Geowissenschaften

Das Relief der Schweiz

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2022

Herbert Bühl: Das Relief der Schweiz. Bildatlas der Oberflächenformen. Bern: Haupt Verlag, 2020. Geb., 472 S., 420 Fotos, 100 Karten, 85 Orthofotos, 16 Tabellen, 15 Grafiken, eine Tektonische Karte der Schweiz (Innendeckel vorne), eine Karte der Landschaftstypen der Schweiz, Ausschnitt (Innendeckel hinten), geb., ISBN 978-3-258-08121-2, € 78,00.

Im ersten Teil definiert der Verfasser das Relief als Ergebnis des Zusammenwirkens endogener und exogener Prozesse: Die klimaabhängigen Prozesse wirken formend auf das Relief ein, sie steuern die Gesteinsverwitterung, die Abtragung, die Transportvorgänge und die erneute Ablagerung. Diese Vorgänge laufen räumlich gesehen zunächst zwischen den Wasserscheiden und den Talböden, also im lokalen Relief, ab. Durch den Höhenunterschied wird die verfügbare Energie für die abtragenden Prozesse bestimmt. Von besonderer Bedeutung sind die Eigenschaften der Gesteine, die sich in ihrem Chemismus, Mineralbestand und Gefüge unterscheiden, aber auch in ihren Lagerungsverhältnissen, die durch die geologische und tektonische Struktur bedingt sind. Bei mehr oder weniger gleichartigen Eigenschaften der Gesteine handelt es sich um einen „morphostrukturellen Raum“ mit charakteristischen Kamm-, Hang- und Talformen sowie typischen kleineren Erosions- und Ablagerungsformen. In Abhängigkeit davon stehen die Böden, der Bodenwasserhaushalt, die Lebensräume der Tiere und Pflanzen sowie die Nutzung durch die Menschen. In den folgenden Unterkapiteln wird die tektonische Reliefentwicklung dargestellt, es folgt die Verwitterung und ein Blick auf die in der Schweiz wirksamen geomorphologischen Prozesse sowie die nachweisbare Abfolge von Reliefgenerationen.

Der zweite Teil ist den geomorphologischen Formen und den sie bildenden Prozessen gewidmet. Am Anfang stehen Formen der mechanischen Verwitterung. Es folgen Formen der Gesteinslösung, der Verkarstung und Formen der Kalkfällung. Daran schließen sich die Formen flächenhafter Abtragung (Denudation) an. Genannt werden Bergund Felsstürze, Rutschungen, Lawinen. Es folgen Formen der Versatz- und Fließdenudation, das sind Rinnen- und Runsen-Spülung sowie Muren. Für die alpine und subnivale Stufe kommen periglaziale Denudationsprozesse hinzu. Fortgesetzt wird mit fluvialen, glazialen und glazi-flu-vialen Formen. Den nach dem Abschmelzen der Gletscher zurückbleibenden Hinterlassenschaften ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Es folgen litorale und äolische Formen. Daran schließen sich Formen an, die durch die geologische Struktur und das Gestein geprägt sind. Abschließend geht es um komplexe Tal- und Flussnetze.

Der dritte Teil wird mit einer Vertiefung des Begriffs der „Morphostrukturellen Räume“ eröffnet. Diese Räume werden in Tallandschaften, Hügellandschaften, Berglandschaften und Gebirgslandschaften untergliedert. Das ist eine sehr einfache Einteilung die nach Bedarf weiter untergliedert werden kann. Als große räumliche Einheiten werden unterschieden (s. Tektonische Karte der Schweiz im vorderen Innendeckel): Oberrhein-Graben (Kap. 14, S. 231-235), Hegau-Graben (Kap. 15, S. 236-239), Tafeljura (Kap. 16, S. 240-257), Faltenjura (Kap. 17, S. 258-281), Nördliches Alpenvorland mit wenig deformierter Mittelländischer Molasse – Mittelland (Kap. 18, S. 282-343), Nördliches Alpenvorland mit steil gestellter Subalpiner Molasse (Kap. 19, S. 344-349), Alpen (Kap. 20, S. 450455).

Ein Beispiel: Nach dem Oberbegriff „Tafeljura“ folgt auf einen kurzen Text eine zusammenfassende Tabelle, die die Untergliederung abbildet. Das erste Unterkapitel betrifft die Hügellandschaften des Tafeljuras, die weiter untergliedert werden in Schichtstufen-Landschaft des Tafeljuras, Bruchlinienstufen-Landschaft des Tafeljuras, Zeugenhügel-Landschaft des Tafeljuras. Es folgen die Tallandschaften des Tafeljuras mit Kerbsohlentälern mit Aufschüttungssohle, Trockengefallene randglaziale Durchbruchstäler, Terrassental-Landschaft, Muldental-Landschaft. Innerhalb dieser Untergliederungen gibt es jeweils eine Seite mit einer Sequenz von drei Abbildungen des gleichen Landschaftsausschnittes und im gleichen Maßstab, bestehend aus einem Orthofoto, einer Karte M 1: 25.000 und einer schattierten LiDAR-Aufnahme. Zusätzlich gibt es in den textlichen Erläuterungen einzelne Fotos.

Das Relief der Schweiz wird also im Rahmen einer räumlichen Gliederung in „Morphostrukturelle Räume“ unterteilt, die sich besonders aus der geologischen und tektonischen Struktur, den Gesteinen und ihren Lagerungsverhältnissen sowie den relativen Höhenunterschieden ergeben. Die heute in diesen Räumen beobachtbaren geomorphologischen Formen und Prozesse werden vorher exemplarisch vorgestellt. Daraus ergibt sich ein Überblick, der mit einer Gesamtdarstellung in einer Karte der Schweiz noch hätte verbessert werden könnte.

In Deutschland wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Projekt der späteren Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung begonnen, in dessen Rahmen eine „Naturräumliche Gliederung Deutschlands“ zu erarbeiten war. Man ging davon aus, dass damit eines der primären Anliegen geographischer Forschung bearbeitet würde und dass „die Kenntnis von Räumen gleicher Eignung von Be-deutung [ist] für jede schöpferische Verwaltung; sie sollte die Grundlage für jede Standortplanung sein, für die Standortsüberlegungen im freien Wirtschaften wie für die gesamte allgemeine Landesplanung.“ (Kraus, Meynen, 1953). Inhaltlich nahm die „Naturräumliche Gliederung“ Anregungen der Landschaftsökologie auf, was die Unterscheidung von Physiotopen und Ökotopen ermöglichte. Die Haupteinheiten der Naturräumlichen Gliederung wurden vom Statistischen Bundesamt übernommen, so dass statistische Daten über die Gemeinde- oder Kreis-Ebene hinaus auch für naturräumliche Haupteinheiten ausgegeben werden konnten. Daraus hat sich später die „Laufende Raumbeobachtung“ entwickelt, ein Instrument der Politikberatung, das gesellschaftliche Prozesse, ggf. auch bezogen auf Naturräume, analysieren kann. Damit wird deutlich, dass Raumgliederungen politisches Gewicht haben. Das ist auch dem Verfasser klar, wenn er schreibt: „[…] sinnliche Beziehung zur Landschaft. Auf letztere kommt es jedoch an, wenn es zu entscheiden gilt, als Gesellschaft Landschaften mit ihren Formen und Lebensräumen zu nutzen, zu pflegen, zu erhalten oder zu verändern“ (s. S. 456).

Der Autor (ein berufserfahrener Geograph, Geologe und Umweltplaner mit einem Beratungsbüro für Raumplanung und Regionalentwicklung) schreibt im allerletzten Absatz, was er mit diesem Buch erreichen möchte: „Dieses Buch geht in einem geomorphologischen und physiognomischen Ansatz auf die Vielfalt Schweizerischer Landschaften ein. Es verbindet Landformen und Landschaftsräume mit ihren Geschichten und gibt kartographische und fotographische Einblicke. Es will Lesehilfe sein, die Landschaftsgenese und das Naturerbe eines Ortes besser zu verstehen, das Typische wie das Besondere, vielleicht auch das Bedrohte zu erkennen. Es möchte Beziehung stiften und lädt ein, die Landschaft aufzusuchen, welche den Naturgrund der Schweiz charakterisiert.“. Daher eignet sich das Buch auch sehr gut für Reiseplanungen, es gibt Einblicke in die Landschaften der Schweiz mit ihrer erstaunlichen Vielfalt und macht Lust, sich intensiver mit diesem in vieler Hinsicht interessanten Land zu befassen. (jp) 

Univ.-Prof. Dr. Johannes Preuß (jp) war von 1991 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 Professor für angewandte Physische Geographie am Geographischen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Von 2000–2009 war er Vizepräsident für Forschung.

jpreuss@uni-mainz.de

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