Sport, Zeitgeschichte

Als Bayern München noch nicht Serien­meister war

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2023

Gregor Hofmann, Mitspieler der „Volksgemeinschaft“. Der FC Bayern und der Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein 2022, 526 S., 14 Abb., Tabellen und Grafiken, geb., ISBN 978-3-8353-5261-2. € 28,00.

An Darstellungen zur Geschichte des FC Bayern München, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, herrscht kein Mangel, denn damit haben sich in den vergangenen Jahren u.a. Dietrich Schulze-Marmeling und Markwart Herzog, um nur die bekanntesten Autoren zu nennen, schon beschäftigt. Kontrovers wurde dabei vor allem diskutiert, welche Rolle Juden im Verein vor und zu Beginn der NS-Zeit gespielt haben und ob von einem „Judenverein“ gesprochen werden könne. Die vorliegende Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist eine Auftragsstudie des FC Bayern, durchgeführt am Institut für Zeitgeschichte, Zentrum für HolocaustStudien, München. Der Projektleiter, Prof. Dr. Frank Bajohr, bedankt sich in seinem Vorwort ausdrücklich für die großzügige Förderung durch den Verein und dafür, dass er sich „jeder Einflussnahme“ enthalten habe. Die Arbeit basiert auf einem umfassenden und akribischen Studium der Literatur, der Periodika sowie publizierter und unpublizierter Quellen. Im Verzeichnis sind Materialien aus 44 deutschen, österreichischen, schweizerischen, tschechischen, polnischen und US-amerikanischen Archiven aufgelistet. Das ist auch im Zeitalter der Online-Recherchen, der Digitalisierung und des Scannens eine beachtliche Leistung. Schade, dass Hofmann bei manchen Archiven nur die Bestandssignaturen nennt, bei anderen dagegen zwar auch die Bezeichnung des Bestandes angibt, allerdings darauf verzichtet, dem Leser eine Hilfe zu geben, wenn es um Orte geht, die inzwischen andere Namen tragen. So werden diejenigen, die weder des Polnischen noch des Tschechischen mächtig sind, wohl erst mit Hilfe von Google herausfinden können, welcher Ort sich beispielsweise hinter Litom ˇeˇrice verbirgt. Ein in Klammern dahinter gesetztes „Leitmeritz“ würde dem „interessierten Fußballfan“, für den das Buch ausdrücklich auch sein sollte, wie Frank Bajohr in seinem Vorwort schreibt, sicher weiterhelfen.

Grundsätzlich liegt eine detailreiche Untersuchung vor, die dennoch immer wieder Bezug auf die Verhältnisse und Entwicklungen bei anderen Vereinen nimmt. Diese Fülle von Informationen ist die Grundlage für das große Verdienst dieser Studie. Sie zeigt, dass sich der FC Bayern München, gegründet 1900, in den ersten rund 70 Jahren seines Bestehens von anderen Vereinen kaum unterschied. In den Jahren 1932 und 1968 wurde der Klub Deutscher Fußballmeister, das war im Vergleich zum damaligen Rekordmeister, dem 1. FC Nürnberg mit neun Meisterschaften, nichts Besonderes. Hofmanns Untersuchung setzt mit dem Gründungsjahr ein und endet 1955, zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Abstieg des Vereins, dem 1956 der sofortige Wiederaufstieg in die Oberliga Süd, damals die höchste Spielklasse, gelang. Nach einer knappen Einleitung folgen acht Kapitel mit unterschiedlicher Länge sowie ein knappes Resümee. Ausführlich behandelt wird selbstverständlich die NS-Zeit in den Kapiteln vier bis sieben, darunter widmet sich ein Kapitel ausschließlich den jüdischen Mitgliedern des FC Bayern, in dem Hofmann zeigt, dass es sich bei der bisher häufiger erfolgten Zuschreibung, Bayern München sei ein „Judenklub“ gewesen, um eine Konstruktion bzw. Projektion handelt. Zu Beginn der 1930er Jahre waren etwa zehn Prozent der Vereinsmitglieder jüdischer Herkunft, was bei einem bürgerlichen Verein durchaus üblich war. Übrigens kann auch Hofmann trotz seines intensiven Quellenstudiums kaum etwas über das Jüdischsein dieser Mitglieder feststellen. Viele waren ganz offensichtlich, wie dies in Deutschland vor der NS-Herrschaft öfters der Fall war, lediglich „auf dem Papier“ Juden, die nur an den hohen Feiertagen die Synagogen besuchten und sich eher als Deutsche mit einer anderen Religion verstanden. Ein Ärgernis sind die kleine Schrift und die übervollen Seiten, die kaum Platz für eine Randbemerkung lassen, leider eine inzwischen häufig zu beobachtende Praxis. Auf 408 Seiten Text folgen 75 Seiten mit mehr als 3.200 Fußnoten, die nicht wie üblich untereinanderstehen, sondern im Fließtext gedruckt und ein Paradies für Freunde der Abkürzungen sind. Warum es kein Bild des für die Geschichte des Vereins so wichtigen langjährigen jüdischen Vereinsvorsitzenden Kurt Landauer, vor und nach der NS-Zeit, gibt, leuchtet mir nicht ein. In dem von Jutta Fleckenstein und Rachel Salamander herausgegebenen Band über Landauer gibt’s doch eine ganze Reihe davon; zur Not hätte es auch ein Foto des Landauer-Denkmals an der Säbener Straße getan. Und mir bleibt grundsätzlich unverständlich, warum es im Zeitalter der Digitalisierung in deutschsprachigen, wissenschaftlichen Publikationen immer noch keine Register gibt. Das ist eine Unsitte!

Einige Begrifflichkeiten sind meiner Ansicht nach durchaus diskussionswürdig und sollen hier zumindest kurz angerissen. Das beginnt mit dem Titel, dessen zentraler Begriff „Volksgemeinschaft“ nicht erläutert wird. Er stammt – wie viele NS-Begriffe – aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert und wurde von den Nationalsozialisten, wie in vielen anderen Fällen auch, umgedeutet und pervertiert.

Was genau ein „Mitspieler“ der Volksgemeinschaft sein soll, will sich mir nicht erschließen: Gemeint sind doch wohl „Mitläufer“.

Auch Hofmann rekurriert mehrfach darauf, dass im Fußball eine „militärische Sprache“ gebraucht werde, also Wörter wie Angriff, Verteidigung oder Flanke; in der Militärsprache gab’s früher auch „Flügel“. Ob die Wörter „Flanke“ und „Flügel“ eine militärische Assoziation wecken, möchte ich bezweifeln: vierbeinige Tiere haben Flanken ebenso wie Berge und Vögel wie Flugzeuge haben Flügel. Zudem sind diese Begriffe kein Spezifikum des Fußballs, sondern bei allen Ballspielen üblich. An seinem Entstehungsort, den englischen „Public Schools“, wurde der Fußball schon bei seiner Entstehung in Zeiten des Hochimperialismus als vormilitärische Ausbildung angesehen und als „Remedium zivilisatorischer Dekadenz gepriesen“ (Markwart Herzog). Womit wir bei Herzogs Begriff der „Eigenwelt“ angelangt sind, den Hofmann aus diversen Gründen unpassend findet. Dass der Fußballsport eine „eigene Welt“ bildet, geht schon daraus hervor, dass er eine eigene Gerichtsbarkeit hat, die grundsätzlich akzeptiert wird. Zudem gibt es im Sport eine Reihe von Ritualen, die eben nur zur Welt des Sports gehören.

Diese kritischen Bemerkungen schmälern den Wert des Buches nicht, dem in der Tat viele Leser zu wünschen sind. (dd)

Prof. em. Dr. Dittmar Dahlmann (dd), von 1996 bis 2015 Professor für Osteuropäische Geschichte an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, hat folgende Forschungsschwerpunkte: Russische ­Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wissenschafts- und Sportgeschichte sowie Migration.

ddahlman@gmx.de

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