Peter Berthold: Auerhuhn. Ein Urvogel verschwindet. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2021, 288 S., 55 Farbfotos, 3 s/w-Fotos. ISBN 978-3-440-17266-7, € 22,00.
Mit einer Hommage an den Auerhahn und „in Dankbarkeit für 65 Jahre Erleben unserer Urhühner“ beginnt der bekannte und streitbare Ornithologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. Peter Berthold seinen Abgesang auf diesen „gefiederten König unserer einstigen Märchenwälder“, der ihn als Forscher genauso wie viele andere Vogelarten viele Jahre in seiner Zeit als Leiter der Vogelwarte Radolfzell begleitet hat. Das Buch ist keine wissenschaftliche Monografie, sondern ein ohne Zweifel gelungener „lebendiger Erlebnisbericht … gewürzt mit einigen Anekdoten“, wobei diese den Leser oft zum Schmunzeln bringen. Dass der Autor sich trotz seiner Reputation wissenschaftlich zurücknehmen kann, um die Leserschaft nicht zu überfordern, hat er bereits 2016 in seiner sehr lesenswerten Biographie Mein Leben für die Vögel oder mit seinem Buch über das richtige Füttern von Vögeln bewiesen. Und so beginnt Berthold auch erst ab dem 12. Kapitel (von 20, die in Unterkapiteln weiter strukturiert sind) wissenschaftlicher zu werden und berichtet dort über seine konkrete mehrjährige Forschung, immer wieder gewürzt mit Bonmots, häufig hinterlegt mit deftigen Aussagen zu seinen oftmals behördlichen Mitstreitern.
Berthold hat das Auerhuhn bereits als Jugendlicher belauscht. Ihm galt also bereits früh seine Aufmerksamkeit. Heute steht der Urvogel des Waldes bei uns in Deutschland, nach seiner düsteren Prognose auch in den letzten verbliebenen Refugien im Schwarzwald, seiner alten Heimat, kurz vor dem Aussterben. Dies gilt allerdings nur für Mitteleuropa, da die Spezies z.B. in Russland oder Finnland durchaus noch häufig in deren „Urwäldern“ vorkommt und dort nicht bedroht ist und sogar noch bejagt wird, was bei uns bereits seit den 1970er-Jahren verboten ist. Der „gefiederte König unserer einstigen Märchenwälder“, neben dem kapitalen Rothirsch die begehrte Trophäe von Kaiser und Königen und allen, die im grünen Rock dem Wild nachstellten, ist ein ganz besonderer Bewohner unseres Waldes und zuletzt nur noch in unzugänglichen Bergregionen zuhause. Denn er stellt ganz besondere Ansprüche an sein Habitat und kann sich z.B. auch noch im dicksten Winter dank zweier Blinddärme von den Nadeln und Trieben unserer Nadelbäume ernähren. Allerding benötigt er andererseits für die Aufzucht der Küken spezifische Bodenhabitate, die ihm heute kaum noch geboten werden, was die Reproduktionsrate zu einem Problem werden lässt. Auch fehlen zunehmend die spezifischen Bedingungen für Balzplätze am Rande der von Berthold so beschworenen „Märchenwälder“, also lichte Wälder am Rande von Mooren mit freien unbebuschten Stellen für den „Erdkampf“ der Hähne und weit ausladenden Ästen alter Bäume zum Aufbaumen und Anschreien des Gegners.
Damit wird auch klar, dass es nicht das Verschulden unserer Jäger aller Gesellschaftsschichten ist, wenn das Urhuhn und sein Hahn bei uns verschwindet, sondern die gesellschaftlichen Umwälzungen der vergangenen 150 Jahre mit zunehmender Industrialisierung, dem Wirtschaftswaldbau und dem Anstieg des Tourismus bis in die entlegensten Winkel unseres Landes – Probleme, die analog auch zum heutigen Artensterben und dem Insektenschwund beitragen.
Dies war auch der Hintergrund von Bertholds Forschungsaktivitäten. Getriggert durch die Ideen, auch die Windkraft für den Schwarzwald nutzbar zu machen, mussten Untersuchungen der Auswirkungen der Windräder auf die Auerhuhn-Population vorgenommen werden, was zu weiteren Forschungen führte, die nicht alleine durch den Träger der Einrichtung in Radolfzell finanziert werden konnten und nach sogenannten „Drittmitteln“ verlangten, also einem Sponsor, den man mit einem Antrag zur Finanzierung überzeugen musste. Wie das geht, zeigt exemplarisch das erste Telefonat mit einem solchen potentiellen Mäzen und Bertholds Fähigkeiten, auch andere von seinen Ideen zu begeistern: „Und obwohl ich mich so in Rage redete, dass ich von meinen spontanen Vorschlägen selber begeistert war …“ (S. 185). So Berthold über ein Gespräch mit einem potentiellen Förderer seiner Forschungen, als dieser ihn nach förderfähigen Projekten befragte, was zum Beginn einer langjährigen Forschungsförderung des im Schwarzwald bedrohten Auerhuhns führte, und dieser sich über seinen anderen, mehr Technik-lastigen exotischen Forschungsobjekten eher mäßig begeistert zeigte. Das Ganze führte zu einem zehnjährigen Forschungsprojekt mit den Forschungsfeldern Ernährungsbiologie, Telemetrie, Populationsdynamik, Genetik, Infraschall (Produktion u. Kommunikation), Verdauung und Haltung und Zucht des Auerwildes.
Dabei wurde schnell klar, dass die Fortpflanzungsrate im Schwarzwald weit unterhalb einer kritischen Schwelle lag, die zum Erhalt einer stabilen Population notwendig wäre. Die Auerhühner werden also dort verschwinden! So sind auch aus den beiden größeren Teilpopulationen im Nordbzw. Südschwarzwald inzwischen weiter schrumpfende Restbestände geworden, die ums Überleben kämpfen.
Im Forschungsfeld Verdauung bzw. Symbiontik brachte der Vergleich der in Volieren gehaltenen bzw. gezüchteten Vögel zu den Freiländern das überraschende Ergebnis, dass deren primäres Verdauungsorgan, die beiden übergroßen Blinddärme, nur ca. halb so groß sind wie diejenigen der wild lebenden Artgenossen, was im Winter dazu führt, dass sie sich vom natürlichen Nahrungsangebot der Höhenlagen der schwer verdaulichen Koniferennadeln bzw. -triebspitzen nicht ausreichend ernähren können und innerhalb kurzer Zeit verhungern. Das macht deutlich, warum alle bisherigen Programme zur Auswilderung von in Volieren gezüchteten Raufußhühnern neben den Habitatsveränderungen und der Zunahme von Parasiten scheitern mussten und alleine bis zu 10.000 (!) Auerhühner hier ohne entsprechende Forschung sterben mussten. Berthold zeigt mögliche Wege auf – die er selber in seiner aktiven Zeit nicht mehr beforschen konnte – wie bei der Kükenaufzucht in Volieren eine angepasste neue Generation Auerhühner zum Auswildern aufgezogen werden könnte und er endet dieses Kapitel mit den Satz: „Was wäre das für ein spannender … Versuch, auszutüfteln, wie man mit Blinddarmkot freilebender Auerhühner gezüchtete Artgenossen fit machen könnte für endlich erfolgreiche Ausbürgerung und Wiederansiedlung!“
Berthold ist in seiner burschikosen und liebenswerten Art ein Freund drastischer Worte. Er bringt die Probleme auf den Punkt, beschreibt sie meistens treffend und drastisch, was ihm auch in der Vergangenheit nicht nur Freunde beschert hat; insbesondere in der Zunft der „Grünröcke“, also Forstleuten und Jägern, mit denen er auch in anderen Projekten immer wieder zusammenarbeiten musste. Als moderates Beispiel mag eine Bemerkung zum Aussterben der Auerhühner dienen (S. 211f): „… wer weiß. Vielleicht lässt ja ‚Urogallitu, der Gott aller Hahnen‘ jetzt schon unseren ‚geliebten‘, im Hinblick auf viel, viel Geld mühevoll hochgefichteten Wald deshalb im ganzen Land einfach verrecken, weil wir eines der Meisterwerke seiner Vogelschöpfung – das Urhuhn – aus lauter Profitgier bald zu Tode gewirtschaftet haben?“. Auch mit seinen „Kollegen“, die im Rahmen des Auerhuhn-Schutzes im Schwarzwald agierten und mit denen er auch bis zu seiner Emeritierung zusammenarbeitete, kommt er nicht immer überein, wenn er der Meinung ist, dass man die Probleme in den verschiedenen Gremien zwar herausgearbeitet, „aber in der Praxis […] schmalspurig weitergewerkelt [hat]“. Auch der sich abzeichnende Exodus der Art werde partiell schöngeredet: „Wie beim Haselhuhn werden wir beim Auerhuhn bei seinem schlussendlichen Aussterben im Schwarzwald noch geraume Zeit mit Phantomvögeln zu rechnen haben, […] bis ihnen dann auch im Geiste von Verklärung die Puste wird ausgegangen sein“ (S. 227f). Als Gründe führt er die mangelnde Umsetzung der Empfehlungen der unterschiedlichsten Kommissionen durch Politik und Landesregierung an, wobei er in Rechnung stellt, dass die Umsetzung eines konkreten Schutzund Aufbaukonzeptes für die gefährdete Spezies im Kontext ihrer hohen Ansprüche auf einer Fläche von 50.000 Hektar (!) in einer Region mit konkurrierenden Nutzungsansprüchen nicht leicht umzusetzen ist. Er ist allerdings – radikal wie immer – der Meinung, dass man eine Unterschutzstellung von „lediglich 7 Prozent der gesamten […] Fläche des Schwarzwaldes“ dem Auerhuhn als Schirmart anderer Begleitarten hätte „fraglos zugestehen müssen“ (S. 219).
Die Analyse der bisherigen Bemühungen zur Rettung des Auerwildes münden in acht „Todsünden“, die in ebenso vielen Unterkapiteln abgehandelt werden. Beginnend mit der nachgewiesenen Reproduktionsproblematik über das Fehlen einer von ihm angeregten „Auerhuhn im Schwarzwald Stiftung“ (und seiner durch seine Emeritierung fehlende weitere Forschung) und fehlender PR, steht die Landesregierung mit ungenügenden Finanzressourcen für ein Schutzkonzept ebenso in der Kritik wie die Beteiligten der gegründeten Auerhuhn-Initiativen, insbesondere der Forst, der die speziellen Bedürfnisse der Waldhühner falsch einschätzt und ein neues Waldkonzept in Verbindung mit Kalamitäten verteidigt. Auch die Gründung des „Nationalpark Schwarzwald“ – so der Autor – trug zum Rückgang bei. Eigentlich erstaunlich, aber das Auerwild würde ohne die notwendigen menschlichen Eingriffe, z.B. an der Fichtennaturverjüngung, aus der Kernzone regelrecht „hinausgeschützt“! Folgerichtig kommt Berthold dann auch zum Schluss, dass auch alle ab 2019 gestarteten Aktivitäten durch die öffentliche Hand oder auch private Initiativen am weiteren Niedergang des Auerhuhns und „am Erlöschen der Schwarzwaldpopulation“ nichts ändern werden, wie auch bereits das Hasel- und das Birkhuhn dort ausgestorben sind.
Wer ist nun schuld an dieser Misere? Die Frage ist laut Berthold leicht zu beantworten und resultiert aus seinem Naturverständnis: „Schuld sind wir alle! Wie für das Verschwinden der Rebhühner aus unseren Feldfluren, der Schwalben aus unseren Kuhställen und von den Dachtraufen unserer Häuser, so tragen wir auch für das Ende unserer Auerhühner eine Kollektivschuld. … [Unsere] Lebensart hat sich bis auf die Auerhühner tief im Wald negativ ausgewirkt.“ Recht hat er, Umdenken ist gefordert, also weitermachen, nicht aufgeben, die Umwelt ist jede Anstrengung wert.
Ein Buch also, das sich zu lesen lohnt! Und nicht nur für Jäger oder Forstmenschen bestimmt ist, die darin neue Erkenntnisse zum begehrten Hochwild finden und auch einiges zur allgemeinen Populationsdynamik lernen können. Es ist unbedingt lesenswert für Wildbiologen und Naturschützer, Landschaftsplaner und die Damen und Herrn der Landesbehörden, um weitere Fehler bei der Ausweisung von Schutzgebieten zu vermeiden. Und natürlich begeistert das Buch auch mit den über 50 Abbildungen den allgemein an der Natur interessierten und aufgeschlossenen Leser und öffnet die Augen für das Faszinosum unseres letzten großen Raufußhuhnes. (cs)
Dr. K. P. Christian Spath (cs) ist Physiker und Ingenieur und war bis zu seiner Pensionierung an der Universität in Mainz tätig. Er ist seit Jahrzehnten dem Naturschutz verbunden und Vorsitzender eines Naturschutzverbandes.
spath@uni-mainz.de