Kulturgeschichte, Theologie | Religion

Sehenswert!

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2022

Claudia Höhl, Felix Prinz, Pavla Ralcheva, Islam in Europa 1000–1250. Regensburg: Schnell & Steiner, 1. Auflage 2022, 352 S., 199 Farbabb., 9 s/w-Abb., fadengeh. Klappenbroschur, ISBN 978-3-7954-3719-0. € 35,00.

Islam in Europa 1000–1250

Im Dommuseum Hildesheim ist bis zum 12.02.2023 die Ausstellung „Islam in Europa 1000-1250“ zu sehen. Schon das Cover macht deutlich: Es wird eine „Verflechtungsgeschichte“ gezeigt, die auf dem Austausch von Kultur und Wissenschaften beruht und anhand meist kostbarer Objekte gelesen wird. Wie Europa sich selbst und wie man die anderen sah, verdeutlicht ein Kerzenleuchter mit allegorischen Frauenfiguren im Dommuseum Hildesheim: Auf dem Fuß des Leuchters sitzen drei Personifikationen der Erdteile, die allegorisch zu verstehende Inschriften tragen: Asia trägt ein gefülltes Gefäß mit der Aufschrift DIVITIE (Reichtum), Europa hält ein Schwert und einen Schild, der die Aufschrift BELLUM (Krieg) trägt und Africa ein Buch, auf dem SCIENTIA (Wissenschaft) zu lesen ist. (Abb. 1-2: Hildesheim, Dommuseum, Leuchter mit Frauenfiguren) Die Verbindung Afrikas mit Wissenschaft geht darauf zurück, dass Nordafrika ein Zentrum der Weiterentwicklung antiken Wissens und Philosophie durch arabische Gelehrte war. In der Ausstellung erinnert ein Manuskript des von Constantinus Africanus verfassten „Liber Pantegni“, eines medizinischen Grundlagenwerks, an den Weg antiken und arabischen Wissens nach Europa (Abb. 3: Hildesheim, Dombibliothek, Constantinus Africanus, Liber Pantegni). Constantinus Africanus hatte in Kairouan (Tunesien) und auf Reisen bis nach Ägypten und in den Irak medizinisches Wissen erworben, verließ in der Mitte des 11. Jahrhunderts seine Heimat und gelangte nach Salerno, in dieser Zeit ein Zentrum der gelehrten Medizin. Dort und später in der Benediktinerabtei von Montecassino, in die er eintrat, übersetzte er medizinische Werke aus dem Arabischen in das Lateinische. Der lateinische Titel „Pantegni“ leitet sich von der griechischen Bezeichnung „pan techne“ („gesamte Kunst“) ab. Das Buch ist von grundlegender Bedeutung.

Abb. 1

Asien, dem nach dem Schema mittelalterlicher Weltkarten die Hälfte des Erdkreises zugewiesen wird, und seinen Reichtum zeigt die Ausstellung ausführlich. Besonders eindringlich veranschaulicht die Verflechtung der Kulturen die Kanzel des Aachener Doms, die von Heinrich II. 1014 in die Krönungskirche der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gestiftet wurde. Zwei Schmuckplatten sind für die Ausstellung in Aachen abmontiert und nach Hildesheim gebracht worden. Was im Aachener Dom im Halbdunkel eher zu erahnen als zu sehen ist, lässt sich in Hildesheim in Ruhe studieren. Die beiden Schmuckplatten wurden im Rheinland angefertigt und mit je einem Objekt aus Bergkristall geschmückt, den man in dieser Zeit im Ottonenreich nicht bearbeiten konnte (Abb. 4: Aachen, Dom, Schmuckplatten am Ambo, um 1014). Die auf einer Schmuckplatte befestigte Bergkristalltasse wurde im Reich der Bagdader Kalifen angefertigt und gelangte erst nach Byzanz, bevor sie wohl als diplomatisches Geschenk an den Hof des römisch-deutschen Kaisers gelangte. Die Wandung der Tasse, die aus einem klaren Bergkristall geschliffen ist, ist nur wenige Millimeter dick und mit einem technisch anspruchsvollen Relieffries aus Palmetten und Halbpalmetten verziert. Der auf der zweiten Schmuckplatte befestigte Teller ist dicker und hat einen massiven Fuß; der Bergkristall ist aufgrund zahlreicher Einschlüsse trübe. Der Schliffdekor ist weniger präzise gearbeitet, so dass dieser Teller vielleicht in einer byzantinischen Werkstatt entstand. Er zeigt, wie beliebt diese abassidischen Luxusobjekte waren. Auf beiden Platten rahmen die Bergkristallobjekte Schachfiguren. Schach war bereits im Mittelalter ein königliches Spiel, nachdem es schon im spätantiken Persien gespielt worden war oder vielleicht sogar aus Indien kommt. Im Mittelalter war es Teil der höfischen Kultur. Alle aus der islamischen Welt kommenden Schachfiguren sind nicht figürlich verziert.

Abb. 2

Objekte erzählen die Verflechtungsgeschichte auf ganz unterschiedliche Art und Weise: Die Kontakte gehen hin und her, die Aufnahme und Verwendung der Motive geschieht differenziert und in wechselnder Bedeutung. Eines zeigen die Kostbarkeiten ganz deutlich: Christen und Muslime haben eine gemeinsame Geschichte. Um diese Gemeinsamkeit allen zugänglich zu machen, sind in der Ausstellung Beschriftungen in arabischer, deutscher, englischer und türkischer Sprache angebracht. Es wird vor Ort auch Führungen in arabischer und türkischer Sprache geben. Eine gute Ausstellung hat immer mit der Gegenwart zu tun.

Abb. 3
Abb. 4

 

 

 

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