Editorial

und die ward zerrissen

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2022

Büffelhaut und Kreatur. Die Zerstörung der Natur und das Mitleiden des Satirikers  betitelt der Wallstein Verlag sein kleines Büchlein, das einen Gefängnisbrief von Rosa Luxemburg, den „Büffelbrief“, in den Mittelpunkt stellt. Ich möchte Ihnen dieses sehr eindrucksvolle kleine Buch in dieser aufwühlenden Zeit ganz besonders ans Herz legen. „… Es ist mein drittes Weihnachten im Kittchen“, schreibt Rosa Luxemburg im Kriegsjahr 1917 an Sophie Liebknecht, „aber nehmen Sie es ja nicht tragisch. Ich bin so ruhig und heiter wie immer. Gestern lag ich lange wach, … dann träume ich verschiedenes im Dunkeln. … Da liege ich still allein, gewickelt in diese vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis, Langweile, Unfreiheit des Winters – und dabei klopft mein Herz, von einer unbegreiflichen, unbekannten inneren Freude, wie wenn ich im strahlenden Sonnenschein über eine blühende Wiese gehen würde. Und ich lächle im Dunkeln dem Leben, wie wenn ich irgend ein zauberndes Geheimnis wüßte, das alles Böse und Traurige Lügen straft und in lauter Helligkeit und Glück wandelt. Und dabei suche ich selbst nach einem Grund zu dieser Freude, finde nichts und muß wieder lächeln über mich selbst. Ich glaube, das Geheimnis ist nichts anderes als das Leben selbst; die tiefe nächtliche Finsternis ist so schön und weich wie Samt, wenn man nur richtig schaut.“ Sie wünscht der Freundin eine ähnliche innere Heiterkeit und Stärke, „damit ich um Sie ruhig bin, daß Sie in einem sternbestickten Mantel durchs Leben gehen, der Sie vor allem Kleinen, Trivialen und Beängstigendem schützt.“

Für Karl Kraus, den Herausgeber der Fackel, gehören die Briefe, die Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis während des Krieges geschrieben hat, „wohl zum Allerschönsten“. Der Philosoph Walter Benjamin war „von deren unglaublicher Schönheit und Bedeutung ganz betroffen“. Es sind die Jahre des Ersten Weltkriegs; grauenvolle Kriegsjahre; allgegenwärtige Verrohung; umso erstaunlicher diese feinsinnigen und zarten Gefängnisbriefe der Revolutionärin und Kriegsgegnerin.

Rosa Luxemburg beschreibt im Weiteren ihre Beobachtung über einen mit Büffeln bespannten Lastwagen. „… die Last war so hoch aufgetürmt, daß die Büffel nicht über die Schwelle bei der Toreinfahrt konnten. Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstieles loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! ‚Mit uns Menschen hat auch keiner Mitleid‘, antworte er mit bösem Lächeln und hieb noch kräftiger ein … Die Tiere zogen schließlich an und kamen über den Berg, aber eins blutete … Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die ward zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still erschöpft und eines, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll. … ich stand davor und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter – es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. … Der Soldat aber steckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei …“

Werden wir in dieser neuen, großen, beängstigenden Zeitenwende der Verrohung und der Entmenschlichung rechtzeitig Einhalt gebieten können?

Angelika Beyreuther

Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung