Recht

Klimaschutzrecht aktuell

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2023

Gegenstand des Klimaschutzrechts ist der Schutz vor einem durch anthropogene Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts verursachten weltweiten Klimawandel und dessen Folgen für die Umwelt. Es handelt sich also um ein Teilgebiet des Umweltrechts. Dessen Inhalt ergibt sich nicht automatisch („follow the science“) aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, die absolute Wahrheitsgewissheit ohnehin nicht beanspruchen können. Denn zur Wissenschaft, deren Freiheit verfassungsrechtlich garantiert ist, gehört das Element der Wahrheitssuche, die einen offenen, im Grundsatz noch unabgeschlossenen Erkenntnisprozess voraussetzt. Die demnach unter wissenschaftlicher Unsicherheit zu treffende Entscheidung, welchen Inhalt das Umweltrecht haben soll, ergibt sich in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch nicht aus wissenschaftlich verbrämtem politischen Aktionismus, sondern aus einem gesellschaftlichen Diskurs, in dem im Rahmen der geltenden Verfassung eine Abwägung von Zwecken und Mitteln unter möglichst schonendem Ausgleich kollidierender Rechtsgüter stattfinden muss. Das gilt auch für die Antwort des Rechts auf die Herausforderung durch den Klimawandel. Von der Klimaschutzbewegung als einer Art Religion gezeichnete apokalyptische Bilder können diese vom Gesetzgeber vorzunehmende Abwägung nicht ersetzen, zumal wenn solche Bilder mit dem Ziel der Weltrettung („I want you to panic“) auf das globale Phänomen der anthropogenen Erderwärmung anspielen. Diese würde angesichts des deutschen Anteils von knapp 2 % der weltweiten Treibhausgasemissionen nämlich selbst dann nicht aufgehalten, wenn der deutsche Anteil mit größten Anstrengungen und Kosten auf Null reduziert würde. Bei Verpflichtungen zur Klimaneutralität auf kommunaler Ebene, die populistisch gern propagiert werden, ist das erst recht der Fall. Den persönlichen Verzicht in spürbare Emissionseinsparungen zu übersetzen, ist völlig unmög- lich. Emissionsbegrenzungen können nur dann zur Aufhaltung der Erderwärmung geeignet sein, wenn sie von allen Staaten oder zumindest den größten Industrie- und Schwellenländern gemeinsam und vergleichbar vorgenommen werden. Das ist zunächst eine Frage des Völkerrechts und seiner Effektivität. Hinzu kommt das „intertemporale Dilemma“, dass Maßnahmen schon heute beschlossen werden müssen, um die Erderwärmung oder deren Folgen für die Zukunft einzudämmen. Die hier zu besprechenden Werke bieten Orientierungshilfen für die insoweit zu führende rechtspolitische Diskussion.

Thorsten Bischof, Das Pariser Klimaschutzabkommen. Zur Effektivität völkerrechtlicher ­Klimaschutzverträge, Mohr Siebeck, Tübingen 2022. ISBN 978-3-16161507-8; 407 S., fadengeheftete Broschur, € 94,00.

    Diese an der Universität Düsseldorf bei Charlotte KreuterKirchhof entstandene juristische Dissertation behandelt den mit dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 unternommenen Versuch, durch einen völkerrechtlichen Vertrag eine wirksame und fortschreitende Reaktion nahezu aller Staaten der Erde auf die akute Bedrohung durch Klimaänderungen auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse herbeizuführen. Bei der Untersuchung der bisherigen Entwicklung des völkerrechtlichen Klimaschutzvertragsregimes kommt der Verfasser zu einem im Grundsatz positiven Ergebnis: Auch wenn eine abschließende Bewertung nur ex post möglich sei, sei das Abkommen aus juristischer Perspektive ein geeigneter Beitrag zur Überwindung des „Effektivitätstrilemmas“ des internationalen Umweltschutzes, in einem ein langlebiges Regime begründenden Vertrag zwischen allen Staaten hohe Ambitionen zu vereinbaren und zugleich die anschließende Erfüllung zu gewährleisten. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, wird vom Verfasser zunächst anhand der Erkenntnisse des Weltklimarats zu den Ursachen, Folgen und Risiken des Klimawandels ein fundiertes Verständnis für die den Klimaschutzverträgen zugrundeliegende Problemstellung geschaffen. Dabei wird nicht verschwiegen, dass klimawissenschaftliche Analysen stets mit Unsicherheiten behaftet sind. Anschließend wird die Entwicklung des internationalen Klimaschutzvertragsrechts von der Klimarahmenkonvention von 1992 über das Kyoto-Protokoll von 1997 bis zur dann in mehrgleisigen Verhandlungen folgenden Übernahme neuer Ansätze beleuchtet. Herzstück der Arbeit ist eine ausführliche Untersuchung des Pariser Abkommens. Darin wird insbesondere dargestellt, welche Verpflichtungen hinsichtlich der Reduktion von Treibhausgasemissionen und der Anpassung an die Folgen des Klimawandels sowie welche Berichtspflichten der Vertragsparteien das Abkommen begründet und welche Maßstäbe hierbei jeweils gelten. Hervorgehoben wird insoweit, dass die Entscheidung über die konkreten Inhalte der nationalen Beiträge zur Minderung der Treibhausgasemissionen maßgeblich bei den einzelnen Vertragsstaaten selbst verbleibt. Dies führe allerdings zu einer derzeit kaum zu überblickenden Vielzahl in unterschiedlichster Art und Weise ausgestalteter Minderungsbeiträge, deren Vergleichbarkeit kaum noch gegeben sei. Auch sei die im Abkommen angelegte Möglichkeit, durch unabhängige technische Sachverständigenteams die Fortschritte und das Erreichen der Minderungsbeiträge zu überprüfen, bisher nicht operationalisiert worden. Auch der zur Begutachtung des Verhaltens der einzelnen Vertragsstaaten eingerichtete Sachverständigenausschuss dürfe ohne Einverständnis des jeweils betroffenen Staates weder die Umsetzung oder Erfüllung der nationalen Beiträge thematisieren noch die Inhalte der Minderungsbeiträge oder Transparenzberichte der Vertragsstaaten bewerten. Er könne also nicht begutachten, ob die einzelnen Minderungsbeiträge inhaltlich den Anforderungen des Abkommens entsprächen und hinreichend ambitioniert seien. Der Fortschritt der Minderungsbeiträge der einzelnen Staaten sei auch kein Gegenstand der regelmäßig alle fünf Jahre vorgesehenen globalen Bestandsaufnahme, bei der eine Konferenz der Vertragsstaaten die gemeinsamen Fortschritte bei der Verwirklichung des Zwecks des Abkommens und seiner langfristigen Ziele bewerten soll. Diese hybride Struktur, bei der durch allein national bestimmte Minderungsbeiträge ein gemeinsames Minderungsziel erreicht werden soll, biete den einzelnen Vertragsstaaten Flexibilität und betone ihre Souveränität, so dass der Erfolg des Abkommens von den Vertragsstaaten selbst abhänge. Nur wenn genügend viele Staaten auf Grundlage des Abkommens ambitioniert handelten, könne dieser Ansatz noch unschlüssige Staaten motivieren und damit auf lange Sicht Erfolg versprechen.

    Die Ergebnisse dieser ausführlichen Untersuchung des Pariser Abkommens werden schließlich darauf bewertet, ob und inwieweit das Abkommen eine wirksame Antwort auf die ihm zugrundeliegende Problemstellung darstellt. In diesem Rahmen liefert der Verfasser eine tiefgründige Analyse der Effektivität völkerrechtlicher Klimaschutzverträge vor dem Hintergrund übergeordneter Entwicklungslinien. Maßgeblich ist für ihn die Problemlösungseffektivität, nämlich die Fähigkeit, ein hinsichtlich des Sachproblems ausreichendes Ambitionsniveau der maßgeblichen Staaten zu schaffen und die Erfüllung dieser Ambitionen sicherzustellen. Dem diene hier als übergeordnete Strategie („Managementansatz“) eine routinemäßige multilaterale Überprüfung und Bewertung, bei der die Vertragsstaaten frühzeitig über ihr Verhalten berichten und im Falle einer befürchteten oder tatsächlichen Nichterfüllung die Gründe dafür offenlegen und hierüber mit der Gesamtheit aller Vertragsstaaten in einen konsultativen Austausch treten müssen. Dieses neuartige Konzept werde Anhänger eines „klassischen“ ordnungsrechtlichen Verständnisses wohl nicht zufrieden stellen. Im Völkerrecht hingen die Existenz und die konkrete Ausgestaltung normativ-vertraglicher Anweisungen jedoch stets von den Staaten und ihrem konkreten politischen Willen ab.

    Anna-Julia Saiger, Nationale Gerichte im Klimaschutzvölkerrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Pariser Übereinkommen, Nomos, BadenBaden 2022. ISBN 978-3-8487-9002-9; 355 S., broschiert, € 99,00.

      Die Rolle nationaler Gerichte bei der Umsetzung des Versuchs des Pariser Klimaschutzabkommens, ein globales Umweltproblem mit den Mitteln des Rechts zu lösen, ist das Thema dieser an der Humboldt-Universität Berlin bei Anna-Bettina Kaiser entstandenen Dissertation. Die Verfasserin untersucht mit einer rechtsvergleichenden Methode, wie Gerichte mit dem Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Legitimation und der Lösung globaler Probleme umgehen, wenn – wie in der Struktur des Pariser Übereinkommens angelegt – eine völkerrechtlich verbindliche globale Zielsetzung auf ihre nationale Umsetzung durch Festlegung konkreter Maßnahmen angewiesen ist, eine solche Umsetzung durch den Gesetzgeber jedoch fehlt oder unzureichend ist. Anhand eines funktionalen Vergleichs verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Verfahren, in denen Einzelne und zivilgesellschaftliche Akteure vor nationalen Gerichten mehr Klimaschutz von staatlicher Seite einfordern, kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Systematik des Pariser Übereinkommens die nationalen Gerichte zu Scharnieren zwischen Völkerrecht und nationalem Recht macht, diese Scharnierfunktion von ihnen aber ganz unterschiedlich ausgeübt werde und die Eingliederung des mittelbar anzuwendenden Völkerrechts in die nationale Rechtsordnung vom Einzelfall abhänge. Die Gerichte setzten die rechtlichen Ebenen durch Auslegung im Kontext des Einzelfalles in ein flexibles Verhältnis zueinander. Damit machten sie deutlich, dass in erster Linie Gesetzgebung und Verwaltung gefragt seien, den Klimaschutzauftrag des Pariser Übereinkommens auszuführen. Das Recht könne deshalb sowohl Transformator als auch Bremse des Klimaschutzes sein, und das gegenwärtige Klimaschutzvölkerrecht sei auf das Handeln aller drei Gewalten auf nationaler Ebene angewiesen. Auch mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 werde der Klimaschutz zwar justiziabel, nicht aber zur primären Aufgabe der Gerichte. Die in diesem Beschluss enthaltene dogmatische Weiterentwicklung sei so eng mit der Regelungsstruktur des Pariser Übereinkommens verknüpft, dass die Übertragung auf andere Rechtsgebiete schwer vorstellbar sei. Am Ende zeichnet sich für die Verfasserin dieser tiefschürfenden Monographie zur mit vielen Hoffnungen verbundenen Rolle der Gerichte noch nicht ab, dass dem Klimawandel mit dem Instrument des Völkerrechts Einhalt geboten werden kann.

       

      Bitburger Gespräche Jahrbuch 2021, Der Klimawandel als Herausforderung für das Recht, C.H.Beck, München 2022. ISBN 978-3-406-78888-8; 122 S., in Leinen, € 89,00.

        Die alljährlich stattfindenden Bitburger Gespräche bieten seit 1972 namhaften Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Justiz und Verwaltung ein Forum für die öffentliche Diskussion und den Austausch auf Gebieten aktueller Rechtspolitik. Im Herbst 2021 fanden sie in Trier zum Thema „Der Klimawandel als Herausforderung für das Recht“ statt. Das Jahrbuch dokumentiert die zu diesem Thema gehaltenen rechtswissenschaftlichen Vorträge anerkannter Experten des Klimaschutzrechts. In seiner Einführung in das Thema weist Alexander Proelß als Tagungsleiter auf vier Grundprobleme hin, die der Klimaschutz der Rechtswissenschaft stellt: Erstens erfordere die Erderwärmung als globales Phänomen international abgestimmtes Handeln in einem transnationalisierten System. Beispiel für einen in diesem System besonders einflussreichen Akteur, der sich in die tradierten Kategorien des Rechts der inter- und supranationalen Organisationen nicht ohne weiteres einordnen lasse, sei der sog. Weltklimarat, dessen Verfahren nach einem auf der Verfassungsstaatlichkeit aufbauenden Verständnis Fragen nach der demokratischen Legitimation, Transparenz und Relevanz aufwerfe. Zweitens bedinge eine vorausschauende Klimapolitik, dass auf sämtlichen Ebenen Entscheidungen unter wissenschaftlicher Unsicherheit getroffen würden. Das Bundesverfassungsgericht habe es darüber hinaus als Verfassungsauftrag angesehen, dass der Gesetzgeber permanent verpflichtet sei, das Umweltrecht den neuesten Entwicklungen und Erkenntnissen in der Wissenschaft anzupassen. Besondere Herausforderungen folgten drittens aus dem bereits erwähnten „intertemporalen Dilemma“, das wegen der bekannten Unsicherheit aller Zukunftsprognosen von der Rechtsprechung nur schwer zu bewältigen sei. Viertens berge der Klimawandel als viele Politikfelder übergreifendes Phänomen die Gefahr von Regimekollisionen und Normkonflikten, für die die Rechtsordnung einen Rahmen zum möglichst schonenden Ausgleich etwa kollidierender Güter bereitstellen müsse.

        Der erste Themenblock der Fachvorträge behandelt die für den Klimaschutz relevanten Rechtsentwicklungen auf inter- und supranationaler Ebene. Wolfgang Durner zeigt am Beispiel des Bundesverfassungsgerichts auf, dass das dem Klimaschutz dienende Mehr-Ebenen-System des Rechts einen in sich verflochtenen Normenkomplex darstellt, in dem der juristischen Auslegungskunst keine Grenzen gesetzt sind. Mit zielgerichteter Auslegungskunst lasse sich aber gegen die zur innerstaatlichen Gesetzgebung berechtigten Staaten schwerlich verbindliches Völkerrecht begründen oder gar durchsetzen. Zudem spreche vieles dafür, dass auch die tatsächliche Autorität der Gerichte an Grenzen stoße, wo umfassende Transformationsprozesse rechtlich erzwungen werden sollten. Die erforderliche differenzierte Bewältigung des Klimaschutzes mit Mitteln des Völkervertragsrechts werde auch vom Pariser Klimaschutzabkommen nicht gewährleistet. Denn dieses verzichte auf verbindliche individuelle Reduzierungsziele und setze stattdessen auf durch die Staaten selbst vorzulegende nationale Reduktionszusagen. Es stelle also auch nur ein Rahmenabkommen dar, dessen Erfolg eine Wette auf die Zukunft bleibe. Beschränke sich das Völkerrecht auf quantitative Zielvorgaben, so reduziere es die Instrumentenwahl auf eine bloße Modalität der nationalen Umsetzung. Tatsächlich würden jedoch erst bei der Operationalisierung der Ziele die eigentlichen politischen Konflikte sichtbar.

        Denn regelmäßig werde erst im Stadium der Zielverwirklichung erkennbar, welche konkreten Opfer und Lasten den einzelnen Akteuren abverlangt würden. Dies gelte nicht nur für das verbindliche Globalziel, sondern auch für die von der Europäischen Union vorgegebenen ­Qualitätsziele. Zudem sei die Zielerreichung trotz ihrer Verbindlichkeit meist weder prognostizierbar noch erzwingbar, wenn aus der Verbindlichkeit der Ziele unmittelbar keine konkreten Maßnahmen abgeleitet werden könnten. Im zweiten Beitrag zu diesem Themenblock kritisiert Charlotte Kreuter-Kirchhof, dass die Ziele und Instrumente des Klimaschutzrechts auf internationaler, supranationaler und nationaler Ebene nicht kohärent aufeinander abgestimmt seien. So verlasse Deutschland den europäischen Weg, die Kohleverstromung durch den Emissionshandel wettbewerblich zu beenden, indem es den nationalen Kohleausstieg mit ordnungsrechtlichen Vorgaben anordne, was nur zu einer Verlagerung der Treibhausgas­ emissionen führe. Auch die vom Bundesverfassungsgericht übernommene Methode, ein nationales Emissionsbudget aus dem globalen Klimaschutzziel zu errechnen, folge nicht der Herangehensweise des Völker- und Europarechts. Das Pariser Abkommen leite aus dem globalen Emissionsbudget keine nationalen Klimaschutzziele ab und lege keine verbindlichen nationalen Reduktionsziele fest. Das Europarecht bestimme nur für einzelne Sektoren solche Reduktionsziele und wolle im Übrigen die Klimaschutzziele durch den Emissionshandel erreichen. Das Konzept des deutschen Klimaschutzgesetzes, präzise Jahresemissionsmengen bereits heute bis 2045 festzuschreiben, folge ebenfalls nicht dem Grundkonzept des Völker- und Europarechts, das eine Überprüfung und Verschärfung der Klimaschutzbeiträge der Staaten alle fünf Jahre vorsehe. Klimaschutzziele, die Planungssicherheit vorgäben, dieses Versprechen dann aber nicht einlösten, gefährdeten das Vertrauen in das Recht.

        Das nationale Klimaschutzrecht ist Gegenstand des zweiten Themenblocks. Sabine Schlacke kritisiert am Beispiel des Klimaschutzgesetzes ebenfalls, dass die auf nationaler Ebene getroffenen Regelungen nicht hinreichend mit den supranationalen Regulierungsansätzen abgestimmt seien. Das „Pingpong-Spiel“ zwischen beiden Ebenen führe zu sich immer schneller überholenden Maßnahmen. Insgesamt fehle zudem eine hinreichend konkrete inhaltliche Operationalisierung der Zielvorgaben. Johannes Saurer identifiziert im Einzelnen die verfassungsrechtlichen Konfliktlagen zwischen dem Klimaschutz einerseits und der Versorgungssicherheit, der Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen und den Grundrechten andererseits. Zur Auflösung dieser Konflikte sei in erster Linie der parlamentarische Gesetzgeber berufen.

        Der dritte Themenblock beleuchtet die Transnationalisierung des Klimaschutzrechts anhand der steigenden Relevanz privater Akteure. Bereits im Eröffnungsvortrag der Tagung hatte Juliane Hilf aus der Perspektive der Rechts­ praxis kritisch den international um sich greifenden Trend dargestellt, Klimaschutz vor Gerichten erstreiten zu wollen. In einem fulminanten Beitrag erinnert Bernhard Wegener daran, dass das den Grund- und Menschenrechten zugrunde liegende individualistische Konzept der Verteidigung des Einzelnen gegen strukturell überlegene staatliche und private Macht dazu führen müsste, dass die Bedeutung dieser Rechte für den Klimaschutz eigentlich gegen Null ginge. Die tendenzielle Unüberbrückbarkeit der Distanz zwischen individuellem Menschenrechtsschutz und globalem Klimawandel zeige sich an den Schwierigkeiten, bei zum Schutz des Klimas erhobenen Grund- und Menschenrechtsklagen eine individuelle Rechtsverletzung und ihre klimatisch-menschliche Verursachung darzulegen und einen individuellen Anspruch auf die Abwehr der konkret drohenden Rechtsverletzungen zu begründen. Allgemeiner, globaler Klimaschutz könne demnach grundsätzlich keine Angelegenheit der Judikative sein, sondern müsse in erster Linie von der Legislative angeleitet und von der Exekutive umgesetzt werden. Demgegenüber nehme die Zahl grund- und menschenrechtsgestützter „Klimaklagen“ vor Gerichten in Teilen der westlichen Welt im Zuge einer „Climate-Justice“- Bewegung tendenziell immer weiter zu. Es handele sich um den strategischen Versuch, die Legitimation und die Steuerungsressourcen der dritten Gewalt zur Weltrettung aufzurufen. Dies sei Ausdruck eines dramatischen Vertrauensverlustes gegenüber den umweltpolitisch zu handlungsunfähig oder –unwillig erscheinenden anderen staatlichen Gewalten. Die diesem Versuch nachgebende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führe unter Berufung auf die Zukunft zu einer deutlichen Beschränkung der Freiheit gegenwärtiger demokratischer Selbstbestimmung. Umfassender und schrankenloser sei aus den Grundrechten noch nie zuvor ein staatlicher Vorsorge-, Planungs- und Verteilungsvorbehalt abgeleitet worden.

        Noch atemberaubender sei die Dynamik der Entscheidungspraxis bei Klimaklagen, die von Nichtregierungsorganisationen gegen Privatunternehmen lanciert würden. Bei Entscheidungen, die solchen Klagen stattgäben, verschwämmen alle traditionellen Grenzen rechtlicher Interpretation. Aus abstrakten menschenrechtlichen Garantien würden ohne konkreten Bezug auf Einzelne und ihre potentiellen Rechtsverletzungen konkrete prozentuale Reduktionspflichten für konkrete Zeiträume abgeleitet. Gegen Staaten gerichtete Grundrechte würden unter Berufung auf völkerrechtliches soft law als für private Unternehmen verbindlich erklärt. Rahmensetzungen und Zulassungen des nationalen und supranationalen Rechts würden als generell irrelevant verworfen. Den betroffenen Unternehmen müsse die eigene Lage als vollständige Rechtlosigkeit angesichts einer an Willkür gemahnenden umfassenden richterlichen Entscheidungsfreiheit erscheinen. Dies sei ein Rückfall in vormoderne Zeiten, in denen nicht die Allgemeinheit des Gesetzes, sondern die Singularität des Richterspruchs die gesellschaftliche Ordnung prägte. Moderne Industriegesellschaften ließen sich so aber nicht ansatzweise steuern. Noch aussichtloser sei die Erwartung, richterliche Einzelentscheidungen können die angesichts des menschengemachten Klimawandels erforderliche „große Transformation“ auch nur teilweise in Szene setzen. Der Preis für die hohe Attraktivität des simplifizierenden Instruments der Klimaklagen sei wachsende Rechtsunsicherheit, wachsende Unübersichtlichkeit und Irrationalität staatlicher Steuerung sowie eine naive steuerungspolitische Verblendung und Selbsttäuschung der juristisch klimaaktivistischen Szene selbst, der dieses Instrument als bequemer Weg schneller Aktion ohne konkrete politische Leistung oder gesamtgesellschaftliche Verzichtsentscheidung erscheine. Die Bereitschaft von Richtern zu solchen rechtlichen Übersprungshandlungen habe zur Folge, dass auch der Rechtsstaat zumindest teilweise dem Klimawandel zum Opfer fallen werde. Auch das sollte man als engagierter Klimaschützer reflektieren und bedauern können.

         

        Walter Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, Erich Schmidt, Berlin, 3. Aufl. 2023. ISBN 978-3503-21192-0; 568 S., kartoniert, € 49,00.

          Die dynamische Entwicklung des Klimaschutzrechts hat dazu geführt, dass auch dieses inzwischen gut eingeführte Lehrbuch jetzt schon in dritter Auflage vorliegt (zu den Vorauflagen vgl. fachbuchjournal 2021, 30 ff. und 2022, 38 f.). Dabei wird sowohl auf die internationale als auch die europäische und die nationale Rechtsebene nach dem Stand von Ende 2022 und die sich bis dahin abzeichnenden Entwicklungen einschließlich der Spannungsfelder und Schwierigkeiten umfassend eingegangen. Dazu gehört auf der entscheidenden Ebene des Vertragsvölkerrechts die auch nach der Klimakonferenz von November 2022 in Scharm El-Scheich fortbestehende Abhängigkeit des Klimaschutzes von den freiwilligen Maßnahmen der Einzelstaaten zur Emissionssenkung. Insbesondere fehlen immer noch materielle Klimastandards, die die Staaten zu konkretem Handeln vor allem im Energiebereich verpflichten. Bloße Aktionsprogramme werden, wie der Verfasser im Einklang mit der gesamten Fachwelt feststellt, schwerlich zum Erfolg führen, solange nicht konkrete Maßnahmen damit verbunden sind und zu deutlichen und fortlaufenden CO2–Reduktionen führen.

          Die äußere Aufbereitung des sehr komplexen Stoffes folgt weiterhin dem didaktisch bewährten Konzept, wichtige Textpassagen optisch hervorzuheben und jedes Kapitel durch zusammenfassende Kernsätze abzuschließen. Im Kaufpreis enthalten bleibt der durch einen Link und einen QR-Code vermittelte Zugriff der Leser auf ein digitales Add-on mit aktuellen Informationen, Gerichtsentscheidungen, Vorschriftentexten und Multiple-Choice-Fragen. Inhaltlich erweitert wurde das Werk insbesondere um Kapitel zum Spannungsfeld zwischen dem Klimaschutz und der Rohstoffversorgungssicherheit seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie zu den Schwierigkeiten, den Ökostromausbau mit dem Artenschutz in Einklang zu bringen. Letzteres erfordere nach geltendem Europarecht eine sorgfältige Einzelfallabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Ausbaubeschleunigung und der Beeinträchtigung konkreter lokaler Populationen betroffener Arten. Allein die gesetzliche Feststellung, dass der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liege, reiche dafür nicht aus. Die in § 45b BNatSchG vorgenommene Einschränkung des Artenschutzes gegenüber dem Betrieb von Windenergieanlagen widerspreche in mehrfacher Hinsicht dem vorrangigen Unionsrecht. Gründlich überarbeitet wurde das Kapitel zur Haftung für Klimaschäden. Hierzu vertritt auch der Verfasser die Auffassung, dass mangels ausreichender Individualisierbarkeit von Schäden und mangels adäquater Kausalität Unternehmen nicht für Klimaschäden in fernen Ländern in Anspruch genommen werden könnten. Dagegen bestehe eine Klimabergschadenshaftung für Hochwasserschäden in Deutschland, soweit der vorherige Rohstoffabbau die Landschaft so verändert habe, dass Überschwemmungen ihre Zerstörungskraft (verstärkt) entfalten könnten. Eine allgemeine unternehmerische oder behördliche Haftung für Klimaschäden gebe es jedoch nicht.

           

          Gregor Kirchhof, Intertemporale Freiheitssicherung: Klimaschutz – Sozialsysteme – Staatsverschuldung. Über einen notwendigen Grundrechtsschutz in der Zeit und seine Grenzen, Mohr Siebeck, Tübingen 2022. ISBN 978-3-16-161321-0; 79 S., fadengeheftete Broschur, € 29,00.

            Der Verfasser, Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg, versucht in diesem Büchlein, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. März 2021 vorgenommene Erweiterung der Grundrechte zu intertemporalen Freiheitsrechten über den Klimaschutz hinaus auf das Sozialrecht und das Staatshaushaltsrecht anzuwenden. Es handelt sich um die erweiterte Fassung eines Gutachtens, das der Verfasser für einen Interessenverband von deutschen Familienunternehmen erstattet hat. In der „intertemporalen Freiheitssicherung“ sieht er ein neues Rechtsinstitut, das unter zwei Voraussetzungen Rechtsschutz verleihe: Erstens müsse eine Entwicklung im Wesentlichen feststehen, die – wie die Erd­ erwärmung – nicht einfach korrigiert werden könne. Hinzutreten müsse – zweitens – ein intertemporales Budget, das die Gegenwart mit der Zukunft wie in der Zeit kommunizierende Röhren verbinde. Beide Voraussetzungen lägen im Bereich der Sozialversicherung und bei der Staatsverschuldung vor. Deshalb sei es verfassungsrechtlich geboten, die Sozialsysteme durch Abkehr von der bisherigen Umlagefinanzierung der Sozialversicherung zu reformieren und die durch die Staatsverschuldung bewirkte Verschiebung von Tilgungs- und Zinslasten auf die nächste Generation möglichst zu unterlassen. Zu diesem Ergebnis gelangt der Verfasser, indem er zunächst die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit ihrer erweiterten Dogmatik des Grundrechtsschutzes näher untersucht und unter Auseinandersetzung mit der darüber geführten rechtswissenschaftlichen Diskussion grundsätzlich begrüßt. Den gewichtigen Zweifeln an der Vereinbarkeit der vom Bundesverfassungsgericht übernommenen Methode, ein nationales Emissionsbudget aus dem globalen Klimaschutzziel zu errechnen, mit der Herangehensweise des Völker- und Europarechts begegnet er mit dem wenig konkreten Hinweis auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Anwendung des Budgetansatzes, die die Grenzen der Planbarkeit hinreichend aufnehmen und den Gestaltungsspielraum der parlamentarischen Demokratie wahren müsse. Die Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts zum Klimaschutzrecht verallgemeinert der Verfasser anschließend als Entwicklung eines neuen grundrechtlichen Instituts, das auch in anderen Rechtsbereichen anwendbar sei.

            Sodann untersucht er im Einzelnen die Anwendbarkeit dieses Instituts in den Sozialversicherungen. Diese seien durch die bisherige Systementscheidung für die Umlagefinanzierung und die für die nächsten Jahrzehnte determinierte Demographie von zwei im Wesentlichen unumkehrbaren Entwicklungen geprägt und verfügten dadurch über ein Budget, das wie in der Zeit kommunizierende Röhren wirke. Insoweit müsse die öffentliche Hand gewährleisten, dass die nun junge Generation nicht hohe Beiträge entrichten müsse, ohne hinreichend äquivalente Leistungen zu erhalten. Durch Maßnahmen wie die Rente mit 63 sowie Vorgaben zur Verhinderung von Rentenkürzungen sei dieses Budget jedoch zu Ungunsten zukünftiger Generationen aufgebraucht worden. Stattdessen dränge sich eine Reform auf, die die Systeme möglichst weitreichend aus der Umlagefinanzierung herausführe. Der Verfasser skizziert leider nicht, auf welche Weise dies geschehen könnte, sondern verweist nur auf einen insoweit bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Noch unbefriedigender ist die folgende Untersuchung zur Generationengerechtigkeit in der Staatsverschuldung. In diesem bisher nur durch objektiv-rechtliche Vorgaben gesteuerten Bereich soll das individualrechtliche Institut intertemporalen Freiheitsschutzes das Budgetrecht des Parlaments davor bewahren, dass zukünftige Handlungsmöglichkeiten im Übermaß verschlossen werden. Dieses Institut verpflichte den Staat zudem dazu, sich nachhaltig zu finanzieren, um seine Aufgaben und damit auch „grundrechtliche Aufträge“ zu erfüllen, und verbiete es, durch die Staatsverschuldung Tilgungs- und Zinslasten als Steuerlasten der nachfolgenden Generation auf die Zukunft zu verschieben. Obwohl die Staatsschulden zuletzt einen historischen Höchststand erreicht hätten, habe die Europäische Union ohne hinreichende Rechtsgrundlage einen Sonderhaushalt „Next Generation EU“ von 750 Milliarden Euro beschlossen, der durch gemeinsame Schulden der Mitgliedstaaten finanziert werde. Dies untergrabe den intertemporalen Schutz des Budgetrechts des Parlaments und sei deshalb verfassungswidrig. (us)

            Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zuständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts. Er gehörte diesem Senat seit 1993 als Richter, von 2004 bis 2011 als Vorsitzender Richter an. Neben seinem Hauptamt war er von 1997 bis 2004 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. Seit 1991 ist er Mitautor eines Loseblattkommentars zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.

            ulrich.storost@t-online.de

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