Geschichte

Jüdischer Sport in Süddeutschland

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2022

Markwart Herzog / Peter Fassl (Hg.), Sportler jüdischer Herkunft in Süddeutschland. Mit Beiträgen von Dirk Belda, Christoph Engelhard, Peter Fassl, Georoges, Stuttgart: W. Kohlhammer 2021, Georg Feuerer, Markwart Herzog, Anton Kapfer, Claus W. Schäfer, Benigna Schönhagen, Jim G. Tobias, Dietmar-H. Voges, Stuttgart: W. Kohlhammer 2021, 325 S., zahlreiche Abb., Softcover, ISBN 978-3-17-038583-2, € 29,00.

Der vorliegende Band basiert auf einer Tagung, die die beiden Herausgeber in Kooperation mit dem Jüdischen Museum München Ende November 2017 in der Schwabenakademie Irsee bei Kaufbeuren ausrichteten. Wie dies häufiger der Fall ist, fehlen einige der damaligen Vorträge in dieser Publikation, ein Beitrag von Markwart Herzog über Funktionsträger jüdischer Herkunft des FSV Frankfurt wurde neu aufgenommen. Sowohl Markwart Herzog, Historiker, Religionsphilosoph und Direktor der Schwabenakademie, als auch Peter Fassl, Historiker, Theologe und Heimatpfleger im Ruhestand des Bezirks Schwaben, sind ausgewiesene Kenner der Sport- und Fußballgeschichte. Ihr knappes Vorwort umreißt präzise Forschungsstand und Thematik und verweist auf die Probleme der Forschung, insbesondere die mangelhafte Quellenlage für kleinere Sportvereine und das jahrzehntelange Desinteresse der Geschichtswissenschaft an sporthistorischer Forschung. Der Band ist nach geographischen, thematischen und chronologischen Schwerpunkten in vier Teile gegliedert und behandelt den Zeitraum von der Wende zum 19./20. Jahrhundert bis zu den ersten Nachkriegsjahren. Da kaum Sekundärliteratur vorliegt und die Quellen erst erschlossen werden müssen, weisen die meisten Beiträge die ersten Befunde zum Thema auf. Es sind, mit ausgesprochen positiver Betonung, Puzzleteile für eine möglichst bald in Angriff zu nehmende übergreifende Darstellung zur Geschichte des jüdischen Sports in dieser Region. Behandelt werden Fußballer in Memmingen, Sportler in den zwischen Günzburg und Donauwörth gelegenen Landjudengemeinden Binswangen und Buttenwiesen, ein privater, jüdischer Tennisclub in Augsburg in den 1930er und 1940er Jahren, Sportler in Nördlingen, Juden im fränkischen Fußball (Nürnberg und Fürth), die Offenbacher Kickers zu Beginn der 1930er Jahre, die Rolle des Augsburger Sportreferenten Wilhelm Förg in der NS-Zeit sowie jüdischer Sport in den Camps der Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf die beiden sehr umfangreichen Beiträge von Markwart Herzog über die Rolle des jüdischen Bürgertums beim FSV Frankfurt und über die „Stuttgarter Erklärung“ gehe ich noch gesondert ein. Jeder Beitrag endet mit einem Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur, so dass eine überaus solide Basis für weitere Forschungen vorliegt. Wenn hier und im Folgenden nur die männliche Form benutzt wurde, so weist dies in der Tat darauf hin, dass jüdische Frauen im Sportbetrieb jener Zeit eine sehr marginale Rolle spielten, deren Gründe hier nicht erörtert werden müssen. Am häufigsten begegnen sie uns beim Tennissport und in der Leichtathletik. Da die meisten Beiträge Neuland erschließen, haben sie alle einen hohen Informationsgehalt. Mancher Artikel setzt Sachkenntnisse voraus, die wohl nur in der Region bekannt sind. Mir war der aus Ungarn stammende und beim 1. FC Nürnberg tätige Trainer Jenö Konrad bislang unbekannt. Aber Bücher liest man doch vor allem auch, um sein Wissen zu erweitern. Dass es in der „Wilhelminischen Epoche“ zwischen 1890 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine „liberale“ Phase gab, wie Dietmar-H. Voges in seinem Beitrag über Nördlingen schreibt, bezweifele ich. Der wachsende Antisemitismus, dem sich auch Kaiser Wilhelm II. hingab, spricht eine andere Sprache.

Was die Quellenlage anbetrifft, so sei der Hinweis gestattet, dass es zum Sport, insbesondere zum Fußball in der behandelten Region auch literarische Werke gibt. Genannt sei hier Rafael Seligmanns Roman „Lauf, Ludwig, Lauf! Eine Jugend zwischen Fußball und Synagoge“ aus dem Jahr 2019, der auf den schriftlichen und mündlichen Überlieferungen von Seligmanns Vater Ludwig basiert, der in den 1920er und frühen 1930er Jahren, bis zur Emigration nach Palästina, für den Ichenhausener Fußballverein spielte. Ichenhausen hatte übrigens eine große und sehr aktive jüdische Bevölkerung.

Jim G. Tobias, Leiter des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts und ein Spezialist für die jüdischen Displaced Persons (DP) argumentiert in seinem Beitrag „‘Wir Sportler müssen beweisen, dass wir die Avantgarde unseres Volkes sind‘. Jüdischer Sport in den DP-Camps: gelebte zionistische Überzeugung“, wie schon im Untertitel angedeutet, dass der Sport für die Mehrheit der jüdischen DPs eine Wehrertüchtigung und damit „die körperliche Vorbereitung im Kampf um die nationalen Ziele“, also die Gründung des Staates Israel war. Das mag, so möchte ich einwenden, die Meinung der jüdischen, auf Jiddisch erscheinenden Presse gewesen sein, ob die 5.000 begeisterten Zuschauer im Grünwalder Stadion, die Ende November 1947 das Endspiel um die jüdische DP-Meisterschaft sahen, diese Ansicht teilten, wird sich kaum mehr feststellen lassen. Tobias weist in seinem Beitrag auf eine interessante Parallele hin, die er allerdings nicht thematisiert. Die zionistische Bewegung führte seit Mitte Mai 1947 für die Jugend der jüdischen DPs sogenannte HAMLU-Sportfeste durch. Die Abkürzung steht für das hebräische Original des Slogans „Sei bereit für die Arbeit und die Verteidigung“. Jeder, der sich mit der Sportgeschichte der Sowjetunion und der DDR beschäftigt, kennt diese Abkürzung. In der UdSSR wurde seit den frühen 1930er Jahren das sportliche Ertüchtigungsprogramm „Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der UdSSR“ (Gotov k trudu i k oborone SSSR, abgekürzt GTO) durchgeführt. In der DDR war dies die Bezeichnung für das Sportleistungsabzeichen: „Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung des Friedens“. Aufgrund der sozialistischen Orientierung großer Teile der zionistischen Bewegung kann zwar davon ausgegangen werden, dass es eine bewusste Übernahme des sowjetischen Schlagwortes war, grundsätzlich geklärt ist der Sachverhalt jedoch nicht. Es wäre interessant herauszufinden, wer denn nun Anspruch auf das Erstgeburtsrecht erheben kann oder wer von wem was übernommen hat.

Die beiden zentralen Texte des Bandes stammen von Markwart Herzog, der sich zum einen mit den Aktivitäten des Vorstandes des FSV Frankfurt zwischen 1925 und 1933 beschäftigt, der deutsch-jüdischer Herkunft war. Dies ist ein exzellent recherchierter Aufsatz auf der Basis von neu erschlossenen Archivalien und einer ausgezeichneten Literaturkenntnis, der wiederum zeigt, welche herausragende Rolle Deutsche jüdischer Herkunft in der Entwicklung des Sports in Deutschland bis 1933 und teils noch darüber hinaus gespielt haben. Zudem verortet er aber auch die beteiligten Personen in ihrem biografischen Kontext, leuchtet also ihre „Multifunktionalität“ aus und demonstriert dies insbesondere am Beispiel des Lungenfacharztes Dr. David Rothschild. Rothschild, mit der bekannten Frankfurter Bankiersfamilie nicht direkt verwandt, war Arzt, Besitzer einer Kurpension, Sportfunktionär und Kunstsammler. Herzog verwendet dabei für die auf den Sport bezogenen Aktivitäten den Begriff der „Professionalisierung“, unter dem er die „Unterwerfung von nominell ehrenamtlich ausgeübten Vereinsgeschäften unter die Anforderungen des Marktes und seiner Organisationsformen“ versteht, „was Kommerzialisierung, Transfer von Knowhow, Medialisierung und Sponsoring einschließt.“ (S.113, Anm.1) Ein sehr lesenswertes Kapitel deutscher Fußballgeschichte, vor allem, wie Herzog am Ende betont, den Anhängern der Fiktion eines sogenannten „echten, authentischen Fußballs“ mit ihren „rückwärtsgewandten Utopien“ zur Lektüre empfohlen.

Markwart Herzogs zweiter Artikel beschäftigt sich mit der sogenannten „Stuttgarter Erklärung“ vom 9. April 1933, in der 14 süddeutsche Fußballvereine die „Gleichschaltung“ und „Arisierung“ der Klubs beschlossen, obwohl dafür von Seiten der Parteiführung und der Reichsregierung noch gar keine Erlasse vorlagen. Auch dieser Beitrag basiert auf akribischer Forschung und erschließt erstmals Material wie Vereinsregister, Registerakten oder die verschiedenen Fassungen der Vereinssatzungen. Herzog behandelt dabei zunächst die Vereine, zeigt die Quellenlage auf, untersucht die Mitgliederstruktur und sodann die getroffenen Maßnahmen. Es zeigt sich eine eklatante Ungleichheit des Vorgehens und der Maßnahmen der Vereine gegen jüdische bzw. nicht-arische Mitglieder, die teilweise bis zum Ende der 1930er bzw. Anfang der 1940er Jahre andauert. Von einem einheitlichen Vorgehen oder auch von einheitlichen Vorgaben durch Partei und Regierung kann keine Rede sein. Die Vereine schwankten zwischen vorauseilendem Gehorsam, taktischem Lavieren und aufgeschobenen Entscheidungen. Herzog weist am Ende seines Aufsatzes erneut auf den „Eigensinn“ des Sports hin, den er als „eigenständiges, gesellschaftliches Subsystem versteht, in dem weltanschauliche, politische und konfessionelle Unterschiede“ weitgehend ausgeblendet werden können. (S. 264) Er zählt dazu einige Beispiele auf und spricht von der „verstörenden Banalität“ freundschaftlicher Kontakte, die der „Gemeinschaft stiftenden Wirkung des Sports entspringen.“ (S. 265) Dies sind Anregungen genug für umfassende sportsoziologische, -psychologische und -philosophische Forschungen. Auch dies ist ein sehr lesenswerter Beitrag, der viel neues Material verarbeitet und genügend Anregungen für weitere Forschungen liefert. Am Ende des Buches gibt es ein ausgesprochen knappes Verzeichnis der Autoren und Herausgeber, dem häufiger nur Name und Wohn- oder Beschäftigungsort der Beiträger zu entnehmen sind. Darauf kann man auch verzichten. Ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Register der Personen, der Sportvereine, nach Orten gegliedert, und der Sportverbände und -institutionen beschließen den Band. Leider gibt es kein Verzeichnis der Abbildungen. Die Bebilderung, dies sei betont, ist ausgesprochen informativ und illustriert den Text hervorragend. Insgesamt ein rundum gelungener Band, der Neuland erschließt und dem eine Fortsetzung sehr zu wünschen ist. (dd)

Prof. em. Dr. Dittmar Dahlmann (dd), von 1996 bis 2015 Professor für Osteuropäische Geschichte an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, hat folgende Forschungsschwerpunkte: Russische ­Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wissenschafts- und Sportgeschichte sowie Migration. ddahlman@gmx.de

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