Geschichte

Wo Bilder Geschichten erzählen

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2023

Khanh Trinh (Hrsg.), Liebe, Kriege, Festlichkeiten. Facetten der narrativen Kunst aus Japan. Museum Rietberg / Verlag Scheidegger & Spiess 2021, 366 S., ISBN 978-3-03942-023-0. € 48,00.

    Schon lange sind Ausstellungskataloge mehr als nur Begleitmaterial beim Besuch eines Museums. Das gilt nicht zuletzt für das hier zu besprechende Buch, das aus Anlass einer Ausstellung im Züricher Museum Rietberg im Herbst 2021 entstand. Es geht in diesem Band um die „narrative Kunst“ in Japan. Was ist darunter zu verstehen? Der Begriff kennzeichnet „alle Arten von Bildwerken , die einen literarischen Text begleiten, entweder als Bildfolge oder einzelne Illustrationen, die unmittelbar oder mittelbar auf eine Erzählung verweisen“ (S. 62). Texte können dabei den Bildern beigegeben oder selbst Teil eines Bildes sein. Japans „narrative Kunst“, die in der ostasiatischen Kunstgeschichte einen besonderen Stellenwert genießt, hat eine lange, über 1000 Jahre alte Tradition. Am bekanntesten sind in Europa wohl die gemalten Bilder der sogenannten Querrollen (e-maki), etwa zur „Geschichte des Prinzen Genji“, die von rechts nach links entfaltet und betrachtet bzw. gelesen werden und im Extremfall bis zu 25 Meter lang sein konnten. Darüber hinaus finden sich Bespiele für die „narrative Kunst“ auch in gedruckten Holzschnitten, auf Stellschirmen, Vasen oder Schachteln und selbst auf Textilien, etwa beim Kimono.

    Der Band ist in drei Teile untergliedert. Im ersten finden sich fünf Aufsätze der drei Kuratorinnen und zwei weiterer Fachleute. Sie zeugen von der Expertise ihrer Verfasser und sind doch auch für Laien gut verständlich geschrieben. Khanh Trinh (Museum Rietberg, Zürich) rekonstruiert die lange Geschichte der „narrativen Kunst“ seit dem 8. Jahrhundert und zeigt die „große thematische Bandbreite“ der Werke auf. In gewisser Weise spiegelt sich in den Bildern die Geschichte Japans mit ihren Zäsuren in einer ästhetisch sublimierten Form. Am Anfang herrschten in der Nara-Zeit religiöse Themen vor, da sich damals der Buddhismus in Japan auszubreiten begann. Liebe und Eifersucht, Intrigen und Machtspiele waren Themen, die zur Blütezeit der Hofaristokratie seit dem 9./10. Jahrhundert in den Bildern und Texten behandelt wurden, gefolgt von den Epen der Krieger, die seit dem 12. Jahrhundert zur herrschenden Schicht wurden. Im 15./16. Jahrhundert wurden darüber hinaus auch Märchen und Legenden populär, bevor zur Zeit der Tokugawa-Shōgune zwischen ca. 1603 und 1867 Parodien, Unterhaltungsstoffe oder auch verhaltene Spielarten des Protests zu Themen der „narrativen Kunst“ wurden.

    Bei der Herstellung der Kunstwerke ging es nicht immer harmonisch zu. Estelle Bauer (Paris) zeigt, dass es zwischen Dichtern und Dichterinnen bzw. Malern und Malerinnen einen Dissens darüber geben konnte, ob der Text oder das Bild bestimmend sein sollte. Wir lernen aus ihrem Beitrag viel darüber, wie die Darbietung der Architektur dazu beitrug, das Geschehen räumlich und sozial zu verorten. Bekannte Geschichten wurden auf begrenztem Raum natürlich nur in Auszügen präsentiert. Die Kenntnis des Textes war deshalb, wie Sebastian Balmes (Zürich) erläutert, für das Verständnis der Abbildungen „unabdingbar“ (S. 36). Ein Kennzeichen der Abbildungen, gleich auf welchen Materialen, war, dass die Figuren nicht individuell gezeichnet waren, sondern eher für einen sozialen Typus standen. Die Bilder nahmen auf diese Weise die „sprachliche Tendenz zur Unbestimmtheit“ auf. Das „lange 17. Jahrhundert“ bedeutete für das Genre der „narrativen Kunst“ dann eine Zäsur. Durch spanische und portugiesische Missionare und Händler gelangten europäische Druckerpressen nach Japan. Das Thema der „Fremden“, oder wie man in Japan sagte: der „südlichen Barbaren“, fand Eingang in die „narrative Kunst“. Gleichzeitig kam es, wie Melanie Trede (Heidelberg) in ihrem kenntnisreichen Artikel schreibt, zu einem verstärkten Interesse an der Geschichte, insbesondere im Kriegeradel, der sich gegenüber einem aufstrebenden städtischen Bürgertum zu behaupten hatte. Die Verf. spricht für diese Zeit sogar von einer „Massenproduktion“ von Werken aus dem Bereich der „narrativen Kunst“, nicht zuletzt dank der neuen Drucktechniken. Ob dieser Begriff glücklich gewählt ist, sei hier einmal dahingestellt. Auftraggeber der Kunstwerke blieb zunächst der hohe Kriegeradel; ihr Besitz galt als Statussymbol. Im letzten Aufsatz zieht Jaqueline Berndt (Stockholm) aufschlussreiche Vergleiche zwischen den Querrollen aus der Vormoderne und den „Story Manga“, so wie sie sich seit den 1950/60er Jahren in der japanischen Populärkultur verbreitet haben. Es gibt hier in der Kombination von Wort und Bild „bemerkenswerte Ähnlichkeiten“, u.a. dadurch, dass sie als „intime Formate für die private Rezeption“ angesehen werden dürfen. Gegenüber den konsekutiv erzählenden Querrollen aus dem alten Japan erlauben die auf einer Druckseite arrangierten Panels in den Manga dagegen eine gleichsam simultane Lektüre bzw. Betrachtung.

    Der zweite Teil des Bandes bildet dann über 100 Werke in Abbildungen mit ausführlichen Kommentaren ab. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Detailabbildungen, die uns Betrachtern gelegentlich einen genaueren Blick auf das Geschehen erlauben. Anhand ausgewählter Beispiele, etwa den berühmten Bildrollen zur „Geschichte des Prinzen Genji“ oder zum Kriegerepos „Heike monogatari“, gelingen dem Band tiefe Einsichten in die Entwicklungsgeschichte der „narrativen Kunst“ in Japan. Auch dem Thema „China als Sehnsuchtsort“ ist ein eigener Abschnitt gewidmet. „China als Bedrohung“, wie beispielsweise in den Bildrollen zu den Mongoleninvasionen von 1274/81 („Mōko Shūrai Ekotoba“, um 1300), ist dagegen ein Thema, das unerwähnt bleibt. Besonders aufschlussreich sind am Schluss des Buchs die Portraits von europäischen Sammlern dieser besonderen japanischen Kunstgattung. Ein Werkverzeichnis, ein Literaturverzeichnis sowie ein gutes Register und eine Zeittafel schließen einen lehrreichen und prächtig ausgestatteten Band ab, den man nur ungern aus der Hand legt. (wsch)

    Der Historiker Wolfgang Schwentker (wsch) ist Professor emeritus an der Universität Osaka. Er lehrte dort von 2002 bis 2019 vergleichende Kultur- und Ideengeschichte. Im Herbst 2022 erschien im Verlag C.H. Beck sein neues Buch, eine „Geschichte Japans“. wolfgang.schwentker@gmx.de

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