Recht

Strafrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2021

Robert Esser / Michael Tsambikakis unter Mitarbeit von Oliver Harry Gerson, Markus Gierok, Karolina Kessler, Kathrin Zitzelsberger, Pandemiestrafrecht. Aktuelles Recht für die Praxis, Verlag C. H. Beck, München 2020. ISBN 978-3-406-76142-3. XXIX, 281 S., Kartoniert, € 69,00.

Wer, außer Hysterikern, hätte Anfang des Jahres 2020 gedacht, dass für ein solches „Werk im Stil eines Praxisleitfadens“ (Vorwort, S. V) zu strafrechtlichen Fragen rund um die – weltweite – Corona-Pandemie so schnell ein akuter Bedarf entstehen könnte? Die Autoren richten „den Fokus auf unterschiedliche Aspekte des materiellen Strafrechts mit speziellem pandemischem Bezug, einschließlich der strafrechtlichen Bezüge des Arbeits-, Daten-, Persönlichkeit-und Geheimnisschutzes, ohne auch insoweit einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben“ (S. VI). Das „Handbuch“ (so auf der Rückseite des Einbands) wendet sich an „Rechtsanwälte, Syndikusanwälte, Strafverteidiger, Richter, Staatsanwälte und weitere Praktiker aus den Bereichen Strafrecht, Medizin und Wirtschaft“ (S. V). Es will „als kompaktes strafrechtliches Nachschlagewerk einen schnellen Zugang zur Materie ermöglichen, ohne dabei freilich allen relevanten Fragen in der sich aufdrängenden Tiefe nachgehen zu können“ (S. V). Dem Vorwort folgt eine kleinteilige, schnellen Zugriff ermöglichende Inhaltsübersicht (S. VII-XVI), ein Autorenverzeichnis jeweils mit beruflicher Tätigkeitsbeschreibung sowie ein Abkürzungs- und ein Literaturverzeichnis (S. XIX, XXV-XXIX). Den Schluss des Buchs bilden fünf über die, wohl derzeit noch, aktuelle Rechtslage informierenden Anlagen (S. 245-278), nämlich 1. Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020; 2. Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID19-Epidemie (COVID-19-Arbeitszeitverordnung –COVID19-ArbZV): 3. DIVI: Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall-und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie; 4. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard v. 16.4.2020; 5. SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel. Ein Stichwortverzeichnis beendet das lesefreundlich gestaltete Buch.

Zunächst erörtern Tsambikakis/Kessler in § 1 „Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz und Rechtsverordnungen“ (S.1-36) und hier nach einer kurzen Einführung insbesondere das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz = IfSG), sodann Ordnungswidrigkeiten und Straftatbestände der §§ 73-75 IfSG, schließlich noch Rolle und Zweck der Rechtsverordnungen in diesem Bereich. – In § 2 „Körperverletzung-und Tötungsdelikte durch Ansteckung“ (S. 37-50; Zitzelsberger) kommen strafrechtliche Klassiker zur Sprache. Der mehr theoretisch wichtigste, soweit eine Vorsatztat in Strafrecht in Rede steht, dürfte die Frage sein, wann jemand vorsätzlich einen Dritten ansteckt sowie im Fall der (häufig zumindest nicht beweisbaren) Bejahung, ob die Einwilligung des Dritten rechtfertigen könnte oder wegen Sittenwidrigkeit der Tat eben nicht (Rn. 34 f., 37 ff.). Regelmäßig wird es allerdings um Fahrlässigkeitstaten gehen (Rn. 44 f., 52). Der Exkurs zu § 330 a StGB (Schwere Gefährdung durch Freisetzung von Giften) scheint mir, praktisch betrachtet, eher überflüssig zu sein; zu Strafbarkeitsrisiken für die Leitung von Alters- und Pflegeheimen Rn. 61. In die Wirklichkeit der Praxis zurück führt am Ende Rn. 65. – In § 3 „Pflichtenkollision beim Lebensschutz (Triage; S. 51-73) diskutiert Gerson das Problem der Ressourcenknappheit und der demzufolge dann notwendigen Auswahlentscheidung: Wer bekommt das „Intensivbett“, wenn mehrere Personen seiner bedürfen, aber nur das eine zur Verfügung steht? Kann ein später kommender Patient mit wesentlich besserer Heilungsprognose das schon belegte Bett für sich beanspruchen? Und, drittens, darf einem akut der Behandlung bedürftigen Schwerstkranken diese versagt werden, weil ein „Corona- Patient“ zu erwarten ist, dessen Heilungsprognose deutlich höher ist als die des schon Anwesenden? Zu einer für das medizinische Personal problematischen Frage siehe Rn. 79 f. und 88.–- In § 4 „Boykott und Aufforderung zu Straftaten“ (S. 75-82; Esser) geht es neben den §§ 111 und 126 StGB allenfalls noch um Volksverhetzung (§ 130), in § 5 „Widerstand gegen Dienst-und Vollstreckungshandlungen“ (S. 83-97; Esser) um §§ 113, 114 StGB. Wichtig sind hier die Erwägungen in den Rn. 51-65. – In § 6 Hausfriedensbruch (S. 99-105) erörtert Esser, inwiefern eine solche Tat überhaupt infrage kommen könnte. Alsdann erfolgt auch hier eine bündige Auslegung der gesetzlichen Merkmale. Inwieweit es im Zusammenhang mit der Herstellung von Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung zu strafbaren Handlungen kommen kann, erläutert Esser in § 7 „Herstellung von Medizinprodukten (MP) und persönlicher Schutzausrüstung (PSA)“ (S. 107-114) dort Rn. 26 ff., 34 f. und 36 f. ebenso instruktiv wie in § 8 das „Markenstrafrecht“ (S. 115-121), hier Rn. 8 ff. – Im Hinblick auf die zu erwartenden „einschneidenden wirtschaftlichen Folgen“ der Pandemie könnte § 9 Betrug (S. 123138; Tsambikakis/Gierok) und hier besonders § 264 StGB (Subventionsbetrug) größere Bedeutung erlangen. Jedenfalls: Wenn „unbürokratisch“ gehandelt wird, nehmen erfahrungsgemäß die Schäden zu. Die Autoren bearbeiten auch § 10 „Insolvenzstrafrecht“ (S. 139-147) und § 11 Kapitalmarktstrafrechts (S. 149-155). – In § 10 stehen § 15 a IV, V InsO sowie §§ 283 ff., 263 und 266 a StGB in Rede. Zu beachten ist freilich, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags vom 1.3.2020 bis zum 30.9.2020 grundsätzlich ausgesetzt ist, so dass eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung innerhalb dieses Zeitraums entfällt, Rn. 3 (dazu Anlage 3), zu zwei Ausnahmen Rn. 5. – Gegenstand des § 11 sind insbesondere die Marktmanipulation und der Insiderhandel, § 119 I, III Wertpapierhandelsgesetz. In Not- oder Zwangslagen, wie z.B. Pandemien, ist der Wucher, § 291 StGB, nicht weit. Esser erläutert die Norm (S. 157-163), nicht ohne Kritik in Rn. 26. Speziell des § 266 StGB im Zusammenhang mit den Pandemiefolgen hat Esser sich in § 13 „Untreue“ (S. 165-175) angenommen, auch in diesem Zusammenhang keine erquickliche Aufgabe. – Zitzelsberger erläutert in § 14 „Verstoß gegen Schutzpflichten“ (S. 177-191) detailliert die aus verschiedenen Normen, u.A. Arbeitsschutzgesetz und Arbeitsstättenverordnung, folgenden Pflichten für Arbeitgeber; ferner besondere Schutzpflichten aus dem Mutterschutzund dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Dann nimmt er den „SARS-CoV-2- Arbeitsschutzstandart“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in den Blick, Rn. 20-24 (dazu die Anlagen 4 und 5). Es folgt, mit ausführlichen Erläuterungen versehen, ein Überblick über Sanktionen bei Verstößen gegen die genannten Pflichten (Rn. 25-75) sowie eine Zusammenfassung (Rn. 76-78). – Danach befasst die Autorin sich in § 15 „Beschäftigten-Datenschutz“ (S. 193-203) mit der Frage, welche Daten der Beschäftigten der Arbeitgeber zu deren Schutz erheben und verarbeiten darf (Rn. 5 ff.) sowie der weiteren nach den Sanktionen bei unzulässiger Datenverarbeitung (Rn. 26 ff.); Fazit Rn. 56. – In § 16 „Arbeitszeit/Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG)“ zeigt Gerson, dass das Virus auch einen Blick auf dieses Rechtsgebiet hinsichtlich Verstößen und Rechtsfolgen erforderlich macht; speziell zu dem „Sonderfall: COVID-19-Arbeitszeitverordnung“ Rn. 51-54 (Anlage 2). – Gerson bearbeitet auch § 17 „Beschäftigung (noch) nicht geeigneter Mitarbeiter“. Mit dem Wort Pandemie verbindet sich die schon entstandene oder hierdurch schnell entstehende Notlage: Was tun, wenn die vorhandene sachkundige Belegschaft nicht ausreicht zur Bewältigung der dringlichen Aufgaben? Dass „Not kennt kein Gebot“ nicht „Alles“ rechtfertigen kann, ist klar, aber eben auch, dass die Anforderungen in solcher Lage Einschränkungen erfahren können (siehe Anlage 3). „Inwieweit“, ist der erste Gegenstand (Rn. 3 ff.), der zweite betrifft die Bewertung der strafrechtlichen Risiken für den Arbeitgeber (Rn. 7 ff.); Zusammenfassung Rn. 40. – § 18 „Schutz von Persönlichkeitsrechten und Geheimnissen bei digitaler Kommunikation“ (S. 227244; Esser) beschließt den Leitfaden. Dass infolge der Pandemie die Kommunikation in allen Bereichen des Ausbildungsbereichs, des (hoch-) schulischen, des beruflichen und des privaten Lebens vielfach in das Internet verlagert worden ist, war klar; klar war aber auch, dass das mit einer Fülle von Folgeproblemen verbunden ist. Insoweit genügt es hier, die einschlägigen Normen zu nennen: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB), des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201 a StGB), von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), Verbreitung, Zurschaustellung von Bildnissen (§ 33 Kunsturhebergesetz) sowie Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (§ 23 GeschGehG). Die Begriffe dieser Gesetze erläutert Esser wiederum präzise Schritt für Schritt und Punkt für Punkt. Das Buch ist von den fünf Beteiligten neben ihren anderen Aufgaben, also unter erheblichem Zeitdruck, geschrieben worden, eine beachtliche Leistung. Es wird seinen Zweck eines Leitfadens für die Praxis erfüllen.

Univ. Prof. Dr. iur. utr. Michael Hettinger (mh). Promotion 1981, Habilitation 1987, jeweils in Heidelberg (Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte). 1991 Profes­sur an der Universität Göttingen, 1992 Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht in Würzburg, von 1998 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 in Mainz. Mit­herausgeber der Zeitschrift „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“.

hettinger-michael@web.de

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