Die Zerstörung der Natur und das Mitleiden des Satirikers.
Hg. und mit einem Nachwort von Friedrich Pfäfflin. Göttingen: Wallstein 2022.
64 S., 6 Abb., geb.,
ISBN 978-3-8353-5211-7, € 16,00.
Am 23. Mai 1920 findet Karl Kraus in der Wiener Arbeiter-Zeitung einen Brief Rosa Luxemburgs (1871– 1919) aus dem Breslauer Frauengefängnis, datiert „vor dem 24. Dezember 1917“. Sie beschreibt darin in tief berührender Weise, wie sie auf dem Gefängnishof beobachtet, dass rumänische Büffel als Zugtiere von Soldaten bis aufs Blut geschlagen und gequält werden. Wenig später druckt er den Brief in der Fackel ab. Und er nimmt ihn an hervorgehobener Stelle in den Jahren 1920 bis 1928 in seine Lesungen in Berlin, Dresden, Prag, Wien und Karlsbad auf.
Karl Kraus: „Der tiefste, je in einem Saal bewirkte Eindruck war die Vorlesung des Briefes von Rosa Luxemburg, den ich am Pfingstsonntag in der Arbeiter-Zeitung gefunden habe und auf die Reise mitgenommen habe. Er war im Deutschland der unabhängigen Sozialisten noch völlig unbekannt. Schmach und Schande jeder Republik, die dieses im deutschen Sprachbereich einzigartige Dokument von Menschlichkeit und Dichtung nicht allem Fibel- und Gelbkreuzchristentum zum Trotz zwischen Goethe und Claudius in ihre Schulbücher aufnimmt und nicht zum Grausen vor der Menschheit dieser Zeit der ihr entwachsenden Jugend mitteilt, daß der Leib, der solch eine hohe Seele umschlossen hat, von Gewehrkolben erschlagen wurde. Die ganze lebende Literatur Deutschlands bringt keine Träne wie die dieser jüdischen Revolutionärin hervor und keine Atempause wie die nach der Beschreibung der Büffelhaut: ‚und die ward zerrissen‘.“
Karl Kraus (1874–1936) war als Herausgeber und fast alleiniger Verfasser der Fackel einer der meistverehrten und zugleich meistgehassten Kritiker seiner Zeit. Als eine anonyme Briefschreiberin gegen die „larmoyante Beschreibung“ dieses Briefes von Rosa Luxemburg an Sonitschka Liebknecht protestiert, antwortet Karl Kraus mit einer so scharfzüngigen und vehementen Polemik, dass Walter Benjamin dies 1931 ein „Bekenntnis“ nennt, „an dem alles erstaunlich“ sei; auch „daß man diese stärkste bürgerliche Prosa des Nachkriegs in einem verschollenen Heft der Fackel zu suchen habe“. Der „Büffelbrief“ und seine Weiterungen werden in dieser herausragenden Publikation mit einem Nachwort von Friedrich Pfäfflin, dem langjährigen Leiter der Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach, mitgeteilt – bis hin zu dem Echo, das Rosa Luxemburgs Brief in den späten sechziger Jahren in zwei Gedichten von Paul Celan findet. (ab)