Landeskunde

Kunst und Kultur im Iran

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2022

Ute Franke. Ina Sarikhani. Stefan Weber (Hrsg.): Iran. Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden. 396 S. München: Hirmer 2021. € 49,90.

Was für ein Raum! Was für eine Zeitspanne! Viel weiter, als es der Titel verrät, ist der geographische und zeitliche Rahmen gesteckt, den dieser voluminöse (und schwergewichtige!) Begleitband zur Berliner Ausstellung über den Iran abdeckt. Schon in der Antike verstand man unter Eranschahr („Land der Arier“) nicht nur das derzeitige Staatsgebiet, sondern sämtliche Landschaften, die damals von den indogermanischen Einwanderern besiedelt waren – vom medischen Norden über die Persis, das heutige Fars, bis zu den Parthern, Baktrern und Sogdiern im Osten, fast in Zentralasien, und vom Kaspischen Meer im Norden bis zum Zweistromland mit Babylon und Elam im heutigen Irak, im Süden. Jenseits des Iran war „Turan“, die Welt der „Barbaren“, jenes von Türken besiedelten Gebiets jenseits des Oxus/Amudarja. Der Begriff ist uns aus Puccinis Oper „Turandot“ wohlvertraut.

Die alten Hochkulturen Mesopotamiens, die bei einer solchen Definition mit im Boot sind und die man zunächst unter dem Begriff „Iran“ nicht unbedingt mitdenken würde, reichen nun aber weit zurück: die ersten Reiche des Zweistromlandes datieren fast ins 4. Jahrtausend, und als Kyros 539 v. Chr. in Babylon einrückte, waren bereits zwei Jahrtausende vergangen. Sein Achämenidenreich, das durch Alexander den Großen zu Fall kam, ist aber erst die Zeitachse, an der sich die Chronologie des vorliegenden Bandes spiegelt – bis heute, bis ins 21. Jahrhundert, sind es noch weitere zweieinhalb Jahrtausende. Kein leichtes Unterfangen also, in einem einzigen – wenn auch umfangreichen – Band eine derartige Zeitspanne und einen so weit ausgreifenden Kulturraum präsentieren zu wollen! Kern der Ausstellung ist die von der deutsch-iranischen Familie Sarikhani in England zusammengetragene Sammlung von Kunstgegenständen, die ein weites Spektrum von Techniken, Materialien, Formen und Verwendungszwecken umfassen: Textilien, Keramik, Waffen, Metallarbeiten, Skulpturen und Abbildungen, Bücher, Schriften… Dass es dem hochkarätigen Autorenteam – fast dreißig WissenschaftlerInnen aus aller Welt – dennoch gelungen ist, ein auch für Laien halbwegs verdauliches Ergebnis zu präsentieren, liegt an mehreren Faktoren. Da ist zunächst die klare, chronologische Zeitschiene, der entlang die etwa 350 Exponate dargeboten werden, dann die übersichtliche Gliederung des Bandes, die prachtvollen Abbildungen mit aussagekräftigen Bildbeschreibungen sowie die zahlreichen, guten Übersichtskarten im Text. Darüber ­hinaus konnte man auf eine Vorgängerausstellung im Victoria & Albert Museum, London, zurückgreifen, wo viele der Exponate schon vorgestellt worden waren. Hier in Berlin treten nun die hiesigen Museumsstücke hinzu – ein gebotener Anlass, die eigenen Sammlungen durch aktuelle Beschreibungen erneut zu präsentieren. Beeindruckend, welche Schätze alleine diese Museen – nicht nur für die Frühzeit – in ihren Mauern bergen!

Entstanden ist auf diese Weise ein beeindruckendes Sammelwerk, das einiges an Geduld und Steh- respektive Sitzvermögen verlangt – was freilich angesichts des zu erwartenden Erkenntnisgewinns nicht zu viel verlangt ist. Seite um Seite erschließen sich mit Hilfe der ausgezeichneten Texte und brillanten Abbildungen vor dem Auge der Leserschaft Zeit, Raum und Imagination, und gerne folgt man dem Leitfaden der Exponate und Begleittexte. Müssen die frühen Stücke mangels schriftlicher Belege noch für sich sprechen, so kann man später den Spuren der frühen Reisenden folgen und auf Beschreibungen und Chroniken zurückgreifen. Wunderbar gearbeitete ­Textilien, atemberaubende Buchmalereien, makellose Waffen und in unvorstellbaren Massen hergestellte Keramiken in leuchtenden Lüsterfarben lassen ahnen, wieso ein Raum, der wegen seiner Attraktivität so oft zum Schauplatz von zum Teil verheerenden Wanderbewegungen geworden ist – die Mongolenstürme oder die Raubzüge Timur Lengs sind Beispiel genug – dennoch dermaßen auf die benachbarten Regionen ausstrahlte. Zwischen Europa und den Osmanen einerseits sowie den indischen Moguln, ja dem chinesischen Kaiserreich andererseits vermochte Persien eine Zeitlang eine kulturelle Mittlerstellung zu behaupten, die bis heute nachwirkt. Isfahan, wörtlich: „die Hälfte der Welt“, galt als das Paris des Ostens, Persisch als Literatur, Hofund Amtssprache, persische Kultur als das Non-plus-Ultra der Eleganz und Weltläufigkeit vom Kaukasus bis an den Golf von Bengalen.

Mit dem kulturellen Höhepunkt Irans unter der Safawidendynastie des 16.-18. Jahrhunderts schließt dieser Prachtband, der für diesen Zeitraum durchaus als Handbuch dienen kann.

Ein Wermutstropfen: bedauerlich, dass man über die AutorInnen nichts erfährt – der Band enthält zwar ein Verzeichnis der Exponate, aber keine weiteren Angaben zu den VerfasserInnen der ausgezeichneten, oft sehr konzisen Einzelartikel.

P.S. Der sasanidische Herrscher, dessen Bronzebüste das Titelbild ziert, war zwar ein Zeitgenosse byzantinischer Kaiser und Gegenspieler des römischen Imperiums, aber beileibe kein Feind antiker Kultur, fanden doch die aus Griechenland vertriebenen, weil „heidnischen“ Gelehrten der platonischen Akademie nach fast achthundertjährigem Bestehen der Schule Aufnahme am Hof im mesopotamischen ­Ktesiphon. Der liegende Halbmond der (verlorengegangenen) Turbankrone weist allerdings bereits auf die Macht hin, die die Sasaniden beerben sollte: den I­slam. (tk)

 

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