Biografien

„Eitelkeit, also Gefallsucht, ist ubiquitär“

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 6/2021

Leszek Dziemianko / Marek Halub / Matthias Weber (Hrsg.), Heinrich Laube (1806–1884). Leben und Werk. Bestandsaufnahme – Facetten – Zusammenhänge. (Schlesische Grenzgänger; Bd. 8) Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2016. 401 S., Hardcover, ISBN 978-3-86583-910-7, € 36,00.

Heinrich Laube? Wer war das? Das wissen heute vermutlich nur noch Wenige, die Meisten wohl aus dem Bereich und Umfeld des Theaters. Die Beleibtheit des Sammelbandes und das gut lesbare Druckbild lassen freilich schon vermuten, dass es zu ihm doch eine Menge zu sagen gibt. Der Rezensent kannte seinen Namen bisher (nur) aus der Revolutionszeit 1848/49. Doch zunächst ein Überblick über den Aufbau des Buchs über Laube, dem in drei Teilen insgesamt 18 Beiträge gewidmet sind.

„Werke und Kontexte“ (8 Beiträge), „Begegnungen und Beziehungen“ (7) und „Wirkungsbereich und -geschichte“(3) sind das Gerüst einer internationalen Tagung, die mit diesem Titel 2014 stattgefunden hat. Aus der am Ende des Buchs abgedruckten Liste der Autoren des Bandes lässt sich entnehmen, dass es sich überwiegend um Germanisten aus Polen und Deutschland handelt. Vier von ihnen firmieren unter „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“, Oldenburg, mit einer Ausnahme alle Anderen unter einer Universitätsadresse, neun unter einer polnischen Universität, die anderen unter Braunschweig oder Oldenburg. Eine Autorin gibt eine neutrale Adresse an.

Eingeleitet wird das Werk mit einem – ausführlichen – Vorwort der Herausgeber (9-19). Angesichts der hier gestellten Fragen ist das Ziel klar: der breiten Öffentlichkeit sein zum großen Teil vergessenes literarisches Erbe sowie seine kulturelle und politische Tätigkeit nahezubringen (im Vorwort ist das etwas anspruchsvoller formuliert). Die Leser und die Leserinnen werden schon hier vorbereitet auf ein nicht eben geradlinig gelebtes Leben, aber ein auch in jenen Tagen nicht untypisches: Laube stammt aus sehr einfachen Verhältnissen, Vater Handwerker: Handschuhmacher oder Maurer, gefördert im Gymnasium, schreibt sich 1826 an der Universität Halle für Theologie ein und wird Mitglied in der dortigen alten Halleschen Burschenschaft, was ihn schon bald darauf für etliche Wochen in unmittelbare Verbindung mit dem Karzer der Universität bringt. Zum vierten Semester wechselt er 1828 an die Universität Breslau (in die Burschenschaft Arminia), dort dann auch das Studienfach: von Theologie zur Literaturgeschichte. Einen Abschluss erreicht er in beiden Studiengängen nicht, strebte ihn wohl auch gar nicht mehr an, schreibt stattdessen für verschiedene Zeitungen, schlägt sich – zweimal – als Hauslehrer durch, äußert sich als Redakteur kritisch zur aktuellen Politik und erlebt dann 1831 das wiedererstarkte reaktionäre Regime: Wegen politisch unliebsamer Ansichten hinsichtlich des Deutschen Bundes, er äußerte sich im Sinn des „Jungen Deutschland“, also gegen die Restauration, gegen den Adel, dessen Abschaffung gefordert wurde, und für Meinungs- und Pressefreiheit, kommt er Ende 1836 für sechs Monate in Untersuchungshaft. Damals gehörte er, so Katarzyna Jástal, S. 48, zu den Hauptvertretern der literarischen Bewegung liberal gesinnter Vormärz-Autoren, verstand sich „als Exponent“ der progressiven Vormärzliteratur (S. 50; zum Namen „Junges Deutschland“ auch Mariusz Dzieweczynski, S. 232-252, 253, der Laube als Erfinder des Worts „jungdeutsch“ ausmacht). Sieben Jahre Festungshaft lautet das dann Ende 1836 verkündete Urteil, später auf 18 Monate herabgesetzt – in sehr erträglicher Umgebung, nämlich Schloss Muskau, wo er sich frei bewegen durfte, wenn auch nur am Ort. Ob diese starke Milderung des Urteils darauf beruhte, dass er offenbar 1836 auf seiner Hochzeitsreise in Straßburg für den damaligen (1834– 1842) preußischen Innenminister Gustav Adolf Rochus von Rochow (1792–1847) spioniert habe? Gut möglich, aber unklar. 1839, nach „Verbüßung“ der Haft, zieht es ihn mit seiner Ehefrau Iduna, vermögende Witwe des sehr jung verstorbenen Professors der Medizin, Albert Friedrich Hänel nach Paris, wo er die französischen Künstler und Literaten kennen lernt. 1840, aus Paris zurück, findet man ihn in Leipzig, wo er einige Bühnenstücke schreibt, die, gewiss in seinem Sinn, skandalisiert werden, jedenfalls aber für „Aufsehen“ sorgen.

Ein Ausflug in die „große“ Politik beginnt für ihn als Berichterstatter über das sog. Vorparlament 1848 und endet in seiner Zeit als Abgeordneter in der Paulskirche 1848/49 im März/April 1849 durch Niederlegung seines Mandats. Inzwischen war er in seiner politischen Einstellung weg von den Zielen des „Jungen Deutschland“ in das konservative Lager abgewandert und – er lebte eben nah am Puls der Zeit – im Augsburger Hof gelandet, wo man, immerhin noch für Konstitution, aber auch Erbkaisertum eintrat (bei „kleindeutscher“ Lösung), jedenfalls ein Karriereweg. Diese Fakten bilden die, auch in mehreren Beiträgen anklingende, Hintergrundmusik zu einem „intensiven“ Leben, zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen, dann ab 1849 als Leiter der Wiener „Burg“ bis zu seinem Rückzug 1869. 1872 übernimmt er, so steht es auch bei Wikipedia (abgerufen am 22. 10. 2021) die Leitung des Wiener Stadttheaters und bleibt dort bis 1880 (mit einer Pause 1875, warum ist offenbar unklar). Gestorben ist er am 1.8. 1884 in Wien. Das sind die wesentlichen Daten, die den Rahmen bilden, innerhalb dessen sein Leben stattgefunden hat.

Das Vorwort, fast überreich an Nachweisen, wie dann auch einige der Beiträge, kann man im Verbund mit dem letzten Aufsatz von Marek Halub als eine Zusammenfassung insbesondere (aber nicht nur) der Ergebnisse der o.g. Tagung lesen. Alle Beiträge hier vorzustellen, ist nicht möglich, einige wenige anreißen aber schon.

Im ersten Teil geht es u.a. um „Literarische Körperkonstruktionen“ in Laubes 1834–1836 erschienenen Reisenovellen (Katarzyna Jástal, S. 48-65): Zwischen Comte de Saint Simon und Friedrich Ludwig Jahn (S. 48-65), gemeint als Wendung gegen die christlich tradierte Überordnung des Geistes über den Körper im Sinn einer Aufwertung der Sinnlichkeit… im „Sinn einer Rehabilitation des Fleisches“ (S. 48), eine in der Theaterwelt bis heute sehr beliebte Verletzung von Tabus also. Geschichten wiederholen sich eben manchmal… Das wird, versteht sich, im Weiteren ausgearbeitet, besonders mit Bezug auf die Rolle Laubes – konterkariert durch die „blühende Grammatik des Körpers: das Turnen“ (S. 60 f.). Auch das hat sich, in etwas anderer Gewandung, ja wiederholt. Die Reise durch Breslau (Wojiech Kunicki, S. 66-81) wird eine solche durch das Biedermeier: Bürger gegen Philister (Spießer), Poetisches gegen Geschmackloses (S. 67, 70, 76). Auch dem Leser war aufgefallen, was Autor Kunicki am Ende rügt: die Beimischung von zu heftiger Sinnlichkeit. Aber das machte eben „interessant“, was Laube gewiss nicht „ungelegen“ war (S. 81). So käme vielleicht seine 1835 publizierte Novelle „Liebesbriefe“ (Leszek Dziemianko, S. 97-111) gerade recht, handelte es sich nicht um eine jungdeutsche ­Novelle der Resignation, in der er, nun ja, wiederum für ein freies sinnlich-geistiges Liebesleben eintrat, und einmal mehr, das machte sich in diesen Kreisen wohl auch damals eher gut, scharfe Kritik an der christlichen Religion übte. „Heinrich Laube und Richard Wagner“ (Cord-Friedrich Berghahn, S. 253-268) ist unter einigen Aspekten ein interessantes Thema, wie der Text dann auch bestätigt: „Beide haben lange gelebt und in ihren Lebensläufen zahlreiche Mäander und Kehren vollzogen“ (S. 253). Laube habe auf Wagner in dessen jungen Jahren „einen kaum zu überschätzenden Einfluss ausgeübt“ (S. 253). Beide haben ihr autobiographisches Werk spät verfasst, auch mit dem Ziel, die „Torsionen und Aporien des eigenen Lebenslaufes post festum zu glätten, die loose ends zusammenzubinden und die erratischen Momente der Jugendjahre (ach ja; zudem bei Laube m.E. nicht mehr passend) in harmonischerem Licht erscheinen zu lassen“ (S. 253). Das „sitzt“, und es stimmt, wie die folgenden Belege deutlich zeigen: So etwa zeigen Laubes „aktualisierte“ Erinnerungen das Bemühen„die jungdeutsche Vergangenheit zum burschenschaftlichen Spuk zu dämpfen, der letzten Endes keinen Platz für den Revolutionär und Anarchisten Heinrich Laube lässt“ (S. 253). Klar, da wurde, wie anderwärts zu allen Zeiten auch, ex post, kräftig geschönt, worin Laube allerdings bei Weitem nicht der Einzige war, denn Wendehälse gab und gibt es immer, dies nicht vom hohen moralischen Podest gesagt, sondern schlicht als bloße Feststellung. Da dies bei Wagner nicht grundsätzlich anders war, musste der Autor umsichtig agieren, um seinem Thema gerecht werden zu können, denn bei der Lektüre war Wachsamkeit angebracht. Es wird nicht nur den Rezensenten überrascht haben, wie groß der Einfluss des sechs Jahre älteren Laube auf den jüngeren Wagner war, belegt durch Berghahn (S. 254-261). Die Entfremdung beginnt bei beider Aufenthalt in Paris 1840 (dazu S. 261 f.) und setzt sich fort: Nach 1848 hatten sie sich „nichts mehr zu sagen“ (so S. 264). Die Darstellung des politischen Engagements Laubes in Umfeld der Revolution von 1848/49 ist im dritten Teil das Thema, das – von Tobias Weger bearbeitet – den Juristen besonders interessieren muss (S. 350-379). Weger beginnt mit einer Aufzählung von lexikalischen Eintragungen über Laubes Handeln 1848/49 in Fn. 1. Die bis heute etwa in den Lebensläufen von BT-Abgeordneten und in „Hofberichterstattungen“ immer wieder einmal zu „bewundernde“ Selbst- und servile Fremdstilisierung bedarf keiner weiteren Ausführungen. Heute findet sich zu Laube in: Best/Weege, Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, 1996/98, S. 116 f. eine noch mehr herausgeputzte Vita mit schon beeindruckendem Beginn: Sohn eines Stadtbaumeisters und Landwirtes; ev.; 1826 bis 30 Studium evangelische Theologie, Geschichte, Philologie und Philosophie in ­Halle und Breslau, Dr. phil. in Jena. Wow! Das erinnert z. B. an den Einser-Juristen, manche Prof. Dr. – Abgeordnete, die der BT im Verlauf seines Bestehens gesehen hat, deren Leistungen auf ganz anderen Feldern als der Wissenschaft erbracht worden waren, an die „Theologin“ und die „vom Völkerrecht“ Herkommende u.A.m. So ist es eben zu allen Zeiten, von den zahlreichen „Nur-Doktoren“ für vielfältig „besondere“ Leistungen noch ganz abgesehen. Eitelkeit, also Gefallsucht, ist „ubiquitär“. – Dass dann auch die Seuche des Antisemitismus – und wie! – bei Laube eine Heimstatt hatte (S. 361), sei wenigstens erwähnt. Weger macht das Geschehen zwischen dem Frühjahr 1848 und dem Herbst 1849 zum Gegenstand seiner Untersuchung: die Tätigkeiten Laubes als Berichterstatter und Abgeordneter in diesen etwa 18 Monaten. Die am 7. März 1848 in Berlin beginnenden Unruhen nahm Laube zum Anlass, sich von Leipzig nach Frankfurt am Main aufzumachen und über die Sitzungen des sogenannten Vorparlaments (31.3.–3.4.1848) als Journalist zu berichten. Nach Leipzig zurückgekehrt, schloss er sich den Nationalliberalen an, die sich den Demokraten entgegenstellten. Als sich – aus Laubes Sicht endlich – die Chance ergab, in Wien an der Hofburg Fuß fassen zu können, eilte er nach Wien, wo die Revolution am 13.3.1848 begonnen hatte. Für die näheren Einzelheiten steht der umsichtige Bericht Wegers, S. 354 ff. Auch hier schließt Laube sich aus damaliger Sicht gemäßigt-liberalen Kräften an, die sich gegenüber dem Staat im Großen und Ganzen loyal verhalten, aber an den Praktiken der Zensur und des absolutistischen Systems Anstoß nehmen (S. 354). Eine der Schlüsselfragen betraf den Vielvölkerstaat Österreich und die Forderungen der einzelnen Nationen nach kultureller Autonomie, was alsbald einen Verein der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien zur Folge hatte. Es ging um die Frage, wer Österreich in der Paulskirche vertreten sollte – später lautet das Schlagwort groß- oder kleindeutsche Lösung, also mit oder ohne die vielen nichtdeutschen Völker im Kaiserreich zu berücksichtigen.

Die Wiener Presse war Laube, dessen Bühnentätigkeit man kannte, durchaus gewogen (S. 355) mit einem stellvertretenden Zitat aus dem „Homorist“ vom 19.4.1848. Laube zeigt sich in der Folgezeit in seiner Rede als völkisch motiviert (S. 358 mit weiteren Belegen) und beseelt von einer Verachtung des tschechischen Volkes wie überhaupt der Slawen. Man muss nur die Zitate S. 360 ff. gelesen haben, um zu wissen, wes Geistes Kind dieser opportunistische Karrierist war. Im Parlament meldete er sich nicht zu Wort (Würdigungen von Zeitzeugen S. 370 ff.; dazu Weger mit Abdruck eines Spottgedichts auf Laube von Robert Eduard Prutz, S. 373). – Mit diesem Lied könnte man die Vorstellung des Buchs enden lassen, denn der politische agierende/nicht agierende Laube ist darin recht gut getroffen worden – wären da nicht noch seine „Denkwürdigkeiten“, die in drei Bänden zeitnah unter dem Titel „Das erste deutsche Parlament“ erschienen. Hier nämlich zeigt sich seine reaktionäre Einstellung und seine Feindschaft gegenüber Republikanern und Demokraten in kaum überbietbarer Weise, und hier zeigt sich auch, wie eine Geschichtsschreibung der Sieger und ihrer Lakaien das tatsächliche Geschehen verfälscht. – Wer diese Berichte gelesen hat, wird sich für den Menschen Laube nicht mehr interessieren. Schon das in diesem Buch Zusammengetragene ist mehr als genug, um diesen Mann so zu beurteilen, wie es ihm gebührt. Ob er das Interesse der Fachleute seines Metiers für seine Leistungen im Bereich des Theaters wieder verdiente, hatten diese zu beurteilen. (mh)

Univ. Prof. Dr. iur. utr. Michael Hettinger (mh). Promotion 1981, Habilitation 1987, jeweils in Heidelberg (Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte). 1991 Profes­ sur an der Universität Göttingen, 1992 Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht in Würzburg, von 1998 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 in Mainz. Mit­herausgeber der Zeitschrift„Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“.

hettinger-michael@web.de

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