maria Prieler-Woldan: Das Selbstverständliche tun. Die Salzburger Bäuerin Maria Etzer und ihr verbotener Einsatz für Fremde im Nationalsozialismus. Innsbruck: Studien-Verl., 2018. 240 S. ISBN 978-3-7065-5664-4 € 24.90

            Maria Höller (1890–1960) arbeitet als Köchin auf einem Hof in Pinzgau und wird mit ihrer Hochzeit 1911 mit dem Bauern Johann Etzer Bergbäuerin in Goldegg im Pongau. Ihr Mann verstirbt 1925 infolge einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg und hinterlässt sie als 35jährige Witwe mit acht Kindern, von denen vier am Leben bleiben. Fast 20 Jahre führt sie den Hof allein. Als Ersatz für heimische Arbeitskräfte werden durch die Nationalsozialisten ab 1938 den Höfen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene vermittelt.

            Ein näherer Kontakt zu diesen ist streng verboten. Maria Etzer widersteht jedoch dieser Doktrin und bewahrt ihre durch religiöse Überzeugung anerzogene Menschlichkeit. Ein Sondergericht verurteilt die Salzburger Bergbäuerin zu drei Jahren Haft wegen verbotenen Umgangs mit französischen Kriegsgefangenen gemäß „Merkblatt über das Verhalten deutscher Volksangehöriger gegenüber Kriegsgefangenen“ aus dem Jahr 1940. Ihr wird Zersetzung der Wehrkraft vorgeworfen. Unter Gewalt wird sie gezwungen, ein intimes Verhältnis mit mehreren Franzosen zuzugeben. Kurz vor Kriegsende wird Etzer aus der Haft entlassen, kann aber jahrelang nicht in ihr Dorf zurückkehren, denn sie ist eine Verfemte. Sie bemüht sich um Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus, Ablehnung 1952. Als Opfer des Nationalsozialismus wird sie nicht anerkannt, sie enthält keine Entschädigung, sie verstirbt 1960. Eine Enkelin, Brigitte Menne, beantragt 2018 die vollständige Rehabilitierung nach dem seit 2009 gültigen „Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz“. Mit Rechtsspruch vom 18. September 2018 wird das Urteil des Sondergerichtes von 1943 aufgehoben – fast 75 Jahre nach Kriegsende und über 45 Jahre nach dem Tod von Maria Etzer.

            Diese Forschungsarbeit geht weit über die Lebensgeschichte der Maria Etzer hinaus, das geht leider aus dem Titel nicht hervor. Zum einen sind es Kapitel über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der bäuerlichen Bevölkerung im Pinzgau und Pongau in der Zwischenkriegszeit und der Aufstieg des Nationalsozialismus, die „Fremdarbeiter“ auf Salzburgs Bauernhöfen und der „verbotene Umgang“ als Delikt der Wehrkraftzersetzung, zum anderen betrifft es nach dem Zweiten Weltkrieg die Probleme der Entnazifizierung und das Konzept vom weiblichen Widerstand als „Lebenssorge“. Ein wichtiger Beitrag zur weiblichen Widerstandspraxis im Nationalsozialismus.

             

            Joyce Lussu: Weite Wege in die Freiheit. Erinnerungen an die Resistenza / Hrsg. und aus dem Italienischen übersetzt von Christa Kofler. Wien, Berlin: mandelbaum verl., 2021. 285 S. ISBN 978-3-85476-951-4 € 20.00

              Dieses 1945 in italienischer Sprache herausgegebene beeindruckende Selbstzeugnis ist eine der frühesten Veröffentlichungen über die italienische Resistenza, nun erstmals nach diesem Urtext dank Christa Kofler ins Deutsche übersetzt und dank des Mandelbaum-Verlags vorzüglich ediert und einem großen Leserkreis zugänglich gemacht. Es ist übrigens das erste ins Deutsche übertragene Werk der Sozialistin, Schriftstellerin und Übersetzerin Joyce Lussu (1912–1998). Die in Florenz geborene Joyce, geb. Gioconda Beatrice Salvadori Paleotti, Tochter des Philosophen und Gegner des italienischen Faschismus Graf Paleotti, wächst in der Emigration auf, denn schon 1924 geht die Familie in die Schweiz. Joyce lernt mehrere Sprachen, ist kosmopolitisch gebildet, studiert von 1930– 1932 in Heidelberg Philosophie und in Lissabon und Paris Literatur. Mit ihrem ersten Mann Aldo Belluigi, dem Sohn eines Großgrundbesitzers, geht sie 1934 nach Afrika, die Ehe scheitert. Sie kehrt nach Europa zurück, lernt 1938 den sardischen Sozialisten Emilio Lussu kennen, der ihr zweiter Ehemann wird. Beide gehen nach Paris, nach dem Einmarsch der Deutschen 1943 fliehen sie nach Südfrankreich, Lissabon und London, dann geht es zurück nach Italien. Mit ihrem Mann nimmt sie am Widerstand teil, politisch und journalistisch. Ihre literarische Karriere, gefördert von dem bedeutenden Philosophen und Historiker Benedetto Croce, beginnt 1939 mit dem Band Liriche, bekannt geworden ist sie auch durch die Übersetzungen von Nazim Hikmet, dessen Frau sie in den 1960er Jahren zur Flucht aus der von einer Militärjunta regierten Türkei verhilft.

              In ihren Erinnerungen gibt sie detaillierte Einblicke in die letzte Phase der Resistenza Lunga, des politischen Widerstands gegen den italienischen Faschismus, den sie bereits ab den 1920er Jahren aus der Emigration unterstützt und organisiert. Die Aufzeichnungen beginnen im Juni 1940 mit der Kapitulation von Paris und enden mit der Niederlage der deutschen Armee in Italien. Joyce ist eine große, heute fast vergessene Kämpferin gegen den Faschismus. So lässt sie sich zur Funkerin ausbilden, fälscht Dokumente für Flüchtlinge, schleust politische Flüchtlinge über die Grenze in die Schweiz und verfasst zahlreiche Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften.

              Eine großartige biografische Skizze von Christa Kofler, eine editorische Notiz und ein Glossar begleiten diese außergewöhnliche Dokumentation des antifaschistischen Widerstandes.

               

              Nadja Strasser: Von Etappe zu Etappe. Die Jugendeiner jüdischen Sozialistin im Schtetl (1871-1896). Eine Autobiographie / herausgegeben und kommentiert von Birgit Schmidt. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verl., 2019. 191 S. (Lebenswelten osteuropäischer Juden. Bd. 18) ISBN 978-3-412-51521-8 € 40.00

                Die jüdische Familie Ramm aus dem russischen Starodub hat neun Kinder, darunter drei Töchter: die Jüngste Maria Einstein-Schaefer, bekannt als Ehefrau des Kunsthistorikers und Schriftstellers Carl Einstein und Majakowski-Übersetzerin, die mittlere Alexandra Ramm-Pfemfert, bekannt als die Ehefrau des Förderers des Expressionismus Franz Pfemfert und Übersetzerin der Werke Tolstois, die älteste Noema Ramm spätere Nadja Strasser (1871–1955) gerät in Vergessenheit, obwohl sie als Feministin, Schriftstellerin und Übersetzerin Großes leistet.

                In den letzten Jahren gelingt es durch umfangreiche Recherchen, Licht in das Leben und Wirken von Nadja Strasser zu bringen. Das ist in erster Linie das Verdienst von Birgit Schmidt. Sie gibt u.a. die Autobiografie für die Jahre 1871 bis 1896 heraus, kommentiert diese und versieht sie mit einer umfangreichen Einführung.

                Nadja Strasser arbeitet in Warschau für den Jüdischen Bund, ehe sie 1896 nach Wien geht und als Journalistin tätig ist, sie heiratet den österreichischen Sozialdemokraten Josef Strasser (die Ehe wird 1906 geschieden). 1911 geht sie nach Berlin, veröffentlicht unter dem Titel „Die Russin“ eine Sammlung historischer Porträts bedeutender Frauen und 1919 eine Sammlung von Essays als „Das Ergebnis“. In beiden Veröffentlichungen kämpft sie mit großem Pathos für die Gleichstellung ihrer Geschlechtsgenossinnen. 1919 heiratet sie den Architekten Alexander Levy und geht mit ihm nach Palästina, das sie aber wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage Ende der 1920er Jahre wieder Richtung Deutschland verlassen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gehen sie ins Exil nach Paris. Während Levy 1942 in Auschwitz ermordet wird, überlebt Nadja Strasser, geht 1948 nach London und kehrt 1951 nach Berlin zurück und verstirbt 1955. „Mit Nadja Strassers Tod war ein schweres Leben, ein produktives Leben, ein Leben zwischen Starodub in der heutigen Ukraine, in Litauen und Wien, im böhmischen Reichenberg, in Prag, Berlin, Tel Aviv, und wieder in Berlin, Paris Ayan, London und – zum Schluss – noch einmal Berlin zu Ende gegangen. Ihre beiden Bücher wurden nicht mehr aufgelegt … Die Veröffentlichung von „Von Etappe zu Etappe“ erfüllt endlich ihren sehnlichen Wunsch.“ (S. 43) Die Autorin berichtet ausführlich von ihrer jüdischen Kindheit und dem langsamen ökonomischen Niedergang der Schtetl und „die damit einhergehende, notwendig gewordene Anpassung der Eltern an die Veränderungen“ (S. 9) – von dem häuslichen Leben, den Traditionen und Ritualen, aber auch ihrem politischen Reifeprozess, ihr Interesse für den Marxismus und ihren literarischen Erkundungen.

                Der Dank geht an Birgit Schmidt und den Verlag Böhlau für diese hochinteressanten Einblicke in eine zerstörte jüdische Welt Ende des 19. Jahrhunderts.

                 

                Nadja Danglmaier: Von Klagenfurt nach Israel. Der Lebensweg von Erna Zeichner/Esther Schuldmann. Innsbruck: Studien-Verl., 2021. 215 S. ISBN 978-3-7065-6092-4 € 34.90

                  Dies ist mehr als der ausführlich beschriebene und reich bebilderte Lebens- und Leidensweg der Familie Zeichner am Beispiel der Tochter Erna (1922–2017), denn der Band bietet auch einen umfangreichen Einblick in das jüdische Leben in Kärnten vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert einschließlich der Erinnerungsprojekte an die Verbrechen der Nationalsozialisten.

                  Erna wächst wohlbehütet und glücklich in einer weit verzweigten jüdischen Großfamilie auf – bis zu jenem Tag, da sich mit dem Anschluss Österreichs alles verändert. Die Stimmung gegen die Juden spitzt sich immer weiter zu. Durch viele Zufälle gelingt Erna Ende 1939 die Flucht aus Österreich, sie erreicht mit dem tragisch berühmt gewordenen Kladovo-Transport, der durch Bratislava, über Serbien und die Türkei führt, erst nach anderthalb Jahren Palästina (vgl. Gabriele Anderl, Walter Manoschek: Gescheiterte Flucht. Wien, 1993). Aus Erna wird der hebräische Name Esther, der Familienname Schuldmann durch die Heirat des polnischen KZ-Überlebenden Shlomo Schuldmann (1920–2015). Nach dem Krieg trifft sie allein den Vater wieder, Mutter und Bruder werden in Auschwitz ermordet. Das Buch beschreibt ausführlich die Schwierigkeiten des Weiterlebens nach dem Holocaust, den Aufbau einer neuen Existenz („Als zweifache Mutter absolvierte Esther eine pädagogische Ausbildung und konnte ab 1963 als Sprachlehrerin für Deutsch, Englisch und Hebräisch unterrichten“ S. 160) und das Leben mit den schmerzvollen Erinnerungen an die alte Heimat.

                  Eine sehr wichtige Veröffentlichung über eine nahezu vergessene jüdische Tradition in Kärnten.

                   

                  Marina Sindram: Mit dem Kinderheim auf der Flucht. Annemarie Wolff-Richter (1900-1945), Heilpädagogin im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Biografie Hrsg. Ludwig T. Heuss. Berlin: Schwabe Verl., 2021. 410 S. ISBN 978-3-7574-0045-3 € 34.00

                    Die in Breslau geborene spätere Röntgenassistentin Annemarie Richter (1900–1945) lässt sich in Berlin zur Individualpsychologin und Heilpädagogin ausbilden und eröffnet 1926 ein Kinderheim für schwererziehbare Jungen und Mädchen. 1927 heiratet sie den Jugendpfleger und späteren Arzt Helmut Wolff, die Ehe wird 1935 geschieden. Die Nationalsozialisten haben es auch auf dieses Heim abgesehen, in dem Kinder von Antifaschisten und Juden gleichermaßen betreut werden. Die Schikanen nehmen zu, die Gelder werden knapp, doch das Heim kann weiterarbeiten, auch mit Hilfe des Freundes von Annemarie, dem Juden Erwin Süssmann. Annemarie leistet Fluchthilfe und versteckt Juden vor nationalsozialistischer Verfolgung. 1936 wird sie verhaftet und wochenlang eingesperrt. Sie entkommt der Haft, flieht über Prag nach Jugoslawien und schließt sich den Partisanen an; durch die Unterstützung von Emigranten kann das Heim weiterbetrieben werden. 1941 besetzt die Wehrmacht Jugoslawien, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Repressalien einsetzen. 1941 wird Annemarie in das Lager Jasenovac eingeliefert, im Frühjahr 1945 wird sie ermordet. Die Tochter Ursula (1929–2009) überlebt mit Unterstützung von Bekannten und Freunden, studiert in Zagreb Geschichte und Musikwissenschaften. 1957 meldet sich bei ihr mit Ernst Ludwig Heuss ein früherer Freund ihrer Mutter, Sohn des Bundespräsidenten Theodor Heuss und dessen Ehefrau Elly Heuss-Knapp. Mit ihm geht sie in die Bundesrepublik, sie heiraten 1959, schon 1967 wird sie Witwe. Erst viele Jahre später versucht sie, den Nachlass ihrer Mutter aufzuarbeiten. Ihr gemeinsamer Sohn Ludwig T. Heuss und die Politologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Familienarchiv Heuss in Basel Marina Sindram vollenden nach ihrem Tod 2009 diese Arbeit. Das Ergebnis ist eine Biografie über eine mutige, tatkräftige und engagierte Persönlichkeit im Kampf gegen den Nationalsozialismus, eine Vorreiterin der Reformpädagogik. Grundlage für diese Einschätzungen ist die akribische Auswertung der persönlichen Schriftstücke, weiterer zahlreicher Archivalien und Fotos, gegossen in flüssig lesbare Beiträge durch die Autorin und den Herausgeber. Ein berührendes Buch! Ohne diese Publikation wäre eine bedeutende Widerstandskämpferin in Vergessenheit geraten und somit für die Forschung zum Nationalsozialismus verloren gegangen.

                     

                    Felix Kucher: Sie haben mich nicht gekriegt. Roman. Wien: Picus Verl., 2021. 502 S. ISBN 978-3-7117-2104-4 € 26.00

                      Der Autor verwebt in diesem Roman „zwei Frauenschicksale zu einem Epochenporträt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu einer Geschichte von Rebellion und Beharrlichkeit.“ (Aus dem Text auf dem hinteren Teil des Schutzumschlags.) Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Lebenswege von Frauen, die auf unterschiedliche Weise dem Faschismus entgegentreten. Es geht um die Buchhändlerin Marie Sara Rosenberg (1900–1992), die behütet in Fürth als Tochter eines jüdischen Buchhändlers aufwächst, später in der Buchhandlung ihres Vaters tätig ist und diese dann übernimmt, aber 1939 in die USA fliehen muss und in New York den heute noch bestehenden Verlag Mary S. Rosenberg mit angeschlossener Buchhandlung für deutschsprachige Bücher gründet. Die Buchhandlung wird zum Treffpunkt zahlreicher Emigranten wie Albert Einstein, Thomas Mann und Alfred Döblin. Nach dem Krieg besucht sie regelmäßig die Frankfurter Buchmesse. 1966 erhält sie das Bundesverdienstkreuz.

                      Die Schauspielerin, Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti (1896–1942) wächst in Undine als zweites von sechs Kindern in einer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie auf. Als ihr Vater in die USA auswandert, ist es an ihr, die Familie zu versorgen. 1913 reist sie dem Vater nach und führt fortan ein unstetes Leben: Schauspielerin in den USA, Fotografin in Mexiko, Kommunistin in der Sowjetunion und dafür in vielen Ländern und an vielen politischen Schauplätzen unterwegs. Zu ihren Wegbegleitern gehören Diego Rivera, Frida Kahlo, Anna Seghers und Pablo Neruda.

                      Zwei Frauenleben, die verschiedener nicht sein können, die zeitgleich ein vollkommen anderes Leben führen, aber die der Kampf gegen den Faschismus eint. Souverän verknüpft der Autor die unbekannte Buchhändlerin mit der berühmten Revolutionären und beschreibt kenntnisreich diese unterschiedlichen Lebenswege und den unterschiedlichen Kampf gegen den Faschismus.

                      Die ständig wechselnde Perspektive zwischen den Protagonistinnen erschwert allerdings zumindest anfangs ein intensives Eintauchen in das jeweilige Schicksal, der Lesefluss wird immer wieder jäh unterbrochen, aber das gibt sich m.E. mit dem Vorankommen. Leider gibt es so manche überflüssige Längen und redundante Stellen. Zahlreiche politische Hintergrundinformationen von fast einem halben Jahrhundert machen den Roman zu einem Panorama der damaligen Gesellschaft und zur Abrechnung mit einem menschenfeindlichen System weit über die beiden Protagonisten hinaus.

                      Der Rezensent nimmt diesen beeindruckenden Roman in unser Sach- und Fachbuchjournal auch auf, um zu zeigen, dass es an der Zeit ist, über Marie Sara Rosenberg endlich eine Biografie (vgl. Edda Ziegler: Buchfrauen. Göttingen, 2014, u.a. S. 124) und über Tina Modotti („das Leben ist von Legenden überwuchert“, S. 502) eine neue Biografie zu veröffentlichen.

                      Pablo Nerudas Gedicht als Nachruf für Modotti endet mit den Worten: Das Feuer stirbt nicht. (Neruda: Gedichte. Band 1. München, 2009. S. 268) – das gilt für beide Protagonistinnen.

                       

                      Ina Markova: Tilly Spiegel. Eine politische Biografie. Wien, Hamburg: new academic press, 2019. 228 S. ISBN 978-3-7003-2143-9 € 19.80

                        Tilly Spiegel (1906–1988) gehört zu den Frauen, die ihr Leben im Widerstand gegen das NS-Regime aufs Spiel setzen, „trotzdem kennen wohl die wenigsten ihren Namen“. (S. 7) Die wissenschaftliche Biografieforschung hat in Österreich in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, Biografien über politisch aktive Frauen stellen aber immer noch ein Desiderat dar. So ist es besonders erfreulich, wenn die Historikerin Ina Markova eine umfangreiche, sehr gelungene Publikation über Leben und Werk von Tilly Spiegel vorlegt.

                        In der Bukowina geboren, geht Tilly Spiegel nach Wien, tritt 1927 der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) bei und wird Funktionärin in der Wiener Stadtleitung. 1935 wird sie verhaftet und zu 18 Monaten schweren Kerkers verurteilt. 1937 geht sie in die Schweiz und organisiert Grenzübertritte von Spanienkämpfern, deshalb wird sie ausgewiesen. Sie emigriert nach Paris, engagiert sich in der Flüchtlingshilfe, wird Mitglied des kommunistischen Flügels der Résistance und beteiligt sich am Travail Allemand, der u.a. von ihrem Lebensgefährten und späteren Ehemann Franz Marek (1913–1979), einem führenden Mitglied der KPÖ, geleitet wird.

                        Nach 1945 kehrt Tilly Spiegel nach Wien zurück, arbeitet als Funktionärin der KPÖ und wird Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Sie gehört in den 1960er Jahren zu den ersten Forschern Österreichs, die sich mit der Judenverfolgung beschäftigt, insbesondere den Frauen und Mädchen im Widerstand. Davon zeugen u.a. zwei wichtige 1967 und 1969 erscheinende Veröffentlichungen.

                        „Wie schreibt man nun eine Biografie über eine mehrfach marginalisierte Person – und wozu?“ (S. 10) Trotz dieser hier kurz skizzierten Lebensleistung gibt es kaum Lebensspuren. Das nimmt die Autorin zum Anlass, um über die geografischen, historischen und politischen Hintergründe ausführlicher als sonst in Biografien üblich, zu berichten. So erfährt der Leser unerwartet Genaueres über das Leben der jüdischen Bevölkerung in der Bukowina, die Wohnund Lebensverhältnisse im „Roten Wien“ und die Entstehungsgeschichte des oben erwähnten Dokumentationszentrums.

                         

                        Christina Pareigis: Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie. Göttingen: Wallstein Verl., 2020. 471 S. ISBN 978-3-8353-3749-7 € 29.00

                          Der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Christina Pareigis ist mit ihrer Monografie über Susan Taubes (1928– 1969) ein großer Wurf gelungen. Der umfangreiche schriftliche Nachlass von Taubes befindet sich im Berliner Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, er wird durch Sigrid Weigel, der früheren Direktorin dieses Instituts, und Christina Pareigis archiviert und erforscht. Zeitgenossen bezeichnen Taubes als außergewöhnlich intellektuell und eigenwillig, aber zu Lebzeiten wird ihr Werk nicht wahrgenommen. Eine wichtige Grundlage zur Rezeption ist die vorliegende Biografie.

                          Judit Zsuzsánna Feldmann, verheiratete Susan Taubes, entstammt einer jüdischen ungarischen Familie, ihr Vater ist der Psychoanalytiker Sándor Feldmann. Sie emigriert mit ihrem Vater 1939 in die USA, studiert Philosophie an der Harvard University und promoviert über Simone Weill, mit Hannah Arendt ist sie bekannt und mit Susan Sontag eng befreundet. Später lehrt sie Religionsgeschichte an der Columbia University in New York, arbeitet auch als Philosophin, Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Von 1949 bis 1961 ist sie mit dem Judaisten Jacob Taubes verheiratet, aus dessen Schatten sie sich nur schwer befreien kann. Sie führt ein ruheloses, von zahlreichen Reisen geprägtes Leben, begleitet von Depressionen, deren Ursprung in dem von den Nationalsozialisten erzwungenen Verlassen ihrer ungarischen Heimat und anderen Brüchen, auch im familiären Umfeld, liegen.

                          Im November 1969 erscheint ihr Roman „Divorcing“, in deutscher Übersetzung erst 1995 und leider mit einem Titel am Rande des Kitsches „Scheiden tut weh“. Es ist die Geschichte der Protagonistin Sophie Blind, die Ähnlichkeiten zur Lebensgeschichte von Taubes aufweist. Wenige Tage nach dem Erscheinen dieses Buches begeht Taubes im Alter von 41 Jahren nach einem von Depressionen geprägten Leben Suizid.

                          Die Autorin beschäftigt sich neben den Lebensstationen mit den zahlreichen Themenbereichen von Susan Taubes wie Dialektik, Nihilismus und Existentialismus sowie mit der schriftstellerischen Tätigkeit mit Interpretationen vor allem der Erzählungen.

                          Ein Anfang zur Neubewertung einer außergewöhnlichen Frau ist mit dieser Biografie gemacht.

                           

                          Von Berlin nach Los Angeles. Die Musikwissenschaftlerin Anneliese Landau / Hrsg. Daniela Reinhold. Berlin: Hentrich & Hentrich, 2017. 340 S.­ ISBN 978-3-95565-226-5 € 27.90

                            Dies ist die erstmals in deutscher Übersetzung vorliegende Autobiografie der Musikwissenschaftlerin Anneliese Landau (1903–1991), ergänzt um die Briefwechsel mit den Komponisten Louis Gruenberg, Ernst Toch, Erich Wolfgang Korngold, Darius Milhaud und Stefan Wolpe sowie Auszügen aus Briefen der Mutter Rosa Landau an ihre Tochter; ein Anhang enthält Kurzbiografien von Personen aus dem Kreise Anneliese Landaus. Der hier vorliegende Text ihrer Erinnerungen entsteht um 1987 und ist eigentlich nur für die Nichten und Neffen bestimmt. Eingestreut sind ausgewählte Reproduktionen aus dem Landauer Nachlass.

                            Ein Vorwort der Herausgeberin Daniela Reinhold und ein Essay über Anneliese Landau in Los Angeles runden die Veröffentlichung ab. Leider fehlt eine Bibliografie der Veröffentlichungen von Anneliese Landau.

                            Die in Halle geborene Anneliese Landau entstammt einem „kulturliebenden jüdisch-assimilierten Haushalt“. (S. 7) Ihre große Musikbegeisterung führt zu Studium und Promotion bei renommierten Vertretern der Musikwissenschaft, zu Musikpublikationen und zu Beiträgen im neuen Medium des Rundfunks als Pionierin jenes Formats, „das sich heute Musikfeature nennt“. (S. 7) Infolge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten endet diese erst begonnene Karriere abrupt, beinahe sämtliche Tätigkeiten laufen aus. 1939 verlässt die inzwischen ausgebürgerte Deutsche ihr Heimatland und lässt sich nach einem Zwischenaufenthalt in England 1940 in den USA nieder. Frauen haben in den US-amerikanischen Musikinstitutionen aber keine Chance, und so dauert es bis 1944, als Anneliese Landau Musikdirektorin der Jewish Centers Association in Los Angeles wird. Von hier aus baut sie eine wenn auch bescheidene Existenz auf, sie erteilt u.a. Unterricht an der Los Angeles Adult School und erfüllt sich mit dem 1980 erscheinenden Buch „The Lied. The Unfolding of its Style“ einen Lebenstraum.

                            Die Herausgeberin Daniela Reinhold ist Musikwissenschafterin und mit Leben und Werk von Anneliese Landau vertraut, sie leitet auch das Anneliese-Landau-Archiv der Akademie der Künste. Es ist ihr mit diesem Buch gelungen, den Beitrag von Anneliese Landau zur Musikwissenschaft endlich mehr Beachtung zu schenken. Es ist zugleich ein Fallbeispiel für ein Leben in der Emigration.

                             

                            Zahava Szász Stessel: Schneeblumen. Überleben im KZ Buchenwald – Außenlager Markkleeberg / Hrsg. Notenspur Leipzig e.V. Berlin, Leipzig: Hentrich & ­ Hentrich, 2021. 429 S. ISBN 978-3-95565-445-0 € 19.90

                              Dieses besonders berührende Buch handelt von der 1930 in der Weinbaugemeinde Abaujcszánto des Tokaj-Hegyalja geborenen Zahavsa Szász, die mit 14 Jahren mit ihrer Familie nach Kassa (heute Košice) und von dort in das KZ Auschwitz deportiert wird. Hier wird die Familie getrennt und alle Familienmitglieder außer ihr und ihrer ein Jahr jüngeren Schwester ermordet. Die Schwestern kommen über das KZ Bergen-Belsen in das KZ Außenlager Markkleeberg am Wolfswinkel, einem Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. In diesem Lager leisten zwischen August 1944 und April 1945 1300 ungarische Jüdinnen und 250 französische Widerstandskämpferinnen Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie für die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke. Am 13. April 1945 werden die Häftlinge auf einen Todesmarsch geschickt, den die Schwestern überleben.

                              In Schneeblumen beschreibt Zahava in den 1990er Jahren ausführlich das tägliche Leben im KZ Markkleeberg, die kräftezehrende Zwangsarbeit, die Erniedrigungen und den Alltag im Lager, und sie untersucht die Machtstrukturen. Sie zeigt aber auch, dass Menschlichkeit und Solidarität nicht ausgelöscht werden – wie die Schneeblumen unter Eis und Schnee. Das Buch enthält zahlreiche historische Dokumente und eine Übersicht über alle in Markkleeberg inhaftierten Frauen („Die Namen derer, die wie ich überlebten, und ihre Aussagen sind einzeln in den Referenzen und der Bibliografie dokumentiert.“; S. 7). Die Autorin recherchiert dafür in den Archiven und knüpft Kontakte zur Gedenkstätte Buchenwald.

                              Dank für diese große Erinnerungskultur! Das Buch ist eine wichtige Ergänzung zur Holocaustliteratur, insbesondere zur Geschichte des KZ Markkleeberg, zugleich eine Botschaft, den Holocaust nicht zu vergessen oder zu verharmlosen.

                              Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehren die Schwestern nach Ungarn zurück. Weil sie ohne Angehörige sind, kommen sie in das Internationale Waisenhaus der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen für Displaced Persons im Koster Indersdorf. Nach einer Odyssee durch mehrere Länder erreicht Zahava im August 1947 Israel, heiratet 1949 Meir Stessel, geht mit ihrer Familie in die USA, studiert, promoviert mit 61 Jahren, arbeitet in einer Stadtbibliothek in New York und veröffentlicht Forschungsarbeiten zur Geschichte der ungarischen Juden.

                               

                              Lena Müller: Treffen mit Sara / Hrsg. Erinnern und VerANTWORTung e.V. Berlin, Leipzig: Hentrich & Hentrich, 2021. 118 S. ISBN 978-3-95565-441-2 € 17.90

                                Am 29. April 2021 verstirbt in Berlin die 1927 geborene Schoa-Überlebende Sara Bialas-Tenenbaum. Ob sie die wenige Wochen davor erschienene „Dokumentation der Erzählung einer alten Dame“ (S. 4) Jahrgang 1927, aufgeschrieben von Lena Müller Jahrgang 1997, noch lesen konnte?

                                Stefania Sliwka, die sich später Sara nennt, wächst im polnischen Cz˛estochowa bei ihren Eltern mit ihren Schwestern wohlbehütet auf – bis 1939. Mit dem Überfall deutscher Soldaten ändert sich das unvermittelt. Mit ihrer Familie wird sie in das Ghetto ihrer Heimatstadt eingewiesen. Unter großen Gefahren bringt der Vater Sara nach Schlesien, sie wird während einer Razzia entdeckt und in das Lager Wolta-Gabersdorf und später in das KZ Groß-Rosen deportiert, Zwangsarbeit, Hunger und Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Am 9. Mai 1945 wird Sara von Soldaten der Roten Armee befreit. Sie ist die einzige Überlebende ihrer Familie. Sie kehrt nach Cz˛estochowa zurück und heiratet einen Freund aus Jugendtagen, Moniek Mosche Tenenbaum. 1948 ziehen sie zu Verwandten nach Paris, ein Jahr später wandern sie nach Israel aus. 1961 geht es nach Ost-Berlin, über die Gründe dieses Wechsels spricht sie nicht. Nach dem Tod ihres Mannes heiratet sie Heinz Bialas. Sie lebt bis zu ihrem Tod in Berlin-Charlottenburg.

                                Am 27. Mai 2021 findet im Hof der Berufsausbildungsstätte Lette Verein Berlin in Anwesenheit des Sohnes Robert und des Enkels Miron eine Gedenkveranstaltung statt. Lena Müller absolviert im Lette Verein eine Ausbildung zur Grafik-Designerin und findet 2019 auf der Suche nach einem Abschlussprojekt mit Unterstützung des Vereins Erinnern und verANTWORTung die Möglichkeit, das Leben von Sara Bialas zu erzählen, aufzuschreiben und als Buch zu realisieren. Das daraus entstehende Treffen mit Sara ist eine wunderbare Dokumentation über das Schicksal einer jüdischen Frau, von ihr selbst erzählt und von Lena Müller aufnotiert und einzigartig gestaltet. Dafür wird Lena Müller zweifach mit dem „Lette Design Award by Schindler“ ausgezeichnet. In der Begründung heißt es, dass Lena Müller mit einem jungen und zeitgenössischen Blick eine neue Ästhetik für das Zeitzeugnis und die Erinnerungskultur entwickelt. Dem kann sich der Rezensent anschließen, er empfiehlt diese Veröffentlichung uneingeschränkt als Lektüre in Schulen.

                                 

                                Marischa – mehr als ein Wunder. Eine Überlebensgeschichte / Aufgezeichnet und herausgegeben von Antje Leetz. Göttingen: Wallstein Verl., 2021. 165 S. ISBN 978-3-8353-5073-1 € 15.99

                                  Maria König (1921–2019) geb. Wollenberg erzählt fast 100jährig der Germanistin und Slawistin Antje Leetz ihre Lebensgeschichte ins Mikrofon. „Die dabei entstandenen Aufnahmen bilden die Grundlage des Textes, den ich für dieses Buch nur ganz vorsichtig redigiert habe, um seinen mündlichen Charakter zu wahren.“ (S. 11) Aufgewachsen in Łód´z, überlebt sie das dortige Ghetto und mehrere KZs. Als sie aus dem KZ Theresienstadt befreit wird, ist ihre gesamte Familie ermordet. Sie wandert 1947 mit ihrem Mann Adi König, auch er ein Holocaust Überlebender, in die USA aus, sie kehren aber zwei Jahre später nach Deutschland zurück. Als überzeugte Sozialisten lassen sie sich „wohlüberlegt und ganz bewusst“ in der DDR nieder, weil sie glaubten, „das sei der fortschrittlichere deutsche Staat“. (S. 8) Sie leben in Leipzig, Maria studiert am Institut für Lehrerbildung und wird Lehrerin für die Unterstufe, 1966 ziehen sie nach Berlin, Maria arbeitet hauptamtlich im Jugendweihe-Ausschuss und Mitglied des Internationalen Auschwitz Komitees. In der DDR führt Maria, wie sie mehrfach betont, ein glückliches Leben. Ein besonders interessantes Kapitel hat die Überschrift „Abschied von der DDR“ und behandelt aus einer anderen als der von uns gewohnten Perspektive die Wiedervereinigung Deutschlands, mit dem Schlusssatz: „Aber so eine richtige Wiedervereinigung war das nicht. Eher ein großes Geschäft, bei dem einige sehr reich wurden.“ (S. 148) – sehr lesenswert. Und Antje Leetz, Jahrgang 1947: „Auch meiner Familie hatte der Faschismus große Wunden zugefügt. Meine Großmutter habe ich nie kennengelernt, weil sie 1944 in Berlin-Plötzensee wegen „Hochverrats“ hingerichtet wurde. Sie war aktiv im antifaschistischen Widerstand.“ (S. 9) Diese menschlichen Tragödien haben beide Familien über Generationen hinweg verbunden. Diese Vertrautheit spiegelt sich auch in den Interviews wider.

                                  Maria König berichtet bescheiden und zurückhaltend von ihrem Leben, das geprägt ist vom Holocaust. Es „handelt sich nicht um eine faktische Rekonstruktion, sondern um persönliche Erinnerungen, schmerzhafte wie freudvolle, die naturgemäß geprägt sind von ihrer subjektiven Sicht und Stimmung.“ (S. 10) Ein faszinierendes Buch.

                                   

                                  Helena Ganor: Vier Briefe an die Zeugen meiner Kindheit / Übers. und hrsg. von Eva SpambalgBerend. Wien, Köln: Böhlau Verl., 2021. 206 S. ISBN 978-3-205-21414-4 € 25.00

                                    Die 1932 geborene Helena Ganor erzählt die Geschichte ihres Überlebens in Form von vier fiktiven Briefen, die sie aus der Perspektive einer über Siebzigjährigen an die Menschen richtet, die ihr in der Kindheit und Jugend am nächsten sind: die Mutter und die ältere Schwester, die von den Deutschen ermordet werden, der Vater, der den Krieg als Militärarzt im Dienst der Roten Armee überlebt und dessen zweite Frau. Helena erzählt vom Glück der frühen Kindheit in Lwów in ihrer jüdischen Familie, von den traumatischen Erlebnissen im Nationalsozialismus und von den Mühen, wieder ins Leben zurückzufinden. Nach dem Krieg lebt sie in Warschau, studiert Medizin und arbeitet als Internistin. 1968 werden die Juden von der Kommunistischen Partei zu Staatsfeinden erklärt, Helena geht mit ihrem Ehemann und den beiden Töchtern in die USA und arbeitet bis zu ihrem Ruhestand als Ärztin. Danach entschließt sie sich, ihre Erinnerungen niederzuschreiben: „Es wäre mir kaum möglich, sie ohne emotionale Beteiligung darzustellen, zusammenzufassen und zu ordnen … Mit gebührender Demut und etwas Stolz habe ich nicht nur das Überleben meines Körpers bejaht, sondern auch das Überleben meines Geistes gefeiert, so oft ich konnte.“ (S. 161-162)

                                    Auch diese Veröffentlichung, die übrigens schon 2007 in den USA erscheint, bereichert die Holocaust Literatur.

                                     

                                    Nina Gladitz: Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin. Zürich: Orell Füssli, 2020. 427 S. ISBN 978-3-280-05730-8 € 25.00

                                      Dies ist das Lebenswerk der Dokumentarfilmregisseurin und Autorin Nina Gladitz (1946–2021). Es zeugt von einer über 40 Jahre währenden Auseinandersetzung mit Leni Riefenstahl (1902–2003). Es ist der oft einsame Kampf gegen einen nicht enden wollenden Mythos: Der Mythos Leni Riefenstahl, verbunden mit ihren Filmen, insbesondere den beiden Olympia-Filmen von 1936 „Festschrift der Völker“ und „Festschrift der Schönheit“, der Mythos der politisch unabhängigen, in der Zeit des Nationalsozialismus politisch unschuldigen innovativen Filmemacherin und kreativen Ästhetin, der Mythos der mit genialem Ausnahmetalent gesegneten Produzentin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Fotografin.

                                      Nicht enden wollender Mythos vor und nach 1945! Dabei entlarvt sich Leni Riefenstahl 1937 in einem der US-amerikanischen Zeitung „Detroit News“ gegebenen Interview: „Für mich ist Hitler der größte Mann, der jemals gelebt hat. Er ist wirklich tadellos, so einfach und außerdem so erfüllt von männlicher Kraft … Er ist wirklich schön, er ist klug. Strahlen gehen von ihm aus. All die großen Männer Deutschlands – Friedrich der Große, Nietzsche, Bismarck – hatten Fehler. Auch Hitlers Mitkämpfer sind nicht makellos. Nur er ist rein.“

                                      An dieser ihrer Meinung ändert sich nichts bis zu ihrem Lebensende, wahr nimmt dies nur ein ganz kleiner Kreis, so auch Nina Gladitz. Sie beschreibt in ihrem faszinierenden Buch die Karriere einer Täterin, schonungslos, mitreißend.

                                      Anhand neuer Archivfunde belegt Gladitz, dass Riefenstahl weder eine Ausnahmekünstlerin noch ein Genie ist. Drei Beispiele sollen dies belegen.

                                      Als der jüdische Drehbuchautor Béla Balázs, der vor den Nazis fliehen muss, Riefenstahl um Auszahlung des zurückgestellten Honorars für seine Mitarbeit am Film „Das blaue Licht“ bittet, benennt Riefenstahl 1933 den größten Antisemiten der NSDAP und Herausgeber des Hetzblattes „Der Stürmer“ Julius Streicher zum rechtlichen Beistand. Die Zahlungen bleiben aus, und im Abspann des Films zeichnet Riefenstahl allein für Drehbuch und Regie verantwortlich. Balázs und der ebenfalls jüdische Produzent Harry Sokal werden von ihr getilgt.

                                      Riefenstahl setzt für ihren Spielfilm „Tiefland“ über 100 Komparsen aus der von den Nazis verfolgten Minderheit der Sinti und Roma ein, sie werden aus ihren Auffanglagern und KZs herausgeholt, für ihre Filmarbeit nicht bezahlt, die meisten werden später in KZs getötet. „Tiefland“, unter direkter Protektion Hitlers zustande gekommen, ist das einzige Spielfilmprojekt Reifenstahls und wird erst 1954 fertiggestellt, fast alle Sinti und Roma werden aus dem Film herausgeschnitten („Riefenstahls Karriere als Diebin von Urheberrechten“; S. 360). Im Zentrum des Buches steht die Geschichte des Kameramanns Willy Zielke. Gladitz weist anhand zahlreicher Dokumente nach, dass in den Olympia-Filmen er und nicht die heillos überforderte Riefenstahl die berühmtesten Frequenzen dreht und neue Aufnahmetechniken mit Erfolg einsetzt. Aber wie macht man Zielke „unschädlich“? 1936 wird ihm Schizophrenie attestiert, eine, wie nach 1945 festgestellt wird, falsche Diagnose. Riefenstahl sorgt dafür, dass Zielke in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht wird, 1940 wird er sterilisiert. Auch bei „Tiefland“ ist Riefenstahl überfordert und holt Zielke für Schneidearbeiten kurz vor Kriegsende aus der Psychiatrie, er hilft ihr aus Angst vor der Tötung. Der Name Zielke fehlt natürlich im Abspann der genannten Filme. Zielke lebt noch bis 1989, zu den Erlebnissen in der NS-Zeit ist er m.E. nie befragt worden, und seine handschriftlich existierende Autobiografie hat außer Nina Gladitz wohl auch niemand eingesehen. Ungeschönt und ungeschminkt zeigt die Autorin das wahre Gesicht der „Legende“, die mit Kalkül und Skrupellosigkeit ihre Beziehungen zu Hitler einsetzt. Und sie zeigt deutlich, dass Riefenstahl das künstlerische und schauspielerische Talent fehlt. Sie ist „keine begabte Filmemacherin, dafür aber eine geniale politische Intrigantin in Großformat.“

                                      Die Diskussionen um ihre Veröffentlichung kann Nina Gladitz leider nicht verfolgen, denn sie stirbt wenige Monate nach der Verlagsauslieferung.

                                      Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, ­studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an der ­Humboldt-Universität Berlin, war von 1967 bis 1988 Bi­blio­­theks­direktor an der Berg­aka­demie Freiberg und von 1989 bis 1990 General­direktor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin. ­

                                      dieter.schmidmaier@schmidma.com

                                      Muriel Mirak-Weißbach: Retter oder Täter? Ein General zwischen Staatsräson und Moral: Otto Liman von Sanders und der Völkermord an den Armeniern. Mit Beiträgen von Tessa Hofmann und Helmut Donat. Aus dem Englischen von Ortrun Cramer. (Schriftenreihe Geschichte & Frieden, Bd. 49) Bremen: Donat Verlag, 2022, Hardcover, 208 S., 43 Abb., ISBN 978-3-949116-08-7, € 16,80.

                                         

                                        Der deutsche General Otto Liman von Sanders wurde bekannt als Befehlshaber der 5. osma­nischen Armee, die er 1915 zum Sieg in der Schlacht um Gallipoli führte. In der Küsten­region von Smyrna rettete er Tausenden von Armeniern und Griechen (1916/17) sowie zahlreichen Juden in Palästina (1918) das Leben. Im Unterschied zu anderen deutschen Offizieren, von ihnen oft wegen seiner jüdischen Herkunft angefeindet, weigerte er sich, den Deportations- und Ausrottungsbefehlen des türkischen Innenministers Talat Pascha Folge zu leisten und drohte, gegen die Maßnahmen einzuschreiten.

                                        Aufgrund von Gerüchten und Verleumdungen geriet Liman v ­ on Sanders 1919 auf Malta in britische Kriegsgefangenschaft. Doch erwiesen sich die Vorwürfe, Kriegsverbrecher und am Völkermord an den Armeniern beteiligt zu sein, als haltlos – und er kehrte in seine Heimat zurück.

                                        Ausgerechnet 100 Jahre nach dem Beginn des Genozids hat der Magistrat der Stadt Darmstadt seiner letzten Ruhestätte den Status eines Ehrengrabes aberkannt. Er hält ungeachtet der Verdienste Liman von Sanders‘ als Retter armenischer und griechischer Christen sowie von Menschen jüdischen Glaubens an seiner Entscheidung fest, dass deutsche Offiziere im Ersten Weltkrieg offenbar nichts Ehrenhaftes getan haben können.

                                        Die Biografie von Muriel Mirak-Weißbach kommt zu einem anderen Ergebnis. (red)

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