Recht

Aktuelle Herausforderungen im Umwelt- und Planungsrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

Das Umwelt- und Planungsrecht steht seit der Jahrtausendwende vor neuen, qualitativ und quantitativ vorher so nicht wahrgenommenen Herausforderungen. Gesellschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche und sozioökonomische Veränderungen globalen Ausmaßes müssen unter den Aspekten der Vorsorge, Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung in einem Mehrebenensystem bewältigt werden, in dem unterhalb des traditionell durchsetzungsschwachen Völkerrechts das supranationale Europarecht, das Recht der Nationalstaaten sowie die regionale und lokale Rechtsetzung ineinandergreifen und – idealtypisch – ein wohlgeordnetes Ganzes ergeben sollen. Die Rechtswissenschaft hat die Aufgabe, unter Einbeziehung interdisziplinärer Erkenntnisse die Instrumente zu entwickeln und bereitzustellen, mit denen sich eine solche ganzheitliche Rechtsordnung entfalten und bewähren kann. Die im Folgenden besprochenen Neuerscheinungen sind Beispiele dafür, wie sich die Wissenschaft dieser Aufgabe stellt. Sie reichen von allgemeinen, eher rechtsphilosophischen Erörterungen über die Entwicklung neuer systematischer Konzepte auch anhand rechtsvergleichender Betrachtungen bis zur Untersuchung rechtsdogmatischer Einzelfragen. In der Gesamtschau vermitteln sie ein facettenreiches Bild des Transformationsprozesses, den das Umwelt- und Planungsrecht unter dem spannungsreichen politischen Druck der Ökologie und Ökonomie derzeit durchläuft und dessen Ergebnis noch keineswegs absehbar ist. Die Komplexität dieses Prozesses darf Wissenschaftler nicht davon abhalten, sich um Modelle zu bemühen, wie er in das bestehende Rechtssystem sinnvoll und verständlich eingebettet werden kann, ohne dessen brüchig gewordene, auf der Reziprozität von Schutz und Gehorsam beruhende Ordnungsleistung vollends zu zerstören. Sie leisten damit der Rechtspraxis eine wichtige Hilfestellung für die Bewältigung der ihr obliegenden Aufgabe, die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Verwaltung auch unter den Bedingungen einer als Bündelung ganz heterogener Krisen empfundenen Umbruchszeit sicherzustellen. Zugleich tragen sie damit dazu bei, im Bewusstsein der Fachöffentlichkeit den Wert der Rationalität gegenüber der notorischen Anfälligkeit solcher Umbruchszeiten für den Erfolg der Verkünder irrationaler Ängste oder Verheißungen zu stärken.

Emmanuelle Balland, Wohlgeordnetes Mobilitätsrecht im Mehrebenensystem. Klimaschutz, Smart City, Stadtverkehrsplanung in Deutschland und Frankreich, Nomos, Baden-Baden 2022. ISBN 978-3-8487-7532-3; 352 S., broschiert, € 99,00.

Diese bei Ines Härtel an der Europa-Universität Frankfurt (Oder) entstandene juristische Dissertation widmet sich der Frage, wie eine integrierte und sektorenübergreifende Stadtverkehrsplanung als effizientes Rechtsinstrument zur Erreichung der Klimaschutzziele auf Bundesebene geregelt werden kann. Für die inhaltliche Gestaltung einer solchen Regelung werden beispielhaft das Berliner Mobilitätsgesetz von 2018 und das französische Mobilitätsrahmengesetz von 2019 dargestellt und vor allem hinsichtlich ihrer Defizite bewertet. Diese bestehen insbesondere im Fehlen rechtsverbindlicher quantitativer Ziele und in fehlender Durchsetzbarkeit. Darauf aufbauend prüft die Verfasserin, ob eine solche Regelung auf Bundesebene eingeführt werden könnte und wie sie ausgestaltet werden müsste, um kohärent und effektiv zu sein. Als Maßstab dafür legt sie das von Härtel entwickelte Leitbild des wohlgeordneten Rechts zugrunde. Einen Gesetzentwurf legt sie allerdings nicht vor, zumal zumindest zweifelhaft bleibt, ob der Bund verfassungsrechtlich befugt wäre, die Gemeinden unmittelbar zu einer bestimmten Verkehrsplanung zu verpflichten. Sie zeigt jedoch auf, dass ein Bundesmobilitätsgesetz den Anforderungen der Kohärenz und Effektivität nur gerecht werden kann, wenn es feste quantitative Klimaschutzziele festlegt und eine einklagbare Pflicht zur Aufstellung übergeordneter Stadtverkehrspläne normiert. Die Arbeit ist ein engagierter Beitrag zu der unter dem Schlagwort „Verkehrswende“ geführten rechtspolitischen Diskussion, wie der Verkehr in den Städten durch Reduzierung der vor allem durch ihn erzeugten Treibhausgasemissionen die Erreichung der Klimaschutzziele fördern und zugleich eine nachhaltige, gerechte und effektive Mobilität für jeden gewährleistet werden kann. Ein umfangreiches Verzeichnis der verarbeiteten Literatur, Rechtsprechung, Gutachten, Strategien, Studien und Internetquellen sowie der einschlägigen, deutschen Lesern nicht ohne Weiteres zugänglichen französischen Rechtsnormen unterstreicht das wertvolle Bemühen der Autorin, sich dem hochaktuellen Thema ihrer Arbeit nicht nur mit den in der Politik üblichen, vorwiegend mit Anglizismen („Smart City“) verbrämten Allgemeinplätzen, sondern mit wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit zu nähern. Vor Drucklegung wäre allerdings ein nochmaliger Korrekturdurchgang des Verlags für die verbliebenen Grammatik- und Schreibfehler wünschenswert gewesen.

 

Stefan Fimpel, Planerische Neuausrichtung der urbanen Mobilität. Die kommunale Mobilitätsplanung als querschnittsorientierte Fachplanung, Mohr Siebeck, Tübingen 2023. ISBN 978-3-16-162045-4; 186 S., fadengeheftete Broschur, € 74,00.

Die rechtspolitische Frage, wie eine integrierte und sektorenübergreifende Stadtverkehrsplanung effizient geregelt werden kann, ist auch das Thema dieser bei Martin Kment an der Universität Augsburg entstandenen rechtswissenschaftlichen Dissertation. Sie widmet sich insbesondere der Stellung der kommunalen Mobilitätsplanung im komplexen und von gegenseitigen Abhängigkeiten und Abgrenzungsschwierigkeiten geprägten, vom Verfasser ausführlich erörterten System raumbedeutsamer Planungen. Dabei verkennt er nicht, dass die angesichts der vor allem durch den motorisierten Individualverkehr verursachten Krise des Straßenverkehrs in den Städten erforderliche Neuausrichtung der urbanen Mobilität im Kern ein politischer und gesellschaftlicher Prozess ist, der durch eine rechtswissenschaftliche Publikation nicht ersetzt, sondern nur durch Darstellung des juristisch Realisierbaren unterstützt werden kann. Als Vorbild für Aufbau, Inhalt und einzelne Eigenschaften einer querschnittsorientierten kommunalen Mobilitätsplanung dient dem Verfasser die naturschutzrechtliche Landschaftsplanung, die zwischen Gesamt- und Fachplanung verortet wird. Dabei würdigt er kritisch auch die Mobilitätsplanung in Berlin und behandelt – allerdings nur kurz – mobilitätsplanerische Ansätze aus Frankreich und England. Seine inhaltlichen Vorschläge – Verlagerung auf den öffentlichen Personennahverkehr, auf den Rad- und Fußverkehr und auf Sharing-Fahrzeuge – gehen über die schon lange bekannten, politisch schwer durchsetzbaren Forderungen nach erheblichen Verhaltensänderungen der Bevölkerung nicht hinaus. In formeller Hinsicht hält er wegen der Sperrwirkung des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG eine ausschließlich landesrechtliche Normierung für erforderlich, für die auf Bundesebene nur ein Mustergesetz erarbeitet werden kann. Dabei sei vorzusehen, dass die Gemeinden – abhängig von der jeweiligen Mobilitätssituation und unter Vorgabe operationalisierbarer inhaltlicher Mindestziele – zur Mobilitätsplanung verpflichtet seien und die Planwerke als gemeindliche Satzung mit Außenverbindlichkeit erlassen werden müssten. Normhierarchisch müsse die Flächennutzungsplanung über der kommunalen Mobilitätsplanung stehen, die aber gegenüber der Bebauungsplanung Vorrang genießen müsse. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein ausführliches Sachregister helfen bei der Auswertung der hinsichtlich ihrer juristischen Ausführungen überzeugenden Arbeit.

 

Stephan Mitschang (Hrsg.), Klima, Landschaft, Eingriffe und Bauleitplanung. Ausgewählte Fachund Rechtsfragen, Nomos, Baden-Baden 2023. ISBN 978-3-7560-0266-5; 252 S., broschiert, € 79,00.

Bei der für die kommunale Planung zentralen Aufstellung von Bauleitplänen sind die Vermeidung und der Ausgleich voraussichtlich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in seinen von der Eingriffsregelung des Bundesnaturschutzgesetzes geschützten Bestandteilen in der Abwägung zu berücksichtigen; außerdem soll den Erfordernissen des Klimaschutzes Rechnung getragen werden. Mit diesen keineswegs widerspruchsfreien Zielen verbundene Fragestellungen waren im September 2022

Thema der in diesem Band abgedruckten Vorträge einer Wissenschaftlichen Fachtagung an der Technischen Universität Berlin. Einleitend zeigt Stefan Heiland – Fachgebietsleiter für Landschaftsplanung an der TU – auf, mit welchen methodischen Ansätzen die naturschutzrechtliche Landschaftsplanung Beiträge zu der auch der Bauleitplanung gestellten Aufgabe des Klimaschutzes leisten kann. Dabei verschweigt er nicht, dass wirksamer Klimaund Naturschutz nicht allein mit wissenschaftlich-technischen oder ökonomischen Mitteln erreicht werden kann, sondern tiefgreifende Änderungen unserer Lebens- und Konsumweisen erfordert. Hieran anschließend beleuchtet Stephan Mitschang – Fachgebietsleiter für Städtebau an der TU – ausführlich das rechtliche Verhältnis von Landschaftsplanung und Bauleitplanung und die daraus folgenden rechtspolitischen Anforderungen. Alexander Schink stellt dar, in welcher Weise Klimaschutzbelange bei Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung berücksichtigt werden können. Ein erhebliches Problem dabei liegt darin, dass es für die Ermittlung klimarelevanter Auswirkungen bislang keine konkretisierenden Vorgaben gibt. Johannes Mayer – stellvertretender Leiter eines Instituts für Tierökologie und Planung – weist darauf hin, dass neben dem Klimawandel auch eine globale Biodiversitätskrise zu bewältigen ist. Er stellt deshalb Maßnahmen zum Artenschutz und Maßnahmen zum Klimaschutz vor und beurteilt sie danach, ob sie Synergien oder gegenläufige Wirkungen auf diese Schutzgüter erzeugen. Olaf Reidt untersucht die Eignung städtebaulicher Verträge zur Eingriffsbewältigung und zum Klimaschutz, Wolfgang Patzelt die Möglichkeiten und Grenzen dauerhafter rechtlicher Sicherung von Unterhaltungsmaßnahmen zum Ausgleich dauerhafter Eingriffe in Natur und Landschaft bei der Aufstellung von Bebauungsplänen. Annette Guckelberger geht der Frage nach, welche Auswirkungen das allgemeine Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 des Klimaschutzgesetzes auf die Bauleitplanung hat. Berichte über die Bewältigung des Tagungsthemas in der Planungspraxis aus Berlin, Dortmund und Hessen sowie über seine Behandlung in umweltrechtlichen Vorprüfungen und in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts runden den Band ab.

 

Sascha Bourgeois-Gironde, Wie uns das Recht der Natur näherbringt, Matthes & Seitz, Berlin 2023. ISBN 978-3-75180-568-1; 92 S., broschiert, € 12,00.

    Der Verfasser dieses rechtsphilosophischen Essays ist Professor für Wirtschafts- und Kognitionswissenschaft an der Universität Panthéon-Assas in Paris. Mit einem interessanten Gedankenexperiment entwickelt er als Antwort auf die akute ökologische Krise aus der alten Idee, dass die Natur eine Rechtsquelle ist, ein neues juristisches Konzept. Darin wird – analog zu den Menschenrechten – bestimmten Natur-Entitäten der Status eigener Rechtssubjekte zugewiesen, die als solche Anspruch auf ihre Bewahrung haben. Ein solcher juristischer Ökozentrismus hat sich in letzter Zeit in mehreren Staaten der Welt dadurch manifestiert, dass Eigenrechte der Natur in die Rechtsordnung aufgenommen wurden oder dies zumindest angestrebt wird. Mit einer solchen rechtlichen Personalisierung der Natur wird zwar die aus dem römischen Recht stammende grundlegende Unterscheidung zwischen Sachen und Personen ebenso in Frage gestellt wie das bisher verbreitete Selbstverständnis der Menschen als Herren der Natur. Der Verfasser versucht jedoch, ein allgemeines Recht der Natur plausibel damit zu begründen, dass der Mensch in individueller Verantwortung auf natürlichem Wege und durch vernünftiges Erforschen seiner Situation in der Natur zu der Erkenntnis gelangt, dass nur so seine harmonische Integration in die natürliche Welt und die Wahrung seiner grundlegenden Interessen gelingen kann. Daraus folge der Gedanke der Unveräußerlichkeit von Naturgütern, die zu unserem Überleben und dem unserer Nachkommen beitrügen. Das Recht müsse dafür sorgen, dass diese für die gemeinsame Welt einschließlich unserer dazu gehörenden individuellen Umweltgeschichte („Exposom“) identitätsbildenden Güter erhalten blieben. Deren „Manipulation“ durch anthropogene Veränderung unserer Umweltbedingungen beeinträchtige nicht nur unsere menschliche Natur, sondern auch das Wohlergehen der Individuen. Das Recht könne seine wesentliche Funktion der Bewohnbarkeit der Welt nur mit einem neuen Konzept für seine Beziehung zur natürlichen Welt erfüllen: Die Rechte der Nutzung von Land und natürlichen Ressourcen müssten – ähnlich wie Patentrechte – dem sie begrenzenden Kriterium unterworfen werden, ob jeweils das Spezifische, Reproduzierbare und Stabile einer Ressource oder eines Territoriums ausreichend erhalten bleiben. Das Kriterium der Reproduzierbarkeit natürlicher Prozesse werde so – wie bei der Patentfähigkeit von Erfindungen – zur Voraussetzung für den Besitz eines Eigentums- oder Nutzungstitels. Chapeau!

     

    Michael von Hauff, Grundwissen Circular Economy. Vom internationalen Nachhaltigkeitskonzept zur politischen Umsetzung, UVK Verlag, München 2023. ISBN 978-3-8252-5988-4; 156 S., kartoniert, € 24,90.

    Das Kriterium der Reproduzierbarkeit natürlicher Prozesse liegt auch dem globalen Konzept nachhaltiger Entwicklung zugrunde, das von den Vereinten Nationen 2015 mit der „Agenda 2030“ formuliert wurde. Darin haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, auf der Grundlage von 17 politischen Zielen eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Der Wirtschaftswissenschaftler von Hauff zeigt in seinem Studienbuch, dass der damit angestoßene Transformationsprozess ein neues, regeneratives Wirtschaftsmodell erfordert, das auf dem internationalen Konzept der „Circular Economy“ beruht. Dieses beschränkt sich nicht auf eine kreislauforientierte Abfallwirtschaft, sondern beinhaltet eine ganzheitliche dynamische Systemlösung, die den Ressourceneinsatz, die Abfallproduktion, die Emissionen und den Energieverbrauch durch Verlangsamung, Verringerung und Schließung von Energie- und Materialkreisläufen minimiert. Das Buch erläutert anhand zahlreicher Beispiele die Bedeutung dieses Konzepts für den angestrebten globalen Transformationsprozess, insbesondere für den Klimaschutz, geht auf seine theoretischen Grundlagen und die bisherigen Umsetzungsbemühungen in der Europäischen Union und in Deutschland ein und stellt die unterschiedlichen Herangehensweisen dar, die in der Literatur zur Umsetzung des Konzepts entwickelt wurden. Anschließend wendet sich der Verfasser den Fragen zu, welches konkrete Ziel bei dieser Umsetzung verfolgt werden soll, welche strukturellen, ordnungspolitischen, ökonomischen und kommunikativen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sind und welche Hemmnisse und Grenzen dabei bestehen. Insoweit verschweigt er nicht, dass das Konzept der Circular Economy in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht zwar große Potentiale bietet, aber ganz wesentlich von der Gesellschaft mitgetragen und umgesetzt werden muss und als Antwort auf eine globale Herausforderung sowie zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen nur über eine auch institutionell verstärkte Internationalisierung zum angestrebten Erfolg führen kann. Der bisherige Grundsatz der Freiwilligkeit, mangelnde Kompetenzen und Gesetzgebungen sowie eine unzureichende finanzielle Umsteuerung ständen dem im Wege. Das Buch bietet nicht nur Grundwissen für das Universitätsstudium, sondern jedem, der sich für das Thema der Nachhaltigkeit interessiert, eine Fülle von Wissen und von Anregungen zum Nachdenken über unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten.

     

    Anna Henkel u.a. (Hrsg.), Dilemmata der Nachhaltigkeit, Nomos, Baden-Baden 2023. ISBN 978-3-7560-0363-1; 362 S., brosch., € 84,00.

    Ganz dem diffusen Begriff der Nachhaltigkeit widmet sich dieser Sammelband, der die Ergebnisse eines von 2019 bis 2023 vom Land Niedersachsen und der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsvorhabens zusammenträgt. Sie spiegeln die Heterogenität der Verständnisse des mit diesem Begriff bezeichneten Konzepts, ökologische, soziale und ökonomische Ziele so miteinander zu verbinden, dass entsprechende Ressourcen auch künftigen Generationen zur Verfügung stehen. Die Heterogenität der Verständnisse führt dazu, dass dieses Konzept konturlos und damit praktisch bedeutungslos zu werden droht. Grund dafür sind widersprüchliche Leitvorstellungen („grünes Wirtschaftswachstum“ oder „Postwachstumsgesellschaft“), Widersprüche innerhalb dieser Leitvorstellungen und – erst recht – auf der Ebene konkreter Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Solche Widersprüche können in unlösbare Dilemmata führen, d.h. in Situationen, in denen ein Akteur vor zwei sich ausschließenden Alternativen steht, die beide negative Konsequenzen nach sich ziehen, ohne dass der Vorrang einer vor der anderen begründet werden kann. Wird der Begriff Nachhaltigkeit dennoch normativ dazu verwendet, von anderen zu verlangen, zwischen zwei Zielen so und nicht anders zu entscheiden, droht eine manipulativ-ideologische Vereinnahmung dieses Begriffs zu dem Zweck, negative Folgen, Benachteiligungen bestimmter Gruppen und Unvereinbarkeiten bestimmter Ziele unsichtbar zu machen.

    Die in dem Buch versammelten Beiträge reflektieren diesen Befund aus vor allem sozialwissenschaftlicher Sicht und anhand empirischer Fallstudien aus unterschiedlichen Bereichen. So beschreiben etwa Kessler und Rau das Dilemma, dass einerseits politische und gesellschaftliche Eliten eine „Diskurskoalition“ privilegierter Menschen bilden, die die Debatten um Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den konventionellen Medien dominiert, während in der breiten Bevölkerung ein tiefsitzender Skeptizismus gegenüber der Bereitschaft dieser Eliten besteht, in puncto Nachhaltigkeit und Klimaschutz tatsächlich wirksam zu werden. Staehle und Zitta beschreiben das Dilemma nachhaltiger Stadtplanung, das aus unterschiedlichen Vorstellungen von Nachhaltigkeit unter den Beteiligten folgt. Holli Gruber schildert denselben Befund am Beispiel von Bodennutzungsfragen im Rahmen „zukunftsfähiger“ Entwicklung ländlicher Räume. Jana Holz und Philip Koch sezieren das „Wachstumsdilemma“ am Beispiel der europäischen Bioökonomiepolitik und der finnischen Forstwirtschaft. In einem abschließenden Teil wird schließlich diskutiert, welche Herausforderungen sich für die Wissenschaft aus solchen Dilemmata ergeben. Dabei plädiert der Rechtswissenschaftler Markus P. Beham für den Versuch, das Recht als „Nachhaltigkeitsrecht“ neu zu denken und mit diesem methodischen Ansatz, der sich an den politischen Zielen orientiert, im aktiven Dialog mit anderen Disziplinen Dilemmata der Nachhaltigkeit auf der Rechtsebene zu überwinden. Über den Eigenwert einer solchen universell einsetzbaren Hilfswissenschaft mag man geteilter Meinung sein.

     

    Michael Kloepfer, Umweltrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Gesammelte Beiträge. Hrsg. von Rico David Neugärtner, Duncker & Humblot, Berlin 2023. ISBN 978-3-428-18611-2; 321 S., Leinen, € 99,90.

    Die globalen sozio-ökonomischen und wissenstheoretischen Veränderungen seit der Jahrtausendwende haben nicht nur zu experimentellen Neuorientierungen in der Rechtswissenschaft geführt. Sie haben auch traditionellem Rechtsdenken verpflichtete Rechtswissenschaftler veranlasst, sich perspektivisch den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen. Zu diesen Wissenschaftlern gehört im Umweltrecht an erster Stelle der Berliner Hochschullehrer Michael Kloepfer, der sich seit Jahrzehnten mit diesem Rechtsgebiet beschäftigt und es als dessen Altmeister nachhaltig geprägt hat. Im 200. Band der von ihm bei Duncker & Humblot herausgegeben Schriften zum Umweltrecht – als Jubiläumsband repräsentativ gestaltet – sind 15 Beiträge aus seiner Feder zusammengestellt, die in den Jahren 2000 bis 2021 veröffentlicht wurden. Sein langjähriger Mitarbeiter Rico David Neugärtner hat diese zur besseren Orientierung in vier Themenblöcke gegliedert und mit einem Geleitwort versehen. In den Beiträgen des ersten Abschnitts behandelt Kloepfer auf dem Hintergrund seiner umfangreichen Erfahrung Geschichte und Perspektiven des Umweltrechts allgemein, aber auch anhand wichtiger konkreter Weichenstellungen der Gesetzgebung. Im zweiten Abschnitt beleuchtet er das Wechselspiel des Umweltrechts mit anderen Rechtsgebieten: Informationsrecht, Kartellrecht, Vergaberecht, Katastrophenschutz und Agrarrecht. Der dritte Abschnitt ist den Beziehungen zwischen Staat und Privatwirtschaft im Umweltrecht gewidmet: Planungssicherheit von Wirtschaftsunternehmen, Laufzeitverlängerung im Atomrecht, Kooperationsprinzip am Beispiel des Umweltaudits. Im abschließenden vierten Abschnitt rücken die unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit hochaktuellen Fragen der „Umweltgerechtigkeit“ und der Haftung für Klimaschäden in den Mittelpunkt. Dazu gehört auch ein Abdruck der von Kloepfer und Jan-Louis Wiedmann verfassten kritischen Anmerkung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 zum Bundes-Klimaschutzgesetz.

     

    Bettina Engewald, Erlass von lärmbezogenen Betriebsregelungen in Planfeststellungsbeschlüssen für Verkehrsinfrastruktur (Flughäfen, Eisenbahnen, Straßen), Duncker & Humblot, Berlin 2022. ISBN 978-3428-18638-9; 211 S., broschiert, € 69,90.

    Zum Umwelt- und Planungsrecht gehören nicht nur die eher abstrakten und letztlich nur global wirksam zu schützenden Rechtsgüter des Klimas und der Natur, sondern auch der konkrete Schutz der lokalen Nachbarschaft vor Lärmimmissionen, die durch den Betrieb von Infrastrukturanlagen verursacht werden. Diesem die vom Verkehrslärm betroffenen Menschen unmittelbar bewegenden Schutzbedürfnis widmet sich die vorliegende, bei Jan Ziekow an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer entstandene Dissertation, die mit dem Willi-Blümel-Preis für herausragende Doktorarbeiten ausgezeichnet wurde. Sie behandelt die Rechtsfrage, wie mit dem Wunsch nach Betriebsregelungen, die in einem Planfeststellungsbeschluss getroffen werden sollen, generell umzugehen ist. Darf ein Planfeststellungsbeschluss solche Betriebsregelungen enthalten und – wenn ja – auf welcher Rechtsgrundlage kann das geschehen? Die Wirkungen von Lärm und deren Begrenzung durch bestimmte Betriebsregelungen bleiben dabei thematisch ausgeklammert. Der Kompaktheit der Arbeit kommt dies zugute. Sie besticht durch ihre klare Gliederung, ihre gründliche und methodisch einwandfreie Aufarbeitung von Rechtsprechung und Literatur sowie ihr überzeugend begründetes Ergebnis: Planfeststellungsbeschlüsse für Verkehrsinfrastrukturanlagen dürfen Betriebsregelungen enthalten, da die planerische Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde dies erlaubt. Mit dieser rechtsdogmatischen Klärung einer für das Fachplanungsrecht allgemein bedeutsamen, jedoch bisher unterschiedlich und meist unbefriedigend beantworteten Rechtsfrage dürfte die Verfasserin dringend notwendige neue Maßstäbe für deren künftige Behandlung auch in der Gerichts- und Verwaltungspraxis gesetzt haben. Ein Verzeichnis der umfassend zitierten Rechtsprechung sowie ein Literatur- und ein (kurzes) Sachverzeichnis runden die inhaltlichen Ausführungen ab. Die Lesbarkeit des Buches leidet allerdings unter der überflüssigen Verunzierung durch den häufigen, jedoch nicht konsequenten Gebrauch von „Gendersternen“, die weder in den geltenden Rechtschreibregeln vorgesehen noch in den zitierten Texten enthalten sind (z.B. „Nachbar*innen“ statt – wie im Gesetz – „Nachbarschaft“). Wessen ideologisches Bedürfnis die Verfasserin eines rechtswissenschaftlichen Werkes zum Infrastrukturrecht mit dieser sachfremden Symbolik hier bedienen will, bleibt unausgesprochen.

     

    Ji-Youn Lee, Planung von Windenergieanlagen an Land. Unter besonderer Berücksichtigung raumplanerischer Steuerungsinstrumente und der bayerischen 10H-Abstandsregelung, Peter Lang, Berlin 2023. ISBN 978-3-631-89753-9; 209 S., fester Einband, € 44,95.

    Eine hochaktuelle Herausforderung auf den Überschneidungsfeldern von Umwelt- und Planungsrecht bildet die Planung von Windenergieanlagen an Land. Im Rahmen der umweltpolitischen Zielvorstellung „Energiewende“ kommt nach dem Ausstieg aus der Atomenergie der Windkraftnutzung besondere Bedeutung zu. Windenergieanlagen haben jedoch erhöhten Flächenverbrauch zur Folge, können sich nachteilig auf Natur und Landschaft auswirken und rufen vielfältige Konflikte mit den Nutzungsinteressen ihrer Nachbarschaft hervor. Zum Ausgleich solcher Konflikte ist eine effiziente raumplanerische Steuerung der Standorte von Windenergieanlagen erforderlich. Der viel diskutierten Frage, ob die Raumordnungs- und Regionalplanung geeignete Instrumente dafür bereitstellt, widmet sich diese an der Universität Regensburg bei Gerrit Manssen entstandene rechtswissenschaftliche Dissertation. Die aus Südkorea stammende Autorin analysiert die baurechtlichen und raumordnungsrechtlichen Anforderungen an die Steuerung der Windenergie und ihre Umsetzung nach dem Stand von Juli 2022 unter besonderer Berücksichtigung des auf Abweichungskompetenzen der Länder gestützten bayerischen Landesrechts. Dazu gehört vor allem die auf eine Länderöffnungsklausel (jetzt § 249 Abs. 9 BauGB) gestützte Regelung in Art. 82 der Bayerischen Bauordnung, wonach die Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) grundsätzlich nur Anwendung findet, wenn der Mindestabstand solcher Anlagen zur nächsten Wohnbebauung dem 10-fachen ihrer Höhe entspricht. Der mit dem Windenergieflächenbedarfsgesetz seit Februar 2023 vorgenommene Systemwechsel, wonach die durch den Planvorbehalt des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ermöglichte Begrenzung der Windenergie durch Konzentrationszonen ersetzt wird durch die Pflicht der Länder, einen bestimmten Anteil ihrer Fläche als Windenergiegebiete auszuweisen, in denen auch Mindestabstandsregeln nicht anzuwenden sind, konnte von der Autorin naturgemäß noch nicht berücksichtigt werden. Vorausschauend enthält ihre Arbeit jedoch bereits entsprechende rechtspolitische Vorschläge zur Verbesserung der räumlichen Steuerungsinstrumente. (us)

     

    Cal Flyn, Judith Schalansky (Hg.): Verlassene ­Orte. Enden und Anfänge in einer menschenleeren Welt (Übersetzung Milena Adam). Reihe: ­ Naturkunden Bd. 100, Matthes & Seitz ­Berlin 2023. 344 S., geb., ISBN 978-3-7518-4004-0. € 34,00.

    Wenn die Zukunft unwirtlich und beängstigend erscheint, lohnt sich ein Blick auf die Orte, an denen sie bereits begonnen hat. Cat Flyn besucht Städte, Brachen, Inseln, wo das Schlimmste schon geschehen ist, sie durchstreift Schuttund Schlackenhalden, stillgelegte Industrieanlagen, verwaiste Kolchosen oder durch Krieg und andere menschengemachten Katastrophen verseuchte Sperrgebiete. Dort stößt sie auf so verstörende wie überraschend schöne Lebensräume, in denen Pflanzen auf kontaminierten Böden gedeihen, Fische gegen manche Gifte unempfindlich geworden sind und Menschen mal freiwillig, mal gezwungenermaßen abseits der Gesellschaft und ihrer Versorgungsnetze leben. Egal wie trostlos, unheimlich, verwüstet und verseucht die Orte sind, die Flyn erkundet, überall erkennt sie allen Widrigkeiten zum Trotz Anzeichen von ökologischer Resilienz und Regeneration, kurzum: von Leben. Ein aufrüttelnder Reisebericht. (red)

     

    Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zuständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts. Er gehörte diesem Senat seit 1993 als Richter, von 2004 bis 2011 als Vorsitzender Richter an. Neben seinem Hauptamt war er von 1997 bis 2004 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. Seit 1991 ist er Mitautor eines Loseblattkommentars zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.

    ulrich.storost@t-online.de

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