Recht

Sozialrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2019

Knickrehm, Sabine/Kreikebohm, Ralf/ Waltermann, Raimund (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, VO (EG) Nr. 883/2004, SGB I bis SGB XII, SGG, BEEG, Kindergeldrecht (EStG), UnterhaltsvorschussG, Verlag C.H.Beck, 6. Auflage, München 2019, ISBN 978-3-406-73022-1, 2.960 S-, € 249,00

„Kommentar zum Sozialrecht“, so lautet der Titel des von Knickrehm, Kreikebohm, und Waltermann herausge­gebenen Werkes, welches nunmehr schon in 6. Auflage erscheint. Schon ein kurzer Blick auf die erläuterten Re­gelwerke auf dem Einband macht deutlich, welch brei­tes Spektrum es hier abzudecken gilt. Aus der Sicht des Hochschullehrers sei freilich darauf hingewiesen, dass das Sozialrecht eine Materie ist, welche sich im akademischen Unterricht äußerst mäßiger Beliebtheit erfreut. Nur verein­zelt findet man ausgewiesene Lehrstühle im Sozialrecht. Als beim Verfasser dieser Zeilen die Frage nach einem ge­eigneten Habilitationsthema auftauchte, wurde ein mögli­ches sozialrechtliches Thema vom Habilvater mit dem Be­merken abgetan, man müsse taktisch denken, im Zivilprozessrecht gebe es an jeder Fakultät mindestens einen Lehr­stuhl, im Sozialrecht müsse man sie suchen. Viele Univer­sitäten bieten Sozialrecht auch nicht als Schwerpunktfach an, wenn überhaupt, „kauft“ man sich externe Dozenten ein. Dies liegt auch an der äußerst geringen Nachfrage in der Studentenschaft. Und so verwundert es auch nicht, wenn man von eben jenen Dozenten einen Brief mit der Bitte bekommt, doch in der eigenen Veranstaltung für die sozialrechtliche Vorlesung Werbung zu machen; es käme fast niemand. Das hat natürlich Gründe, welche mit dem Image dieses Rechtsgebietes zu tun haben. Vom finanzi­ellen Aspekt einmal abgesehen bedeutet Sozialrecht die Befassung mit den Schattenseiten des Lebens, als da unter anderem wären: Alter, Behinderung, Krankheit, Siech­tum. Die Nichtzahlung von Unterhalt nimmt sich zu all dem fast noch „harmlos“ aus. Nun gehören diese Aspekte aber nun mal zum menschlichen Dasein und es bedarf erst recht rechtlicher Normierung, um die Menschen in den entsprechenden Lebenslagen abzusichern. Sozialrecht ist also nicht weniger wichtig als etwa Arbeitsrecht oder Wirtschaftsrecht. Im Gegenteil: Alt wird jeder, wenn er das Glück hat, es zu erleben. Und dass man im Laufe eines Lebens niemals krank wird, dürfte auch die absolute Aus­nahme sein. Behinderung und Pflegebedürftigkeit können ebenfalls jeden treffen. Umso mehr hat der Kommentar von Knickrehm, Kreikebohm, und Waltermann seine Be­rechtigung. 23 Autoren aus Praxis und Wissenschaft unterziehen sich der Aufgabe, auf nahezu 3.000 Seiten dem Leser 17 Re­ gelwerke in ihrem Aussagegehalt nahezubringen, Aner­kennung zollen muss ihnen schon deshalb, weil das So­zialrecht für Kommentatoren insofern „undankbar“ ist, als es permanente Änderungen mit sich bringt. Man kann sich also nicht auf seiner Kommentierung „ausruhen“, sondern ist um der Aktualität willen gezwungen, permanent die Arbeit des Gesetzgebers im Auge zu behalten, natürlich fordert auch die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit ihren Tribut bei der Kommentierung. Denkt man an ande­re Rechtgebiete etwa im Bürgerlichen Recht, wo von einer Auflage zur nächsten gerade mal eine untere Instanz zu irgendeiner Frage judiziert hat, wird diese Eigenheit des Sozialrechts besonders deutlich.

Der Kommentar beginnt unter dem Gesichtspunkt der Nor­menhierarchie mit dem Europäischen Sozialrecht. Fuchs behandelt die praktisch ungemein wichtige VO (EG) Nr. 883/2004, wobei er den Weg einer Sammelkommentierung der Art. 1-91 geht. Im BEEG legt von Koppenfeld-Spies den Schwerpunkt sinnvollerweise auf die §§ 1 – 14, in den §§ 15 ff. BEEG finden sich arbeitsrechtliche Regelungs­gegenstände wie beispielsweise der Kündigungsschutz der Elternzeiter. Dies ist eher Sache eines Kommentars zum Arbeitsrecht. Eine Sammelkommentierung, wiederum von Koppenfeld-Spies, erfahren danach §§ 31, 32, 62 – 78 EStG, hier steht das Kindergeld im Vordergrund. Den Schwerpunkt des Kommentars mit immerhin rd. 2.600 Sei­ten bilden – wie könnte es auch anders sein – die zwölf Bücher des Sozialgesetzbuches. Der Allgemeine Teil steht im SGB I, es beginnt Hänlein mit einer Sammelkommen­tierung zu den §§ 1 – 10. Greiner, Hänlein und Joussen teilen sich dann die restlichen Bestimmungen des SGB I. Lesenswert sind dann die Ausführungen von Knickrehm zur Konzeption des SGB II (§ 1 Rn. 4 ff.), auch die Abgrenzung zu den SGB XII-Leistungen verdient Beachtung (§ 5 Rn. 21 ff.). Eine Schlüsselfrage ist insoweit das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 SGB II, diese klärt Hahn, der auch weitere Passagen im Rahmen der rd. 350 Seiten starken Kommentierung des SGB II übernimmt. Das im SGB III niedergelegte Arbeitsförderungsrecht besorgen Berchtold und Mutschler. Zwar sind die Arbeitslosenzah­len gegenwärtig auf einem Tiefstand, gleichwohl ist die Materie nach wie vor von eminenter Bedeutung für viele Menschen. Wer wissen will, ob und unter welchen Voraus­setzungen von Arbeitskämpfen betroffene Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, lese die fundierte Kommentierung zu § 160 SGB III. Gemeinsame Vorschrif­ten für die Sozialversicherung enthält das SGB IV, hier wer­den gleichsam Grundsätze vor die Klammer gezogen. Für Dienstgeber, welche mit der Umgehung des Sozialversiche­rungsrechts (und des Arbeitsrechts) durch Scheinselbstän­dige liebäugeln, empfiehlt sich ein Blick in die profunden Erläuterungen von Berchtold zu § 7. Über 450 Seiten sind der gesetzlichen Krankenversicherung und damit dem SGB V gewidmet, wobei der Abdruck der §§ 106 bis 325 alleine rd. 170 Seiten erfordert. Wie die Renten- und die Arbeits­losenversicherung handelt es sich um eine der Säulen des Sozialstaates. Joussen und Waltermann übernehmen hier den Löwenanteil der Kommentierung, den Rest erledigt Berchtold. Letzterer bewältigt mit Kreikebohm und Roßbach auch das SGB VI. Wer rentenrechtliche Fragen hat, findet hier alles Notwendige. Für die betriebliche Praxis ungemein wichtig ist die gesetzliche Unfallversicherung, welche das SGB VII beinhaltet. Holtstraeter und von Koppenfels-Spies nehmen sich dieser Fragen an. Für ar­beitsrechtlich Interessierte empfiehlt sich das Studium der Erläuterungen zu den §§ 104 ff. SGB VII, welche ei­ne Haftungsbeschränkung bei Arbeitsunfällen statuieren. Die im SGB VIII verankerte Kinder- und Jugendhilfe bespricht Winkler im Rahmen einer Sammelkommentierung. Das SGB IX enthält vielfältige Gestaltungsinstrumente zugunsten behinderter Menschen, wiederum finden sich im Gesetz auch arbeitsrechtliche Elemente wie der Kündi­gungsschutz. Die Kommentierungen von Bendix und Kohte tragen beiden Materien Rechnung. Den Sozialrechtler, der nach den arbeitsrechtlichen Schutzmechanismen fragt, wird dies freuen. Sozialverwaltung und Sozialdatenschutz finden sich im SGB X, gerade das Sozialrecht kommt nicht ohne Behörden aus und diese brauchen ein Verfahrens­ recht. Fichte und Waltermann setzen sich damit ausein­ander. Die gestiegene Lebenserwartung hat einen eigenen Versicherungszweig und ein eigenes Gesetz erforderlich gemacht: die soziale Pflegeversicherung und das SGB XI. Philip und Greiner erklären insoweit das Nötige. Unter welchen Voraussetzungen man Sozialhilfe bekommt, sagt das SGB XII. Krauß, Greiner und von Koppenfeld-Spies erklären die Einzelheiten. Die Bedeutung des Sozialrechts mag man nicht zuletzt darin ermessen, dass es eine eigene Gerichtsbarkeit hat. Wenner ist es, der alles Nötige zum Sozialgerichtsgesetz sagt. Den Abschluss des Kommentars bildet die Sammelkommentierung von Koppenfeld-Spies zum Unterhaltsvorschussgesetz. Nicht selten bleiben Un­terhaltszahlungen – zumeist der Väter – aus, hier muss der Staat eingreifen, um den Lebensunterhalt der Berechtigten sicherzustellen.

Dass sich das Werk durch ein ausführliches Abkürzungs­verzeichnis und ein umfangreiches Stichwortverzeichnis auszeichnet, verdient ebenfalls Erwähnung. Gerade im So­zialrecht nicht regelmäßig oder nur seltentätige Rechts­anwender werden gerade das Stichwortverzeichnis dank­bar zur Kenntnis nehmen. Sozialrecht weist mancherlei Berührungspunkte zum Arbeitsrecht auf. Angesichts des Zuschnitts des Kommentars bietet es sich auch als Ergän­zung einer arbeitsrechtlichen Bibliothek an. Wer das So­zialrecht zu seiner Profession erkoren hat, kommt an dem Kommentar ohnedies nicht vorbei. (cwh) ˜

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.

cwh@uni-mainz.de

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