Recht

Juristen jüdischer Herkunft

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2022

Peter Landau: Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Mit einem Nachwort von Michael Stolleis. München, C.H. Beck 2020, Softcover, 110 S., ISBN 978-3-406-76183-6, € 22.00.

Peter Landaus hier anzuzeigende eindrucksvolle Beschreibung der „Glanzzeit deutscher Juristen jüdischer Herkunft von 1870 bis 1933“ kann nun die notwendige Rezeption erhalten, die Michael Stolleis bei deren erstmaliger Publikation im Rahmen des 1993 ebenfalls bei Beck erschienenen Sammelwerks „Deutsche Juristen jüdischer Herkunft“ vermisste.In seinem Nachwort weist er darauf hin, dass der Text unverändert wiedergegeben wird und darauf verzichtet wurde, den jetzigen Forschungsstand einzuarbeiten. Die Neuveröffentlichung als solche und in genau dieser Form ist gleichwohl uneingeschränkt zu begrüßen.2 Nach einer kurzen Einleitung (Teil I) über „die Anfänge der bürgerlichen Gleichberechtigung“ deutscher Juden skizziert Landau die Geschichte der Familie Loening (Teil II) als beispielhaft für das deutsche Bildungsbürgertum. Wollte man die folgenden beiden Hauptteile „Richter, Politiker und Anwälte“ (Teil III) sowie „Die Rechtswissenschaft“ (Teil IV) in einem Satz zusammenfassen, könnte man nur feststellen, dass das deutsche Rechtswesen im genannten Zeitraum ohne Juristen jüdischer Herkunft schlicht nicht denkbar ist. Schon eine bloße Aufzählung der einzelnen herausragenden Persönlichkeiten ist im Rahmen dieser Rezension unmöglich. Umgekehrt würde von der Rechtsgeschichte fast nichts übrigbleiben, wollte man diese Namen ausklammern.

Peter Landau gelingt es, die Verdienste jedes einzelnen der von ihm hervorgehobenen Juristen zumindest kurz zu charakterisieren und rechtshistorisch einzuordnen. Zahlreiche Fußnoten und Literaturverweise (lesefreundlich auf derselben Seite) regen zur weiteren Vertiefung an. Vielfach enthalten diese auch Hinweise auf Verfolgungsschicksale, aber auch brillante zweite Karrieren nach der Vertreibung ins Exil.

„Den nachhaltigsten auch heute lebendigen Einfluss haben Juristen jüdischer Herkunft in der Rechtswissenschaft ausgeübt“ (S. 35). Dementsprechend hat Landau diesem Teil den vierfachen Umfang des vorhergehenden gewidmet. In der Einleitung verweist er auf die mit 23 % überdurchschnittliche Zahl jüdischer Autoren an der monumentalen Festschrift der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts 1929. Auf die Universitäten waren jüdische Professoren ungleichmäßig verteilt. In Berlin war ihr Anteil schon vor dem Hintergrund der Bevölkerungszusammensetzung hoch, ebenso bei den nach 1900 gegründeten Universitäten. Vielfach lehrten sie neue, nunmehr wissenschaftlich verselbständigte Fächer „und modernste Methoden“ (S. 39), gelten mitunter als „Vater“ des jeweiligen Gebiets.

In den folgenden elf Kapiteln schildert Landau die Verdienste für jedes einzelne Rechtsgebiet mit seinen jeweiligen Untergliederungen. Viele davon haben sich im Zuge der Industrialisierung und seit der Industrialisierung herausgebildet. Immer wieder begegnet man nicht nur Juristen vertrauten Rechtsgrundsätzen, die von jüdischen Juristen entdeckt, entwickelt oder erstmals dogmatisch abgegrenzt worden sind. Ihre Lehrbücher erschienen in vielfacher Auflage; viele juristische Kommentare wurden von jüdischen Autoren begründet, waren ohne sie nicht denkbar oder erscheinen noch heute unter ihrem Namen. Viele Reformbestrebungen innerhalb der verschiedenen Rechtsgebiete wurden von jüdischen Wissenschaftlern unterstützt, auch in den Bereichen Strafrecht und Kriminologie, wo es ebenfalls bedeutende jüdische Namen gibt, wenn auch weniger als in den zivilrechtlichen Bereichen. In einer knappen Schlussbemerkung schreibt Landau, dass abgesehen von vereinzelten Extrempositionen „sich doch bei der Mehrzahl dieser Juristen weltanschauliche Übereinstimmungen feststellen“ ließen. „Dabei führte das Bewusstsein jüdischer Herkunft wohl dazu, dass das Nationalbewusstsein mit weltbürgerlichen Ideen verbunden wurde und sich daraus ein Gefühl der Affinität zur geistigen Welt der klassischen deutschen Literatur und der deutschen idealistischen Philosophie ergab.“ Zum Abschluss der faszinierenden Reise durch die Rechtsgeschichte bescheinigt Landau der deutschen Rechtswissenschaft „im ersten Drittel des [20.] Jahrhunderts eine weltweite Offenheit …, die ohne die Arbeit der großen deutschen Juristen jüdischer Herkunft nicht hätte erreicht werden können. … Die Vergewisserung der heutigen Generation über die Leistungen deutscher Juristen jüdischer Herkunft kann dazu dienen, den ,gemeinsamen geistigen Mittelpunkt‘ (Savigny) zu finden, der auch die deutschen Juristen am Ende des 20. Jahrhunderts mit ihren jüdischen Vorgängern verbindet.“

Das bei der Wiederveröffentlichung ergänzte Nachwort von Michael Stolleis enthält u.a. eine knappe Skizze zu Leben und Werk von Peter Landau. „Ein Universalist der europäischen Rechtsgeschichte wie besessener Erforscher der subtilsten Details von Handschriften, Filiationen der Wissenschaftsgeschichte und deren Auswirkungen“, zudem stets interessiert an Philosophie und Rechtsphilosophie, Professor, engagierter Sozialdemokrat, von evangelischer Religiosität. „Von der Überzeugung, das Recht müsse einen humanen Kern haben, den es nur um den Preis seiner Selbstzerstörung verraten könne, war Peter Landaus Lebenswerk geprägt.“ (ldm)

Lena Dannenberg-Mletzko (ldm) war bis zu ihrem Ruhestand Notariatsvorsteherin in einer großen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main.

lena.dannenberg@t-online.de

 

1 H. Heinrichs, H. Franzki, K. Schmals, M. Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 133-213. In ihrer Darstellung des mühsamen Aufstiegs jüdischer Wissenschaftler, ihrer Bedeutung für das deutsche Rechtswesen und die europäische Wissenschaft, schließlich der brutalen Entrechtung im Nationalsozialismus zur Einleitung der Rezension „Lebensbilder von Juristen jüdischer Herkunft“ in fachbuchjournal 2/2019 hat die Rezensentin auf dieses Standardwerk zurückgegriffen.
2 Peter Landau verwendet die Bezeichnung „jüdische Juristen“ wohl auch für „Juristen jüdischer Herkunft“, differenziert aber durchaus bei bestimmten Einzelfällen wie z. B. betreffend Levin Goldschmidt, „der erste jüdische Jurist, der trotz Verweigerung der gesellschaftlichen Konzession der Taufe in Deutschland eine erfolgreiche akademische Karriere durchlaufen konnte.“

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