Kinder- und Jugendbuch

Wie viel ist viel?

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2023

Die komplexe Welt von Mengen und Zahlen

Renate Müller De Paoli

Überall in der Welt umgeben uns Mengen und Zahlen. Wir nutzen sie ständig im Alltag und in unserem Umfeld. Die Fähigkeiten des Zählens und Rechnens geben uns Struktur und befähigen uns, im Leben und in unserem Miteinander in der Welt zurechtzukommen. Zahlen geben uns Orientierung, z.B. als Zeitangaben oder bei Raketenstarts oder auf dem Fußballtrikot. Aufgeregt zählen Kinder die Tage bis zu einem bestimmten Ereignis. In der Kita werden schon die Kleinsten mit Mengen und Zahlen konfrontiert und ganz automatisch zählen und rechnen Kinder beim Spielen. Doch die Welt der Mengen und Zahlen ist komplex und muss erobert werden.

Caspar Salmon/Matt Hunt (Ill.): Wie man bis eins zählt. (Und fang erst gar nicht mit größeren Zahlen an!) Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. 32 S., Antje Kunstmann, München 2022, ab 3 J.

■ Eine klare Anweisung und Regel bestimmt in Wie man bis eins zählt – (Und fang erst gar nicht mit größeren Zahlen an!) das Zählen lernen: es ist strengstens verboten, weiter als bis eins zu zählen! Doch was ist verlockender als Verbote zu unterlaufen, insbesondere wenn z.B. zwei große Wale so munter im Wasser herumtollen. Aber nein, es gibt nur das eine Würstchen, das einer der beiden Wale auf seiner Wasserfontäne balanciert. Mit jeder Seite in diesem farbenprächtig illustrierten Zahlen-Sachbuch werden natürlich die Aufgaben kniffliger und schwieriger. Da soll zwischen fünf peppig gestylten Enten diejenige, die Rollschuh fährt, gezählt werden; oder zwischen Nashörnern, Pavianen, Schlangen, Ameisen und Schmetterlingen nur die eine Giraffe; oder unter 46 Bilderrahmen mit Trommel, Brille, Maus, Fahrrad und vielem mehr die eine Torte. Aber aufgepasst: „Sag mal, welche Zahl kommt nach der Eins? War nur ein Witz! Nicht antworten! Es geht hier immer nur um die Eins!“ Wer also denkt, in diesem lustigen Bilderbuch geht es um große Zahlen z.B. 100, müsste „vielleicht das ganze Buch durchblättern und alle Dinge zählen, die auf den Seiten zu sehen sind …“ Und zur Belohnung gibt es am Schluss einen Preis, natürlich nur einen, verbunden mit einer verlockenden Zählaufgabe. Ein tolles Mitmachbuch nicht nur für zukünftige Zahlenfans und Entdecker.

 

Kristin Roskifte: Alle zählen. Aus dem Norwegischen von Maike Dörries. 64 S., Gerstenberg,Hildesheim 2021, ab 5 J. 

■ Dagegen führt das Wimmelbuch Alle zählen in die Welt der großen Zahlen von 0 bis 7,5 Milliarden, denn siebeneinhalb Milliarden Menschen leben „zusammen auf einem Planeten. Jeder einzelne hat seine persönliche, einzigartige Geschichte. Alle zählen.“ Bunt, vielfältig und doch so individuell sind die vielen, plakativ gezeichneten Figuren in diesem außergewöhnlichen Zähl-, Rätsel-, Such- und Wimmel-Bilderbuch voller versteckter Geheimnisse, die es zu lüften gilt. Da ist nicht nur konzentrieren, suchen und zählen angesagt, kurze Texte und komplexe Fragen laden zum Nachdenken, Geschichten erfinden und erzählen, fantasieren und philosophieren ein z.B.: „Ein Mensch. Er liegt im Bett und zählt seine Herzschläge. Er fragt sich, wie viele Menschen in diesem Augenblick dieselben Sterne sehen wie er.“ oder „Hundert Personen auf einem Schulhof. Eine wird bald stürzen und sich wehtun. Eine wird einen Impfstoff entwickeln, der Millionen Leben rettet.“ oder „Tausend Personen sehen einen großen Kometen, der erst in 2533 Jahren wieder an der Erde vorbeiziehen wird. Viele überlegen, ob es wohl Leben auf anderen Planeten gibt.“ Mit einem Fragebogen und der Auflösung einiger Geheimnisse endet dieses großartige Bilderbuch, die spannende und vergnügliche Beschäftigung damit hingegen noch lange nicht.

 

Helme Heine: Elefanteneinmaleins. 32 S., Beltz & Gelberg, Weinheim 2020, ab 5 J.

■ Schlicht, in schwarz-weiß, erzählt das Elefanteneinmaleins die Geschichte vom kleinen Elefanten. Jeden Morgen produziert er einen Kloß, nachdem er getrunken und geschlafen hat. Ein Elefantenkloß, so „groß und rund wie ein Fußball“. Eines Morgens springt er vor Freude in die Luft, er hat einen zweiten großen Haufen dazugesetzt. Er versteht, er ist ein Jahr älter geworden und hat Geburtstag. Jedes Jahr kommt nun ein weiterer Kloß hinzu, solange bis er täglich einen Riesenberg von 50 Klößen macht. Die alten und klugen Elefanten können sogar die Zahl über all die Jahre berechnen: „Alles zusammen 465.375 Elefantenklöße.“, aber auch die Klügsten unter ihnen können sich weder Berg noch Zahl in dieser Größenordnung vorstellen. Doch dann sieht der Elefant eines Tages, dass es nur noch 49 Haufen sind und mit jedem Jahr weniger werden. Was geschieht, wenn kein Kloß mehr kommt? Alt und runzlig ist der Elefant nun „überglücklich: Nach 100 Elefantenjahren hatte er die Zahl 0 begriffen.“ So faszinierend dieses ungewöhnliche, zeitlose Bilderbuch Spiel und Möglichkeiten in der Welt der Zahlen beschreibt, so berührend und mutig werden schwere Themen wie das Älter werden und Sterben mit kindgerechter Leichtigkeit angepackt.

 

Paolo Friz: Ein Weiser, ein Kaiser und ganz viel Reis – von der Erfindung des Schachspiels. 32 S., Atlantis, Zürich 2017, ab 5 J.

■ Wie tückisch die scheinbar einfache Frage: Wie viel ist viel? sein kann, zeigt das Bilderbuch Ein Weiser, ein Kaiser und viel Reis. In märchenhafter ostasiatischer Kulisse wird eine alte Legende über die Erfindung des Schachspiels neu erzählt und vermittelt gleichzeitig wichtige Erkenntnisse der Mathematik.

Während der Kaiser riesige Mengen Reis einlagert und jedes Jahr seine Forderungen an die Bauern erhöht, hungern die Bauern mit ihren Familien. In ihrer Not suchen sie Rat bei einem alten Weisen. Dieser kennt die Vorliebe des Kaisers für Brettspiele und schnitzt ihm ein Schachspiel. Begeistert ist der Kaiser nun bereit, jeden Wunsch zu erfüllen. Bescheiden fordert der Weise, „fürs erste Feld auf dem Brett ein Reiskorn, für das zweite zwei Reiskörner, für das dritte vier Reiskörner, (…) und so weiter. Also immer das Doppelte. Bis zum vierundsechzigsten Feld.“ Ungläubig akzeptiert der Kaiser und befiehlt dem Hofmathematiker die Summe zu berechnen: „Die Reismenge ist unfassbar. Würden wir unsere größten Frachtschiffe mit dem versprochenen Reis beladen, bräuchten wir Milliarden von Frachtschiffen! Würde man diese aneinanderreihen, wäre die Schiffskette länger als der Weg von der Erde bis zur Sonne …“

Brillant, wie diese gigantische Menge, auf den letzten Seiten auch noch in Zahlen ausgeführt, nun vorstellbar und erlebbar wird. In diesem wunderschönen Bilderbuch geht es aber um mehr als Mathematik, Mengen und Zahlen, eigentlich doch um die entscheidende Frage von Teilen und Abgeben, Gerechtigkeit und Menschlichkeit: „Mit diesem Spiel wird der Kaiser einsehen, dass er seine Untertanen besser behandeln muss. Denn ohne Bauern bekommt er keinen Reis, ohne Reis keinen vollen Magen, und ohne vollen Magen kann er nicht leben.“

Renate Müller De Paoli ist freie ­Journalistin.

RMDEP@gmx.de

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