Recht

Verfassungsrecht und allgemeines Verwaltungsrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2022

Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 2: Europäischer Grundrechteschutz, Hardcover, 2. Auflage. 2021, 900 S., Nomos, ISBN 978-3-8487-5771-8, € 178,00.

Die Offenheit des Verfassungsstaates zeigt sich in der supranationalen Ordnung der Europäischen Union kaum andernorts deutlicher als in den Fragen des Schutzes der Grund- und Menschenrechte. Grundrechte sind es, die der europäischen Integration über die bloße immer engere Marktintegration hinaus ihre Finalität geben. Das Handbuch arbeitet den Rechtsbestand überlappenden Grundrechtsschutzes in der Europäischen Union umfassend auf. Besonders deutlich wird das Zusammenwirken der Grundrechte als gemeinsame Verfassungsüberlieferung, als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts und schließlich als Verbürgungen der europäischen Grundrechtscharta. Die Beiträge des Bandes erschließen sich zunächst übergreifende Strukturen allgemeiner Lehren der Grundrechte und legen damit – in allerdings letztlich typisch deutscher rechtsdogmatischer Tradition – einen gemeineuropäischen Teil des Grundrechtsschutzes offen. Ausführlich werden auf diesem Fundament in systematischer Gliederung die Einzelgrundrechte entfaltet. Ein durchgängiges Qualitätsmerkmal ist die genaue Auswertung der Judikatur der mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichte, des EGMR und des EUGH. Der europäische Grundrechtsverbund ist nicht zuletzt Leistung eines Verfassungsgerichtsverbundes. Europa als Wertegemeinschaft lebendig zu erhalten und im Rechtsalltag zu behaupten, gelingt leicht mit so überzeugenden Werken wie diesem.

 

Ulrich Karpenstein / Franz C. Mayer, EMRK, Konven­tion zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Kommentar, Hardcover, 3. Auflage 2022, 934 S., C. H. Beck in Gemeinschaft mit Helbing & Lichtenhahn/ Basel, ISBN 978-3-406-75964-2, € 139,00.

Die Offenheit der grundgesetzlichen Verfassungsordnung zeigt sich insbesondere in der Rolle der Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht nur als Bundesrecht, sondern als Interpretationsmaßstäbe der grundgesetzlichen Grundrechte. Grundrechtsschutz in Deutschland ist europäisiert oder er ist es nicht. Diese zentrale Aussage verdeutlicht der Kurzkommentar zur EMRK, der nun aktualisiert in Neuauflage vorliegt. Der Kommentar gibt einen raschen Überblick über die bestehende Rechtslage und die in diesem Bereich ergangene Rechtsprechung. Das Werk kommentiert die EMRK sowie die einschlägigen Vorschriften der Zusatzprotokolle. Daneben erläutert es die Auslegung nationalen Rechts, den Mehrwert der EMRK-Vorschriften gegenüber nationalen Gewährleistungsrechten und die sich daraus ergebenden Konfliktfelder. Die Kommentierungen sind kompakt, verständlich und gut strukturiert. Die Herausgeber legen offen, dass die „Idee zu diesem Kommentar (…) auf Gespräche und Überlegungen am Rande des Fußballplatzes in unserer gemeinsamen Zeit als Freizeitkicker in Berlin“ zurückgehe. Der Kompaktkommentar belegt den Mehrwert von Grundrechtsdogmatik als Mannschaftssport. Die Mannschaft spielt konsequent in einer europäischen Liga.

 

Michael Kloepfer, Handbuch der Verfassungsorgane im Grundgesetz, unter Mitarbeit von Rico David Neugärtner und Christoph Schmidt, Hardcover, 2022, ­ 710 S., Duncker & Humblot, ISBN 978-3-428-18162-9, € 89,90.

In jüngerer Zeit konnte im Blick auf die deutsche Verfassungsgeschichte seit der konstitutionellen Monarchie zurecht beobachtet werden, dass das deutsche Verfassungsrecht die Eigenart hat, den politischen Prozess und die Verfahren demokratischer Willensbildung vor allem als Frage von Kompetenzen zu begreifen. Dieser Perspektive genügt ersichtlich ein Handbuch der Verfassungsorgane des Bundesverfassungsrechts, so dass man sich unwillkürlich fragt, warum es nicht früher geschrieben wurde. Michael Kloepfer legt ein überzeugendes Handbuch vor, das vor allem auch der Verfassungspraxis als Nachschlagewerk gute Dienste leisten kann. Das Handbuch rekonstruiert zunächst das Verfassungsorgan als institutionell-dogmatische Struktur des Staatsrechts und schlägt eine Typisierung bzw. Klassifizierung vor. Danach werden die Verfassungsorgane des Grundgesetzes in ihrer Geschichte, Struktur, Willensbildungsprozessen und Kompetenzen dargestellt. So erhalten Bundestag, Bundesrat, Gemeinsamer Ausschuss, Bundespräsident, Bundesversammlung, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht Kontur. Ein nicht nur praktisches Nachschlagewerk, sondern ein Grundlagenwerk lädt zur Lektüre ein.

 

Bruno Schmidt-Bleibtreu, Kommentar zum Grund­gesetz, Hardcover, 15. Auflage 2021, 3650 S., Carl Heymanns, ISBN 978-3-452-29703-7, € 219,00.

Der „Schmidt-Bleibtreu“ ist in der Riege der einbändigen Grundgesetzkommentare fest verankert. Obwohl er ursprünglich mit einem starken didaktischen Impuls an den Start gegangen war, ist er dieser Rolle längst entwachsen und gibt Verfassungsrechtspraxis und -wissenschaft verlässliche Informationen. Die Kommentierungen sind klar gegliedert und weisen die Eigenart auf, Problemkomplexe auch zusammenhängend zu behandeln. Es gibt weder Norm-Friedhöfe noch veraltete Kommentierungsteile. Die Neuauflage verarbeitet die aktuellen verfassungsrechtlichen Entwicklungen in Folge der Corona-Pandemie, der Parité-Gesetzgebung, der exekutiven Äußerungsrechte, der Richterbesoldung und vieles mehr. Der Kommentar ist auf der Höhe der Zeit – und das gilt auch in Bezug auf seine Einbettung in die online-Umgebung des Verlages.

 

Klaus Stern / Helge Sodan / Markus Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Ges ­ amtwerk in 4 Bänden, Hardcover, 2., vollständig neu bearbeitete Auflage 2022, 44848 S. C. H. BECK, ISBN 978-3-406-77510-9, € 749,00.

In den 1980er Jahren hatte Sisyphos einen würdigen Nachfolger gefunden: Klaus Stern hatte mit seinem „Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland“ einen Monolithen in die nicht mehr ganz posteiszeitliche Verfassungsrechtslandschaft gelegt und die Fachwelt tanzte jahrzehntelang um dieses Monument herum. Stern war gelungen, aus einem Guss die maßgeblichen staatsrechtlichen Diskurse der Zeit in einem Werk zu versammeln. Später, nach der Jahrtausendwende, wurde das Werk um Bände zu den speziellen Grundrechten und zur Verfassungsgeschichte ergänzt. Seitdem ist die Zeit etwas über das Werk hinweggegangen, gerade soweit es um die europäische und internationale Dimension des Verfassungsrechts geht. Der Monolith hatte etwas Moos angesetzt. Es war höchste Zeit für eine Neuauflage. Und nun liegt ein zweiter Monolith in der Landschaft. Warum dieser als 2. Auflage ausgewiesen wird, hatte doch der erste Teilband der Erstauflage schon eine Zweitauflage erlebt, zeigt die bewundernswerte Arithmetik des Verlages. Die äußeren Daten sind schnell erzählt: Aus einst sieben Bänden wurden vier. Der erste Band widmet sich den Grundlagen und Grundbegriffen des Staatsrechts und den übergreifenden Strukturprinzipien der Verfassung. Sehr schön werden vor allem auch die Sozial- und Rechtsstaatlichkeit entfaltet. Die internationale und europäische Einbettung des Verfassungsstaates werden deutlich. Wo solches Licht ist, ist auch Schatten: Wer die Säkularität des Staates unter dem Label des „Staatskirchenrechts“ entfaltet, hinkt der Rechtsentwicklung des Religionsverfassungsrechts Jahrzehnte hinterher. Der zweite Band arbeitet die Staatsorgane heraus, erläutert die Staatsfunktionen und gibt einen wirklich beeindruckenden Überblick über das Finanzwesen. Der dritte Band ist den allgemeinen Grundrechtslehren gewidmet und gibt dankenswerterweise sowohl der Geschichte als auch der konsequenten Internationalisierung und Europäisierung Raum.

Der vierte Band ist ein Handbuch der Einzelgrundrechte und bewegt sich auf dem aktuellen Niveau und Stand der vor allem rechtsprechungsgetriebenen Entwicklung. Das Verfasserverzeichnis versammelt fünfzig Autoren der aktiven deutschen Staatsrechtslehrenden, zu einer – wie der Verlag sagt – „homogenen Gemeinschaftsleistung“. Das darf man nach der Lektüre vermutlich auch verfassungspolitisch verstehen, wenn man sich vor Augen führt, dass noch immer das „Staatsrecht“ titelgebend ist. Die alte Relativierung der Verfassung durch die Vorgängigkeit des Staates ist zählebig. Die Ausarbeitungen zeugen von hohem wissenschaftlichem Standard. Wer mehr sucht als schnelllebige Rechtsprechungsanalysen wird in den Fußnoten fündig werden. Bedauerlich ist ein gewisser Bedeutungsverlust der verfassungsgeschichtlichen Dimension, hier ist der fünfte Band der Erstauflage ein Leitstern. In den 1980er Jahren hatte „der Stern“ kaum Konkurrenz. Heute erfüllen die großen Handbücher zum Staatsrecht, zu den Grundrechten und zum Ius Europaeum weitgehend seine ursprüngliche kompendienartige Funktion. 1995 begegnete dem Rezensenten eine schmeichelhafte Charakterisierung des „Stern“: Dieser sei der Totengräber der Staatsrechtswissenschaft, denn zu allen Diskursen finde sich im Werk eine gründliche Auseinandersetzung. Die Neuauflage kann diesen Ehrentitel schon wegen der Ausdifferenzierung der Diskurse kaum erreichen. Zu wünschen wäre es der Auflage auch nicht. Ein Monolith der deutschen Verfassungsrechtswissenschaft: Ein neues Standardwerk, dem nicht nur eine lange Verwitterungszeit, sondern vor allem eine große Leserschaft in Rechtswissenschaft und Verfassungsrechtspraxis zu wünschen ist.

 

Andreas Voßkuhle / Martin Eifert / Christoph Möllers, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Gesamtwerk in 2 Bänden, Hardcover, 3. Auflage 2021, 3900 S., C. H. BECK, ISBN 978-3-406-75448-7, € 499,00.

In einer Besprechung verfassungsrechtlicher Werke stellt ein verwaltungsrechtlicher Titel normalerweise einen Bruch dar, es sei denn, man goutierte das Diktum Fritz Werners, wonach das Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht zu verstehen sei. Versteht man Verfassungsrecht als Grundlegung der rechtlich verfassten Gesellschaftsordnung, dann erreicht den nötigen Grad des Grundsätzlichen jedenfalls aber auch das hier angezeigte Werk. Die sogenannte Neue Verwaltungsrechtswissenschaft hatte sich vor gut zwei Jahrzehnten aufgemacht, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft von der traditionellen handlungsformbezogenen Perspektive zu lösen und stärker akteuersorientiert und steuerungswissenschaftlich zu entfalten. Die rotgebundene „Bibel“ der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft stellten die „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ dar. Die nun vorliegende 3. Auflage ist vor allem durch einen Generationswechsel im Herausgeberkreis und in Teilen der Autorenschaft geprägt. Vor allem Eberhard Schmidt-Aßmann und Wolfgang Hoffmann-Riem – zwei der Vordenker der Neuen Verwaltungsrechtslehre – sind aus dem Kreis ausgeschieden und wurden durch Martin Eifert und Christoph Möllers, die in dem Werk schon bislang zum illustren Autorenkreis gehörten, ersetzt. Die Ausführungen wurden stark verdichtet, so dass die Ausgabe nunmehr mit zwei, statt bislang drei Bänden auskommt. Der Zuschnitt bleibt unverändert. Thematisch werden die konzeptionellen Grundlagen des Verwaltungsrechts ebenso erörtert wie typische Handlungsfelder bzw. Referenzrechtsgebiete. Im letzten Jahrzehnt seit der zweiten Auflage sind es insbesondere die Großtrends der Europäisierung, der Globalisierung und der Digitalisierung, die auch die Neuauflage prägen. Unverändert ist der Anspruch des Werkes zu zeigen, dass die Neue Verwaltungsrechtwissenschaft die juristische Methode und die dogmatische Betrachtung des Verwaltungsrechts um weitere Perspektiven erweitert. Eingelöst wird der Anspruch nicht in allen Beiträgen der Bände in gleichem Maße. Wer sich ein umfassendes Bild von der Stärke und Innovationskraft der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft machen will, der kann an dem Werk schlicht nicht vorbeikommen. 🔴

Univ.-Prof. Dr. Michael Droege (md) hat einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht, Religionsverfassungsrecht und Kirchenrecht sowie Steuerrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen inne. Er ist Direktor des Instituts für Recht und Religion und Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht.

michael.droege@uni-tuebingen.de

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