Politik

„Außenpolitik ist Generalstabsarbeit am Frieden.“ (Willy Brandt)

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2023

Sandra Kostner u. Stefan Luft (Hrsg.), Ukrainekrieg. Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht. Frankfurt/M.: Westend 2023, 336 S., Broschur, ISBN 978-3-949925-10-8. € 24,00.

Die Autoren dieses Sammelbands analysieren die Ursachen und Folgen des Ukraine­ krieges und dabei im Besonderen die Rolle des Westens. Eine neue Entspannungspolitik, so die These, ist die zentrale Voraussetzung für einen Frieden in Europa und ein Ende des Konflikts in der Ukraine. Vertrauensbildende Maßnahmen und Verhandlungslösungen müssten ins Zentrum der politischen Debatte gerückt werden.

Mit Beiträgen u.a. von Klaus von Dohnanyi, Jacques Sapir, Sabine Schiffer, Roland Springer, Wolfgang Streeck, David Teurtrie, Willy Wimmer. (red)

„Frieden kann es nur mit Russland und nicht gegen Russland geben.“

Auszüge aus dem Gespräch der Herausgeber mit Dr. Klaus von Dohnanyi (Sept. 2022/Febr. 2023):

Insbesondere die SPD sieht sich mit Vorwürfen wegen ihrer auf Entspannung und Wandel durch Annäherung ausgerichteten Ostpolitik konfrontiert. So fordert u.a. der Historiker Heinrich August Winkler, dass die SPD ihre Ostpolitik seit den 1980er-Jahren „aufarbeiten“ müsse. Halten Sie die Vorwürfe und Forderungen für gerechtfertigt?

Hier muss ich leider doch einmal etwas grob werden: Winkler weiß offenbar nicht, wovon er redet, worum es damals ging und heute gehen würde. Schuster, bleib bei deinen Leisten! Winkler hält offenbar den Ukrainekrieg für ein gutes Ergebnis amerikanischer Diplomatie. Für solche Kritiker sozialdemokratischer Friedenspolitik zählen in der internationalen Politik irgendwelche abstrakten Theorien mehr als konkrete Ergebnisse. Die deutsche Russland-Politik hieß nämlich niemals „Wandel durch Handel“; dies wäre eher im Sinne des Ersten Zusatzes von Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden. Die Ostpolitik und ihre Fortsetzung unter Kohl bis zu dem erstaunlichen Ergebnis des Mauerfalls und des Abzugs russischer Bestatzungstruppen hieß aber „Wandel durch Annäherung“: Wandel von Misstrauen durch Annäherung zu vorsichtigem Vertrauen, ohne das Politik mit Nachbarn nie erfolgreich sein kann.

Und diese Politik war und ist nicht naiv, und daran gibt es auch nichts aufzuarbeiten. Wie immer die Beziehungen zu einem großen und potenziell gefährlichen Nachbarn sein mögen: Es gibt zum Versuch der Befriedung, zum Verständnis auch seiner Interessen keine Alternative. […]

Dieser Band soll unter anderem ein Plädoyer für eine neue Entspannungspolitik in Europa sein. Stimmen Sie uns zu, dass es an der Zeit ist, eine neue Entspannungspolitik einzuleiten und, wenn ja, wie sollte diese Politik aussehen?

In meinem von Ihnen zitierten Buch Nationale Interessen (Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche, Siedler Verlag 2022, ISBN 978-38275-0154-7, d. Red.) habe ich mich eingehend mit dieser Frage auseinandergesetzt. „Entspannungspolitik“ ist kein isoliertes Element nationaler oder internationaler (oder auch europäischer) Politik. Sie umfasst auch nicht nur die Außenund Sicherheitspolitik. Sie ist das Ergebnis einer gesamtpolitischen, auf Frieden und Verständigung ausgerichteten Politik. Im Augenblick, angesichts der hochgefährlichen internationalen Lage, müsste man damit beginnen, mit den Mächtigen der Welt, wer immer sie sind, das offene Gespräch über Interessen und Interessengegensätze aufzunehmen. Die These, mit Putin redet man nicht, ist ein Vergehen gegen die politische Vernunft, solange Putin an der Macht und so gefährlich für die Existenz nicht nur Europas ist. Und dann sind Wege aus dem Labyrinth bestehender Spannungen immer kompliziert und verlangen hohes diplomatische Können, besonders für die europäischen Staaten, die hier jeder allein und gemeinsam nur im zweiten Glied stehen. Aber unseren Beitrag können und müssen wir leisten. Und da gebe ich noch einmal allen schnellfüßigen Kritikern der deutschen Russlandpolitik das Wort Willy Brandts zu bedenken: „Außenpolitik ist Generalstabsarbeit am Frieden.“ Vielleicht gibt es ja noch einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, der Frau Baerbock wenigstens diesen einen Satz mal zum Lesen zeigt.

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