Umwelt | Natur

Leben mit Gift

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 1/2018

Dietrich Mebs: Leben mit Gift. Wie Tiere und Pflanzen damit zurechtkommen und was wir daraus lernen können. S. Hirzel Verlag Stuttgart 2016. Kartoniert, 160 S., 5 s/w Abb., 42 farb. Abb., ISBN 978-3-7776-2575-1. € 24,90

Ein Rechtsmediziner als Spezialist für die Gifte von Tieren und Pflanzen? Sollte ein Autor, der sich diesem Thema verschreibt, nicht besser ein Biochemiker oder Toxikologe sein? Aber wer könnte besser geeignet sein, die Wirkung von Giften zumindest auf den Menschen zu beurteilen als diese Berufsgruppe, die zumeist an den Universitätskliniken angesiedelt ist und deren Forschungsgebiet sich häufig um Toxikologie dreht. Und wenn sich denn auch noch ein Autor wie Dietrich Mebs auf die Biologie und Biochemie tierischer und pflanzlicher Gifte an der Universitätsklinik in Frankfurt spezialisiert hat und so schreiben kann, dass auch Nichtakademiker dies verstehen ohne dass die fachliche Substanz verwässert wird, darf man gespannt sein.

In einer Tour d‘Horizon gelingt es Mebs, den Gifteinsatz vieler Spezies des Pflanzen- und Tierreichs anschaulich und spannend zu beschreiben. Dabei wurde die Definition des Begriffes „Gift“ vom Autor weit gefasst. Sie beinhaltet neben den anorganischen und organischen Giften mit unterschiedlichen Angriffspunkten im Organismus auch z.B. die Säuren der Ameisen. Der Autor stellt nicht nur den aktiven Gifteinsatz z.B. von Schlangen oder Wespen in den Fokus, sondern das gesamte Spektrum, das die belebte Welt hier zu bieten hat. Pilze, unser Vergiftungsträger Nummer eins und deren Gifte, wurden dabei allerdings ausgenommen, ohne dass der Autor dies explizit begründet.

Die Gifte und der Gifteinsatz von Tieren und Pflanzen sind vielfältig und dienen unterschiedlichen Zwecken. Neben dem direkten Injizieren (z.B. durch Bienen oder Spinnen) oder Verspritzen (z.B. durch Ameisen oder Schlangen) als Angriffsoder Verteidigungsstrategie gibt es nämlich noch andere Arten des Gebrauchs von Giften bei Pflanzen und Tieren. Bei letzteren dienen sie u.a. zur Unterstützung der Verdauung und beinhalten viele Strategien zur Abwehr von Fraßfeinden, häufig kombiniert mit Warnfarben wie bei den tropischen Färberfröschen oder den Raupen des einheimischen Monarchfalters nach dem Motto: Vorsicht, ich bin giftig! Pflanzen bewirken dies eher subtil über einen vererbten Langzeiteffekt eines spezifischen Geschmacks, z.B. durch Bitterstoffe, der die Giftigkeit signalisiert. Andere wiederum sind recht schmackhaft auch für den Menschen. So schmeckt der Grüne Knollenblätterpilz roh recht nussig, was manchem Pilzsammler schon zum Verhängnis wurde. Er gehört nämlich zu den giftigsten Pilzen, zumindest für uns Menschen. Verschiedenen Nacktschnecken und anderem Getier hingegen scheint er nicht nur gut zu bekommen, sondern, den verschiedenen Fraßspuren nach zu urteilen, gar vortrefflich zu munden. Kaffee- und Tabakpflanzen wissen sich mit den starken Alkaloiden Koffein und Nikotin zu schützen, die in niederer Konzentration zwar anregend, in höherer aber tödlich sein können. Wie übrigens Digitalis, das Gift des Fingerhutes, in angemessener Dosierung schon manchem Herzkranken das Leben verlängerte. Dieser wichtige Zusammenhang, dass „allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, wurde bereits vor 500 Jahren durch Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim) formuliert. Bei vielen Tieren entfalten Gifte ihre toxische Wirkung in Körperfilmen zum Schutz gegen Fraßfeinde, aber auch als Tarnkappen und Besänftigungsduft bei Sozialparasiten als Alternativen zum „Tarnen und Täuschen“ wie beispielsweise bei bestimmten Fröschen, die in Ameisenbauten leben und sich so vor deren Säureangriffen und Bissen schützen.

In diesem Zusammenhang wird der Begriff Immunität wichtig. Nicht jede Spezies ist gegen ihr eigenes Gift immun, also unempfindlich. So muss sich beispielsweise die Biene genauso gegen ihr eigenes Gift schützen wie die Ameise gegen ihre Säure, indem sie die potentiell tödlichen Flüssigkeiten in einem Reservoir speichern, das mit einer resistenten Schicht – hier Chitin – ausgekleidet ist. Und dass Bienen Artgenossen töten können durch das auch für Menschen potentiell hoch allergene Bienengift, eine komplexe hochmolekulare Mischung von Peptiden und Enzymen, zeigt die „Drohnenschlacht“ Ende des Sommers, bei der die Männchen der Honigbiene nach der Begattung der Königin als unerwünschte Fresser durch die Weibchen abgestochen werden.

Dagegen ist unser einheimischer Igel ein Muster an Immunität. Er ist nicht nur gegen den Giftmix der Kreuzotter bei einem Biss immun – unserer quasi letzten Giftschlange, durchaus auch gefährlich für uns Menschen – ja sogar der Kobra, sondern verspeist mit Genuss unsere einheimischen Erdkröten, die u.a. durch die nach ihnen benannten Bufadie nolide in ihrem Hautsekret geschützt sind, wie er auch als einer der wenigen, Nacktschnecken, z.B. die Rote Wegschnecke, verspeist. Letztere signalisiert schon durch ihre Hautfarbe ihre Giftigkeit. Nicht nur der Igel, auch unser Maulwurf und die Spitzmaus – wie übrigens auch unser Hausschwein – besitzen ein Protein, das sehr effektiv die hämorrhagische, also gewebezerstörende Wirkung des Schlangengiftes durch Veränderung in seinen Acetylcholin Rezeptoren hemmt. Viele Gifte wirken auch als Ionenpumpenhemmer (der Na+/Ka+-ATPase), die bei resistenten Tieren durch deren Modifikation ausgeschaltet wurden. Das Toxin (z.B. Tetrodotoxin) kann dort in der Zellmembran nicht mehr binden und so die Funktion des Ionenkanals beeinträchtigen. Auch die Fressfeinde haben im Laufe der Evolution also eine gewisse Immunisierung durchgemacht, was wiederum ein ständiges „Nachsteuern“ der Giftproduzenten durch neue Giftcocktails nach sich zieht. Der Autor kommt alleine bei den Pflanzen auf über 12.000 bisher entdeckte Verbindungen, die aber noch lange nicht alle in ihrer Wirkung bekannt sind. Und überhaupt: Es gibt ca. 100.000 Tierarten und ebenso viele Pflanzen, die Gift produzieren oder es der Umwelt entnehmen, speichern und einsetzen, ein riesiges Potential also für die pharmakologische Industrie mit einem noch großen Forschungsbedarf. An folgendem Beispiel wird deutlich: Was den einen umwirft, tangiert den anderen noch lange nicht. So wird das im landwirtschaftlichen Bereich heiß diskutierte und eingeschleppte Jakobskreuzkraut mit seinen giftigen Pyrrolverbindungen von Ziegen gerne gefressen und gut vertragen, während Pferde und Rinder dies auf der Weide meiden, im Heu mitgefressen aber daran zugrunde gehen können. Auch eine nachträgliche Entgiftung z.B. durch die Aufnahme von Tonerde als Adsorbant ist im Tierreich bei Elefanten und Primaten aus Afrika bekannt – analog der Heilerde beim Menschen. Dabei sind die jeweiligen „Entgiftungsstrategien“ der einzelnen Spezies unterschiedlich und noch lange ist bei der Vielzahl von Einzelgiften und insbesondere deren Kombination nicht alles erforscht, worauf der Autor in einem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr Forschung auf diesem Gebiet hinweist. Bei vielen Tieren ist z.B. noch unbekannt, woher das von ihnen verwendete Gift stammt: ob aus der Umwelt (Nahrungsaufnahme/Nahrungskette/Beute), durch Eigenproduktion oder einer Kombination von beidem.

In seiner episodenhaften Darstellungsart spricht der Autor mit seinen Beispielen sicher viele Leser an, die mit der Wirkung von Giften nicht vertraut sind, diese aber aus dem Alltag, wenn auch in der abgemilderter Form eines Wespenstiches, kennen. So erklärt er unter der Überschrift „Chili con carne“ an Hand von Truthähnen in Mittelamerika, die wilde Chilifrüchte fressen und die dann als bereits „gewürztes Fleisch“ gejagt werden, die Wirkung von Alkaloiden. Die z.B. mit „Rüstungswettlauf“ überschriebenen Kapitel – gemeint ist die Entwicklung von Giftstoffen in Tier und Pflanze und die parallel verlaufende Ausbildung von Toleranzen – sind spannend geschrieben. Mebs springt von Anekdote zu Anekdote – spannender Erzählstoff mit wissenschaftlichem Fundament. Mit wenigen Ausnahmen verzichtet er darauf, den komplexen Chemismus der Einzelverbindung und deren Wirkung auf den jeweiligen Organismus darzustellen, ohne dabei die naturwissenschaftlichen Grundlagen zu vernachlässigen, so dass das Werk sowohl den Laien wie auch den Fachmann anspricht. Dazu tragen auch das nützliche Schlagwortregister und der große Literaturapparat bei, ohne dass Fußnoten den Schreibfluss stören.

Dass das Thema mehr als nur den Toxikologen tangiert, zeigt ein Vorfall, der sich vor wenigen Jahren im rheinhessischen Heidenheim ereignete. Dort hatte sich eine Zucchinipflanze mit einem auf dem Kompost wachsenden Wildkürbis zurückgekreuzt, dessen Schale das giftige Glykosid Cucurbitacin als Bitterstoff enthält, der hitzebeständig und beinahe wasserunlöslich ist. Außer einem etwas bitteren Beigeschmack bemerkte das Rentnerehepaar nichts, als sie den Zucchiniauflauf verspeisten. „Sein Gesicht wurde gelb, es hat ihm den Darm zerfetzt“, so die überregionale Schlagzeile eines bekannten Boulevardblattes. Gemeint war der Rentner, der nicht überlebte. Seiner Frau waren die „Zucchini“ zum Glück zu bitter, sie aß nicht so viel davon und überlebte. Er hingegen hatte das Warnsignal Bitterkeit missachtet. Denn viele Bitterstoffe sind giftig und zeigen dies durch diesen Geschmack an. Auch dieses traurige Beispiel zeigt: Die Dosis macht‘s. (cs)

Dr. K. P. Christian Spath (cs) ist Physiker und Ingenieur und war bis zu seiner Pensionierung über lange Jahre an der Universität in Mainz tätig. Er ist seit Jahrzehnten dem Naturschutz verbunden und Vorsitzender eines Naturschutzverbandes.

spath@uni-mainz.de

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