Geowissenschaften

Berge, Alpen, Wetter

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

Meyer, Jürg (2021): Wie Berge entstehen und vergehen. Haupt-Verlag, Bern, 2021., geb., 266 S., 145 Abb., 6 Tabellen, ISBN 978-3-258-08254-7. € 32,00.

Im Vorwort wird erläutert, was der Autor Dr. Jürg Meyer, Dipl. Bergführer, Gutachter und Umweltbeauftragter, und mit ihm das UNESCO-Weltnaturerbe „Tektonikarena Sardona“ (TAS), mit diesem Buch erreichen möchten: Da „im UNESCO-TAS-Gebiet die Gebirgsentstehung so gut sichtbar [ist] wie sonst nirgends auf der Welt“, sollen zentrale Themen, Konzepte und neue Erkenntnisse zur Alpenbildung in essayartigen Beiträgen in gut verständlicher Sprache und mit vielen Fotos und Abbildungen dargestellt werden. Als Leser möchte man an der Geologie interessierte Menschen ansprechen sowie Multiplikatoren und Studierende. Die Form des Essays soll es ermöglichen, individuelle Wege durch das Buch zu finden.

Im Info-Teil steht ein Goethe-Zitat, das eine Grundlage zum Verständnis dieses Buches sein kann: „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Mich begleitet es schon lange, weil ich glaube, dass diese Aussage falsch ist. Der Autor schreibt dazu ganz richtig: „Zuerst, natürlich, ganz einfach ein Phänomen sehen …“. Dann: „Zu beschreiben was da ist. Was sehe ich denn eigentlich?“ Und schließlich die Frage zu stellen: „Was weiß ich [dazu]?“ Auf Französisch sagt man: Qu´est-ce que c´est que ca? Übertragen: Was ist das, was da ist? Man kann etwas erblicken, ohne zu wissen, was es ist, und dann selbst herausfinden, um was es sich handelt. „Versuch und Irrtum“ ist die zielführende Methode. Aber das individuelle Problem liegt bei „ganz einfach ein Phänomen sehen“: manche Menschen können das, manche müssen es erst lernen. Man kann sich helfen lassen, wie das vom Weltnaturerbe „Tektonikarena Sardona“ – oder auch von diesem Buch – angeboten wird. Dabei sollte eine Bedingung als vereinbart gelten: Wer sich aufmacht zu forschen, ist ein Forscher oder eine Forscherin. Solche Menschen müssen nicht „belehrt“ oder gar „bekehrt“ werden, nicht zuletzt, weil aus der alten Geologie längst „die Geowissenschaften“ geworden sind und weil die Gesellschaft, ohne es recht zu wissen, großen Bedarf an Erkenntnissen hat, die die Geowissenschaften erarbeitet haben.

Der Info-Teil enthält auch nützliche Hinweise auf Bezugsquellen geologischer Karten und Informationen über die Schweiz mit den entsprechenden Webseiten sowie auf weiterführende Literatur. Auf S. 263 beginnt das Stichwortverzeichnis, bei dem eine Reduktion der angegebenen Seiten auf wirklich weiterführende Textstellen wünschenswert wäre. Davor findet sich zwischen S.

218 und S. 245 „Geo-Wissen“. Dort wird ein erster Einstieg in Themen des Buches geboten. Vor diesem Kapitel gibt es eine Zusammenstellung der zentralen Fakten, die in den 30 Essays, also dem Hauptteil des Buches, besprochen werden. So z.B. Essay 30, der sich mit dem UNESCO-Weltnaturerbe „Tektonikarena Sardona“ befasst und damit, warum die Glarner Hauptüberschiebung eine Weltsensation ist. Ein Blockbild und Zeichnungen von Albert Heim (1922) erklären die geologische Situation. Die Texte der verbleibenden 29 Essays stellen die jeweiligen Themen überzeugend dar, obwohl „die Geologen“ und „die Laien“ unnötig häufig vorkommen. Die Beiträge sind mit Anschauungsmaterial in Form von Landschaftsaufnahmen, sonstigen Fotos, thematischen Karten, geologischen Schnitten, Diagrammen und Tabellen reichlich ausgestattet.

Die Darstellung der Erforschungsgeschichte hebt sich davon schwächelnd ab, obwohl in den Essays immer wieder auch wichtige Namen von Erforschern der Alpen genannt werden. Sie alle haben sich, genau wie die heutige Forschergeneration, für die Lösung der Fragestellungen ihrer Zeit eingesetzt und haben unseren Respekt verdient. Das Buch ist, besonders wegen seiner Bezüge zum UNESCO-Weltnaturerbe „Tektonikarena Sardona“, zu empfehlen, weil es hilft, die raumgreifende Dynamik der alpinen Decken und der dahinterstehenden geologischen Prozesse zu verstehen. Es hat die neue Literatur aufgearbeitet und bietet damit einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Es trifft zu, was am Ende von S. 13 steht: „Wir (…) präsentieren Ihnen mit diesem Buch einen Strauß von Themen und neuen Erkenntnissen, die Sie hoffentlich gleich spannend und aufregend finden wie wir.“ Vielleicht muss die Leserin oder der Leser am Anfang häufiger im Stichwortverzeichnis nach Texten suchen, in denen Begriffe erklärt werden, wie z.B. „Grundgebirge“. Der längste Beitrag dazu steht auf den Seiten 60-64. Sie lernen, dass der Autor mit besonders harten Gesteinen und den Sedimentdecken darüber „Brot und Aufstrich“ verbindet. Lassen Sie sich dadurch nicht abhalten den Beitrag zu lesen. Für die Reiseplanung kann, neben dem Hinweis auf die Quellen für geologische Karten, „Wo sehen und erleben?“ nützlich sein. Das ist eine Rubrik am Ende jedes Kapitels. (jp)

 

Plöger, Sven, Schlenker, Rolf: Die Alpen und wie sie unser Wetter beeinflussen. München: Piper 2022, Paperback, 318 S., 49 farbige und 6 s/w Fotos, 6 QR-Codes, 2 farbige Karten im Innendeckel, ISBN 978-3-89029-560-2. € 22,00.

Meteorologe Sven Plöger und Wissenschaftsjournalist Rolf Schlenker tragen hier gut recherchiert, wissenschaftlich begründet und auch für Laien erfreulich verständlich Wissenswertes über das Wetter und Geschichten aus und über die Alpen vor. Viele ihrer Fallbeispiele stammen aus den Nachrichten, aus dem Wetterbericht oder anderen Fernsehbeiträgen.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Alpenwetter, Alpenklima und Alpenklimawandel. Im Mittelpunkt stehen die Alpen, wie sie einer der Autoren, Sven Plöger, im Rahmen seiner Tätigkeit als Meteorologe kennen und verstehen lernte. Daher beginnt das Buch mit seinem Weg von St. Augustin bei Bonn zu einem privaten Wetterdienstleister im Appenzeller Land. Die Lufthülle über den Alpen liegt auf einem West-Ost gerichteten, durch eiszeitliche Gletscherströme tiefgründig ausgeräumten Hochgebirgsrelief mit großen Höhenunterschieden zwischen Talböden und Gipfeln. Das Gebirge ist eine mächtige Barriere, die den kühlen Norden vom milden Süden trennt. Wechselwirkungen zwischen Klima und Relief verursachen Wetterphänomene wie Stau von Luftmassen, Hebung, Streckung und Pressung der Luft. Hinzu kommt die Thermodynamik des Wassers, das als Schnee und Eis, als Regen und Oberflächenabfluss sowie als Wasserdampf in Form von Wolken und Nebel auftritt. Der Meteorologe ist also mit einem stark gegliederten physikalischen System konfrontiert, in dem alles voneinander abhängt. Als Beispiele werden u.a. der für die Alpen typische Föhn besprochen und die BergTal-Windsysteme. Das alles sind wichtige Themen für Drachenflieger, Surfer, Bergsteiger und Wanderer, aber auch für die stressfreie Nutzung der Terrasse der Bergstation der Seilbahn oder des Hotels.

Mit „Alpenwetter“ (Teil 1) beginnt das engere Thema. Am Luftdruck merkt man gleich, dass die 18 t schwere Luftsäule, die jeden von uns drückt, kein Problem ist, die Evolution hat das geregelt. Aber für die vom hohen Luftdruck zum tiefen Druck strömenden Winde kann man das nicht sagen. Sie werden in Gang gebracht durch Temperaturunterschiede, die zu Luftdruckunterschieden führen, die durch horizontale und vertikale Luftbewegungen ausgeglichen werden. Luftmassen können trocken oder feucht, kalt oder warm sein. Der Gehalt an Wasserdampf kann im Zusammenwirken von Temperatur und Luftdruck seinen Aggregatzustand ändern. So entsteht die Vielfalt des Wetters, nicht nur in den Alpen.

Die Autoren stellen diese Vorgänge interessant und verständlich dar und streuen immer wieder Geschichten ein. Zum Beispiel der tragisch endende Versuch im Jahr 1936, die Eiger Nordwand zu durchsteigen. Den Film von 2008 gibt es gelegentlich im Fernsehen. So begegnet der Leser oder die Leserin im Zusammenhang mit den Wetterlagen der Ostlage und den damit und mit dem Jahr 1986 verbundenen Folgen einer Kernschmelze im Reaktorblock in Tschernobyl. Schadstoffe kennen keine Grenzen, lernt man daraus. Der Wind kann „sausen“ wissen wir, Plöger hat in einem technischen Windkanal festgestellt, dass Stehen bei 216 km/Stunde unmöglich ist. Vor hohen Windgeschwindigkeiten im Gebirge wird also gewarnt. Aus dem weißen Schnee kann „Der Weiße Tod“ werden, Bergstürze, Frühjahrshochwässer, Gefahren der Gletscher, der vergangene Klimawandel der „Kleinen Eiszeit“ werden erläutert und zeigen, dass im Umgang mit der Natur respektvolles Handeln der sichere Weg ist.

„Alpenklima“ (Teil 2) wendet den Blick von den klimatischen Prozessen auf deren Folgen, zum Beispiel auf die Lebensbedingungen von Pflanzen und Tieren. 40 Prozent aller europäischen Pflanzenarten sind auf 2 Prozent der Fläche Europas, den Alpen, angesiedelt. Im Extrem herrscht hinter jedem Felsen ein anderes Mikroklima. Die Evolution hat die Pflanzen und Tiere an die harten Regeln der Natur angepasst, wobei Tiere auch Überlebens-Strategien entwickelt haben. Und die Menschen? Auch sie haben Strategien entwickelt, die das Leben leichter machen. Es fühlt sich „hart“ an, wenn man alle Kraft für den Lebensunterhalt einsetzen muss und es ist nicht verwunderlich, dass in 140 Jahren von 2200 Alpengemeinden mehr als 1000 jeden zweiten Einwohner verloren haben. Aber es rücken auch Menschen nach, die in den Bergen leben wollen, Ferien machen wollen oder als Wanderer Quartier suchen, also einerseits ihren Lebensunterhalt an anderer Stelle leichter verdienen und andererseits den Menschen vor Ort Einnahmen ermöglichen. Kann der Tourismus der Retter der Alpen sein? Da das alte Erscheinungsbild der Kulturlandschaft durch die Art der früheren Nutzung entstanden ist, führt die veränderte Nutzung zu Veränderungen des Landschaftsbildes. Das ist nicht nur in den Alpen so. Rettung gibt es eigentlich nicht, Veränderung ist angesagt, die Lösung sind Schutzgebiete.

Es folgt das Thema „Ötzi“, umfassend, tiefgründig und besonders lesenswert. Es leitet über zu dem modernen „Alpenklimawandel“ (Teil 3), der mit dem Stress durch Verkehr beginnt. Dem Verkehrslärm und den Schadstoffen des Autoverkehrs kann man kaum entkommen. Von 100 Millionen Touristen kommen Dreiviertel mit dem eigenen Auto. Verbrauchen sie nur 70 Liter Kraftstoff, das sind hinter dem Motor 167 kg Schadstoffe (S. 206) und rechnet man die 13 Millionen Einwohner hinzu und die 10 Millionen Lkws sowie die anderen Autoverbrennungsrückstände, kommt eine große, aber nicht genannte Menge zusammen. Wie soll sie, ohne Einbußen bei den Erträgen aus der heutigen Nutzung, reduziert werden? Es gibt Antworten, aber keine immer funktionierenden Lösungen. Den Ursachen werden beispielhaft Folgen gegenübergestellt: Erwärmung gibt Pflanzen die Möglichkeit, sich in bisher zu kalte Biotope auszubreiten. Damit entsteht Druck auf die dort lebenden Pflanzen, das hat weitere Folgen. Der Klimawandel in den Alpen ist Produkt einer Vielzahl von zusammenwirkenden Faktoren vor Ort und in allen Teilen der Welt. Es ist nicht allein das Klima in den Alpen, es ist das Weltklima, das sich wandelt, aber das Dilemma in dem sich die Verursacher befinden, lässt sich am Beispiel der Alpen besonders gut zeigen.

Der Titel „Die Alpen und wie sie unser Wetter beeinflussen“ wird durch den Inhalt des Buches weit übertroffen. Die Fülle von Hinweisen und Beispielen zu Themen, die die Alpen und uns betreffen, erlaubt nur Besprechungen des Buches in einem Dreizeiler: „… wie wichtig die Berge für unsere klimatische Zukunft sind…“, „… Wetter in den Alpen und der Klimawandel sind spannende Themen…“, „Nirgendwo ist man vom Wetter so abhängig wie in den Bergen…“ oder eben, wie hier, indem einige wenige Themen und Highlights vorgestellt werden. Das Buch ist unaufdringlich, kann Kapitel für Kapitel oder in einem Zug gelesen werden und regt in seiner Direktheit zum Beobachten und Nachdenken an. Kein Wunder, dass es ein Bestseller geworden ist. (jp)

Univ.-Prof. Dr. Johannes Preuß (jp) war von 1991 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 Professor für angewandte Physische Geographie am Geographischen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Von 2000–2009 war er Vizepräsident für Forschung.

jpreuss@uni-mainz.de

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